Licht und Schatten beim Sängernachwuchs
Ein Bericht vom Finale des 14. Internationalen Gesangswettbewerbs im belgischen Verviers
Von Thomas Tillmann
Bereits zum 14. Mal seit 1975 wurde im September der Concours International de Chant im belgischen Verviers ausgetragen, und unter den Finalisten und Gewinnern befanden sich in den letzten Jahren immerhin so prominente Namen wie Martine Dupuy, Renée Fleming, Philippe Rouillon, Leontina Vaduva oder Marcel Vanaud. Stimmen dieser Qualität gab es beim Finale im Grand-Théâtre von Verviers in diesem Jahr nicht zu entdecken, obwohl die Konkurrenz größer denn je war, hatte man doch Vorentscheidungen unter anderem in Asien und Kanada durchgeführt, was die starke Präsenz von Nachwuchskünstlern aus China, Japan und Südkorea erklärt - die wenigen deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten da offenbar keine Chancen.
Besonders beklagenswert fand ich dabei den Umstand, dass nicht wenige Finalisten die ihnen anvertrauten Arien kaum mehr als brav heruntersangen, aber allzu selten zu einer wirklichen Interpretation des Gesungenen vordrangen (pseudodramatisches Händeringen und elegante Dekolletégriffe änderten daran nichts), und dass sie kaum Gespür für die stilistischen und sprachlichen Belange der Werke mitbrachten. Hören diese jungen Menschen denn nicht die Aufnahmen ihrer Vorgänger?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, die Kollegen vergangener Tage zu kopieren, sondern in der Auseinandersetzung mit dieser Tradition zu einer vertieften, individuellen Deutung zu finden. Schade finde ich auch, dass die Sängerinnen und Sänger nicht wie im Semifinale in Maske und Kostüm auftreten dürfen und dass die nicht immer nachvollziehbare Auswahl der dargebotenen Arien nicht ihnen selber überlassen ist, sondern von der Jury festgelegt wird; natürlich hat man in einer ausgedehnten Verdiszene mehr Chancen sich zu profilieren als in kaum mehr als drei Minuten dauernden Piècen etwa aus Puccinis Werken.
Wie schon in den letzten Jahren führten Alexise Yerna und Thierry Luthers kundig und diskret durch den langen, live vom Belgischen Fernsehen und Rundfunk übertragenen Galaabend, der vom wallonischen Publikum im Saal mit großer Anteilnahme verfolgt wurde, zumal viele Familien den Teilnehmern während der Wettbewerbs kostenlos Kost und Logis gewährt hatten - eine großartige Idee, die viel zur Völkerverständigung beiträgt und manchen langjährigen Kontakt begründet hat.
Leider stand diesmal nicht Friedrich Pleyer am Pult des Orchesters der Lütticher Oper, sondern dessen Assistent David Miller, der es weder in der vorneweg gegebenen Ouvertüre zu Rossinis Il Barbiere di Siviglia noch in den dreizehn Ausschnitten aus dem gängigen Opernrepertoire verstand, die Individuen des ansonsten ja gar nicht schlechten Klangkörpers zu homogenem, engagierten Spiel zu bewegen, und den Solisten war er auch keine allzugroße Unterstützung, was vor allem die zehnte der dreizehn Finalisten, die Chinesin Lin Wu zu spüren bekam, die im Tosca-Gebet patzte und erst Takte später wieder den Anschluss ans Orchesterspiel fand. Ob sie unter besseren Bedingungen mit ihrem reichlich eindimensionalen, flackernden, freilich erstaunlich höhenstarken Sopran, den die Toleranzgrenze überschreitenden musikalischen Freiheiten und ihrem abenteuerlichen Italienisch weitergekommen wäre, bezweifle ich trotzdem.
Der mit 250.000 belgischen Francs dotierte erste Preis ging zurecht an Ho Yoon Jung, der mit seinem geschmeidig-legatostarken, durchaus individuell timbrierten Tenor die gar nicht leichte Arie des Edgardo aus Lucia di Lammermoor mit glänzender Attacke, großem Farbenreichtum und unter Auslotung der gesamten dynamischen Möglichkeiten bewältigte, auch wenn man hörte, dass der gerade 24jährige Südkoreaner an den Spitzentönen noch ein wenig arbeiten muss - man freut sich auf ein Wiederhören in Lüttich, denn der Sänger bekam auch noch den Preis der Opéra Royal zugesprochen, der ihm ein Engagement ebendort in einer der nächsten Spielzeiten garantiert.
Mit dem zweiten Preis musste sich sein Landsmann Hyun Jong Lee begnügen, der mit viel Herzblut und wirklich aufregender Höhe den Tod des Marquis Posa aus Verdis Don Carlo interpretierte, während die drittplazierte Kanadierin Lambroula Maria Pappas für die zweite Arie der Königin der Nacht zwar die dramatische Attacke, aber nicht die nötige Präzision für die Töne über dem System mitbrachte, die sehr weiß und flach klangen, wie ihre Stimme überhaupt noch recht unausgeglichen und mitunter unangenehm scharf klang.
Besser gefiel mir die Viertplazierte, die Polin Anna Radziejewska, die sich mit einer individuellen Interpretation der Rosina-Arie aus dem Barbier von Sevilla ebenfalls ein Engagement an der Lütticher Oper ersang; ihr in der Tiefe erstaunlich voluminöser, keine hörbaren Registerwechsel aufweisender Mezzosopran besitzt auch die nötige Durchschlagskraft in der Höhe, was ja kein Fehler ist, wenn man das Koloraturmezzofach ansteuert.
In der Gunst großer Teile des Publikums weit oben stand der schließlich den fünften Rang belegende Chinese Shuang Yu, der zwar wirkungsvoll, aber doch auch ziemlich allgemein Rodolfos "Che gelida manina" schmetterte und sich dabei nicht wenige rhythmische Eigenheiten gestattete. Piano- oder mezza-voce-Effekte hingegen waren seine Sache nicht, während das gefürchtete C problemlos gelang, und die typischen Tenormanieren beherrscht er auch souverän.
Mit einem sechsten Platz zufrieden geben mußte sich die farbige Kanadierin Marie José Lord, die mit ihrer typisch "schwarzen", vibrierenden, besonders in der Mittellage sehr farbigen Stimme Butterflys "Un bel dì vedremo" zum Vortrag brachte und dabei auch einige zarte Piani einbrachte, während ihr die tiefen Töne der Arie noch nicht besonders lagen und man in der Höhe doch auch einige Schärfen bemerkte.
Auch die übrigen Finalisten gingen nicht mit leeren Händen nach Hause, sondern bekamen immerhin noch eine Prämie von 25.000 Francs überreicht, so die über eine sehr mädchenhafte, aber warme, in der Höhe interessant vibrierenden Sopranstimme verfügende Brigitte Hool, die in der Gilda-Arie zwar häufig an unpassenden Stellen atmete, aber durchaus Ansätze für vertiefte Ausdrucksnuancen erkennen ließ, während der etwas kehlige Sopran von Yanyu Wu in der großen, schwierigen Szene der Violetta aus dem ersten Akt der Traviata gerade hinsichtlich der Registerverblendung noch ziemlich unfertig und in der bis zum fakultativen Es in alto ausgedehnten Höhe leicht scheppernd klang, nicht ganz selbstverständlich ansprach und die gebotene Präzision in den Koloraturen vermissen ließ; zudem wäre ihr ein sorgfältiger Blick in den Klavierauszug anzuraten.
Den neunten Platz ersang sich die ungeheuer temperamentvolle Sophie Graf mit Marguerites Air des bijoux; ihrem ebenmäßig geführten lyrischen Sopran fehlt es allerdings noch ein wenig an Volumen in der tiefen Lage, während die Höhe bereits sehr sicher wirkte.
Jae Chan Kims Bass bot in der wenig durchdacht präsentierten Arie des Silva aus Ernani einen so heiser-ältlichen Klang voller Nebengeräusche, dass er sich über den elften Rang hätte freuen müssen. Keinen nachhaltigen Eindruck hinterließen auch Emiko Urushibara, die in der ersten Arie der Lucia di Lammermoor zwar eine gute, farbige, nur bei extremen Acuti nicht ganz sichere Höhe erkennen ließ, aber fast keine Tiefe besaß, wenig Gespür für die Auszierung der Vokallinie mitbrachte und auch nicht sehr genau musizierte, und schließlich Elise Gäbele, die mit ihrer nur in der Mitte interessanten, etwas geraden Stimme mit Konstanzes "Ach, ich liebte" nur begrenzt reüssieren konnte, zumal ihre Koloraturtechnik eine höchst eigenwillige ist und die Höhe merkwürdig piepsig tönte. Die 200.000 Francs des Prix de la Vocation sind für ein zweijähriges Aufbaustudium gedacht - sie wird es meiner Einschätzung nach brauchen.
Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief