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Kreislauf der ElementeVon Thomas Molke / Fotos: © Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann Der rumänische Komponist, Violinist und Dirigent George Enescu ist in erster Linie nicht für sein Opernschaffen bekannt. Sein Œuvre enthält nämlich neben mehreren sinfonischen und kammermusikalischen Werken nur eine einzige Oper: Œdipe. An ihr arbeitete er über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren, so dass sie schon als sein Lebenswerk betrachtet werden kann. Ausschlaggebend soll der Besuch einer Aufführung von Sophokles' Tragödie König Ödipus 1910 in Paris gewesen sein, die ihn dermaßen beeindruckt habe, dass er den Stoff zu einer Oper verarbeiten wollte. Mit Edmond Fleg hatte er auch schnell einen Librettisten gefunden, mit dem er diesen Plan umsetzen konnte. Nicht zuletzt durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs dauerte es bis zum Beginn der 1920er Jahre, bis das komplette Textbuch so vorlag, wie Enescu es sich vorstellte, und die Musik skizziert war. An der Orchestration arbeitete Enescu noch weitere 10 Jahre. Über diesen Zeitraum übten natürlich mehrere unterschiedliche Stile vom französischen Wagnérisme über den Impressionismus bis hin zu einem folkloristischen Stil wie bei Béla Bartók einen Einfluss auf die Komposition aus. Enescu selbst hat einmal darauf verwiesen, dass das Werk wie eine Sinfonie aufgebaut sei. Die Uraufführung am 13. März 1936 in der Opéra Garnier in Paris war zwar ein riesiger Erfolg, aber dennoch konnte sich das Werk nicht im Repertoire halten. Erst nach dem Tod des Komponisten 1955 sendete der französische Rundfunk eine Neuproduktion im Radio, der über die Jahrzehnte bis heute vereinzelte weitere Aufführungen folgten. Die neue Festspielintendantin Lilli Paasikivi hat sich entschieden, ihre Amtszeit mit diesem monumentalen Werk zu eröffnen. Im Gegensatz zu den beiden Sophokles-Tragödien König Ödipus und Ödipus auf Kolonos behandelt die Oper die gesamte Lebensgeschichte des Ödipus (Œdipe) von seiner Geburt bis hin zu seinem Tod. In insgesamt vier Akten werden die einzelnen Lebensstationen der mythologischen Figur gezeigt, wobei zwischen den Akten jeweils eine Zeitspanne von rund 20 Jahren liegt. Der erste Akt zeigt das ausgelassene Fest in Theben, zu dem König Laïos und Königin Jocaste anlässlich der Geburt ihres Sohnes eingeladen haben und das durch den Auftritt des blinden Sehers Tirésias gestört wird, der dem Königspaar prophezeit, dass der neugeborene Sohn seinen Vater töten und seine Mutter heiraten werde. Laïos befiehlt folglich einem Hirten, das Baby in den Bergen zu töten. Im zweiten Akt ist Œdipe mittlerweile in Korinth zu einem jungen Mann herangewachsen und erfährt vom Orakel von dieser Prophezeiung. Da er nicht weiß, dass der dortige König Polybos und seine Frau Mérope nicht seine tatsächlichen Eltern sind, beschließt er, seinem Schicksal zu entfliehen und nach Theben zu gehen, um dort die Stadt von der Sphinx zu befreien. Auf dem Weg gerät er in einen Streit mit dem Insassen eines Wagens, der ihn vom Weg abdrängen will, bei dem er die drei ihn angreifenden Männer tötet. Nachdem er die Sphinx überwältigt hat, krönen die Thebaner ihn aus Dankbarkeit zu ihrem neuen König, und er heiratet Jocaste, seine Mutter, womit sich die Prophezeiung erfüllt. Im dritten Akt sind erneut 20 Jahre vergangen, und Œdipes Tochter Antigone ist zu einer jungen Frau herangewachsen. Mittlerweile wird die Stadt von der Pest heimgesucht, für die laut Orakel der Mörder des ehemaligen Königs verantwortlich ist. Als Œdipe erkennt, dass er selbst der Täter ist, sticht er sich die Augen aus und geht mit Antigone in die Verbannung. Im letzten Akt gelangt er dann nach 20 Jahren Wanderschaft nach Athen zu König Theseus, wo er in einem heiligen Hain Frieden und Erlösung findet.Laïos (Michael Heim, rechts) will gegen den Willen Jocastes (Marina Prudenskaya) den neugeborenen Sohn vom Hirten (Mihails Čuļpajevs, Mitte) töten lassen. Das Regie-Team um Andreas Kriegenburg sieht die vier Lebensstationen als einzelne kleine Minidramen und ordnet jedem Akt ein eigenes Element und eine andere Farbe zu. Der erste Akt ist rot gehalten wie das Feuer, um das das Volk sich sammelt, um sich zu wärmen. Ausgelassen wird hier die Geburt des Königskindes gefeiert. Die Kostüme von Tanja Hofmann und das Bühnenbild von Harald B. Thor werden von roten Farben dominiert, wobei das Grundmaterial der Bühne aus Holz besteht, das in den folgenden Akten ähnlich aufgebaut ist. Nur Tirésias passt farblich nicht in dieses Bild. Er wird die Harmonie mit seiner Prophezeiung schließlich auch zerstören und aus den heiteren Flammen, um die das Volk herumtanzt, einen Brand machen, der am Ende alle verschlingen wird. Der zweite Akt wird von weißem Nebel und Blautönen dominiert und steht für das Wasser. Auch hier werden die Farben in die Kostüme der Figuren übernommen. Der Nebel steht hier für die Blindheit, mit der die Figuren in ihr Unglück rennen. Mérope hätte es vielleicht zu Beginn noch verhindern können, wenn sie Œdipe die Wahrheit gesagt hätte. Doch so flieht er verzweifelt aus Korinth und sieht aufgrund des dichten Nebels kaum, wen er im Kampf erschlägt. Die Sphinx (Anna Danik) Großartig wird die folgende Szene mit der Sphinx umgesetzt, die wie ein drohendes Ungeheuer in diesem Nebel auftaucht. Der Einsatz der Drehbühne lässt dabei immer wieder neue Räume entstehen, die den Irrweg, den Œdipe geht, noch unterstreichen. Auch musikalisch sticht die Szene mit der Sphinx aus dem Rest heraus. Enescu findet hier Klangfarben, die sich deutlich von dem ansonsten symphonischen Stil abheben und die Sphinx als ein Wesen aus einer ganz anderen Welt charakterisieren. Anna Danik verleiht der Sphinx mit variablem Mezzosopran und pointiertem Sprechgesang eine unheimliche Dimension, die durch das fantasievolle Kostüm von Tanja Hofmann noch unterstrichen wird. Das erlöste Volk tritt anschließend in blauen Gewändern auf und feiert Œdipe als seinen Retter. Bemerkenswert ist, dass Jocaste und Œdipe zunächst einen gewissen Widerwillen zeigen, wenn sie vom Volk zusammengeführt werden. Œdipe (Paul Gay) hat sich geblendet (im Hintergrund: die tote Jocaste (Marina Prudenskaya) und das Volk) Der dritte Akt wird dann von dunkler Asche dominiert, die auf dem Boden verteilt ist und aus den Gefäßen rieselt, in denen man sich Wasser erhofft. Auch die Bühne ist schwarz gehalten und symbolisiert die wütende Pest. Verzweifelt trägt das Volk in schwarz umwickelte Leichen auf die Bühne und fleht um ein Ende der Plage. Relativ feindlich gestaltet sich die Szene zwischen Œdipe und Créon, dem der König arg zu misstrauen scheint. Aber der Bericht Jocastes, des Boten Phorbas und des Hirten können ihn schließlich doch davon überzeugen, dass er selbst für das Wüten der Pest verantwortlich ist. Jocaste nimmt sich das Leben, und Œdipe sticht sich die Augen aus. Mit Blut unterlaufenen Augen betritt er wieder die Bühne, was dem Ganzen einen realistischen Anstrich gibt. Neben Antigone wird auch noch ihre Schwester Ismène als stumme Rolle eingefügt, die bei ihrer toten Mutter bleibt, während Antigone mit ihrem Vater die Stadt verlässt, nachdem Créon und die Thebaner ihn aufgefordert haben, ins Exil zu gehen. Œdipe (Paul Gay) nimmt Abschied von seiner Tochter Antigone (Iris Candelaria). Der Hain in Attika im vierten Akt besteht dann aus hohen Baumstämmen, die eine Rückkehr zur unberührten Natur andeuten. Hier scheint nun neues Leben zu entstehen. Thésée tritt mit einer zarten Pflanze auf, die hier im Hain einen neuen Platz zum Wachsen finden soll. Für Kriegenburg bedeutet dieses Holz aber auch ein Bezug zum Anfang, denn dieses Holz kann wieder zum wärmenden Feuer dienen. So sieht Kriegenburg hier eine Art Kreislauf in der Geschichte. Der gealterte Œdipe tritt hier mit einer Augenbinde auf, die er am Ende ablegt, wenn er durch seine Erlösung in gewisser Weise wieder sehend wird und im Hain verschwindet. Die Schatten im Hintergrund sollen wohl die tanzenden Eumeniden darstellen, die Œdipe aufnehmen, können allerdings auch als Erinnerung an das ausgelassene Fest im ersten Akt verstanden werden, bei dem die Thebanerinnen und Thebaner die Geburt des Œdipe gefeiert haben. Zurück bleibt am Ende Antigone mit einer kleinen Pflanze in der Hand, was als Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft gedeutet werden kann. Wer den Fortgang der Geschichte kennt, weiß dass diese Vision trügt. Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Hannu Lintu lotet mit den Wiener Symphonikern die verschiedenen Klangfarben der Partitur mit viel Gefühl für Details aus und lässt das Publikum in vollem, symphonischem Klang baden, aus dem es musikalisch immer wieder kleine Ausbrüche wie beispielsweise bei der Sphinx gibt. So verfolgt man die Geschichte mit großer Spannung, und die knapp dreieinhalb Stunden vergehen wie im Flug. Paul Gay begeistert in der Titelpartie mit kraftvollem Bassbariton und zeichnet auch die verschiedenen Altersstationen des Œdipe glaubhaft nach. So gibt er sich im zweiten Akt jugendlich frisch, wenn er von Korinth auszieht, um die Sphinx zu besiegen. Interessant ist übrigens, dass Fleg und Enescu das Rätsel nicht aus dem Mythos übernehmen, sondern fragen lassen, wer das Schicksal besiegen könne. Ob es wirklich der Mensch ist, wie Œdipe in der Oper antwortet, ist beim weiteren Verlauf der Tragödie fraglich. Im dritten Akt zeigt Gay sich als gerechter Herrscher und wandelt sich im vierten Akt zum abgeklärten Weisen. Ante Jerkunica punktet als Tirésias mit autoritärem Bass, der deutlich macht, dass an seinen Prophezeiungen kein Zweifel besteht. Marina Prudenskaya stattet die Partie der Jocaste mit farbigem Mezzosopran aus. Tuomas Pursio wirkt als Créon mit dunklem Bassbariton wie ein klassischer Bösewicht. Daher wundert man sich ein bisschen, wieso ausgerechnet Antigone (Iris Candelaria mit leuchtendem Sopran) ihren Onkel immer wieder vor den Attacken ihres Vaters in Schutz nimmt. Mihails Čuļpajevs verfügt als Hirte über einen hellen Tenor. Ruhige Autorität verkörpern Nika Guliashvili und Vazgen Gazaryan als Grand Prêtre und Bote Phorbas bzw. Wächter. Nikita Ivasechko verleiht dem Thésée mit kraftvollem Bariton große Bodenständigkeit, während sich Michael Heim als Laïos mit höhensicherem Tenor recht kämpferisch gebärdet. Auch der von Lukáš Vasilek einstudierte Prager Philharmonische Chor leistet stimmlich und darstellerisch Gewaltiges und avanciert zu einem besonderen Bestandteil der Inszenierung, so dass es für alle Beteiligten am Ende verdienten und großen Jubel gibt.
FAZIT Enescus Oper darf durchaus als ein monumentales und musikalisch faszinierendes Werk bezeichnet werden, das an alle Beteiligten große Herausforderungen stellt. Wahrscheinlich ist es auch deshalb relativ selten auf der Bühne zu erleben.
Weitere Rezensionen zu den Bregenzer
Festspielen 2025 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungHannu Lintu Inszenierung Bühne Kostüme Licht Chorleitung Dramaturgie
Wiener Symphoniker Prager Philharmonischer Chor
Solistinnen und SolistenŒdipe
Tirésias
Créon
Le Berger
Le Grand Prêtre
Phorbas / Le Veilleur
Thésée Laïos Jocaste La
Sphinge Antigone Mérope Thebaner Eine Thebanerin / Eine Frau
Eine andere Thebanerin
Eine andere Frau
Thebaner / Sklaven der Sphinx Wächterin des Feuers (stumme Rolle) Ismène
(stumme Rolle) Begleiter
des Tirésias (stumme Rolle)
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