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Nero als SpielleiterVon Thomas Molke / Fotos von Rupert Larl Reinhard Keiser wurde von seinem Komponistenkollegen Johann Mattheson 1740 zwar als "der größeste Opern-Componist von der Welt" bezeichnet, ist heutzutage jedoch nahezu vergessen. Ein Großteil seiner zumindest namentlich dokumentierten 67 Opern und 33 Oratorien ist verschollen, und auch die von Zeit zu Zeit unternommenen Versuche, seinem Werk mehr Aufmerksamkeit zu schenken, sind nicht gerade von Erfolg gekrönt. In der Tat kann der Zuhörer leicht den Eindruck gewinnen, in einer unbekannten Händel-Oper zu sitzen, wobei man musikgeschichtlich feststellen muss, dass es wohl eher Händel war, der sich von Keiser inspirieren ließ. Während Händel nämlich mit Almira an der Hamburger Gänsemarktoper 1705 debütierte, feierte Keiser dort schon seit einigen Jahren Erfolge. Im gleichen Jahr hatte dann auch im August Keisers Sing-Spiel Die römische Unruhe, oder Die edelmütige Octavia Premiere. Aus diesem Werk übernahm Händel später insgesamt 10 Arien, zum großen Teil in seine Oper Agrippina, die von Octavias Schwiegermutter handelt. Einige Monate vor Keisers Sing-Spiel erschien an der Gänsemarktoper Händels heute verschollene Oper Nero zu dem gleichen Thema. Ob Keisers Komposition davon beeinflusst wurde, lässt sich leider nicht mehr rekonstruieren. Noch ist die Welt in Ordnung zwischen Octavia (Suzanne Jerosme) und Nero (Morgan Pearse). Die Oper geht zurück auf eine historisch belegte Episode im Jahr 66 n. Chr., als der entmachtete armenische König Tiridates in Rom von Nero seine Krone zurückerhielt. Der Rest der Geschichte ist frei erfunden, und zahlreiche in dieser Oper auftretende Figuren wie Neros erste Ehefrau Octavia, sein Lehrer Seneca und der Verschwörer Piso waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Mit der im Titel genannten "römischen Unruhe" ist zum einen die Pisonische Verschwörung gemeint, mit der Angehörige der römischen Senatsaristokratie um den römischen Senator Gaius Calpurnius Piso im April 65 n. Chr. planten, Kaiser Nero zu ermorden. Die Verschwörung wurde jedoch aufgedeckt und kostete unter anderem Piso und Seneca das Leben. Zum anderen wird auf die zahlreichen Liebeswirrungen in der Oper angespielt. So verliebt sich Kaiser Nero in Tiridates' Gattin Ormoena und fordert sie als Preis dafür, dass Tiridates seine Krone zurückerhält. Seiner Ehefrau Octavia befiehlt er, sich mit Gift oder einem Dolch das Leben zu nehmen, um für seine neue Liebe frei zu sein. Tiridates wird von zwei weiteren Damen begehrt, der latinischen Prinzessin Livia, die deshalb die Avancen des kaiserlichen Generals Fabius zurückweist, und der florentinischen Prinzessin Clelia, bei der deswegen Lepidus kein Gehör für sein Liebeswerben finden kann. Piso ist heimlich in Octavia verliebt und kann ihren Selbstmord in letzter Sekunde verhindern. Auf Anraten Senecas erscheint Octavia ihrem durch den Aufstand verängstigten Gatten als Geist und bringt ihn zur Reue. Dank Fabius kann der Aufstand niedergeschlagen werden, wofür ihm dann als Belohnung Livia ihre Zuneigung schenkt. Nero verzichtet auf Ormoena und führt sie wieder ihrem Gatten zu. Auch Clelia und Lepidus werden ein Paar. Pisos Hinrichtung wird verhindert, weil er Octavia vor dem Selbstmord bewahrt hat. Octavia erweist sich "edelmütig" und verzeiht ihrem Gatten seine Verfehlungen, so dass einem glücklichen Ende nichts mehr im Weg steht. Nero (Morgan Pearse) verliebt sich in Ormoena (Federica Di Trapani). François De Carpentries lässt in seiner Inszenierung den Tyrannen Nero als Spielleiter auftreten. Wie in einer Diktatur die Menschen zur Bewahrung ihres Lebens eine Maske aufsetzen, schreibt auch der Kaiser seinen Untertanen vor, was er von ihnen erwartet. So begrüßt Morgan Pearse als Nero noch vor der Ouvertüre in einem golden glänzenden Pyjama das Publikum als Volk von Rom und lädt zur anschließenden Theateraufführung ein. Die anderen Figuren erscheinen zunächst in modernen Kostümen und werden bei ihrem Auftritt während der Ouvertüre in ihrer Mimik und Gestik von Nero korrigiert. Nach einem Triumphgesang auf den Kaiser, teilt er seinen Untertanen in der kurzen Arie "Atlas stützt den blauen Bogen", die Händel später in Lucio Cornelio Silla und in Amadigi di Gaula wiederverwendet hat, mit, dass er als Herrscher über Rom eine ähnliche Bürde trage wie der Titan Atlas mit dem Himmelsgewölbe. Nur Octavia trägt zu diesem Zeitpunkt bereits ein antik anmutendes Gewand. Noch ist die Welt der beiden in Ordnung. Doch das ändert sich mit dem Auftritt Ormoenas und ihres Gatten Tiridates, die durch den Zuschauerraum kommen. Nun ordnet Nero neue Kostüme an, die sich in ihrer Opulenz an der Entstehungszeit der Oper orientieren. Die Solisten verändern dabei das Bühnenbild mit einzelnen Elementen, die die jeweilige Szene andeuten. So verwandelt sich beispielsweise das Bett im weiteren Verlauf in eine Theaterbühne und eine Grabstätte. Schön anzusehen ist die große Angelszene im zweiten Akt, in der die Solisten vor geschwungenen Bühnenelementen als Wellen die Angel schwingen und auch den einen oder anderen Fang machen. Lepidus (Jung Kwon Jang) hat zunächst bei Clelia (Robyn Allegra Parton) keine Chancen. Musikalisch besticht der Abend durch eine Vielzahl größtenteils relativ kurzer Arien und Accompagnato-Rezitativen, die De Carpentries in einer überzeugenden Personenregie in Szene setzt. Einzelne Arien werden, wie es in der damaligen Zeit in Hamburg üblich war, in italienischer Sprache gesungen. Morgan Pearse begeistert in der Partie des Kaisers Nero mit kräftigem Bariton der die Autorität des Tyrannen unterstreicht. In überzeugendem Spiel macht er klar, dass hier alles so abzulaufen hat, wie es sich der Kaiser vorstellt. Mit schon beinahe erschreckender Brutalität lässt er seine treue Gattin für die neue Geliebte fallen und feiert sich mit ihr als Flora bei einem Theaterstück im dritten Akt, bevor der Aufstand ausbricht. Erst jetzt zeigt er panische Angst und traut nach der vermeintlichen Geistererscheinung nicht einmal Fabius' glücklicher Meldung über die erfolgreiche Niederschlagung des Aufstandes. Mit großer Intensität und hervorragender Textverständlichkeit präsentiert er das große Accompagnato-Rezitativ im dritten Akt, wenn er die Geister der Verstorbenen anruft. Zwar findet Nero im Anschluss sein Selbstvertrauen wieder, aber nun sind die anderen Figuren nicht mehr bereit, nach seiner Pfeife zu tanzen. Nachdem er alle zum glücklichen Ende aufgestellt hat, fallen sie über ihn her und trampeln ihn nieder, während sie die wiedergewonnenen Freuden der Liebe besingen. Erst ganz zum Schluss erhebt er sich wieder und lächelt selbstbewusst ins Publikum. War der Schluss ebenfalls von ihm nur inszeniert? Seneca (Paolo Marchini) grübelt über die Entwicklung des Herrschers. Suzanne Jerosme stattet die Octavia mit warmem Sopran und strahlenden Höhen aus. Einen musikalischen Glanzpunkt stellt ihre düstere Lamento-Arie "Geloso sospetto" im ersten Akt dar, in der sie ihrer Sorge freien Lauf lässt, Nero könne sich gegen sie für Ormoena entscheiden. Jerosme setzt Octavias Ängste mit bewegender Traurigkeit um. Ebenso intensiv gelingt ihr die große Arie "Torna, o sposo" im zweiten Akt, in der Octavia verzweifelt versucht, Nero zurückzugewinnen. Händel hat diese Arie in seine Oper Agrippina übernommen. Mit großer Dramatik überzeugt Jerosme auch, wenn sie am Ende des zweiten Aktes dem Befehl des Gatten Folge leisten und ihrem Leben ein Ende setzen will. Federica Di Trapani ist als Ormoena optisch und stimmlich eine ernst zu nehmende Rivalin. Mit leuchtendem Sopran und strahlenden Höhen verzaubert sie nicht nur Nero sondern auch das Publikum und zeigt sich Octavia gegenüber absolut siegessicher. Umso unglaubwürdiger wirkt es dann natürlich am Schluss, wenn sie in die Arme ihres Gatten zurückkehrt. Erik Jurenas stattet den Tiridates mit weichem Countertenor aus, der im zweiten Akt gemeinsam mit Akinubo Ono als Fabius große Komik entfacht, wenn die beiden in angetrunkenem Zustand von der schönen Livia verwirrt werden. Yuval Oren überzeugt als Livia mit leicht kokettem Spiel und strahlendem Sopran. Weitere musikalische Glanzpunkte setzt Robyn Allegra Parton als Clelia, für die Keiser zwei wunderschöne Arien im zweiten Akt komponiert hat. In der ersten - italienischen - Arie "Bionde chiome, care rete" besingt sie mit klaren Höhen und sauberen Koloraturen die unerfüllte Liebe der florentinischen Prinzessin zu dem armenischen König. Mit "Stille Düfte, zarte Lüfte" leitet sie dann kurz darauf mit beweglichen Koloraturen die Pause ein. Jung Kwon Jang legt die Partie des Lepidus darstellerisch zwar wunderbar schmierig an, bleibt stimmlich mit seinem Countertenor aber etwas blass, was vielleicht auch mit den Tücken der deutschen Sprache zusammenhängt. Camilo Delgado Diaz punktet als Piso mit baritonal eingefärbtem Tenor und großer darstellerischer Leidensfähigkeit. So wird gut nachvollziehbar, dass seine Gefühle für Octavia ihn letztendlich dazu veranlassen, den Aufstand gegen den Kaiser anzuführen. Paolo Marchini stattet die Partie des Philosophen Seneca mit dunklem Bass aus und macht mit seiner Arie "Ruhig sein" im ersten Akt, die Händel ebenfalls in seine Oper Aggripina übernahm, seiner stoischen Haltung alle Ehre. Roberto Jachini Virgili überzeugt als Davus vor allem durch sein komisches Talent. Seine Textverständlichkeit ist jedoch noch ausbaufähig. Jörg Halubek führt die 18 Musikerinnen und Musiker des Barockensemble:Jung mit sicherer Hand durch die vielschichtige Partitur, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt. FAZIT
Auch wenn man an der einen oder anderen Stelle vielleicht Kürzungen hätte
vornehmen sollen, gelingt es dem
Ensemble, das Publikum von Keisers musikalischen Qualitäten zu überzeugen. Es
bleibt zu hoffen, dass diesem Komponisten in Zukunft etwas mehr Aufmerksamkeit
geschenkt wird.
Weitere Rezensionen zu den
Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2017 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJörg Halubek Regie Bühnenbild und Kostüme
Solisten
Nero, römischer Kaiser Octavia,
dessen Gemahlin Tiridates,
König aus Armenien
Ormoena, des Königs Gemahlin Livia,
eine latinische Prinzessin Piso, ein kampanischer Fürst Clelia, eine florentinische
Prinzessin Fabius, kaiserlicher General Seneca, ein stoischer Philosoph Lepidus, ein Kammerherr Davus, ein Hof-Kurier
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