Ein Triumph der Musik
Von Joachim Lange
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Fotos von den Salzburger Festspielen, © Monika Rittershaus
Es war die letzte große Opernpremiere dieser Festspiele. Nach dem heiter bildopulenten Falstaff im Altersheim jetzt noch einmal Verdi. Mit allem drum und dran. Also dem großen Auffahrt-Spektakel im Festspielbezirk. Hoffnungslos ausverkauft. Mit Starüberschuss auf dem Besetzungszettel. Und mit Wiener Philharmonikern, die als Hausorchester der Festspiele im Graben des Großen Festspielhauses ihren besten Opernabend ablieferten.
Was wohl auch an Antonio Pappano lag. Jedenfalls war das um Klassen besser als Daniele Gattis Meistersinger-Versuch vor zwei Wochen. Und das, obwohl just am Premierentag das Unbehagen der Philharmoniker mit der Expansionssucht des vorzeitig an die Mailänder Scala wechselnden Festspielintendanten Alexander Pereira, groß aufgemacht in der regionalen Presse, nachzulesen war. Es passiert auch nicht alle Tage, dass ein Spitzenorchester, das sich für noch besser hält, als es tatsächlich ist, seine Belastungsgrenzen und Unmut so deutlich zu Protokoll gibt. Aber diesmal machten sie ihrem Namen alle Ehre.
Prinzessin Eboli
Die Musik gehört ohnehin zu den guten Gründen, warum man gerade den Don Carlo unter den Verdi-Opern besonders mögen kann. Es ist Verdi in meisterlicher Hochform. Große Oper mit grandioser Musik. Die eingängig ist und ans Herz greift. Dabei eine Mischung aus Haupt- und Staatsaktion und tragischer Liebesgeschichte. Aus der Vorlage schimmert Schillers Pathos durch, ist kongenial in die Sprache und Geste der großen Oper übersetzt. Obendrein kann man sich eine von vielen Fassungen aussuchen. Verdi selbst lieferte eine französische Grand opera als Fünfakter mit Ballettmusik, eine spielpraktischere, italienische Version in vier Akten und alle möglichen Varianten dazwischen. Festspielpassend gab es jetzt in Salzburg eine aufgerüstete italienische Fassung des Fünfakters. Ohne Ballettmusik, dafür aber mit dem Fontainbleau-Akt.
Autodafé
Da begegnen sich der spanische Infant Don Carlo und die französische Prinzessin Elisabetta als Brautleute. Samt der berühmten Liebe auf den ersten Blick, gegen die sie bis zum Ende des Fünfstunden-Abends vergeblich ankämpfen. Denn Spaniens König, Carlos Vater, heiratet die Braut des Sohnes selbst. Eine Staatshochzeit für Frieden. Das Volk atmet auf, die Betroffenen werden nicht gefragt. (Die heutigen Königskinder wissen gar nicht wie gut sie es haben!) Aber es geht um mehr.
So wird das Orchester zum wahren Abgrund, wenn der Großinquisitor (grandios: Eric Halfvarson) dem allmächtigen König die Grenzen seiner Macht aufzeigt, eiskalt den Tod des Infanten als Strafe für seinen Einsatz für die abtrünnigen Niederländer abnickt, um dann auch noch den Kopf des Marquis Posa zu fordern, den der König als einzigen Menschen - auf seine Art - lieben gelernt hat. Es gibt die Prinzessin Eboli, eine Mezzo-Intrigantin auf eigene Rechnung, mit kurzen, aber effektvollen Auftritten. Eine Ketzerverbrennung als Volksfest und der im Kloster spukende und den Enkel am Ende in einer irrational verklärenden Volte rettende Großvater Karl V. komplettieren den Plott, bei dem man von einer hinreißenden, ergreifenden Nummer zur nächsten getragen wird.
Großinquisitor und König Philipp II.
Wobei in dieser Produktion das Orchester und die Sängercrew das nahezu allein machen müssen. Denn die Regie von Peter Stein bewegt sich im hochbezahlten Niemandsland zwischen Verweigerung und Frechheit. Es ist tatsächlich jener Peter Stein, dem in seinen Schaubühnenjahren nicht nur ganz Theater-West-Berlin bewundernd zu Füssen lag. Doch diesmal verschafft er dem Wort ver-Stein-ern einen unseligen Beigeschmack. Es ist nicht nur die Abwesenheit jeder Ambition, etwas zu erzählen, was mitschwingt oder mit uns zu tun hat. Auch der handwerkliche Dilettantismus verblüfft. Zur Symmetrie tendierende Tableaus. Hingeschluderte Auf- und Abmärsche des Chores. Eine an Peinlichkeit nicht zu überbietende Ketzerverbrennung mit Spitzhüten, Dampf und Videoflammen, und einem Aufmarsch von exotischen Kostümträgern, die gar nicht schnell genug auf ihre Plätze kommen, da brennt es im Hintergrund schon. Bei den Passionsfestspielen in Oberammergau kommen ähnliche Szenen jedenfalls professioneller herüber. Und wenn dann 'mal was passiert zwischen den Akteuren, dann müssen sich Carlo und Elisabetta gleich am Boden wälzen oder die Hofdamen zum Schleierlied der Eboli die Röcke lüften. Dass Karl V. leibhaftig wie sein Denkmal in goldener Rüstung daher gestapft kommt, ist da noch das geringste Übel.
Elisabetta und Don Carlo
Es ist, trotz des Kostümaufwandes von Annamaria Heinreich, nicht einmal ein gut gemachter Kostümschinken, was da zwischen dem kargen Bühnenarchitekturgrau von Ferdinand Wögerbauer abläuft. Nur einmal, bei Filippos Sie hat mich nie geliebt, da ist die Szene glaubwürdig. Was aber auch mehr an Matti Salminen liegt, der hier die Verzweiflung eines alten Mannes, szenisch noch mehr als stimmlich, beglaubigt. Sein König ist Ehrfurcht gebietend, weil er seine jahrzehntelange Erfahrung mit den einschlägigen Opernmonarchen aufbieten kann. Thomas Hampson erntete für seinen etwas reifen Rodrigo gleichwohl viel Jubel. Die Eboli von Ekaterina Semenchuk sang schön und routiniert. Um die Abgründe der Figur, die Stein uns vorenthält, vokal auszugleichen, fehlte ihr freilich der finstere Charakter.
Ganz anders das tragische Liebespaar. Jonas Kaufmann ist ein mühelos strahlender, leidenschaftlicher Don Carlo, der die Nichtregie mit seinem verunsicherten, jugendlich wankenden Spiel unterläuft. Und Anja Harteros: Jeder Zoll und jeder Ton eine Königin im Zwiespalt zwischen Leidenschaft und Staatsraison. Ein Traumpaar, wie es im Buche steht. Die beiden sind der Verdi-Glücksfall schlechthin. Einer, der auch in Salzburg nur selten vorkommt.
FAZIT
Der Premierenreigen der Salzburger Festspiele schließt mit Verdis Don Carlo als Triumph der Musik und Versagen der Szene.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Antonio Pappano
Inszenierung
Peter Stein
Bühne
Ferdinand Wögerbauer
Kostüme
Annamaria Heinreich
Licht
Joachim Barth
Choreographie
Lia Tsolaki
Chor
Jörn Hinnerk Andresen
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker
Bühnenmusik: Mitglieder der
Angelika-Prokopp-Sommerakademie
der Wiener Philharmoniker
Solisten
Filippo II.
Matti Salminen
Don Carlo
Jonas Kaufmann
Elisabetta di Valois
Anja Harteros
Rodrigo, Marchese di Posa
Thomas Hampson
Eboli
Ekaterina Semenchuk
Der Großinquisitor
Eric Halfvarson
Ein Mönch
Robert Lloyd
Tebaldo
Maria Celeng
Stimme vom Himmel
Sen Guo
Conte di Lerma / Ein Herold
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