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Musikfestspiele
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Winter in Schwetzingen

Das Barock-Fest im Rokokotheater des Schlosses
25.11.2011 - 11.02.2012


Marco Attilio Regolo

Dramma per musica in drei Akten
Text von Matteo Noris
Musik von Alessandro Scarlatti

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 30' (eine Pause)

Premiere im Rokokotheater am 25.11.2011
(rezensierte Aufführung: 23.12.2011)


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Familie als Waffe

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Fröhlich


Nachdem in den letzten Jahren beim Winter in Schwetzingen ein Schwerpunkt auf dem Opernschaffen Antonio Vivaldis lag, geht es in diesem und den kommenden Jahren unter der neuen künstlerischen Leitung von Heribert Germeshausen und Rubén Dubrovsky um die Pflege der Neapolitanischen Schule, die ab 1650 für etwa 100 Jahre die Opernszene beherrscht und die Folgezeit mit zahlreichen Innovationen geprägt hat. Den Anfang macht ein nahezu unbekanntes Spätwerk Alessandro Scarlattis, des ersten herausragenden Repräsentanten dieser Komponistengruppe. Marco Attilio Regolo gehört zu Scarlattis reifem Spätwerk, das 1719 in Rom seine Uraufführung erlebte, und in Deutschland bis jetzt noch nie zur Aufführung gelangt ist. Somit soll mit der Schwetzinger Erstaufführung nicht nur einem vernachlässigten Komponisten, sondern auch einem zu Unrecht vergessenen Werk ein gebührender Platz im Theaterschaffen eingeräumt werden.

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Amilcare (Antonio Giovannini), der Herrscher über Karthago, hat sich in seine Gefangene Fausta (Sharleen Joynt), die Frau des römischen Feldherrn Marco Attilio Regolo, verliebt.

Den historischen Hintergrund der Oper bildet der erste Punische Krieg zwischen Rom und Karthago. Der römische Feldherr Marco Attilio Regolo ist aus karthagischer Gefangenschaft frei gelassen worden, um in Rom einen Friedensvertrag auszuhandeln. Währenddessen hat sich der karthagische Herrscher Amilcare in Regolos Gattin Fausta verliebt, die mit ihrer Tochter Emilia ebenfalls in Karthago festgehalten wird. Aus Liebe zu Fausta weist er auch die Prinzessin Eraclea von Sizilien zurück, mit der aus politischen Gründen eine Heirat arrangiert werden sollte. Als Regolo aus Rom zurückkehrt, kommt er aber nicht mit dem erhofften Friedensangebot, sondern erklärt, dass der römische Senat beschlossen habe, den Krieg mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln fortzuführen. Selbst Amilcares Drohung, Fausta und Emilia zu töten, lassen Regolo nicht einlenken, der sich bedingungslos seinem Martyrium hingibt. Amilcares Verbündeter Santippo aus Sparta, der in Regolos Tochter Emilia verliebt ist, rettet Regolo vor der drohenden Hinrichtung, kann aber selbst mit dieser Tat nicht Regolos Zustimmung zu einer Verbindung mit Emilia erlangen. Emilia wiederum glaubt, dass ihr Vater getötet worden ist, und beschließt, Amilcare im Schlaf zu ermorden. Doch Santippo kann sie in letzter Sekunde daran hindern, womit Amilcare in Santippos Schuld steht. So erklärt sich Amilcare schlussendlich doch dazu bereit, die ihm ergebene Prinzessin Eraclea zu erhören und Fausta ihrem Gatten Regolo zu überlassen. Nach dieser glücklichen Fügung lenkt auch Regolo ein und gewährt Santippo die Hand seiner Tochter Emilia.

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Amilcare (Antonio Giovannini) weist die Prinzessin Eraclea (Hye-Sung Na) schroff zurück. Fausta (Sharleen Joynt, oben) muss tatenlos zusehen.

Das Regie-Team um Eva-Maria Höckmayr hat die Handlung aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert in die Gegenwart verlegt, da die patriotische Verbohrtheit Regolos einerseits und Amilcares Taktik andererseits, den kriegerischen Konflikt mit der Familie als Waffe auszuführen, durchaus Parallelen zur heutigen Politik aufweist, in der häufig Nationalstolz und private Interessen den so genannten Kampf für den Frieden konterkarieren. Somit findet man auf der Bühne zu Beginn auch keinen Kriegsschauplatz, sondern eine Partygesellschaft, die an einer großen Tafel feiert. In dieser Partylaune fällt kaum auf, dass Fausta mit Hand- und Fußfesseln an ihren Stuhl gebunden ist. Die Kostüme von Julia Rösler sind dabei größtenteils in Schwarz und Weiß gehalten, vielleicht um eine gewisse Kompromisslosigkeit auszudrücken. Jede Seite beharrt auf ihrem Standpunkt und ist nicht bereit, auch nur einen Schritt auf den Gegner zuzugehen. Regolo wirkt bei seinem ersten Auftritt in seinem Anzug wie ein unscheinbarer Handlungsreisender, hebt sich also deutlich von dieser feinen Gesellschaft ab, was vielleicht ein Zeichen seiner klassischen Römertugend ist, die alles Dekadente verachtet. Die einzige Farbe, die hier ins Spiel kommt, ist rotes Blut, mit dem sich erst Regolo, dann Emilia und Fausta beschmieren, um ihre Bereitschaft zum Tod zu manifestieren.

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Amilcare (Antonio Giovannini, links) droht Marco Attilio Regolo (Terry Wey, Mitte) mit der Hinrichtung. Emilia (Annika Sophie Ritlewski) sucht Hilfe bei Santippo (Daniel Johannsen, rechts).

Auch das Bühnenbild von Nina von Essen ist größtenteils in Schwarz und Weiß gehalten. Die kleinen grünen Buchsbäume, die im ersten Teil noch die Bühne flankieren, sind im zweiten Teil mit weißen Tüten abgedeckt, so dass auch dieser Farbklecks ausgemerzt wird. In der Mitte der Bühne befindet sich ein Kasten, der in den Schnürboden hochgezogen werden kann und damit das Spielen auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht. So bildet dieser Kasten zunächst mit der Vorderbühne die Tafel der Partygesellschaft und wird nach hinten von einer braunen Holzwand mit zwei großen Flügeltüren verschlossen, die zur leeren Hinterbühne führen. Wenn der Kasten hochgezogen wird, stellt er Faustas Gefängnis dar. Der Einsatz dieses Kastens ermöglicht zahlreiche Szenenwechsel. Der Rest der Bühne ist mit schwarzen Lamellenvorhängen versehen, durch die häufig Santippo als Drahtzieher des ganzen Geschehens sichtbar ist. Im zweiten Teil kommt der leeren Hinterbühne eine größere Bedeutung zu, da sie einerseits als Gefängnis für Regolo dient, andererseits eine Projektionsfläche für die Gedanken der Protagonisten ist, wenn während ihrer Arien Statisten als Alter Ego ihre Gedanken widerspiegeln. In Kopfhöhe hängen zwei Gewehre, deren Sinn sich erst am Ende beim vermeintlichen "lieto fine" aufklärt, wenn Emilia zur glückseligen Vereinigung in Frieden und Freiheit zum Gewehr greift und die anderen erschießt.

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Santippo (Daniel Johannsen, links) bietet Marco Attilio Regolo (Terry Wey, Mitte) für die Hand Emilias (Annika Sophie Ritlewski) die Freiheit.

Dass die Regisseurin Eva-Maria Höckmayr dem scheinbaren Happy End misstraut, ist nach dem, was die Figuren während des Stückes an Seelenqualen erleiden, durchaus nachvollziehbar. Dafür zeichnen die Musik und das Libretto Faustas Leiden, Eracleas Ablehnung durch Amilcare, Regolos fanatischen Nationalstolz und Amilcares obsessive Leidenschaft für Fausta zu scharf, als dass man es für möglich halten könnte, dass diese vier gegensätzlichen Parteien eine friedliche Lösung finden. Dennoch schreiben sowohl die Musik als auch das Libretto entsprechend der damaligen Konvention vor, dass das Stück nicht tragisch enden darf. Auch bei der deutschen Erstaufführung eines unbekannten Werkes muss es erlaubt sein, dieses Ende in Frage zu stellen. Ob man aber zum drastischen Amoklauf der sicherlich traumatisierten Tochter Emilia greifen muss, bleibt diskutabel. Zwar plant Emilia schon vorher, Amilcare zu ermorden, macht in ihrer Arie aber sehr deutlich, dass sie zu solch einer Tat kaum in der Lage ist, und wird letztendlich auch von Santippo daran gehindert. Wieso sollte diese junge Frau beim allgemeinen Jubel plötzlich die Kraft besitzen, ihre Eltern und den Mann, den sie im tiefsten ihres Herzens liebt, zu erschießen? Da hätte man sich vielleicht doch eine etwas weniger drastische Lösung gewünscht, zumal Höckmayr durch ihre ausgeklügelte Personenregie ansonsten die Figuren sehr nachvollziehbar gestaltet.

Während die szenische Umsetzung also durchaus konträr diskutiert werden kann, dürfte man sich bezüglich der musikalischen Leistung einig sein, dass in jeder Hinsicht hier Festspiel-Niveau erreicht wird. Da ist zunächst einmal das Philharmonische Orchester Heidelberg zu nennen, das unter der Stabführung von Rubén Dubrovsky mit großartiger Leichtigkeit und nuancierter Ausgestaltung dieses herrliche Barock-Juwel zum Klingen bringt. Diesem hervorragenden Klangkörper steht ein Ensemble zur Seite, das ebenfalls keine Wünsche offen lässt, selbst wenn man die einzelnen Solisten in der leicht hallenden Hinterbühne singen lässt. Da ist zunächst einmal Sharleen Joynt zu nennen, die mit glockenklaren Koloraturen eine verzweifelte Fausta zeichnet, die am Rande eines Zusammenbruchs steht. Tanja Kuhn stattet ihre Tochter Emilia mit einem etwas dunkleren Sopran aus und zeigt sowohl szenisch als auch stimmlich, dass sie sich nicht ihrem Schicksal ergibt, sondern bereit ist zu kämpfen. Hye-Sung Na legt die Prinzessin Eraclea mit einem recht dramatischen Sopran an, der deutlich macht, dass diese Frau sich nicht einfach wegschicken lässt, sondern die Mittel besitzt, sich in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten.

Daniel Johannsen gestaltet den Spartaner Santippo mit einem in den Höhen stets sicheren Tenor und überzeugt durch eine klare Diktion und glaubhafte Darstellung. Höhepunkt des Werkes sind die beiden Countertenor-Partien. Terry Wey gibt die Titelfigur mit kräftiger Stimme und sicheren Koloraturen. Dabei legt er die Figur darstellerisch als politischen Fanatiker an, der bereit ist, für seine Ideale nicht nur selbst in den Tod zu gehen, sondern auch noch Frau und Kind zu opfern. Antonio Giovannini begeistert mit großem Stimmumfang als sein Gegenspieler Amilcare, der stimmlich die Koloraturen perlen lässt und darstellerisch einen von Leidenschaft getriebenen Mann mit Macho-Allüren zeigt. So gibt es am Ende großen Applaus für das Sänger-Ensemble und das Orchester. Wie das Urteil des Publikums über die Regiearbeit ausfiel, ließ sich bei der hier rezensierten fünften Aufführung leider nicht messen.

 

FAZIT

Musikalisch eine lohnenswerte Wiederentdeckung, die mit der richtigen Besetzung ein regelrechtes Barock-Juwel zum Vorschein bringt. Die Regie hat zahlreiche gute Ansätze, geht mit der Umdeutung des Endes aber vielleicht doch ein bisschen zu weit.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rubén Dubrovsky

Regie
Eva-Maria Höckmayr

Bühne
Nina von Essen

Kostüme
Julia Rösler

Dramaturgie
Heribert Germeshausen



Statisterie des
Theaters Heidelberg

Philharmonisches
Orchester Heidelberg


Solisten

*rezensierte Aufführung

Marco Attilio Regolo
Terry Wey

Amilcare
Antonio Giovannini

Fausta
Sharleen Joynt

Emilia
Annika Sophie Ritlewski /
*Tanja Kuhn

Eraclea
Hye-Sung Na

Santippo
Daniel Johannsen

 


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