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Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Helles Leuchten in der Musik
Von Christoph Wurzel
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Fotos von Andrea Kremper
Eine der Besonderheiten, deren sich das Baden-Badener Festspielhaus rühmt, ist es, das (nach der Pariser Bastille-Oper) zweitgrößte Opernhaus Europas zu sein. In diesem Haus wollen immerhin zweieinhalbtausend Plätze gefüllt sein. Ein eigenes Opernensemble allerdings gibt es ja in Baden-Baden nicht, auch keine Werkstätten für eigene Produktionen. So ist man auf Gemeinschaftsproduktionen mit anderen Häusern oder Übernahmen von dort angewiesen. Zum ersten Mal wurde nun mit New York kooperiert. Aus der MET kam Rossinis "Barbiere di Siviglia" über den großen Teich, eine Inszenierung, die hierorts schon einmal im Kino zu sehen war, als die MET ihre TV - Übertragungen per Satellit auch in Lichtspieltheater weltweit zu senden begann. Die Requisiten sind transportfreundlich, sie bestehen aus ein paar verschiebbaren Wandelementen, bzw Türen, Figaros fahrbarem Frisiersalon, einigen Orangenbäumchen in Pflanzkübeln, ein paar Sitzgelegenheiten und einem Spinett, dazu die etwas antiquiert aufgeputzten Rokoko-Perücken und -Kostüme. Diese wenigen Versatzstücke machten nach Baden-Baden verfrachtet auch mit einer neuen Sängerriege zwar noch keine originelle Inszenierung aus, garantierten aber einen immerhin einigermaßen kurzweiligen Bühnenspaß, auch wenn nicht alle Gags gerade von der subtilen Sorte waren, so wie der vom Schnürboden herunterfahrende Riesenamboss am Ende des 1. Akts. ![]() Lawrence Brownlee (Almaviva), Maurizio Muraro (Bartolo), Franco Vassallo (Figaro) und Anna Bonitatibus (Rosina)
Die Inszenierung von Bartlett Sher lässt sich vor allem auf die vordergründige Komik des Geschehens ein, dem ja im Gegensatz zu Mozarts "Figaro" auch nur jeder Anflug von Adelskritik fehlt. So ist der Rossinische Figaro hier eher ein lustiger Geselle, geschäftstüchtig, clever und charmant. Franco Vassallo sang ihn mit souveräner Leichtigkeit (glänzend das Auftrittslied!) und spielte ihn freundlich und flott. Ein wirklich komisches Altherren-Duo waren Maurizio Muraro als durchaus auch selbst-ironischer Bartolo und der verschlagene Basilio, der von Reinhard Dorn bühnenwirksam dargestellt wurde. Beide Bässe, ersterer leichter und bestens geführt, letzterer schwarz aber nicht minder flexibel, entsprachen überzeugend den Anforderungen der jeweiligen Rollen. Das schlussendlich vereinte Liebespaar Rosina und Almaviva, alias Lindoro alias Alonso, bleibt von der Regie als solches recht unbeachtet, nur einzeln konnte vor allem Lawrence Brownlee als verkleideter Musiklehrer darstellerisch punkten, während Anna Bonitatibus in der Rolle des umworbenen Mündels etwas blass blieb. Sängerisch aber ließ sie keine Wünsche offen, verfügte über eine tiefengesättigte Mezzostimme, die in der Höhe strahlen kann und perlte die Koloraturen mühelos ab. Brownlee überzeugte mit schönem Legatogesang, schärfte aber den Klang seiner Stimme durch zu vieles Drücken unnötig an. In den Nebenrollen fielen Manuela Bisceglie als Dienerin Berta und Roman Grübner als Fiorello und Offizier durchaus angenehm auf. Ein besonderer Einfall sollte wohl der vertrottelte und verschlafene Diener im Hause Bartolo sein, der als slapstick-stumme Rolle angelegt ist, die Inszenierung aber bisweilen gefährlich in Richtung Klamotte abkippen ließ. Tut nichts, dem Publikum gefiel´s. ![]()
Drei gerissene Typen:
Kamen also von der Bühne keinerlei neue Erkenntnisse über diese Oper, so drangen aus dem Orchestergraben ganz andere Töne als die gewohnten. Dort saßen nämlich das Balthasar Neumann Ensemble und dessen Dirigent Thomas Hengelbrock. Und was da an musikalischer Feinarbeit geleistet wurde, war überraschend und erfrischend. Nicht allein, dass dieses Ensemble mit seinem historisch informierten Aufführungsstil die musikalische Klangrede eloquent beherrscht, es war auch eine ansteckende Musizierfreude zu spüren, die Rossinis Musik einen ganz besonderen Schwung mitgab. Spannungsgeladen kamen die crescendi und klangsinnig wurden die Solostellen präsentiert. Das 1. Finale entfaltete einen wahrhaft explosiven Drive. Dazu erlaubte der schlanke und transparente Orchesterklang den Sängern stets den Vortritt. Aber Hengelbrock ließ die etwa 45 Musikerinnen und Musiker auch in die Vollen steigen, wobei aber gerade bei der Gewitttermusik der unnötige Bühnenlärm und das elektrische Blitzen und Donnern die Musik sträflich um ihre originäre Wirkung brachte. In endlosen Details waren Rossinis Musik immer wieder funkelnde Farben und überraschende Wendungen abzuhören. Das war, im Gegensatz zum Bühnengeschehen, eine wirklich prickelnde Erfahrung. ![]() unter der Leitung von Daniel Harding.
Nach ihrem Auftritt im sommerlichen Tannhäuser war Waltraud Meier nach kurzer Zeit erneut Gast in Baden-Baden. Unterstützt vom Mahler Chamber Orchestra sang sie hinreißend Wagners Wesendoncklieder. Und damit nicht genug, "Isoldes Liebestod" folgte als "Zugabe"- die ganze Bandbreite also der Sublimation Wagners seiner leidenschaftlichen Liebe zu der Dichterin dieser 5 Gesänge voller intimer Regungen und zartester Empfindungen. Genau so erklang diese sensible Musik: schwebend, weich, dünnhäutig. Hochgespannt begleitete das MCO unter Daniel Hardings konzentrierter Leitung. Hier spielte ein Orchester Kammermusik und unterstützte derart eine Sängerin, die den Ton fließen ließ, ohne vordergründig "Bedeutung" zu addieren, sondern die in reichen Farben schillernde Harmonik der Töne selbst wirken zu lassen. Meiers Stimme setzte sich nicht auf die orchestrale Begleitung, sondern verschmolz mit dem instrumentalen Geflecht zu einem harmonischen Ganzen, gleichsam zu intimer Einheit - "in dem tönenden Schall ertrinken, versinken". Gesang, wie Wagner ihn dichterisch antizipiert hat. Eine dramatisch durchatmete Holländer-Ouvertüre und die musikantisch erfrischende Wiedergabe von Dvoraks Achter rundeten den Konzertabend zu einem beglückenden Ereignis. ![]()
Daniel Harding bei einem öffentlichen Proben-Workshop
Meist junge Künstler stehen im Mittelpunkt der Matineen, die in Baden-Baden bei den Festspielen sonntäglich vormittags Kammermusik bieten. Diesmal spielte der junge Shootingstar Martin Stadtfeld zwei Schubertsonaten und der eher schüchtern auftretende, musikalisch aber höchst präsente Denis Proshayev begleitete die Geigerin Alissa Margulis, die für die erkrankte Arabella Steinbacher kurzfristig eingesprungen war. Fulminant startete sie mit der Chaconne aus der 2. Violinpartita von Bach. Mit energisch heftigem Strich stellte sie das Thema wie einen Klangblock in den Raum und zeigte in den folgenden Variationen ihre ganze Kunst der subtilen Ausdruckswechsel und höchst temperamentvoller Entwicklung von Spannungen, was allerdings bisweilen mit leichten Intonationstrübungen und Kratzern erkauft werden musste. Strukturell allerdings war die Wiedergabe dieses monumentalen Satzes von höchster Klarheit und Stringenz. Diesem zupackenden Einstieg folgte die wunderbar cantabel angelegte Sonatine von Schubert, bei der sich Geigerin und Pianist trotz erkennbar unterschiedlichen Temperaments optimal ergänzten: die Geigerin in eher extrovertiert betonter großer Geste, der Pianist mit vielen Nuancen Schubertscher Klangschattenspiele. Auch sein Bachspiel (Französische Suite h-moll) war von größter Eleganz und Feinzeichnung. Mit der Strauss-Sonate Op. 18 setzten die beiden Künstler wirksam einen opulenten Schlusspunkt. ![]()
Martin Stadtfeld hatte zwei Sonaten von Schubert aufs Programm gesetzt, mit denen er durch eine kristallklare Durchdringung der musikalischen Struktur brillierte. Keine einzige Note blieb ohne Bedeutung, keine Linie wurde vernachlässigt. Seine subtile Phrasierung diente ganz der Erhellung von Schuberts melodischen Wandlungen. Im 2. Satz der B-Dur-Sonate setzte er die Markierungen im Diskant mit der linken Hand so zart und zugleich deutlich, dass man ein Glöckchen aus einer anderen Sphäre zu vernehmen glaubte. Überhaupt strahlte dieser Satz eine innere Ruhe und Ebenmäßigkeit aus, wie man es selten hören kann. Im ersten Satz hielt Stadtfeld einen spannungsvollen Kontrast zwischen beharrender Schwere und vorwärts strebender Energie. Das Scherzo und das Allegro ma non troppo der letzten beiden Sätze wirkten dagegen weniger bedeutungstief. Überhaupt schien Stadtfelds Schubertton bei aller Genauigkeit und Transparenz von einer gewissen Distanz im Ausdruck geprägt - ein gewissermaßen cleaner, aber durchaus edler Ton, der sich vom romantischen Klischee fern hält und die innewohnenden Emotionen eher zeigt, als sie zum pianistischen Mittel zu machen. Zweifelsohne hat Martin Stadtfeld bereits zu einem ausgeprägt individuellen Stil gefunden. ![]()
Die Spitalkirche in Baden - Baden
Sollte man nach der Kammermusik am Morgen und einem Operbesuch am Abend immer noch Lust auf Musik gehabt haben, dann boten die diesjährigen Herbstfestspiele in Baden-Baden noch eine kleine Kostbarkeit kurz vor Mitternacht. In der ältesten Kirche der Stadt musizierten zu nächtlicher Stunde noch drei Solisten des Mahler Chamber Orchestra Solostücke von Bach. Die kleine Kirche war voll besetzt mit Enthusiasten, die - anders als zumeist das Publikum im großen Festspielhaus - höchst konzentriert den drei unprätentiös aufspielenden Solisten lauschen konnten, welche Bachs Musik, nicht allein der lang nachhallenden Akustik der Kirche wegen, sondern vor allem aus ihren brillant gespielten Instrumenten erstrahlen ließen. Der reine, klare Ton der Flöte, mit dem Chiara Tonelli der a-Moll - Partita BWV 1013 klangliche Gestalt gibt: schlank in der Tongebung und stilsicher im Ausdruck. Konstantin Pfiz, Solocellist des MCO, spielte die 6. Cellosuite mit vollem Ton und in den Einzelsätzen fein differenziert. Den Höhepunkt aber bildete die Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Violine solo, die tags darauf auch im großen Saal von Alissa Margulis präsentiert wurde. Hier aber, in einer Atmosphäre des direkten Kontakts zwischen Geigerin und Publikum, nahm die Musik eine berührende Körperlichkeit an. Henja Semmler ließ den Klang in den Raum fließen, steigerte die innere Spannung der Musik unmerklich, nahm zurück, um einen neuen Aufschwung zu nehmen - sie gab dieser Musik eine artistische Dramatik, die alles andere vergessen ließ. Dabei spielte sie in einem Engelston, der an Makellosigkeit nicht zu übertreffen war. Hier war zu spüren, was musikalische Erfüllung bedeuten kann. Unversehens wurde dieses kleine Konzert zu einem stillen, aber äußerst sinnlichen Höhepunkt dieser Herbstfestspiele! FAZIT Erneut gab es in Baden-Baden ein Programm der Varietäten. Musikalische Glanzlichter erstrahlten hell, dabei waren es nicht allein die Stars, die die berührenden Momente schafften. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Das Programm 3. und 5.* Oktober 2008 (*besuchte Aufführung) Gioachino Rossini: Il Barbiere di Siviglia Melodramma buffo in due atti Text von Cesare Sterbini nach Baumarchais In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Produktionsteam Inszenierung Bartlett Sher Musikalische Leitung Thomas Hengelbrock Kostüme Catherine Zuber Bühnenbild Michael Yeargan Licht Christopher Akerlind Chorleitung Walter Zeh Hammerflügel Alessandro Pianu Solisten Rosina Anna Bonitatibus Graf Almaviva Lawrence Brownlee Figaro Franco Vassallo Doktor Bartolo Maurizio Muraro Don Basilio Reinhard Dorn Berta Manuela Bisceglie Fiorello / Ufficiale Roman Grübner Ambrogio Rob Besserer Balthasar Neumann Chor Balthasar Neumann Ensemble Eine Produktion der Metropolitan Opera New York (Premiere: 10. November 2006) 3. Oktober 2008 (Matinee) Martin Stadtfeld, Klavier Franz Schubert Sonate für Klavier G - Dur D 894 Sonate für Klavier B-Dur D 960 4. Oktober 2008 Mahler Chamber Orchestra Leitung: Daniel Harding Waltraud Meier, Mezzosopran Richard Wagner Ouvertüre zur Oper "Der fliegende Holländer" 5 Lieder auf Gedichte von Mathilde Wesendonck Antonín Dvorak Sinfonie Nr. 8 G-Dur Op. 88 4. Oktober 2008 (Mitternachtskonzert) Chiara Tonelli, Flöte Henja Semmler, Violine Konstantin Pfiz, Violoncello Johann Sebastian Bach Partita a-Moll BWV 1013 für Flöte Suite Nr. 6 D-Dur BWV 1012 für Violoncello Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo 5. Oktober 2008 (Matinee) Alissa Margulis, Violine Denis Proshayev, Klavier Johann Sebastian Bach Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo Franz Schubert Sonatine für Violine und Klavier Nr. 2 a-Moll D 385 Johann Sebastian Bach Französische Suite h-Moll BWV 814 Richard Strauss Sonate für Violine und Klavier Es-Dur Op. 18 Ferner: (nicht rezensiert) 1. Oktober 2008 Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Leitung: Ingo Metzmacher Nikolaj Znajder, Violine Johannes Brahms Violinkonzert D-Dur Op. 77 Igor Strawinsky Balettsuite "L' Oiseau de feu" 2. Oktober 2008 Katia und Marielle Labèque, Klavier Werke von Claude Debussy, Franz Schubert, Erik Satie und Maurice Ravel |
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