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Die "romantische Idee", gefunden in Duisburger IndustriebrachenText von Stefan Schmöe / Fotos von Ursula Kaufmann
Der Kollabs der Montan- und Stahlindustrie im Ruhrgebiet, euphemistisch als Strukturwandel umschrieben, hat eine Reihe von verfallenden Werksanlagen in Kathedralen des Industriezeitalters verwandelt, die heute dem Kulturbetrieb und insbesondere der RuhrTriennale als Spielstätten für Konzert und Theater zur Verfügung stehen. Der beinahe sakrale Charakter von Räumen wie der Jahrhunderthalle in Bochum oder der ehemaligen Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord ist augenfällig und offenbar auch steter Quell der Inspiration für (auswärtige) Künstler. Jürgen Flimms Leitgedanke für die RuhrTriennale Die romantische Idee ist vielleicht am besten von hier zu verstehen: In der Verbindung von Knochenarbeit und überhöhender Ästhetik der Industriebauten zeigt sich der Konflikt zwischen Industrialisierung und idealisierender Sinnsuche ebenso wie in den postromantischen Versuchen, die verlassenen Brachen des Montanzeitalters in verwildernde Landschaftsparks umzuwandeln. Der vielbeschäftigte Schauspieler Tobias Moretti war, als er anlässlich der Dreharbeiten zu Jürgen Flimms Film Käthchens Traum zum ersten Mal das Duisburger Industrie-Ensemble sah, nach eigenen Worten überwältigt, wollte an diesem Ort Theater spielen. Mit seiner Text-Musik-Collage Der Seelen wunderliches Bergwerk kommt er dem Kern von Flimms romantischer Idee vermutlich ziemlich nahe. ![]()
Die Umdeutung des Begriffs Bergwerk in eine mehr oder weniger verschüttete Seelenlandschaft hat an der Ruhr natürlich besonderen Charme, und auch wenn der zentrale Text des Abends die Erzählung Unverhofftes Wiedersehen aus dem Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes von Johann Peter Hebel von 1811 im entfernten Schweden angesiedelt ist, so trifft der Inhalt das vom Steinkohleabbau unterminierte Ruhrgebiet unmittelbar. Am Tag seiner Hochzeit wird ein junger Bergmann verschüttet und erst 50 Jahre später geborgen, unverwest und äußerlich fast unverändert: Für die gealterte, aber treu gebliebene Braut ein unverhofftes Wiedersehen. Diese kurze Erzählung wird kontrastiert mit Trakls todestrunkenem Gedicht An den Knaben Elis, das dem objektiven und nüchternen Bericht Hebels eine subjektive und emotional übersteigerte Empfindung gegenüber stellt. Dazwischen spielt das famose Kammerorchester moderntimes zwei Sätze aus der Sinfonie c-Moll von Joseph Martin Kraus eine stürmerisch drängende Musik, die den Epochenwechsel ankündigt. ![]()
In solchem Wechsel von Text und Musik ist der gesamte (relativ kurze) Abend gestaltet. Die Gefahr, dass hier ein besserer Volkshochschulkurs über die Geschichte von Musik und Literatur an der Bruchstelle von der Klassik zur Romantik entsteht, kann Moretti durch kluge, bewusst nicht immer chronologische Auswahl der Zitate und Musikstücke und die Art des Vortrags bannen. In der schlabbrigen Kleidung entfernt an die Duisburger Fernseh-Ikone Schimanski / Götz George erinnernd, stellt sich Moretti ein Double an die Seite, nämlich den Akkordeon-Spieler Siggi Haider, der mit kurzen Improvisationen dem Abend etwas Flüchtiges verleiht. Moretti geht aber im Sprachduktus ebenso wie in Mimik und Gestik auf die Musik ein, wandert um das Orchester herum, ist ständig in Bewegung, und dadurch wird durchaus so etwas wie Theater geboten. Er scheint den Raum um ihn herum zu erforschen, klettert die Wand hinauf und macht damit die Architektur zu seinem Partner. Sein Tonfall ist lapidar, dann wieder bedeutungsschwer, hat aber immer etwas staunend Naives. Damit geht sein Konzept zumindest im ersten Teil auf. ![]()
Den Übergang zur Moderne versteht er als Bruch, sichtbar gemacht daran, dass die Musiker auf offener Bühne ihre historischen Instrumente gegen moderne tauschen. Eine Pianistin (Natalia Gregorieva) spielt Schostakowitsch (Präludium und Fuge op. 24/1) wie ein Roboter, wird aber quasi auf Knopfdruck abgeschaltet. Die Brutalität der Moderne, mit der Schostakowitsch hier das Modell von Bachs Wohltemperiertem Klavier in das 20. Jahrhundert überträgt, wird aber sofort ausgebremst. Ist die erste Hälfte des Abends einem vorromantischen Weltverständnis gewidmet (musikalisch mit Mozart, Haydn und Boccherini präsentiert), so zeigt die zweite Hälfte einen verspäteten Reflex auf die Romantik: Nicht Schostakowitsch, Benjamin Britten (Pan für Solo-Oboe, fast zu unprätentiös gespielt von Julia Moretti), Arvo Pärt und Frank Martin stehen auf dem Programm, allesamt keine Repräsentanten des Industriezeitalters, sondern eher des Rückzugs vor diesem. Dem entspricht die Textauswahl, die beherrscht wird von Rilkes umfangreichen Gedicht Orpheus. Eurydike. Hermes. (dessem ersten Vers Das war der Seelen wunderliches Bergwerk ist der Titel des Abends entnommen). ![]()
Der Ruhrgebietswirklichkeit, sei es heute, sei es im Zeitalter seiner industriellen Blüte, ist Rilke ziemlich fern. Was im ersten Teil nicht zuletzt durch einen wunderbar ironischen Text von Heine (aus Ideen. Das Buch Le Grand) handfest und konkret ist, verflüchtigt sich unbestimmt in der ätherischen Endlos-Schleife von Pärts Summa. Da ist die ehemalige Gebläsehalle plötzlich ein gänzlich weltfremder Kunstraum (eben eine Kathedrale des Industriezeitalters) und die Sozialromantik, die Moretti nach eigenem Bekunden vermeiden wollte, ziemlich nah. Und fast überstürzt beendet Moretti das Spektakel mit dem Griff zu Houellebecq und Bierflasche. Was soll also das romantische Getue? Die ironisch gedachte Schlusspointe kann man auch als Kommentar zur zumindest in Teilen allzu schöngeistigen Konzeption des Abends verstehen. FAZIT Tobias Moretti spielt mit Literatur, Musik und der Architektur der ehemaligen Gebläsehalle - teils sehr anregend, teils in postromantischen Sehnsüchten verschwimmend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamKonzeptionmoderntimes Tobias Moretti
Musik
Texte
Szenische Einrichtung
Lichtdesign
Dramaturgie
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