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Ein Gott, der die Liebe verneint
Von Christoph Wurzel
Dass auf die Liebe kein Verlass ist und das einzig Sichere dabei eigentlich nur die Schmerzen, die sie uns antut, wenn sie zerbricht - das hatten ja schon die Lettera amorosa gelehrt, die Madrigale von Monteverdi und Gesualdo, die jüngst bei den Schwetzinger Festspielen wirkungsvoll in Szene gesetzt wurden. Ende der Fünfziger Jahre hatte Ingeborg Bachmann in ihrem Hörspiel das Eingreifen des "guten Gottes" dafür verantwortlich gemacht, dass das utopische Ziel der vollkommenen Liebe scheitert, weil es der "Ordnung" widerspricht, weil die Liebenden "keinen Halt mehr in der Welt finden". Allenfalls ein Arrangement zwischen Mann und Frau, bei dem sie die "anfängliche Glut zähmen" lernen, sei ein "annehmbarer Status" innerhalb der Gesellschaft. Dann sei alles "im Gleichgewicht und in der Ordnung" - so das zynische Resümee. Im Hörspiel wird die zufällige Begegnung zwischen der Studentin Jennifer und Jan, dem Europäer erzählt, der gerade im Begriff ist wieder in seine Heimat zurückzureisen. Sie treffen sich in Manhattan, der von den Indianern so genannten "himmlischen Erde". Im Laufe der Geschichte entwickelt sich - ausgehend vor allem von der jungen Frau - eine Liebe mit utopischem Absolutheitsanspruch bis hin zum Wunsch der gegenseitigen Verschmelzung, jeder Aufhebung von Zeit und Raum im berühmten Augenblick der ewigen Lust, dem "Verweile doch" einer vollkommenen Erfüllung. Doch gut geht das nicht. Mit psychologischem Blick wäre es einfach, ein solch symbiotisches Liebeskonzept zu durchleuchten und die Gründe für sein mögliches Scheitern zu analysieren. Aus biografischer Sicht ergäben sich zahlreiche Bezüge zu Bachmanns eigenen krisenhaften Beziehungsgeschichten. Zwar wird gezeigt, dass die Liebe zwischen Jennifer und Jan an ihren eigenen Ansprüchen zerschellen muss, auch an ihren Rollenbildern, doch die Verantwortung für das Scheitern wird außerhalb der Protagonisten gesucht, eben in dem "guten Gott" - samt seiner diabolischen Helfer, der zwei Eichhörnchen. Dieser mefistofelische Gott erblickt seine Hauptaufgabe darin, die Liebenden mit einer Bombe in die Luft zu sprengen. Zufälligerweise kommt dabei aber nur Jennifer ums Leben, während Jan in einer Bar buchstäblich den Zeitpunkt des Mordanschlags verpasst.
Für Adriana Hölszkys Musiktheater-Projekt hat Yona Kim den Hörspieltext in eine bühnendramatisch wirkungsvollere Form gebracht, indem vor allem die Rahmen bildende Gerichtsverhandlung, während derer sich der gute Gott für sein Attentat rechtfertigt, eliminiert wurde.
Ansonsten ist Bachmanns Text weitgehend erhalten geblieben. Die Komponistin betont aber, nicht den Text als solchen vertont zu haben, sondern die "Kraft", die "Energie", die hinter Worten und Situationen stecke, habe sie interessiert. Und energetische Felder sollen auch durch die komponierten Klänge wahrnehmbar werden. Das bedeutet bei Hölszky zuerst die Verwendung musikalischer Klangquellen, wofür sie für dieses Projekt fast 50 Orchestermusiker allerdings zumeist unkonventionell einsetzt, z.B. mit in derartigen Kontexten so exotischen Instrumenten wie Akkordeon, Alphorn, Mundharmonika oder Saxophon. Hölszky arbeitet mit Klangflächen und räumlichen Wirkungen. Klänge wandern buchstäblich durch den Raum, werden im Orchestergraben erzeugt, wandern nach hinten zu den oben auf den Rängen postierten Instrumentalisten und weiter zur Seite, wo sich auch Klangquellen befinden. Die einzelnen Klangereignisse wechseln rasch und erzeugen immer wieder neue Eindrücke. Entsprechend sieht die Partitur aus: Sie dürfte so etwa einen Quadratmeter umfassen und verzeichnet nicht nur in traditioneller Weise Notenwerte, sondern auch Verlaufsvorgänge in grafischer Form und genaue verbale Angaben zur Ausführung - ein akribisch genauer Bauplan zur Herstellung akustischer Ereignisse. Adriana Hölszkys Klangkomposition evoziert ein unmittelbares Erleben akustischer Augenblicke, entwickelt im Hörer gleichwohl Assoziationen von Bedeutung, ein bestimmbares Hör-Gefühl gleichsam, welches unmittelbar sinnlich das auf der Bühne gesehene Geschehen ergänzt und oftmals auch konterkariert. Es entsteht jenseits der semantischen eine neue Dimension von Bedeutung, die durchaus mit dem Anspruch Ingeborg Bachmanns an die Sprache vergleichbar ist. Bachmann wollte in Anlehnung an Wittgensteins Sprachphilosophie ("Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt") im sprachlichen Kunstwerk die Grenze des Empirischen, des rational Fassbaren überschreiten. Die dahinter liegende Sphäre nannte sie die mystische. Adriana Hölszky vergleicht ihre Klang - Transzendenzen mit kosmischen Vorgängen und bezeichnet ihre Klang - Kreationen als akustische "Kosmogonien", Welten-Entstehung. So esoterisch das auch klingen mag, deren Wirkung kann man sich nicht entziehen. Die Sinnlichkeit des Hörens kommt bei Hölszkys Klangkunst voll zu ihrem Recht. Freilich fordert derartige "Musik" dem Publikum einiges ab, zumal die Klangereignisse in rasantem Tempo wechseln und wandern, sich darin zu versenken ist schwerlich möglich. Gegen einen so mächtigen suggestiven Klangapparat hat es die Bühne nicht leicht, eigene prägende Eindrücke zu hinterlassen. Die Regie beschränkt sich auch wesentlich auf eine Inszenierung vom Blatt, die eine Deutung der Handlung schuldig bleibt. Zumindest das junge Paar bleibt zumeist blass charakterisiert, ziemlich leblos in den Szenen der aufflammenden Leidenschaft. Etwas unbeholfen turnen sie auf dem Hotelzimmerbett herum, von entfachter Liebesglut ist wenig zu spüren. Stephan Kimmig lässt die Sänger da ziemlich allein, die auch alle Anstrengung auf die Bewältigung ihrer schwierigen Gesangspartien zu verwenden scheinen, was Ann-Katrin Naidu als Jennifer und Andreas Scheibner als Jan auch bewundernswert gelingt. Lebendig, sogar derb - drastisch wird es im eingeschobenen Zwischenspiel, in dem die Eichhörnchen, glänzend in Spiel und Gesang gleichermaßen von Birgit Fandrey und Anja-Maria Kaftan verkörpert, in einem ins Groteske gesteigerten Reigen berühmter Liebespaare der Weltliteratur die Vergeblichkeit, ja Vernichtungswürdigkeit der Liebe propagieren, die niedere Ebene gleichsam zum hohen Lied der Liebe der Protagonisten und ein Element von Surrealismus in dieser antiillusionistischen Szenerie oder auch Anzeichen der Zugehörigkeit dieser Nager zur Welt der Negation, so wie auch Mephisto sich der Herr der Ratten, Fliegen und Mäuse nennen darf. Zum Höhepunkt wird dann der Auftritt des guten Gottes, der als deus in machina auf die Bühne geradelt kommt und seine Verfluchungen der Liebe herausschleudert. Der Countertenor Daniel Gloger gibt in dieser Szene eine atemberaubende Visitenkarte seiner Vokalkunst ab, einen Parforceritt durch alle Register und Techniken des Singens schlechthin. Das zweiteilige Bühnenbild (Anja Rabes) schafft für die Handlung zwei Ebenen: unten die Straße und oben der Raumkubus für das Hotelzimmer, wobei die Raumsymbolik von Bachmanns Hörspiel (vom Keller über den siebenten bis in den 30. Stock) leider verloren geht.
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ProduktionsteamMusikalische LeitungAlexander Winterson
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
Solisten
Der gute Gott
Jan
Jennifer
Billy, Eichhörnchen
Frankie, Eichhörnchen
Eine Zigeunerin
Solostimmen
Annett Eckert Julia Brückner Jana Holfeld Matthias Beutlich Tobias Schrader Andreas Soika Ingolf Stollberg (Mitglieder des Chores der Sächsischen Staatsoper Dresden) Sendung des Mitschnitts der Produktion im Rahmen des "Festlicher Radiosommer" im Programm SWR2 am 1. August 2004 um 20:05 Uhr
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