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Musikfestspiele
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Der gute Gott von Manhatten
Musiktheater nach dem Hörspiel von Ingeborg Bachmann
von Adriana Hölszky
Libretto von Yona Kim


Uraufführung am 19. Mai 2004
bei den Schwetzinger Festspielen
(Besuchte Vorstellung: 20. Mai 2004)
Koproduktion mit der Staatsoper Dresden

Dauer: 1 Stunde 30' (keine Pause)
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Schwetzinger Festspiele
(Homepage)
Ein Gott, der die Liebe verneint

Von Christoph Wurzel

Dass auf die Liebe kein Verlass ist und das einzig Sichere dabei eigentlich nur die Schmerzen, die sie uns antut, wenn sie zerbricht - das hatten ja schon die Lettera amorosa gelehrt, die Madrigale von Monteverdi und Gesualdo, die jüngst bei den Schwetzinger Festspielen wirkungsvoll in Szene gesetzt wurden.
Die zweite Musiktheater - Premiere dieser Festspielsaison übertraf diese ernüchternde Erkenntnis noch mit groteskem Spott auf die von Liebenden erhoffte Dauerhaftigkeit ihres Glücks. Adriana Hölszkys Werk für Musiktheater Der gute Gott von Manhattan nach dem gleichnamigen Hörspielklassiker von Ingeborg Bachmann zieht die außerordentlich bittere Bilanz einer Liebesgeschichte.

Ende der Fünfziger Jahre hatte Ingeborg Bachmann in ihrem Hörspiel das Eingreifen des "guten Gottes" dafür verantwortlich gemacht, dass das utopische Ziel der vollkommenen Liebe scheitert, weil es der "Ordnung" widerspricht, weil die Liebenden "keinen Halt mehr in der Welt finden". Allenfalls ein Arrangement zwischen Mann und Frau, bei dem sie die "anfängliche Glut zähmen" lernen, sei ein "annehmbarer Status" innerhalb der Gesellschaft. Dann sei alles "im Gleichgewicht und in der Ordnung" - so das zynische Resümee. Im Hörspiel wird die zufällige Begegnung zwischen der Studentin Jennifer und Jan, dem Europäer erzählt, der gerade im Begriff ist wieder in seine Heimat zurückzureisen. Sie treffen sich in Manhattan, der von den Indianern so genannten "himmlischen Erde". Im Laufe der Geschichte entwickelt sich - ausgehend vor allem von der jungen Frau - eine Liebe mit utopischem Absolutheitsanspruch bis hin zum Wunsch der gegenseitigen Verschmelzung, jeder Aufhebung von Zeit und Raum im berühmten Augenblick der ewigen Lust, dem "Verweile doch" einer vollkommenen Erfüllung. Doch gut geht das nicht.

Mit psychologischem Blick wäre es einfach, ein solch symbiotisches Liebeskonzept zu durchleuchten und die Gründe für sein mögliches Scheitern zu analysieren. Aus biografischer Sicht ergäben sich zahlreiche Bezüge zu Bachmanns eigenen krisenhaften Beziehungsgeschichten. Zwar wird gezeigt, dass die Liebe zwischen Jennifer und Jan an ihren eigenen Ansprüchen zerschellen muss, auch an ihren Rollenbildern, doch die Verantwortung für das Scheitern wird außerhalb der Protagonisten gesucht, eben in dem "guten Gott" - samt seiner diabolischen Helfer, der zwei Eichhörnchen. Dieser mefistofelische Gott erblickt seine Hauptaufgabe darin, die Liebenden mit einer Bombe in die Luft zu sprengen. Zufälligerweise kommt dabei aber nur Jennifer ums Leben, während Jan in einer Bar buchstäblich den Zeitpunkt des Mordanschlags verpasst.

Für Adriana Hölszkys Musiktheater-Projekt hat Yona Kim den Hörspieltext in eine bühnendramatisch wirkungsvollere Form gebracht, indem vor allem die Rahmen bildende Gerichtsverhandlung, während derer sich der gute Gott für sein Attentat rechtfertigt, eliminiert wurde.
Aufgewertet wurden die "Stimmen", die im Hörspiel immer wieder irritierend mit verbalen Partikeln der Außenwelt in den Kokon der Verliebten einbrechen, ein ähnliches Stilmittel, wie es Bachmann in ihrem berühmten Gedicht Reklame verwendet hat. Im Libretto bilden diese Stimmen einen nahezu omnipräsenten Chor, der infolge seiner chaotischen Lauteruptionen eine nicht unbeträchtlich enervierende Wirkung erzielt. Der Auftritt des guten Gottes ist zu einer zentralen Szene verdichtet, für die ihm Adriana Hölszky eine Bravourarie ganz eigener Art komponiert hat, eine fulminante Hasstirade gegen die Liebe, die "verderblicher als jedes Verbrechen" sei.

Ansonsten ist Bachmanns Text weitgehend erhalten geblieben. Die Komponistin betont aber, nicht den Text als solchen vertont zu haben, sondern die "Kraft", die "Energie", die hinter Worten und Situationen stecke, habe sie interessiert. Und energetische Felder sollen auch durch die komponierten Klänge wahrnehmbar werden. Das bedeutet bei Hölszky zuerst die Verwendung musikalischer Klangquellen, wofür sie für dieses Projekt fast 50 Orchestermusiker allerdings zumeist unkonventionell einsetzt, z.B. mit in derartigen Kontexten so exotischen Instrumenten wie Akkordeon, Alphorn, Mundharmonika oder Saxophon.
Die Vielfalt dieser musikalischen Vorgänge wird ergänzt durch zahlreiche Geräuschkulissen (z.B. Fußstampfen) und vor allem durch eine sehr exzentrische Behandlung der Sängerstimmen. Über das traditionelle Arioso hinaus müssen die Sängerinnen und Sänger wahrhafte Stimmakrobatik vollführen: sprechen, gurgeln, kreischen, zischen, schnalzen, brüllen, flüstern - in plötzlichem Wechsel in höchste und tiefste Lagen fallen, abrupt die Töne an- und abschwellen lassen, aperiodisch müssen die vokalen Phrasen gebildet werden, die Worte werden pulverisiert zu reinen Klangphänomenen.

Hölszky arbeitet mit Klangflächen und räumlichen Wirkungen. Klänge wandern buchstäblich durch den Raum, werden im Orchestergraben erzeugt, wandern nach hinten zu den oben auf den Rängen postierten Instrumentalisten und weiter zur Seite, wo sich auch Klangquellen befinden. Die einzelnen Klangereignisse wechseln rasch und erzeugen immer wieder neue Eindrücke. Entsprechend sieht die Partitur aus: Sie dürfte so etwa einen Quadratmeter umfassen und verzeichnet nicht nur in traditioneller Weise Notenwerte, sondern auch Verlaufsvorgänge in grafischer Form und genaue verbale Angaben zur Ausführung - ein akribisch genauer Bauplan zur Herstellung akustischer Ereignisse.

Adriana Hölszkys Klangkomposition evoziert ein unmittelbares Erleben akustischer Augenblicke, entwickelt im Hörer gleichwohl Assoziationen von Bedeutung, ein bestimmbares Hör-Gefühl gleichsam, welches unmittelbar sinnlich das auf der Bühne gesehene Geschehen ergänzt und oftmals auch konterkariert. Es entsteht jenseits der semantischen eine neue Dimension von Bedeutung, die durchaus mit dem Anspruch Ingeborg Bachmanns an die Sprache vergleichbar ist. Bachmann wollte in Anlehnung an Wittgensteins Sprachphilosophie ("Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt") im sprachlichen Kunstwerk die Grenze des Empirischen, des rational Fassbaren überschreiten. Die dahinter liegende Sphäre nannte sie die mystische. Adriana Hölszky vergleicht ihre Klang - Transzendenzen mit kosmischen Vorgängen und bezeichnet ihre Klang - Kreationen als akustische "Kosmogonien", Welten-Entstehung. So esoterisch das auch klingen mag, deren Wirkung kann man sich nicht entziehen. Die Sinnlichkeit des Hörens kommt bei Hölszkys Klangkunst voll zu ihrem Recht. Freilich fordert derartige "Musik" dem Publikum einiges ab, zumal die Klangereignisse in rasantem Tempo wechseln und wandern, sich darin zu versenken ist schwerlich möglich.

Gegen einen so mächtigen suggestiven Klangapparat hat es die Bühne nicht leicht, eigene prägende Eindrücke zu hinterlassen. Die Regie beschränkt sich auch wesentlich auf eine Inszenierung vom Blatt, die eine Deutung der Handlung schuldig bleibt. Zumindest das junge Paar bleibt zumeist blass charakterisiert, ziemlich leblos in den Szenen der aufflammenden Leidenschaft. Etwas unbeholfen turnen sie auf dem Hotelzimmerbett herum, von entfachter Liebesglut ist wenig zu spüren. Stephan Kimmig lässt die Sänger da ziemlich allein, die auch alle Anstrengung auf die Bewältigung ihrer schwierigen Gesangspartien zu verwenden scheinen, was Ann-Katrin Naidu als Jennifer und Andreas Scheibner als Jan auch bewundernswert gelingt.

Lebendig, sogar derb - drastisch wird es im eingeschobenen Zwischenspiel, in dem die Eichhörnchen, glänzend in Spiel und Gesang gleichermaßen von Birgit Fandrey und Anja-Maria Kaftan verkörpert, in einem ins Groteske gesteigerten Reigen berühmter Liebespaare der Weltliteratur die Vergeblichkeit, ja Vernichtungswürdigkeit der Liebe propagieren, die niedere Ebene gleichsam zum hohen Lied der Liebe der Protagonisten und ein Element von Surrealismus in dieser antiillusionistischen Szenerie oder auch Anzeichen der Zugehörigkeit dieser Nager zur Welt der Negation, so wie auch Mephisto sich der Herr der Ratten, Fliegen und Mäuse nennen darf.

Zum Höhepunkt wird dann der Auftritt des guten Gottes, der als deus in machina auf die Bühne geradelt kommt und seine Verfluchungen der Liebe herausschleudert. Der Countertenor Daniel Gloger gibt in dieser Szene eine atemberaubende Visitenkarte seiner Vokalkunst ab, einen Parforceritt durch alle Register und Techniken des Singens schlechthin. Das zweiteilige Bühnenbild (Anja Rabes) schafft für die Handlung zwei Ebenen: unten die Straße und oben der Raumkubus für das Hotelzimmer, wobei die Raumsymbolik von Bachmanns Hörspiel (vom Keller über den siebenten bis in den 30. Stock) leider verloren geht.


FAZIT
Diese Literaturadaption für die Bühne des Musiktheaters ist vor allem von der musikalischen Seite her als eine spannende Novität zu bewerten. Dass die Handlung und vor allem Bachmanns Text eine neue Interpretation erfahren hätten, lässt sich nicht ausmachen. Man darf gespannt sein, ob und wie weitere Produktionen dem Werk noch mehr abgewinnen können.

Die Schwetzinger Festspiele 2004


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Winterson

Inszenierung
Stephan Kimmig

Bühne und Kostüme
Anja Rabes

Licht
Roland Edrich

Video
Chris Ziegler

Dramaturgie
Yona Kim



Radiosinfonieorchester
des SWR Stuttgart


Solisten

Der gute Gott
Daniel Gloger

Jan
Andreas Scheibner

Jennifer
Ann - Kathrin Naidu

Billy, Eichhörnchen
Birgit Fandrey

Frankie, Eichhörnchen
Anja Maria Kaftan

Eine Zigeunerin
Elisabeth Wilke

Solostimmen
Brigitte Doschew
Annett Eckert
Julia Brückner
Jana Holfeld
Matthias Beutlich
Tobias Schrader
Andreas Soika
Ingolf Stollberg
(Mitglieder des Chores der
Sächsischen Staatsoper Dresden)




Sendung des Mitschnitts der
Produktion im Rahmen des
"Festlicher Radiosommer"
im Programm SWR2 am
1. August 2004 um 20:05 Uhr





Weitere Informationen
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Schwetzinger Festspielen
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Da capo al Fine

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