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Musikfestspiele
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Göttinger Händel Festspiele 15. - 21. Mai 2002

Händel und "Le goût français"

Von Gerhard Menzel

Im Mai 2002 stand Göttingen wieder sieben Tage lang ganz im Zeichen Georg Friedrich Händels. Gab es in der Stadt vor einigen Jahren während der Festspielzeit nur vereinzelt Hinweise auf die Festspiele, so wiesen dieses Jahr zahlreiche Plakate, Fahnen und Fensterdekorationen auf den gefeierten Komponisten und die 23 musikalischen Veranstaltungen an zwölf Aufführungsorten hin. Inzwischen scheint die Stadt Göttingen die Leistungen der ortsansässigen Händel-Gesellschaft zu schätzen und intensiver zu unterstützen als zuvor. Die zahlreichen Aktivitäten des vor genau einem Jahr gegründeten Fördervereins "Göttingen Pro City e.V." bzw. der Pro City GmbH Göttingen und die vielen rührigen Helfer - nicht zuletzt die fleißigen HelferInnen der Göttinger Händel-Gesellschaft in den markanten roten T-Shirts - sorgten so in der ganzen Stadt für eine wirklich erlebbare, angenehme Festspielatmosphäre.

Als Einführung auf die Festspiele fand bereits am Mittwoch in der Aula der Universität ein ORCHESTERKONZERT unter der Leitung von Christian Simonis satt. Das Göttinger Symphonie Orchester spielte nach dem eröffnenden Concerto a due cori B-Dur (HWV 332) von Georg Friedrich Händel Kompositionen, in denen sich in Frankreich wirkende Komponisten des 20. Jahrhunderts auf ihre Weise mit barocken Vorlagen auseinandergesetzt haben. Dabei handelte es sich um "Grave et Guige" von André Jolivet, "Le tombeau de Couperin" von Maurice Ravel, "L'apothéose de Molière" von Darius Milhaud und die "Suite de Pulcinella" von Igor Strawinsky. Damit war das Thema der diesjährigen Festspiele schon umfangreich vorbereitet.

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OPEN-AIR-Konzert der Classic Busters
vor dem Alten Rathaus
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Programmbuch der
Göttinger Händel-Festspiele

Händel und "Le goût francais"

Das Motto des EINFÜHRUNGSVORTRAGs von Nicholas McGegan im Studio des Deutsches Theaters lautete "Gardens and Parties". Im Zentrum seiner durch zahlreiche Dias begleiteten Ausführungen standen die Besonderheiten und ungeheuren Dimensionen von dem, was Versaille zur Zeit des "Sonnenkönigs" ausmachte; nicht nur in Bezug auf Architektur und die raumgreifenden Gartenanlagen, sondern auch in Bezug auf die verschwenderischen Feste, die Küche, die Mode und natürlich auch die Musik.

In Versaille spielte schon seit Ludwig XIII. das Ballett eine wesentlich Rolle. Ludwig XIV., selbst ein aktiver und guter Tänzer, beschäftigte durch diese Veranstaltungsflut den Adel so sehr, dass er möglichst wenig Gelegenheit haben sollte, gegen den König zu intrigieren. Die kulturelle und politische Ausstrahlung auf andere Staaten und Fürsten- bzw. Königshäuser war enorm. Versaille war für lange Zeit das Vorbild und regte zu unzähligen Nachahmungen an.
Bedauerlicher Weise - es gab zahlreiche Äußerungen dieser Art im Publikum - hielt Nicholas McGegan diesen Einführungsvortrag nur auf Englisch (dieses war im Programmbuch allerdings auch so angekündigt). Der Charme und das besondere Flair der vergangenen Jahre, in denen er durch seinen immer teils deutsch, teils englisch gehaltenen Vortrag und durch das oft fließende Übergehen von der einen in die andere Sprache das gewisse Etwas schuf, ging dadurch verloren. Trotz des großen Anteils englischsprachiger Gäste, waren viele Stammgäste der Festspiele daher sichtlich enttäuscht.

Generell waren die EINFÜHRUNGEN - wie immer - so stark frequentiert, dass nur denjenigen Einlass gewährt wurde, die sich früh genug an den Veranstaltungsorten einfanden und noch eine der begehrten (kostenlosen) Eintrittskarten erstehen konnten.

Nicht überlaufen, aber gut besucht, war auch der WISSENSCHAFTLICHE FESTVORTRAG in der Aula der Universität. Unter dem Titel "Klassizismus, Rokoko und Aufklärung. Frankreich in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts" referierte Prof. Dr. Jürgen Freiherr v. Stackelberg (von 1964 bis 1991 Romanistik-Professor an der Universität Göttingen) in ebenso kompetenter wie anregender Weise über die französische Kultur zu Händels Lebzeiten. In den im wesentlichen literarhistorischen Betrachtungen konzentrierte er seine Ausführungen auf Werke von Fénelon, Voltaire und Marivaux. Vom Eingehen von Gedankengut der Aufklärung in klassizischtischem Gewand bis hin zu den Briefromanen des Rokoko, würdigte er schließlich auch die französische Kultur als Vermittlerin, die, Dank der Funktion der französischen Sprache als die Bildungssprache, die "fortschrittlichere" englische Literatur auf dem Kontinent verbreitete.

Wie jedes Jahr richtete sich die größte Aufmerksamkeit auf die Opernaufführung im Deutschen Theater. Passend zum Thema Händel und "Le goût francais" hatte man Händels ALCINA (HWV 34) ausgewählt, die bei ihrer Uraufführung vor allem durch den Einsatz der französischen Balletttruppe der Marie Sallé und der damit Verbundenen Integration des Balletts in eine Oper, Aufsehen erregte.

Selbstverständlich durfte zum Thema Frankreich ein eigener BALLETTABEND nicht fehlen. Unter dem Motto "Ballett in Versailles" hatte Catherine Turocy mit ihrer New York Baroque Dance Company im Deutschen Theater einen bunten Abend zusammengestellt.

Um ein abendfüllendes Programm zu erhalten, spielten Nicholas McGegan und das beherzt aufspielende Philharmonia Baroque Orchestra (San Francisco) außer der eröffnenden Ouvertüre aus Jean-Philippe Rameaus "Platée" zwischen den vier Tanzblöcken - quasi als "Pausenfüller" - weitere Instrumentalsätze aus dieser Oper und eine Ouvertürensuite von Georg Philipp Telemann.

Als tatsächliche Ballettmusik erklangen dann im ersten Teil eine Suite aus "Acis et Galatée" von Jean-Babtiste Lully, eine Suite aus "Les Arts Florissants" von Marc-Antoine Charpentier (ein choreographischer Beitrag zum Thema Krieg und Frieden), "Les Caractéres de la Danse" von Jean-Féry Rebel (eindrucksvoll getanzt von Timothy Kasper) und im zweiten Teil Tänze aus der Commedia dell'arte, die zum Teil von Nicholas McGegan bearbeitet waren. Hierbei konnte sich das Ensemble der New York Baroque Dance Company dann gezielt in solistischen Partien eindrucksvoll präsentieren: Harlequin (Terry Duncan) und Colombine (Sarah Edgar), "Der blinde Jongleur" (Catherine Turocy und Timothy Kasper), "Der Tellertanz" (Glenda Norcross und David Rodriguez), "Scaramouche" (Sarah Edgar und Terry Duncan) und "Der dreibeinige Tanz" (Caroline Copeland). Wie schon im Ballettabend vor drei Jahren, erwies sich der "Dreibeiner" als absoluter Publikumsrenner.

Neben einigen aus alten Quellen rekonstruierten Sätzen, stammten die Choreographien im wesentlichen von Catherine Turocy. Die Kostüme von Marie Anne Chiment, Marilyn Skow und Dale Dibernado und die Masken von Stanley Alan Sherman und Bonnie Kruger trugen ihrerseits zu dem abwechslungsreichen und letztendlich unterhaltsamen Abend bei.

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Das Deutsche Theater
vor der Premiere der Alcina
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Die Stadthalle

Das zweite Großereignis der Festspiele war die Aufführung von Händels Oratorium ATHALIA (HWV 52) im Großen Saal der Stadthalle. ATHALIA beruht auf Jean Racines letztem Drama, das damals zur religiösen Erbauung diente. Händel und sein Textdichter Samuel Humphreys bewahrten dabei weitgehend das Konzept der aristotelischen Forderung nach der Einheit von Raum, Zeit und Ort, schufen aber kein Schauspiel mit eingeschobenen Musiknummern, wie es damals viele Stücke dieser Art in England gab, sondern ein durchkomponiertes Werk, das einen der wichtigsten Grundsteine für die Entwicklung des englischen Oratoriums bilden sollte.

Frieder Bernius gelang mit dem Barockorchester Stuttgart - das brillant und einfühlsam musizierend die Basis für eine sehr beeindruckende Aufführung schuf - eine intensive und in sich geschlossene Interpretation von Händels zukunftsweisenden Werk, das sich durch seine überaus reichhaltige und kontrastreiche Instrumentierung auszeichnet.
Die zahlreichen, das Drama mittragenden Chöre, wurden durch den Kammerchor Stuttgart in imposanter Weise gestaltet. Dabei begeisterten sie durch Präsenz und einen homogenen, fein abgestimmten und frischen Klang. Das vorzügliche Solistenensemble wurde angeführt von Elisabeth Scholl (Sopran) als Athalia. Inzwischen noch stärker an Farben und Ausdruck gewonnen, gestaltete sie eine überzeugende, zum Baal-Kult übergetretene Herrscherin über Israel. Der andere deutsche Solist war Markus Brutscher (Tenor) als Baalpriester Mathan. Die Angehörigen der Israeliten wurden von den aus England stammenden Solisten Deborah York (Sopran/Josabeth), Katherine Fuge (Sopran/Joas), Peter Harvey (Bass/ Abner, Oberbefehlshaber) und dem Kanadier Daniel Taylor (Altus/Joad, Hohepriester der Juden) eindrucksvoll gestaltet.

Das CHORKONZERT in der St. Jacobi Kirche wurde in erster Linie durch den mächtigen Chorklang des Monteverdi Chors Hamburg dominiert, der unter der energischen Leitung von Gotthart Stier allerdings auch zarteste Töne und farbenreiche Nuancierungen zu gestalten wusste. Das kontrastreiche Programm reichte von Alessandro Scarlattis Kyrie und Gloria aus der "Missa Innocentia à 4", mit der eingeschobenen Motette "At te Domine levavi animam meam", über die "Quatre Motets pour un temps de pénitence" (1939) von Françis Poulenc, bis hin zu Domenico Scarlattis "Stabat Mater" für 10 Stimmen. Wenn auch nicht immer technisch perfekt, so trafen die Interpretationen doch immer den musikalischen Charakter der Werke.

Den französischen Teil des Programms umrahmte das "Offertoire sur le grand jeux" aus der "Messe a l'usage de Paroisses" von François Couperin und Händels Orgelkonzert g-Moll op.4, Nr. 1 (HWV 289), die der Organist Hansjörg Albrecht in einer eigenen, die Improvisation stark herausstellenden Transkription mit viel Temperament und perlenden Läufen gestaltete.

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Der Turm der St. Jacobi Kirche
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LES TROMPETTES DES PLAISIRS
in der Aula der Universität

Das Konzert unter dem Titel LES TROMPETTES DES PLAISIRS in der Aula der Universität präsentierte französische und englische Trompetenmusik zur Zeit Händels. Das gleichnamige Ensemble besteht neben dem Gründer Jean-François Madeuf aus Joel Lahnes, Gilles Rapin und Philippe Genestier (Naturtrompeten und Naturhörner), die zusammen mit Thierry Gomar (Barock-Pauken) und Luc Antonini (Orgel) ein ganz außergewöhnlich Repertoire pflegen.

Die "trompettes des plaisirs" waren - im Gegensatz zu den Militärtrompetern - Angehörige der Leibgarde des Königs und traten bei Reiterspielen, Freiluftfesten und den Bootspartien auf dem Kanal des Versailler Schlosses sowie bei Te-Deum -Kompositionen in der Kirche und bei Kriegs- und Triumpfszenen in der Oper auf. Aus diesem Umfeld stammten auch die Kompositionen von Jean-Féry Rebel, Anne und André Danican Philidor und Michel-Richard Delalande.

Nach der Pause erklangen dann Werke aus England. In England, im Gegensatz zum zentralistischen Staat des "Sonnenkönigs" eine fortschrittliche konstitutionelle Monarchie, traten die Trompeter auch bei öffentlichen Konzerten und Theateraufführungen auf. Dadurch konnte sich - wie z. B. auch in Italien - eine vom militärischen und zeremoniellen unabhängige Trompetenmusik entwickeln. Als Beispiele dafür kamen Kompositionen von John Eccles und Georg Friedrich Händel zur Aufführung.

Die leichte und bewegliche Stimme der Sopranistin Andrea Büchel erwies sich für die mit der Orgel begleiteten Motetten von André Campra als geradezu ideal. Für die Arien aus Eccles Masque "The Judgement of Paris" und Händels "Rinaldo", in der der Sopran mit den Trompeten konzertiert, fehlte es ihr allerdings etwas an dramatischer Durchschlagskraft. Trotzdem bereicherte dieses Konzert die breit gefächerte Veranstaltungspalette der Festspiele um eine weitere, schimmernde Farbe.

Einen unerwarteten Höhepunkt der Festspiele bescherte unter dem Motto "La Magna Abbandonata" die LESUNG MIT MUSIK in der St. Marien Kirche. Hier präsentiert sich die große Händel-Liebhaberin und Göttingen-Fan Donna Leon nicht nur als erfolgreiche Autorin, sondern auch als gute Interpretin ihres neuesten Krimis. Ihre lebhaft und plastisch Art ihrer Lesung (in englischer Sprache) war sehr unterhaltsam und machte Lust auf mehr.

Doch was als Autorenlesung mit umrahmender Musik geplant war, endete in einem "Gala-Konzert" der Sopranistin Simone Kermes. Schon während der Göttinger Händel-Festspiele des Jahres 2001 fiel sie durch Ihre intensiv gestaltete Interpretation der Merab in Händels Oratorium SAUL auf. Hier nun hinterließ sie in Rollen von "starken" Frauengestalten aus Händels Opern "Teseo", "Amadigi di Gaula", "Rinaldo", "Scipione" und "Giulio Cesare" einen unvergesslichen Eindruck. Darin konnte sie ihre ausgesprochen farbige und flexible Stimme und ihre scheinbar unversiegbare Energie in Temperamentsausbrüchen von ungeheuren Ausmaßen besonders gut zur Geltung bringen. Größte Wut, letzte Verzweiflung und alle nur erdenklichen Zwischenstufen beinhaltet ihr scheinbar grenzenloses Gefühlsrepertoire. Ihre Interpretationen der zerrissenen Seelen nimmt einen sofort gefangen und prägen sich unmittelbar ein. Unter der aufmerksamen Leitung von Alan Curtis am Cembalo, war ihr das Ensemble Il Complesso Barocco (Florenz) ein überaus einfühlsamer Begleiter.

Die von Donna Leon als letzte Zugabe angekündigte Uraufführung einer erst kürzlich in einem Privatarchiv in Dessau entdeckte 10. deutsche Arie von Händel - quasi als eine Fortsetzung der letztjährigen "Ausgrabungserfolge" - entpuppte sich dann allerdings als verdächtig verwandt mit dem "Surabaya Jonny" von Kurt Weill.
Ein Höhepunkt der Festspiele dank Donna Leon und Simone Kermes !

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Simone Kermes

Auch in den beiden Kammerkonzerten stand jeweils eine Sopranistin im Mittelpunkt. Beim KAMMERKONZERT 1 im Alten Rathaus, das in Kooperation mit dem Göttinger Förderkreis Alte Musik stattfand, war es Katrin Maria Lang. Unter dem Motto "La fête d'amour - Love's Sickness" erklangen die Kantate "L'impatience" von Jean-Philippe Rameau, die "Pieces de Clavecin en ut" von Louis Couperin - von Gerd Amelung mit bewundernswerter stilistischer Sicherheit interpretiert - und Arien von Henry Purcell, u.a. aus "Dido and Aeneas", "The Indian Queen" und "The Fairy Queen".

Die dazu angekündigte Demonstration barocker Gestik (in der Choreographie von Margit Legler) konnte Katrin Maria Lang allerdings nur in Ansätzen verwirklichen. Auch die kurzen Erläuterungen durch Gerd Amelung - mit dem Hinweis auf die schon in der Antike zu findendenden Grundzüge und der im 18. Jahrhundert auch durch Anweisungen für Rechtsanwälte verfeinerten Gestik und Körpersprache des Barock - konnten das Thema nur in knappen Zügen anreißen. Aufschlussreicher war jedenfalls das akustische Ergebnis, das Katrin Maria Lang gemeinsam mit den beiden "Barockspezialisten" Heike Johanna Lindner (Viola da gamba) und Gerd Amelung (Cembalo) präsentierte..

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Katrin Maria Lang in der
Einganshalle des Alten Raes
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Milos Valent und Peter Spissky (Violine),
Suzie LeBlanc (Sopran), Hille Perl (Viola da gamba)
und Stephen Stubbs (Theorbe und Barockgitarre)

Das KAMMERKONZERT 2 in der Gemäldegalerie im Auditorium der Universität hatte das "Airs de cour" zum Thema. Das "Airs de cour" dominierte das gesamte 17. Jahrhundert lang die Vokalmusik am französischen Hof und seinem Umfeld. Sogar im Ballet de cour und in den Comédies-ballets spielte es eine bedeutende Rolle.
Dieses liedhafte, strophische Gesangsstück wurde von der Laute oder nur wenigen Streichinstrumenten begleitet. Weitere Merkmale sind der meist zweiteilige Aufbau, die überwiegend syllabische Vertonung oft bukolischer Liebeslyrik, der geringe Ambitus der Stimme und die kleinen Intervallschritte der Melodielinie. Außerdem ist der Charakter der "Airs de cour" nicht virtuos, sondern intim und von preziösem Ausdruck.

Damit ist eigentlich schon alles beschrieben, was Suzie LeBlanc (Sopran), Milos Valent und Peter Spissky (Violine), Hille Perl (Viola da gamba) und Stephen Stubbs (Theorbe und Barockgitarre), die meist unter dem Namen Tragicomedia zu hören sind, in den Werken von M. Lambert, J.B. Lully, A. Scarlatti, Händel u.a. absolut meisterhaft präsentierten. Ihre Interpretationen sind nicht nur ein Genuss, sondern auch ausdrucksstarkes und anrührendes musizieren; ein Solistenensemble der Extraklasse!

Unter dem Motto "Les Gouts réunis" standen im KAMMERKONZERT 3 in der St. Marien Kirche Werke u.a. von Händel, J.B. de Boismortier, C.B. Balbastre und J.S. Bach auf dem Programm. Ausführende waren Jan Van der Crabben (Bariton) und das Ensemble De Profundis (Gent) unter der Leitung von Ewald Demeyere.

Jean-Claude Zehnder (Basel) war der Solist beim ORGELKONZERT in der St. Jacobi Kirche. Das prägende Gerüst des Programms bildeten Werke von Händel: das Concerto (Suite) F-Dur (HWV 427), die Fuge a-Moll (HWV 609), die Sonata C-Dur (HWV 578) - in der auch die beiden Zymbelsterne der Ott-Orgel einmal effektvoll zum Einsatz kamen - und die Suite g-Moll (HWV 432), in denen Zehnder vor allem die französischen Elemente in Händels generell von italienischer Musik geprägten Kompositionen betonen konnte.

Auch in Johann Sebastian Bachs Bearbeitung des Pfingstliedes "Komm heiliger Geist, Herre Gott" (BWV 652) finden sich neben dem französischen Grundrhythmus der Sarabande auch Auszierungen der Choralmelodie in französischer Manier. Dazwischen erklangen Kompositionen der französischen Komponisten Jean-Nicholas Geoffroy (Vier Tanzsätze aus dem "Livre d'Orgue") und Nicholas de Grigny ("Suite" über den Pfingsthymnus "Veni creator spiritu"). Jean-Claude Zehnders Interpretationen gefielen durch ihre stilistische Sicherheit, waren farbenreich registriert und entsprachen jeweils dem Charakter des Stückes.

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Die Ott-Orgel der
St. Jacobi Kirche

Besonderen Zuspruch fanden dieses Jahr auch wieder die Nachtkonzerte, von denen die ersten drei in der St. Marien Kirche stattfanden. Das NACHTKONZERT 1 war ausschließlich der Cembalomusik gewidmet. Pierre Hantai spielte im ersten Teil Werke aus der Familie der Couperins (Louis, François und Armand-Louis) und von Jean Philippe Rameau. Nach der Pause präsentierte er Händels Suite Nr. 1 A-Dur (HWV 426) und J.S. Bach Suite e-Moll (BWV 996) in differenziert und lebendig gestalteten Interpretationen.

Im NACHTKONZERT 2 standen neben Instrumentalkompositionen von Robert de Visée, J. Ph. Rameau und M. Marais Kantaten von Buxtehude, F Couperin und Händel auf dem Programm. Hierbei erwies sich die Sopranistin Dorothee Mields-Blotzki als eine Meisterin ihres Fachs. Mit ihrer glockenklaren, "engelhaften" Stimme bezauberte sie auch durch perlende Koloraturen, reiche Verzierungen und durch mit Leichtigkeit angesetzte lange Töne, die sie dann leuchtend aufblühen ließ.

Das den Abend musikalisch beschließende Gloria HWV (deest) von G. F. Händel, das im letzten Jahr in Göttingen zum ersten Mal öffentlich zu hören war, scheint geradezu wie für sie geschrieben. Seine virtuose Anlage, die in stark kontrastierenden Affekten ausgedeuteten Textabschnitte, der großer Stimmumfang und die triomäßig mit zwei Violinen konzertiert eingesetzte Sopranstimme bieten der Stimme alle Möglichkeiten, sich ausgiebig zu entfalten. Das abschließende, jubelnde Amen bildet dabei die Krönung eines kleinen, aber feinen Juwels aus Händels umfangreichen Schaffen.

Daniel Deuter und Wolfgang von Kessinger (Violine), Andreas Arend (Theorbe), Ingelore Schubert (Cembalo) und Hans-Georg Kramer (Viola da gamba und Leitung) waren ihr nicht nur aufmerksame und stilsichere Begleiter, sondern präsentierten sich ihrerseits auch als versierte Solisten.

Das NACHTKONZERT 3 geriet leider so lang, dass gegen Ende die Aufnahmekapazität bei vielen Besuchern längst erreicht bzw. auch schon überschritten war. Als Kammerkonzert mit Lesung deutscher Barockdichtungen anspruchsvoll konzipiert, begeisterten Paolo Pandolfo (Viola da gamba) und Mitzi Meyerson (Cembalo) - beide auf ihre Weise virtuos, kreativ und ungeheuer mitreißend - Händels Sonate g-Moll (HWV 364b), sowie Werke von Antoine Forqueray, Jean-Baptiste Forqueray und Marin Marais.

Fritz Lichtenhahn las in der ersten Abteilung zunächst aus geistlichen Dichtungen, u.a. von Grimmelshausen (Simplizissimus), Barthold Heinrich Brockes und Paul Gerhard. In der zweiten Abteilung rezitierte er dann Liebeslyrik von Christian Reuther bis Martin Opitz. Trotz seiner eindringlichen Vortragsweise nahmen die Textbeiträge, obwohl interessant, im Verhältnis zum musikalischen Teil des Programms zu viel Raum ein. So dauerte das Konzert nicht wie vorgesehen eineinviertel Stunde, sondern knapp zwei Stunden.

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St. Marien Kirche
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St. Albani Kirche

Einen schönen Abschluss der Festspiele (sieht man von der vierten Aufführung der Alcina am Dienstag einmal ab) bescherte das NACHTKONZERT 4 in der St. Albani Kirche. Unter dem Motto "FORUM JUNGER KÜNSTLER" stellte sich das Ensemble "La Vinciolina" der Schola Cantorum Basiliensis (Basel) als Preisträgerensemble der Gothaer Reihe Historischer Konzerte 2001/2002 vor.

Lenka Koubkova und Plamena Nikitassova (Violinen), Ilze Grudule (Violoncello), Alena Hönigova (Cembalo) und die Sopranistin Anna Hlavenkova präsentierten neben Instrumentalwerken von Jean-Marie Leclair und Händel (Sonate G-Dur für 2 Violinen und B.c., op. 5, Nr. 4, HWV 399) die Kantaten "La Morte di Lucretia" von Michel Pignolet de Montéclair und "Tu fedele? tu constante?" von Händel (HWV 171). Anna Hlavenkova wusste mit ihrer gehaltvollen und ausdrucksstarken Stimme den tiefen Seelenschmerz und die aufschäumenden Gefühle der dramatischen Szenen überaus eindrucksvoll zu gestalten.

Das sehr homogen klingende Ensemble begeisterte durch seine sorgfältig einstudierten, den Charakter der Stücke genau treffenden Interpretationen und durch temperamentvoll und fein nuancierte Dynamik und Phrasierung.

Das reichhaltige und breit gefächerte Veranstaltungsangebot der Göttinger Händel-Festspiele war damit noch bei weitem nicht erschöpft. Neben den OPEN AIR KONZERTEn der schon traditionell an den Festspielen auftretenden CLASSIC BUSKERS, Michael Copley (Flöten aller Art) und Ian Moore (Akkordeon), präsentierten auch LES TROMPETTES DES PLAISIRS Ausschnitte aus ihrem Programm mit Barockmusik für Trompeten, Hörner und Pauken.

Im Verlauf eines ÖKUMENISCHEN FESTGOTTESDIENSTes in der St. Johannis Kirche präsentierte die Göttinger Stadtkantorei unter der Leitung von Bernd Eberhardt das "Te Deum" von Marc Antoine Charpentier.

RUNDGÄNGE durch die Festspielstadt unter verschiedenen Schwerpunkten, wie "Besuch des Alten Botanischen Gartens", "Auf den Spuren Lichtenbergs", "Ein Gang durch Göttingens Unterwelt" oder "Eine traditionsreiche Universität" und FÜHRUNGEN durch die Instrumentensammlung des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität und die Ausstellung "Grafik der Dürer-Zeit gerissen und gestochen 1470-1540/50" in der Gemäldegalerie im Auditorium der Universität, erweiterten ebenfalls das vielseitige Rahmenprogramm.

Zum Schluss sei noch die Eröffnung des neuen HÄNEL-ZENTRUMs im Holbornschen Haus hingewiesen, das in den nächsten Jahren während der Festspielzeit zu einem Treffpunkt aller Händel-Freunde werden soll. Da es etwas abseits der Hauptwege liegt, bedarf es allerdings noch weiterer Protektion. Adresse: Rote Str. 34.

Im nächsten Jahr stehen unter dem Motto "Händel - das Spätwerk" seine letzte Oper Deidamia (mit Michael Schneider als Dirigenten und seinem Ensemble La Stagione im Graben des Deutschen Theaters) und Händels Oratorium Jephta (mit Nicholas McGegan und dem English Concert in der Stadthalle) im Mittelpunkt der Festspiele, die vom 28. Mai bis 3. Juni 2003 stattfinden werden.

Fazit:
Dieses in die Stadt immer weiter intigrierte Festival bietet immer noch die intimste Festspielatmosphäre aller drei deutschen Händel-Festspiele, wobei die thematische Geschlossenheit einzigartig ist. Das mit verhältnismäßig geringem finanziellen Aufwand so hervorragende und vielfältige Veranstaltungen zu erleben sind - auch wenn einige vielleicht nicht alle Erwartungen erfüllten - kann man nicht hoch genug schätzen.

Das Händel-Zentrum im Holbornschen Haus
Das neue Händel-Zentrum
im Holbornschen Haus


Da capo al Fine

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