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Musikfestspiele
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Göttinger Händel Festspiele


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7. - 13. Juni 2000


Festspielbericht

Von Gerhard Menzel

Händel - ein Weltbürger

In der AUFTAKTVERANSTALTUNG der diesjährigen Göttinger Händel-Festspiele am Mittwoch Nachmittag vor dem Alten Rathaus stimmten das Göttinger Drehorgel-Orchester, die AOV Brass-Ensemble, JazzTified und Seven Up auf ein langes Händel-Wochenende ein. Und dieses hatte einiges zu bieten:

Ein wichtiges - wenn nicht gar das wichtigste - Thema der Festspiele war das Jahr 1920. Vor genau 80 Jahren begann nämlich mit den Aktivitäten des Göttinger Kunsthistorikers und Hobbymusikers Oskar Hagen - unterstützt von Paul Thiersch, der durch seine expressionistischen Bühnendekorationen bekannt wurde - und der Wiederaufführung von Rodelinde, die Händel-Renaissance und die Wiedergeburt der Händelschen Oper.

"Göttinger Händel-Festspiele: Die ersten 80 Jahre" lautete auch der Titel des EINFÜHRUNGSVORTRAGs von Nicholas McGegan im Studio des Deutschen Theaters, womit die Göttinger Händel-Festspiele 2000 dann offiziell eröffnet wurden.

In der Ausstellung zur Geschichte der Händel-Festspiele in Göttingen von den Anfängen bis heute im Foyer der Stadthalle war eine Auswahl an Originalkostümen, Kulissen und zahlreichen anderen Dokumenten zu sehen, die die wechselhafte Geschichte der vergangenen 80 Jahre nachvollziehbar machten. "Es fing an mit der fröhlichen Wissenschaft..." - so der Titel der Ausstellung - des Oskar Hagen und führte über Namen von Regisseuren wie Hanns Niedecken-Gebhard und Fritz Lehmann und die Dirigenten Rudolf Schulz-Dornburg, Günther Weißenborn und John Eliot Gardiner bis zu Nicholas McGegan. Es war eine informative und durch viele Bilder bereicherte Dokumentation, die von Annika Damme und Annette Koch konzipiert und ausgeführt wurde. Eine bemerkenswerte Leistung.

Das eigentliche Hauptthema der Festspiele lautete allerdings "Händel - ein Weltbürger". "Händels Internationalität" wurde dann auch im WISSENSCHAFTLICHEN FESTVORTRAG in der Aula der Universität von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans Maier, München in seinem lebendig gestalteten Vortrag ausgiebig gewürdigt.

Das Hauptinteresse der Festspiele galt natürlich der mit Spannung erwarteten szenischen Aufführung von Händels Rodelinda in der Stadthalle, dem "Jubiläumswerk", mit dem vor 80 Jahren die Händel-Renaissance eingeleitet wurde. Damit gelangte erstmals eine Oper im Rahmen der Händel-Festspiele in der jüngst renovierten Stadthalle zur Aufführung, eine Maßnahme, die sich auf Grund der EXPO in Hannover und der damit verbundenen höheren Kartennachfrage anbot.

Händel-Festspiele Göttingen 2000


Göttingen 2000: Ausstellung
"Es fing an mit der fröhlichen Wissenschaft..."
Ausstellung zur Geschichte der Händel-
Festspiele in Göttingen von den Anfängen
bis heute im Foyer der Stadthalle

Göttingen 2000: Stadthalle
Stadthalle Göttingen
Die Stadthalle war auch der Veranstaltungsort für die beiden großen Oratoriumaufführungen. Händels MESSIAH, ohnehin schon Garant für volle Häuser, wurde durch das exquisite Interpretenaufgebot zum absoluten Publikumsmagneten. Allein die Solisten Elisabeth Scholl (Sopran), Andreas Scholl (Altus), Iain Paton (Tenor) und Klaus Mertens (Bass) versprachen schon einen musikalischen Hochgenuss. Leider war Andreas Scholl gesundheitlich etwas indisponiert. Trotzdem konnte man sich an seiner herrlichen Stimme ergötzen. Für den letztendlich großen Erfolg der Aufführung war allerdings Nicholas McGegan und das Orchestra and Choir of the Age of Enlightenment, London, verantwortlich. McGegans oft straffe Tempi bedurften zwar bei manchen einiger Gewöhnung, aber sein Gesamtkonzept und die herausragende Umsetzung durch Chor und Orchester, ließen den Abend zu einem ganz besonderen Ereignis werden, und das ist bei diesem so oft aufgeführten Werk schon eine ganz große Kunst!

Göttingen 2000: Stadthalle
Orgelkonzerte von Händel
in den Oratorien-Pausen,
gespielt von Mitgliedern der
Akademie für Alte Musik Berlin

Auch Händels Oratorium ISRAEL IN EGYPT, das in Kooperation mit den Händel-Festspielen in Halle zur Aufführung kam, fand beim Publikum eine begeisterte Aufnahme. Marcus Creed präsentierte eine Fassung nach dem gerade fertig gewordenen Band 50 der neuen Hallischen-Händel-Ausgabe (I/14, Bärenreiter-Verlag) mit dem vor 242 Jahren zum letzten Mal gespielten ersten Teil des Oratoriums, in dem Händel Musik aus Solomon, dem Occasional Oratorio und dem Peace Anthem verarbeitet hat. Der zweite Teil mit seinen klangmalerischen Ausdeutungen der Plagen über die Ägypter, die seine Wirkung nicht verfehlen, steht in dieser Fassung nun auch konzeptionell im Zentrum des Werkes. Neben dem von Marcus Creed geleiteten Rias-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin trugen auch Deborah York und Julia Gooding (Sopran), Michael Chance (Altus), Mark Padmore (Tenor) und Jeremy White und D'Arcy Bleiker (Bass) zu der hervorragenden Interpretation dieses stark von den Chören geprägten Oratorium bei.

Eine Besonderheit dieser Produktion waren die - wie zu Händels Zeiten üblich - musikalisch untermalten Pausen, in denen jeweils ein Teil des Orchesters die Orgelkonzerte F-dur HWV 295 (in der ersten Pause) und A-dur HWV 296a (in der zweiten Pause) im Foyer zur Aufführung brachte. Somit wurden die Pausen zum einen musikalisch unterhaltsam überbrückt und zum anderen die Spannung zwischen den einzelnen Teilen des Oratoriums geschickt gehalten.

Für die nicht so groß dimensionierten Werke stand erneut die atmosphärische Aula der Universität am Wilhelmsplatz als Veranstaltungsort zur Verfügung. Das ORCHESTERKONZERT 1 stand unter dem Motto "Händel und seine englischen Zeitgenossen". Da Nicholas McGegan im Anschluss an das Konzert noch die vierstündige Rodelinda zu dirigieren hatte, verzichtete er - verständlicher Weise - auf die Leitung dieses Konzertes, wie es eigentlich im Programmheft angekündigt war. Eine Mitwirkung als Orgelspieler bei dem sonst auch oft ohne Dirigenten musizierenden Orchestra of the Age of Enlightenment, London, ließ er sich allerdings nicht nehmen. Wie beim Messiah überzeugte das Orchester unter ihrer Konzertmeisterin Catherine Mackintosh auch hier durch belebte und differenzierte Interpretationen der Werke von G. F. Händel, H. Purcell, D. Castrucci , Matthew Locke und W. Boyce.

Göttingen 2000: Aula der Universität
Aula der Universität
Mit "Händel und seine Zeitgenossen am Wiener Hof" war das ORCHESTERKONZERT 2 überschrieben. Neben zwei Concerti von G. F. Händel (op. 3 Nr. 4 F-dur und 3 D-dur/d-moll) waren vor allem nahezu unbekannte Werke zu hören. Dabei ließen sowohl die Sinfonia d-moll von Ignatz Holzbauer, als auch die Serenade Nr. 5 F-dur von Benedikt Anton Aufschnaiter aufhorchen. Konzertmeisterin Michi Gaigg und ihr Ensemble L’Orfeo Barockorchester, Passau, bescherten dem aufmerksamen Publikum damit aufregend neue Musik, die nur noch durch Giovanni Bononcinis Kantate L'oracolo d'Apollo eine Steigerung erfuhr. Wie die Sopranistin Constanze Backes die unterschiedlichen Stimmungen und Affekte musikalisch umsetzte, war schon betörend. Obwohl sich auf Grund eines Saitenrisses Michi Gaigg kurzzeitig eine Auszeit nehmen musste, führten die Musiker mit gleicher Intensität und ohne Spannungsverlust das Werk zu einem guten Ende. Das Auditorium war begeistert!

Im KAMMERKONZERT 1 sorgte Fabio Biondi mit seinem Ensemble Europa Galante, Neapel, für temperamentvolle Interpretationen von Musik von Pietro Antonio Locatelli (Sinfonia funebre f-moll), G. F. Händel (Concerto grosso op. 6 Nr. 4 a-moll), A. Vivaldi (Concerto op. 3 Nr. 11 d-moll) und André Cardinal Destouches (Premiere suite "Les éléments").

Constanze Backes
Constanze Backes-Homepage
Mit dem KAMMERKONZERT 2 hatte es dann eine ganz besondere Bewandtnis. Für die potentiellen Förderer der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen (genauere Informationen gibt es bei den Göttinger Händel Festspielen) soll in Zukunft jeweils ein Konzert der Festspiele mitgeschnitten werden, welches dann exklusiv für die Förderer als CD gepresst wird. In diesem Jahr war es also dieses Konzert mit Arien und Duetten von Händel, Purcell und Alessandro Scarlatti. Die Solisten waren die beiden Protagonisten der Rodelinda, Dominique Labelle (Sopran) und Robin Blaze (Altus), der auch kurzfristig in der zweiten Aufführung des Messiah für Andreas Scholl einsprang. Optisch - durch die unterschiedliche Statur - ein etwas "drolliges Paar", begeisterten sie durch ihre stimmliche Qualitäten und ihre Freude ausstrahlende Interpretationsweise. Begleitet wurden sie von Phoebe Carrai (Cello) und dem nimmermüden und immer präsenten Nicholas McGegan (Cembalo).

Festspiel-Edition 2000
Göttinger Händel Festspiele
Göttingen 2000: St Albani
St Jacobi
Bei der ORGELMATINEE in der St.-Johannis-Kirche am Pfingstmontag erklangen Kompositionen von G. F. Händel, Arcangelo Corelli, Alessandro und Domenico Scarlatti, Giuseppe Torelli und John Stanley. Luigi Ferdinando Tagliavini, Bologna, registrierte zwar behutsam, aber dem jeweiligen Stück angemessen, und ließ auch klangliche Besonderheiten der Orgel, wie den Zimbelstern, erklingen. Die abwechslungsreiche Programmauswahl und sein musikantisch geprägtes Spiel wurde vom Publikum mit ausgiebigem Beifall honoriert.

GOE-2000st-johannis.jpg - 673627 Bytes Im Anschluss an die Matinee gab die Möglichkeit, an einer Führung durch das Kirchenschiff der unbedingt sehenswerten gotischen Hallenkirche teilzunehmen, welche ebenfalls großen Anklang fand. Neben dem reich ausgestatteten Flügelaltar aus dem Jahr 1402 sorgt vor allem der fünfteilige Fensterzyklus zum Thema des 22. Psalm von Johannes Schreiter für Aufsehen. Den größten Eindruck hinterlässt allerdings die farbliche Ausmalung des Kirchenraumes, in dem die Säulen scheinbar anfangen zu tanzen.

Göttingen 2000: St Albani
St Albani
Die drei Nachtkonzerte bescherten zu später Stunde noch allerlei bekannte und unbekannte Musik. Im NACHTKONZERT 1 "FORUM JUNGER KÜNSTLER" in der St.-Albani-Kirche präsentierte das italienische Ensemble Accademia per Musica, Rom, unter Führung des deutschen Geigers Christoph Timpe neben Werken von G. F. Händel und A. Stradella, zumeist völlig unbekannte instrumentale Kammermusik von Carl'Ambrogio Lonati, Lelio Colista, Pietro Marchitelli und Giuseppe Antonio Avitrano. Neben zum Teil herrlichster Musik gefiel vor allem ihre hörbare Spielfreude.

Ebenfalls in der St.-Albani-Kirche fand das NACHTKONZERT 2 mit dem Wilhelmshavener Vokalensemble unter der Leitung von Ralf Popken statt. Leider klang der Chor bei weitem nicht so homogen und flexibel wie die übrigen an den Festspielen beteiligten Chöre. Der Organist Arno Janssen konnte den Anforderungen dagegen überhaupt nicht genügen. Neben drei Chören aus Händels Oratorium Solomon (mit Orgelbegleitung) und der herrlichen Motette O praise the Lord von Thomas Tomkins stand Bachs Motette "Singet dem Herrn ein neues Lied" im Mittelpunkt des Konzertes, die - als um eine Strophe erweiterte Version - das freundlich gestimmte Publikum um eine Zugabe bitten ließ.

Beim NACHTKONZERT 3 in der St.-Johannis-Kirche standen unter dem Motto "Deutsches und Polnisches im ,italiänischen Rock´" vokale und instrumentale Musik von G. F. Händel, G. Ph. Telemann und J. S. Bach auf dem Programm. Neben der Camerata Köln unter der Leitung von Michael Schneider, der sich auch als Solist (Blockflöte) präsentierte, wirkten noch Nancy Argenta (Sopran) und Karl Kaiser (Traversflöte) als Solisten mit.

Eine feucht-fröhliche Veranstaltung fand wieder einmal am Kiessee statt: HÄNDEL OPEN-AIR MIT FEUERWERK. Während die Besucher des Oratoriums ISRAEL IN EGYPT musikalisch ägyptische Plagen und Unwetter erlebten, wurde diese Freiluftveranstaltung von realen Regengüssen und Unwettern heimgesucht. Das Vorprogramm mit den Classic Buskers, die auch schon - wie in vorangegangenen Jahren - ein OPEN-AIR-KONZERT auf dem Wilhelmsplatz gegeben hatten, dem Ensemble Classique, dem Göttinger Drehorgel-Orchester und dem Figurentheater Gingganz konnte dann wohl aber doch planmäßig über die Bühne gehen, bevor die Oratorium-Besucher in einem eigens dafür eingesetzten Buspendeldienst am Kiessee eintrafen. Das Göttinger Symphonie Orchester bewies dann unter dem anfeuerndem Dirigat von Nicholas McGegan seine Ambitionen bei Händels WASSERMUSIK, die glücklicherweise nicht durch Wassergüsse begleitet wurde, und bei der FEUERWERKSMUSIK, die dann aber tatsächlich zu einem real existierenden Feuerwerk erklang. Leider wurde dieses hinter den Bühnen und einer Baumreihe abgefeuert, so dass nur die hoch am Himmel explodierenden Raketen für alle sichtbar waren. Der allgemeinen guten Stimmung tat das jedoch keinen Abbruch, ebenso wenig wie der kurzzeitige totale Stromausfall kurz vor Feuerwerksbeginn.

ISTERBANDET med baletten FLÄSKLEGGEN Zum Schluss sei noch eine wirklich schöne Begebenheit erwähnt. Die Besucher des Wissenschaftlichen Festvortrages wurden beim verlassen der Aula von einer Gruppe schwedischer Jugendlicher erwartet, denen sie in unnachahmlicher Weise eine fast einstündige Show boten! Die ISTERBANDET med baletten FLÄSKLEGGEN befanden sich gerade auf ihrer ersten Deutschland-Tournee und waren rein zufällig in Göttingen. Was sie musikalisch, tänzerisch und Freude versprühend dem zunächst völlig verduzten Publikum boten, kann man in unseren Breiten vergeblich suchen. Diese Lockerheit und natürliche Komik war einfach unschlagbar! Da nicht nur ihre Managerin ein hervorragendes Deutsch spricht, kann diese Truppe jedem Veranstalter nur wärmstens empfohlen werden (isterbandet@isterbandet.vxu.se). Ein absoluter "Geheimtip" !

Dass sich in diesem Jahr eine Überschneidung mit den Händel-Festspielen in Halle ergab, lag an der zeitlichen Disposition in Verbindung mit der EXPO in Hannover und soll sich in Zukunft nicht wieder wiederholen.




Händel-Open-Air mit Feuerwerk




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