Winterreise in Eiseskälte

"Le Voyage Magnifique" ist die Doppel-CD mit den Impromptus D 899 und D 935 sowie drei Impromptus aus dem Nachlaß (D 946) und dem Allegretto D915 von Franz Schubert überschrieben, die Maria João Pires für die Deutsche Grammophon eingespielt hat. Mit vielen künstlerisch verfremdeten Fotos und ungewöhnlichen Textbeiträgen - die medizinische Sicht auf Schuberts Klaviermusik ist uns, wir geben es zu, hier zum ersten Mal bewußt geworden - macht die Aufmachung zunächst mißtrauisch: Schubert als New-Wave-Musiker, der besondere Vermarktungsstrategien nötig hätte? Was man dann aber hört, ist ein kleines Wunder. Maria João Pires präsentiert keine gefälligen Salon-Stückchen, zu denen insbesondere das As-Dur Impromptus häufig degradiert wurde, sondern rückt die Kompositionen in die Nähe der "Winterreise". Dabei gewinnt sie den Kompositionen einen zyklischen Zusammenhang ab, der den Titel "Le Voyage Magnifique" durchaus rechtfertigt - wobei die Reise in Eiseskälte und Tod führt. So manche harmonische Wendung, um eine Winzigkeit verzögert, wird zum Ereignis, daß einen erschauern läßt. Der Melodik haftet keine biedermeierliche Schlichtheit mehr an, sondern eine unwirkliche Schönheit, introvertiert und unendlich einsam. Und wo die rechte Hand mit einer kleinen Figur Hoffnung macht, zerstört die linke mit unerbittlicher Strenge alle Illusionen, auf dieser Welt wäre noch etwas zu retten. Vorsicht: Diese CD kann zu Depressionen führen.

Trotzdem: Hier liegt keine dumpf-gefühlige Interpretation vor, sondern eine durchdachte und streng disziplinierte Einspielung. Das Rätsel Musik, von dem im Begleitheft so viel die Rede ist - im Spiel von Maria João Pires wird es Ereignis, dem man sich schwer entziehen kann.

Von Stefan Schmöe

Maria João Pires:
Le Voyage Magnifique
Schubert · Impromptus (2 CD)
Deutsche Grammophon 475 550-2