Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Und immer tanzt... Giselle

Tanzstück von Francesco Nappa
Musik von Adolphe Adam und Fabrizio Festa

Aufführungsdauer: ca. 1 h 45' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus am 14. Januar 2023
(rezensierte Aufführung: 03.02.2023)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Ballettklassiker in modernem Gewand

Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß

Nachdem die Hagener Ballettdirektorin Marguerite Donlon zu Beginn der Spielzeit 2021/2022 an das Theater Osnabrück gewechselt war, war lange Zeit unklar, wie es mit der Ballettsparte in Hagen weitergeht. Nun ist endlich ein Nachfolger gefunden, der ab der kommenden Spielzeit die Leitung des Tanztheaters übernimmt: Francesco Nappa. Der gebürtige Neapolitaner, der 2008 seine Karriere als freiberuflicher Künstler, Regisseur und Choreograph mit ausführlichen Recherchen zu Stil und Wurzeln im zeitgenössischen Tanz begann, ist in Hagen kein Unbekannter. Bereits in der Spielzeit 2018/2019 stellte er sich mit seiner Kreation zu Georg Friedrich Händels Wassermusik im Rahmen des Doppelabends Dido and Aeneas / Wassermusik vor (siehe auch unsere Rezension). Nun gibt er dem Hagener Publikum mit einer neuen Choreographie einen Ausblick auf das, was man in der Stadt an der Volme ab nächste Spielzeit erwarten kann, und hat dafür einen regelrechten Ballettklassiker ausgewählt: Giselle von Adolphe Adam. Dass allerdings mit einer kleinen Compagnie wie in Hagen dies nicht mit zahlreichen Wilis, die als weibliche Naturgeister in weißen Tutus auf Spitze junge Männer, denen sie des Nachts an Wegkreuzungen begegnen, zu Tode tanzen, umgesetzt werden kann und soll, verrät schon in gewisser Weise der Titel des Abends: Und immer tanzt... Giselle.

Bild zum Vergrößern

Pas de deux ohne Spitzentanz: Giselle (Carolina Verra) und Albrecht (Stefano Milione)

Nappa verlegt die romantische Geschichte um das junge Mädchen Giselle, die sich in den Herzog Albrecht verliebt und daran zerbricht, dass er bereits mit der Prinzessin Bathilde verlobt ist und eine Verbindung mit einem Bauernmädchen nicht standesgemäß ist, in die Gegenwart. Albrecht ist hier ein Architekt und Landschaftsplaner, der mit seinen beiden Freunden, die bei Nappa als "Builders" (Baumeister) bezeichnet werden, in der ländlichen Idylle Giselles ein enormes Potential für ein neues Bebauungsprojekt sieht. Die Landbevölkerung sieht Nappa als Umweltaktivist*innen und nennt sie "Greens". Umweltschützer*innen im eigentlichen Sinn sind sie allerdings nicht, da sie sich von Albrecht und seinen Freunden zum Raubbau an der Natur überreden lassen. Währenddessen begegnen sich Albrecht und Giselle und verlieben sich ineinander. Ihre Liebe zerbricht allerdings nicht daran, dass Albrecht einer anderen standesgemäßeren Frau versprochen ist - Bathilde kommt in Nappas Kreation nicht vor -, sondern als Giselle erkennt, was Albrecht der unberührten Natur mit seinen Plänen angetan hat. Bei Giselles Tod erkennt Albrecht sein unbedarftes Handeln und will versuchen, das Geschehene rückgängig zu machen.

Bild zum Vergrößern

Giselles (Carolina Verra, Mitte) Welt wird zerstört (auf der linken Seite von links: Evan Inguanez, Riccardo Maria Detogni, auf der rechten Seite von links: Cheng-Yang Peng, Giovanni La Rocca).

Alfred Peter hat dazu ein Bühnenbild entworfen, das mit grasgrünen Teppichen den unberührten Flecken Natur wunderbar einfängt. Während die "Greens" mit verspielten Kostümen von Tanja Liebermann dieses Grün auch in ihren Kostümen haben, treten Albrecht und die beiden Baumeister in farblosen Kostümen ohne jegliche Schnörkel auf und betonen darin bereits die Welt, die sie mit der Zerstörung der Natur erzeugen. Schon zu Beginn lassen sie ein dreieckiges Stück Grün abtragen, das an drei Stricken in den Schnürboden hochgezogen wird. Unter diesem Dreieck befindet sich ein Spiegel, in dem die erste Begegnung zwischen Albrecht und Giselle liebevoll reflektiert wird. Die Baumeister überzeugen die Greens, das Areal gewinnbringend in Bauland umzuwandeln. Die Greens verwandeln sich mit farblosen Kostümen ebenfalls in Baumeister, so dass Giselle am Ende ganz allein zurückbleibt. Zur Umsetzung dieser Geschichte verwendet Nappa nur einzelne Teile von Adams Musik und ergänzt sie durch Neukompositionen von Fabrizio Festa, die sich nahtlos an Adams romantische Musik anschließen, dabei jedoch wesentlich moderner klingen und bisweilen an Filmmusik erinnern. Das Philharmonische Orchester Hagen, das an diesem Abend von Felix Barsky geleitet wird, überzeugt in diesen Passagen mehr, während es bei Adam bisweilen ein bisschen zu schroff und laut klingt, den romantischen Charakter der Musik also nicht immer einfangen kann.

Bild zum Vergrößern

Giselle (Carolina Verra) in der Unterwelt?

Der zweite Akt spielt bei Nappa nicht in einem geheimnisvollen Wald, in dem die Wilis jungen Männern auflauern, sondern in einer dunklen entmenschlichten Gegend, die man als eine Art Unterwelt bezeichnen kann. Von der Decke hängen unförmige Gebilde herab, die vielleicht die Reste der zerstörten Natur darstellen. Der Bühnenboden ist mit Erde oder Torf bedeckt und zeigt die zerstörte Natur. Auf der rechten Seite sieht man ein Netz, an dem Albrecht zu Beginn des zweiten Aktes in diese Welt auf der Suche nach Giselle hinabsteigt. Zunächst trifft er nur auf zahlreiche gesichtslose Wesen, die einerseits bemüht sind, die Schäden an der Umwelt zu reparieren, und andererseits an den Verursachern Rache nehmen wollen. Giselle befindet sich ebenfalls in dieser Welt. Ihr Kostüm lässt mit den verspielten Aufsätzen noch ihr menschliches Wesen erahnen. Lediglich die grüne Farbe ist gewichen. Von den Wesen wird sie mit einer Maske zunächst auch in ein gesichtsloses Wesen verwandelt, legt beim Zusammentreffen mit Albrecht diese Maske jedoch wieder ab. Gemeinsam wollen sie aus dieser Welt fliehen und an dem Netz in eine andere Welt emporsteigen. Doch die Wesen können dies zunächst verhindern. In Albrecht erkennen sie nun einen Verursacher der Zerstörung und hüllen ihn in einen riesigen Teppich ein, der einst eine grüne Wiese dargestellt hat. Doch Giselle kann verhindern, dass der Geliebte darin seinen Tod findet. So treten die Wesen schließlich mit kleinen grünen Grasstücken an Albrecht heran, aus denen er eine neue Art Natur formt. Kann damit der vorherige Zustand der Welt wiederhergestellt werden?

Bild zum Vergrößern

Albrecht (Stefano Milione, Mitte) wird von den Wesen (Ensemble) zur Rechenschaft gezogen.

Für eine Szene im zweiten Akt hat Festa eine elektronische Soundcollage komponiert, die vom Band eingespielt wird. Mit düsteren und pulsierenden Klangfarben wird hiermit der Grad der Zerstörung eingefangen, den die Menschheit der Umwelt bereits angetan hat. Das klingt so gnadenlos, dass eine Interpretation durch ein Live-Orchester sicherlich zu harmlos gewesen wäre. Übergangslos geht dieser Teil dann wieder in Adams Musik über und lässt so neue Hoffnung auf eine bessere Zukunft entstehen. Carolina Verra interpretiert die Titelpartie mit großer Intensität und Zerbrechlichkeit. Auch ohne Spitzentanz gelingt es ihr, den zarten Charakter Giselles im ersten Akt einzufangen, die daran zerbricht, dass Albrecht ihre Natur zerstört hat. Von einem letzten Flecken Grün, der sich noch auf der Bühne befindet, stürzt sie sich in den Tod. Im zweiten Akt lässt sie sich zunächst von den dunklen Wesen assimilieren, kämpft sich jedoch für ihre Liebe zu Albrecht frei und schafft es so, der Welt mit neuem Grün eine Perspektive zu geben. Stefano Milione überzeugt als Albrecht mit kraftvollen Sprüngen. Riccardo Maria Detogni und Evan Inguanez übernehmen nicht nur die Rollen der beiden Baumeister, sondern verfolgen auch als Wesen im zweiten Akt Albrecht. Eigentlich sind laut Programmheft für die Greens und Wesen zehn Tänzer*innen eingeplant, von denen jedoch zwei bei der besuchten Aufführung ausgefallen sind. Die Massenszenen mit nur acht Tänzerinnen und Tänzern darzustellen, stellt eine große Herausforderung für die kleine Compagnie dar, die einige Umstellungen erfordert, von den Tänzerinnen und Tänzer aber hervorragend umgesetzt wird, so dass auch mit acht Tänzer*innen der gleiche Effekt erzielt werden kann. So wird die Compagnie für diese Aufführung zu Recht mit viel Applaus belohnt.

FAZIT

Francesco Nappa gelingt es, den Ballettklassiker für eine kleine Compagnie passend in eine moderne Zeit ohne Spitzentanz zu übertragen. Man darf gespannt sein, was der designierte Ballettchef für die kommende Spielzeit plant.

Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rodrigo Tomillo /
*Felix Barsky

Konzept und Choreographie
Francesco Nappa

Bühne
Alfred Peter

Kostüme
Tanja Liebermann

Licht
Martin Gehrke

Dramaturgie
Waltraud Körver

 

Philharmonisches Orchester Hagen

 

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Giselle
*Carolina Verra /
Yu-Hsuan (Mia) Hsu /
Serena Zaccagnini

Albrecht
*Stefano Milione /
Riccardo Maria Detogni /
Salvatore Piramide

Builders (Baumeister)
*Riccardo Maria Detogni
*Evan Inguanez /
Giovanni La Rocca
Cheng-Yang Peng

Greens (Umweltchützer)
*Riccardo Maria Detogni
Julie Endo
*Yu-Hsuan (Mia) Hsu
*Yu-Hung (Phoebe) Huang
*Evan Inguanez
*Giovanni La Rocca
*Hannah Law
Stefano Milione
Cheng-Yang Peng
*Salvatore Piramide
Carolina Verra
*Serena Zaccagnini

Wesen
*Riccardo Maria Detogni
Julie Endo
*Yu-Hsuan (Mia) Hsu
*Yu-Hung (Phoebe) Huang
*Evan Inguanez
*Giovanni La Rocca
*Hannah Law
Stefano Milione
Cheng-Yang Peng
*Salvatore Piramide
Carolina Verra
*Serena Zaggagnini


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -