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Musiktheater
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Billy Budd

Oper in zwei Akten (Fassung von 1961)
Libretto von Edward Morgan Forster und Eric Crozier nach dem Roman von Herman Melville
Musik von Benjamin Britten

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 15' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 25. März 2023

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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Verloren auf dem Meer

Von Thomas Molke / Fotos:© Karl und Monika Forster

Bei Herman Melville denkt man heutzutage wahrscheinlich an den 1851 erschienenen Roman Moby Dick. Unbekannter hingegen ist sein letztes Prosawerk, die Seenovelle Billy Budd, die erst 30 Jahre nach seinem Tod wiederentdeckt und veröffentlicht wurde und Benjamin Britten zu der gleichnamigen Oper inspirierte. Bereits 1949 hatte Giorgio Federico Ghedini das Stück als einaktiges Bühnenoratorium vertont und im Teatro La Fenice zur Uraufführung gebracht. Als Britten von der kurz nach Kriegsende durch die britische Regierung gegründeten Körperschaft Arts Council anlässlich des Festival of Britain einen Kompositionsauftrag erhielt, ließ er das Textbuch von Edward Morgan Forster zu einem vielschichtigen Libretto umformen und brachte die Oper am 1. Dezember 1951 am Royal Opera House in London mit Theodor Uppman in der Titelpartie und Peter Pears als Captain Vere heraus. Die Oper konnte jedoch nicht den erwarteten Erfolg verbuchen. Folglich unterzog Britten das Werk 1960 einer Bearbeitung und brachte 1961 eine verknappte zweiaktige Fassung heraus, die auch international mehr Anerkennung fand. An den Beliebtheitsgrad von Peter Grimes kann das Werk aber bis heute nicht heranreichen. Am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen hat man nun diese Zweitfassung auf den Spielplan gestellt.

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Hartes Leben auf dem Kriegsschiff: Ensemble

Erzählt wird die Geschichte des "schönen Matrosen" Billy Budd, der zu Beginn der Napoleonischen Kriege 1797 auf das britische Kriegsschiff "Indomitable" zwangsrekrutiert wird, mit seinem gewinnenden Wesen aber sofort die Mannschaft fasziniert. Nur dem finsteren Waffenmeister John Claggart ist diese "Lichtgestalt" ein Dorn im Auge. Deshalb plant er, den jungen Mann zu vernichten. Zunächst setzt er seinen Handlanger Squeak auf Billy an. Squeak soll Billy durch einen Diebstahl provozieren. Der Plan geht allerdings schief, und Claggart muss Squeak bestrafen und Billy loben. Daraufhin zwingt Claggart einen verängstigten Neuling, Billy zu einer Meuterei auf dem Schiff zu überreden. Als auch diese Intrige misslingt, bezichtigt Claggart Billy selbst beim Kapitän des Verrats. Billy, der in Extremsituationen stark stottert und sich nicht artikulieren kann, wird Claggart gegenüber wegen dieser grundlosen Beschuldigung handgreiflich und verletzt ihn tödlich. Daraufhin beruft Kapitän Vere das Kriegsgericht ein. Obwohl er selbst von Billys Unschuld überzeugt ist, sieht er keine Möglichkeit, ihn zu retten. "Geschlagen von einem Engel Gottes, und doch muss der Engel gehängt werden": Mit diesem Urteil wird Billy unter heftigem Protest der Mannschaft hingerichtet. Doch Billy akzeptiert sein Schicksal. Kurz vor seinem Tod stimmt er einen Lobgesang auf den Kapitän an, in den die Mannschaft einstimmt.

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Billy (Dominik Köninger, links) verehrt Kapitän Vere (Martin Homrich, rechts).

Während Kapitän Vere in Melvilles Romanvorlage an dem Urteil zerbricht und in der folgenden Schlacht den Tod sucht, widmet Britten ihm einen Prolog und Epilog, in dem Vere sich Jahre später an die Geschehnisse auf dem Kriegsschiff erinnert und versucht, seine Mitverantwortung für Billys Hinrichtung zu verarbeiten. Bühnenbildner Dirk Becker hat für diesen Prolog eine Kajüte im hochgefahrenen Bühnenboden kreiert, die die Enge der Situation auf dem Schiff gut einfängt. Bevor die Musik einsetzt, sieht man mehrere Tourist*innen auftreten, die das ehemalige Kriegsschiff besichtigen und den Raum erkunden. Unter ihnen befindet sich auch Kapitän Vere. Während die Tourist*innen die Kabine verlassen, bleibt er zurück und erinnert sich mit einem Bild, das er von der Wand nimmt, an die damaligen Ereignisse auf dem Schiff. Die Bühne wird heruntergefahren und gibt die Sicht auf einen riesigen, relativ abstrakt gehaltenen Raum frei. Vier bewegliche Treppengestelle lassen sich hier über die Bühne fahren und gewissermaßen an vier rechteckigen Öffnungen, die auf der rechten und linken Bühnenseite zu sehen sind, andocken. Im Hintergrund sieht man ein riesiges Bullauge mit einem schmalen Lichtstreifen, der den Wasserstand des Meers andeuten könnte. Ansonsten blickt man in ein schwarzes Nichts, was die Isolation und die Einsamkeit auf dem Meer unterstreicht, die im Kontrast zu dem engen Zusammengepferchtsein auf dem Schiff steht. Diese Enge wird auch durch die Schlafplätze der Mannschaft, die in der schmalen Unterbühne angedeutet werden, betont.

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Von Neid zerfressen: John Claggart (Michael Tews, mit Ensemble im Hintergrund)

In diesem düsteren Ambiente erzählt Intendant Michael Schulz in seiner Inszenierung die Geschichte relativ librettonah. Um psychologisch tiefer in die drei Hauptcharaktere, Billy Budd, Kapitan Vere und John Claggart einzutauchen, führt er drei allegorische Figuren ein, die vom Rest der Mannschaft nicht wahrgenommen werden und jeweils mit einer der Hauptfiguren in Verbindung stehen. Da ist zunächst Doom (Connor Ritgen), der mit nacktem Oberkörper und einem weiten grauen Gewand die sexuelle Anziehungskraft betonen soll, die Billy auf seine Mitmenschen ausübt. Allerdings manifestiert sich in der Nacktheit auch die Reinheit Billys, dem jeder Verrat fremd ist und der voller Überzeugung und Stolz den harten Job auf dem Kriegsschiff ausübt und damit einen gewissen Vorbildcharakter für die Mannschaft hat. Der Name Doom steht dabei für das Schicksal, das Billy zu jeder Zeit als gerecht akzeptiert. Kapitän Vere zur Seite steht eine Gestalt namens Shrift (Sebastian Schiller). Dieser tritt mit grauem Haar in hellem Kostüm auf, das einerseits ein wenig an Billy erinnert und andererseits als Art Tagebuch dient, dem Vere seine Beichte anvertraut. In Veres Kajüte befindet sich auch ein Gemälde, das Shrift zeigt und als homoerotische Komponente gedeutet werden kann. Für den Bösewicht Claggart fügt Schulz als dritte Figur Arawn (Dirk Turon) ein, der in dunklem Gewand mit einem riesigen Vogelkopf wie ein Sensenmann über die Bühne schreitet. Arawn stammt aus der walisischen Mythologie und ist ein Fürst der Anderswelt Annwn. Er tritt auch nach Claggarts Tod bei der Gerichtsverhandlung auf, wenn alle drei Figuren auf den Treppengestellen wie eine höhere Instanz den Prozess beobachten. Für die Geschichte hätte man diese Figuren nicht gebraucht, allerdings stören sie den Ablauf auch nicht weiter.

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Billy (Dominik Köninger, vorne Mitte) vor Gericht (von links in der Mitte: Leutnant Ratcliffe (Philipp Kranjc), Mr. Redburn (Piotr Prochera) und Mr. Flint (Yevhen Rakhmanin), auf den Treppengestellen von links: Arawn (Dirk Turon), Shrift (Sebastian Schiller) und Doom (Connor Ritgen))

Eindrucksvoll wird Billys Hinrichtung umgesetzt. Nachdem der Kapitän zunächst seine Mühe hat, gemeinsam mit den Offizieren eine Meuterei wegen des Urteils zu verhindern, wird Billy von der Masse umringt und verdeckt und ist plötzlich verschwunden. Der anschließende Blick der Mannschaft nach oben suggeriert, dass Billy in den Himmel aufgestiegen ist. Anschließend fällt noch sein Schuh aus dem Schnürboden herab, den Dansker dem Kapitän zur Erinnerung überreicht. Billys rührender Abschied vom Leben erklingt dann von oben. Für die Titelpartie hat man Dominik Köninger als Gast von der Komischen Oper Berlin nach Gelsenkirchen geholt. Mit kraftvollem und virilem Bariton wird er nicht nur stimmlich der Partie vollkommen gerecht, sondern kann auch optisch glaubhaft machen, wieso dieser Billy auf die Mannschaft eine derartige Faszination ausübt. In seinem Abschiedsgesang findet er sehr weiche, lyrische Töne, die im Gegensatz zu Brittens ansonsten recht schroffen Musiksprache stehen. Bewegend setzt Köninger auch die Szenen um, in denen es Billy aufgrund des psychischen Drucks die Sprache verschlägt und er sich wegen des Stotterns nicht artikulieren kann. So leidet man mit ihm und ist über sein trauriges Schicksal erschüttert.

Auch die übrigen Ensemble-Mitglieder lassen keine Wünsche offen. Martin Homrich macht als Kapitän Vere mit höhensicherem Tenor deutlich, welche Stellung er auf dem Schiff einnimmt. Einerseits wird er wegen seines gerechten Führungsstils von der Mannschaft respektiert. Andererseits gelingt es ihm nicht, Billy zu retten, obwohl er ihn für unschuldig hält. Diesen Konflikt setzt Homrich sowohl stimmlich als auch darstellerisch eindrucksvoll um. Michael Tews ist als Bösewicht John Claggart kaum zu toppen. Sein Bass ist so dunkel wie seine Seele. In seiner Welt darf es keine Lichtgestalt wie Billy geben, weshalb er alles daransetzt, ihn zu zerstören. Dafür missbraucht er auch schamlos seine Macht und macht den armen geschundenen Neuling zu seinem Komplizen. Adam Temple-Smith gestaltet den Neuling mit weichem, verletzlichem Tenor. Bewegend stellt er seinen Schmerz dar, nachdem er für einen versehentlichen Fehler ausgepeitscht worden ist und macht deutlich, dass er keine Kraft hat, sich gegen Claggart zur Wehr zu setzen. Man hat das Gefühl, dass er um sein Leben kämpft, wenn er Billy zur Meuterei überreden will. Auch die zahlreichen anderen Solisten-Rollen sind mit Mitgliedern des Ensembles und des Opernstudios NRW gut besetzt.

Großes leistet auch der um einen Projektchor erweiterte Herrenchor des MiR unter der Leitung von Alexander Eberle. Mit glaubhaftem Spiel vermitteln sie das von hartem Drill bestimmte Leben auf dem Kriegsschiff, lassen sich von den Vorgesetzten einschüchtern und brennen im Kampf auf die Auseinandersetzung mit dem Feind. Wenn zu Beginn des zweiten Aktes ein Angriff auf ein französisches Schiff in Aussicht steht, entwickelt sich stimmlich und darstellerisch auf der Bühne eine Euphorie, die man im Publikum nahezu erschrocken wahrnimmt. Da werden Gewehre ins Publikum gehalten, und plötzlich hört man einen Kanonenschuss, der einen zusammenzucken lässt. Doch kurz darauf kommt die Ernüchterung. Das feindliche Schiff ist nicht getroffen worden und verschwindet wieder im Nebel. Rasmus Baumann holt mit der groß besetzten Neuen Philharmonie Westfalen alles heraus, um Brittens teilweise sehr schonungslose Musik mit voller Kraft umzusetzen, findet aber auch leise Zwischentöne und rundet diesen Abend großartig ab, so dass es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Billy Budd ist ein großartiges Stück, das die gleiche Aufmerksamkeit wie Peter Grimes verdient. Michael Schulz gelingt mit einem hoch motivierten Ensemble eine packende Umsetzung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rasmus Baumann

Inszenierung
Michael Schulz

Bühne
Dirk Becker

Kostüme
Renée Listerdal

Licht
Patrick Fuchs

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Dramaturgie
Hanna Kneißler

 

Neue Philharmonie Westfalen

Herrenchor des MiR und Projektchor

Statisterie des MiR

 

Besetzung

*Premierenbesetzung

Edward Fairfax Vere
Martin Homrich

Billy Budd
Dominik Köninger

John Claggart
Michael Tews

Mr. Redburn
Piotr Prochera

Mr. Flint
Yevhen Rakhmanin

Leutnant Ratclife
Philipp Kranjc

Dansker
Joachim Gabriel Maaß

Red Whiskers
Khanyiso Gwenxane

Donald
Petro Ostapenko

Neuling
*Adam Temple-Smith /
Tobias Glagau

Squeak
*Tobias Glagau /
Adam Temple-Smith

Mr. Bosun
Oleh Lebedyev

1. Maat / Freund des Neulings
Yancheng Chen

2. Maat
Timothy Edlin

Ausguck
Benjamin Lee

Arthur Jones
Robert Brouwer

Vier Seekadetten
Nattan Ferreira
Theodor-Valentin Iliescu
Byungson Kang
Johannes Mang /
Anton Gankoff
Christian Hermanowski
Mark Spang

Shrift
Sebastian Schiller

Doom
Connor Ritgen

Arawn
Dirk Turon

Kabinenjunge
Jari Kunter

 


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