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Musiktheater
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Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Akten
Text und Musik von Richard Wagner


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 45' (zwei Pausen)

Premiere am 6. November 2022 in der Oper Frankfurt

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Oper Frankfurt
(Homepage)
Nachtstück mit Hase

Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika Rittershaus

Dürers Hase überlebt. Das schien nicht selbstverständlich; die ganze Aufführung über steht er am Bühnenrand, einen Strick um den Hals, der in den Bühnenhimmel führt. Dieser Strick hängt später dann aber bedrohlich über Beckmesser, wenn der auf der Festwiese seine künstlerische Hinrichtung erlebt. Der Hase kommt davon. Beckmesser letztendlich auch, denn er ist von Beginn an auf merkwürdige Weise mit seinem Widersacher Hans Sachs verbunden. Manchmal erscheinen die beiden wie zwei Seiten ein und derselben Figur, und überhaupt meint es die Inszenierung gut mit diesem Beckmesser, zeichnet ihn nicht als bornierten Kauz, sondern als ernstzunehmenden Künstler. Michael Nagy gibt ihm nicht nur eine ungemein präsente Stimme, sondern auch viel Würde. Selten hat man die Figur so plastisch ausformuliert erlebt wie hier.

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Besprechung der Meistersinger; vorne links staunt Stolzing über diesen merkwürdigen Gesangsverein.

Aber zurück zum Dürer'schen Hasen: Der wird unfreiwillig zum Symbol für die Ratlosigkeit, mit der sich Regisseur Johannes Erath und sein Team (Bühne: Kaspar Glarner, Kostüme: Herbert Murauer, Video: Bibi Abel) dem heiklen Finale auf der Festwiese mit der gefürchteten Ansprache des Sachs über die heil'ge deutsche Kunst nähern. Klar, Nürnberg darf nur noch als ironisches Zitat (Hase!) vorkommen, das ist ja inzwischen Regiestandard; den karnevalesken Aufzug der Zünfte inszeniert Erath gar nicht erst, sondern lässt ihn als Hörtheater ablaufen, während Witwer Sachs an der Rampe liegt und in dumpfer Verzweiflung offenbar sein Hochzeitsbild anstarrt, und gibt der Szene damit eine neue, im Kontext durchaus stringente Funktion, denn die Zerrissenheit dieses Volkstribunen Hans Sachs ist das eigentliche Thema. Und weil es um Popularität geht und Erath jubelnde Volksmengen unbedingt vermeiden möchte, fährt er statt des Volkes auf, was die Musikkultur der letzten Jahrzehnte so an Idolen aufzubieten hat. Heino. Die Beatles. Der beleibte Herr im Frack ist vermutlich Luciano Pavarotti. Freddy Mercury. Und und und. Weil der Chor ziemlich groß ist, gibt es viele Gestalten der Populärkultur zu entdecken und enträtseln. Aber eine plausible Lösung für diese oft nationalistisch ausgeschlachtete Oper wird nicht daraus, da fehlt schlicht die Verbindung: Die Frage "was ist populär?" stellt die Regie ja vorher gar nicht. Und besser wird dieses Finale auch nicht dadurch, dass Sachs die problematischste Stelle dann vor dem geschlossenen Vorhang singt (den Text steckt man ihm schnell noch zu). Brechung der Szene um jeden Preis - und der ist angesichts der Kostüme vermutlich hoch - erscheint dann doch nur eine Verlegenheitslösung am Ende einer Inszenierung, die sich eigentlich gar nicht für das Kunst- und Künstlerdrama interessiert.

Vergrößerung in neuem Fenster Gleich wird das Lied Beckmessers (rechts) in einer Massenprügelei enden, die sich hier gespenstisch andeutet - Sachs (links) ist das bekanntlich gar nicht unlieb.

Dabei ist die Inszenierung bis dahin in weiten Teilen durchaus gelungen. Erath sieht, ausgehend vom zweiten Akt, in den Meistersingern einen "Sommernachtsalptraum", und ein surreales Moment bestimmt das Geschehen. Im ersten Aufzug sitzen die Meistersinger auf meterhohen Stühlen, im zweiten kreisen Versatzstücke eines Bühnenbilds (angedeutete Innenräume für Sachs und Beckmesser, eigentlich zwei Hälften desselben Raumes - da ist wieder diese symbiotische Verbundenheit) unwirklich auf der Drehbühne. Die Geschichte bekommt die Absurdität eines Traums, aber im Großen und Ganzen funktioniert sie. Dabei rückt die Beziehung von Sachs und der jungen Eva im Zentrum - von Anfang an mit erotischen Zügen, und Eva ist mehrfach kurz davor, Sachs zu verführen. Gleichzeitig zeigt Erath drastisch, wie sie als Preis für das beste Meistersingerlied zur Ware degradiert wird, bedrängt von den Meistersingern, zur Ehe gezwungen vom reichlich unbarmherzigen Vater Pogner (mit sonorer, mitunter forcierter Stimme: Andreas Bauer Karnabas). Mit jugendlich-dramatischem, drängenden Sopran wertet Magdalena Hinterdobler diese Eva grandios zur Hauptfigur auf. Ob es ihren Ritter Stolzing überhaupt gibt oder ob der vielleicht nur Einbildung ist, bleibt offen. Stimmlich aber hat AJ Glueckert mit strahlendem, höhensicherem Tenor durchaus das Zeug zum erfolgreichen Liebhaber. Die Regie streut vorsichtig Zweifel, indem sie ihn manchmal wie unsichtbar agieren lässt.

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Wen soll Eva denn nun heiraten - Stolzing (links) oder Sachs?

So muss dieser Sachs heftig mit sich ringen, ob er Evas eindeutige Angebote annimmt oder mit Rücksicht auf den Altersunterschied die Vernunft walten lässt. Im ihm ganz gleich gekleideten Lehrjungen David (mit hellem, agilem Tenor: Michael Porter) kann man den jungen Sachs erkennen. Auch das schon erwähnte Hochzeitsbild gibt ihm darüber hinaus eine greifbare Vergangenheit, die ihn prägt. Nimmt man die Spiegelung in Beckmesser hinzu, zeigt sich eine schillernde Figur im Zentrum der Inszenierung, weit über die üblichen Darstellungen hinausgehend. Nicholas Brownlee spielt das grandios aus und stemmt die Rolle mit großer, trompetenhafter Stimme, die er - wie die meisten anderen Sänger auch - häufiger zurücknehmen müsste. Gleichwohl: Imposant singt er schon, und den Wahn-Monolog im dritten Aufzug macht er zur beklemmenden Beschreibung der äußeren und inneren Situation. Das ist dann ganz großes Musiktheater.

Vergrößerung in neuem Fenster Was ist denn nun die wahre Populärkultur? Der Chor stellt kostümiert etliche Größen selbiger vor, während Beckmesser (Mitte) anerkennen muss, mit seinem misslungenen Lied nicht in dieses Schema zu passen. An der Leiter Eva und Sachs, links David und Magdalene.

Die von Sachs besungene Atmosphäre von Fliederduft sucht man vergebens in diesem Nachtstück. Wie so oft bei Johannes Erath und Kaspar Glarner ist schwarz die vorherrschende Farbe auf der Bühne. Geschwungene schwarze Wände umgeben die Bühne wie Brandmauern. Ob man darin die Ruinen des kriegszerstörten Nürnberg erahnen soll und ob in den Lichtbändern daran die ganz ähnlichen Lichtbänder an den Balkonen und Rängen im Zuschauerraum der Frankfurter Oper aufgegriffen werden, das bleibt unklar. Diese Wände wie auch ein straff gespanntes schwarzes Tuch, das immer wieder herabgelassen wird, sind über und über mit Kreide beschrieben, teilweise erkennt man mathematische und naturwissenschaftliche Symbole und Skizzen. Hier wird sicher auf die Kreidetafel angespielt, auf der Beckmesser die Fehler bei Stolzings Aufnahmeprüfung notiert, und vielleicht zeigt das den Versuch, die Welt zu ordnen. Die Uneindeutigkeit der Bilder ist kein Fehler, und sie setzt sich in den Kostümen fort. Im ersten Aufzug wirken die Meistersinger in karierten Anzügen (die Handwerker sieht man ihnen nicht an) noch ein wenig wie aus dem bürgerlichen Bilderbuch entsprungen, später tragen sie modernen Frack. Sie bekommen von der Regie durchaus individuelle, teils komödiantische Züge. Die genaue Charakterisierung der auftretenden Personen, auch bei Magdalene (souverän: Claudia Mahnke), macht diese Meistersinger dann ungeachtet der großen Tableaus Wagners zum bedrückenden Kammerspiel.

Mit dem guten Frankfurter Opern- und Museumsorchester findet Dirigent Sebastian Weigele einen elegant fließenden, vorwärtsdrängenden Tonfall, mit Gewicht, aber immer beweglich (schade, dass der sehr gute Chor und das Solistenensemble dabei doch zu häufig auf Kraft und Lautstärke setzen). Mit großer Selbstverständlichkeit gelingen ihm die Übergänge zwischen den Szenen wie etwa der (oft holprige) Anschluss der Festwiesenszene an die Schusterstube zuvor. Und obwohl er oft sehr genau auf den Text hin dirigiert, hält er die großen Spannungsbögen aufrecht.


FAZIT

Musikalisch hört man hier mit ein paar Abstrichen ziemlich aufregende und großformatige Meistersinger. Szenisch läuft eine spannende und vor allem in der Personenregie überzeugende Regie auf ein ziemlich bemühtes und letztendlich wenig überzeugendes Finale hinaus, das die Schwierigkeiten der Oper nicht in den Griff bekommt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sebastian Weigele

Regie
Johannes Erath

Bühne
Kaspar Glarner

Kostüme
Herbert Murauer

Licht
Joachim Klein

Video
Bibi Abel

Chor
Tilman Michael

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy



Statisterie der Oper Frankfurt

Chor der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern-
und Museumsorchester


Solisten

Hans Sachs
Nicholas Brownlee

Veit Pogner
Andreas Bauer Kanabas

Sixtus Beckmesser
Michael Nagy

Eva
Magdalena Hinterdobler

Magdalene
Claudia Mahnke

Walther von Stolzing
AJ Glueckert

David
Michael Porter

Fritz Kothner
Thomas Faulkner

Kunz Vogelgesang
Samuel Levine

Konrad Nachtigall
Barnaby Rea

Balthasar Zorn
Jonathan Abernethy

Ulrich Eisslinger
Hans-Jürgen Lazar

Augustin Moser
Andrew Bidlack

Hermann Ortel
Sebastian Geyer

Hans Schwarz
Anthony Robin Schneider

Hans Foltz
Božidar Smiljanič

Ein Nachtwächter
Franz Mayer

Lehrbuben
Maren Favela
Chiara Bäuml
Helene Feldbauer
Guénaelle Mörth
Tianji Lin
Carlos Andrés Cárdenas
Donát Havár
Istvan Balota
Kiduck Kwon
Johannes Lehner



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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