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Serse (Xerxes)

Dramma per musica in drei Akten
Libretto nach Niccolò Minato und Silvio Stampiglia
Musik von Georg Friedrich Händel


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Theater Detmold am 10. Februar 2023
(rezensierte Aufführung: 3. März 2023)


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Landestheater Detmold
(Homepage)
Die Schatten der Liebe

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

Ob Ombra mai fu nun "die wohl schönste Barockarie" ist, wie Regisseur Kay Link im Programmheft behauptet, sei dahingestellt; sicher ist sie eine der wirkmächstigsten Nummern Händels überhaupt. Als "Largo aus der Oper Xerxes" ist das Stück über Generationen an kaum einem Anfänger des Klavierspiels vorbeigegangen, hat in diversen Bearbeitungen die bürgerlichen Salons und kleinbürgerlichen Wohnstuben erobert - und war Bestandteil des ersten Radioprogramms mit Wort- und Tonbeiträgen überhaupt, ausgestrahlt an Weihnachten 1906. In einer pantomimischen Szene ganz am Beginn zeigt die Inszenierung den historischen Moment, in dem eine kleine ausgelassene Partyrunde vor dem Radio tanzt, bei Händels Musik aber plötzlich innehält. Das könnte schnell im Kitsch enden, könnte einmal mehr die Oper auf eben diese eine Arie reduzieren, aber die Szene bekommt im Nachhinein, dazu später mehr, programmatische Bedeutung. Für einen Augenblick ist die Welt, ist auch der mächtige Perserkönig Serse (so die italienische Form) mit sich im Reinen. Was freilich die Ausnahme bleibt.

Szenenfoto Serse

Trotz aller erotischen Ausschweifungen des in seinen Methoden nicht zimperlichen Herrschers gilt die musikalische Liebeserklärung Ombra mai fu gar keinem Menschen, sondern - einem Baum. Mit der untypischen Dramaturgie dieser Auftrittsarie gleich am Beginn der Oper charakterisiert Händel den Potentaten reichlich ambivalent, so agieren Herrscher eigentlich nicht, und gibt damit die Richtung auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und Tragödie vor. Kurz zur Handlung: Arsamene und Romilda sind ein Liebespaar, aber vor der glücklichen Hochzeit stehen zunächst die bösen Geschwister: Das ist auf der einen Seite Romildas intrigante Schwester Atalanta, die ebenfalls ein Auge auf Arsamene geworfen hat; auf der anderen Seite Arsamanes Bruder Serse, der aus einer Laune heraus Romilda begehrt und mit den brutalen Methoden eines absoluten Monarchen zum Ziel kommen möchte. Es entwickelt sich ein turbulentes Verwechslungsspiel, zu dem ein Diener in Frauenkleidern und Serses frühere Geliebte Amastre in Männeruniform nicht unerheblich beitragen. Und weil Händel zeitgeisttypisch fast alle Rollen für hohe Stimmen komponiert hat, der Serse von einem Kastraten, der Arsamene von einer Frau gesungen wird, ist die Oper aus heutiger Perspektive (zu einem Teil war das sicher zur Zeit der Uraufführung ähnlich) ein Spiel mit fluiden Geschlechterrollen.

Szenenfoto

Ungleiche Schwestern: Atalante (links) und Romilda

Hier setzt die Inszenierung von Kay Link an: Er erklärt die von Serse verlassene Amastre kurzerhand zum Mann, und in dieser homoerotischen Beziehung liegt eben das Glück, das Serse in Ombra mai fu besingt. Einen Baum gibt es nicht; Serse wickelt Amastre in eine riesige Gardine, mehr ein Schleier, ein, während er singt. Aber am Ende ist der Geliebte verschwunden wie ein flüchtiger Traum - da gelingt Link und Ausstatterin Olga von Wahl ein starker Moment auf fast leerer Bühne, der den Rahmen für das weitere Geschehen setzt. Serses Bemühungen um Romilda wirken danach wie der Versuch, seiner Rolle als Mann gerecht zu werden. Link versetzt dafür das Geschehen in ein Kunstmuseum der Gegenwart (mit einem Baumstamm, ironischer Verweis auf Serses Arie, als Ausstellungsstück), ohne allzu konkret zu werden. Das Handlungsgerüst bleibt gut erkennbar und hilft, die etwas wirre Geschichte nachzuvollziehen; die Kulisse dient in erster Linie zur Charakterisierung der Figuren. Man darf das vielleicht als Verweis darauf interpretieren, dass es um die Bilder geht, die wir uns auch von uns selbst machen, vor allem aber funktioniert diese Anordnung als Rahmen für ein sehr unterhaltsames und oft witziges Spiel mit Momenten der Ruhe und Kontemplation. Gegen Ende kippt die Stimmung und Link zeigt in rascher Folge (man ahnt mehr die Bildinhalte, als dass man sie wirklich sieht) Fotos aus Gefängnissen, wohl auch Opfer von Folter. Damit wird die Schattenseite der Komödie präsent. Ganz ausgewogen hält die Inszenieruing die Balance zwischen Lachen und Schrecken nicht, dazu überwiegen zu eindeutig die amüsanten Momente, aber insgesamt geht das Regiekonzept gut auf.

Szenenfoto Rivalisierende Brüder: Arsamene (links) und Serse

Absolut großartig gestaltet der auch szenisch ungeheuer agile Maayan Licht mit leuchtender, in den Koloraturen bestechend klarer und virtuos geführter Sopranstimme die Titelpartie und gibt einen rücksichtslos aggressiven, gleichzeitig aber auch verletzlichen Herrscher. Lotte Kortenhaus spielt und singt mit hoher Intensität den Arsamene, in historisierender Uniform sehr männlich im Auftreten. Die von den Brüdern Serse und Arsamene begehrte Romilda ist eine junge und sehr selbstbewusste Malerin oder Restauratorin, resolut im Auftreten und von Stephanie Hershaw mit jugendlichem, nicht zu kleinem Sopran hinreißend gesungen und gespielt. Ihre Schwester Atalanta erscheint als unterkühlte und an hoffnungsloser Selbstüberschätzung leidende Managerin mit Laptop (stimmlich und darstellerisch überzeugend: Penelope Kendros), bleibt aber eher Randfigur. Solide singt Zachary Wilson (kurzfristig für den erkrankten Irakli Atanelishvili eingesprungen) den Ariodate, General und Vater der Schwestern (der versehentlich Romilda mit Arsamene verheiratet und so das happy end herbeiführt). Dorothee Bienert gibt überzeugend den von Serse verschmähten Amastre, und Seungwon Lee legt als Diener Elviro in Frauenkleidern ein komödiantisches Kabinettstückchen hin. In diese beeindruckende Ensembleleistung fügt sich auch der Chor (Einstudierung: Francesco Damiani) nahtlos ein. Am Pult des sehr guten Orchesters vermeidet Chefdirigent Per-Otto Johansson die ganz harten Kontraste und dirigiert einen virtuosen, aber gleichzeitig entspannten und kammermusikalisch feinen Händel.

Szenenfoto

Staatsgeschäfte: General Ariodate (ganz links) und Serse geben eine Pressekonferenz

Nach allen (Ver-)Wirrungen besinnt sich Serse letztendlich doch wieder auf seinen Baum vom Beginn der Oper - und hier darf er, wenn eigentlich alles vorbei ist, noch einmal die besagte Arie Ombra mai fu singen (man hört Maayan Licht gerne noch einmal zu), und so schließt der Regisseur den Bogen zur Eingangsszene. "Nie war ein Schatten teurer und schöner", heißt es übersetzt. Am Ende bleibt Serse nicht mehr als ein Schatten; die glückliche Liebe lässt sich nicht zurückholen. Somit wird die Oper auch zum mit leichter Hand inszenierten Lehrstück über den Missbrauch von Gefühlen und die damit verlorenen Chancen. Aber vor allem sitzt man drei kurzweilige Stunden staunend in einer großartigen und in ihrer Dramaturgie verblüffend aktuellen Barockoper, die ganz gegenwärtig erscheint.


FAZIT

Eine musikalisch wie szenisch tolle Produktion, die unbedingt die Reise ins Lippische lohnt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Per-Otto Johansson

Inszenierung
Kay Link

Ausstattung
Olga von Wahl

Licht
Carsten-Alexander Lenauer

Maske
Kerstin Steinke

Choreinstudierung
Francesco Damiani

Dramaturgie
Elisabeth Wirtz



Chor des Landestheaters Detmold

Symphonisches Orchester des
Landestheaters Detmold


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Serse (Xerxes)
Maayan Licht

Arsamene
* Lotte Kortenhaus /
Zsófia Mózer

Amastre
Dorothee Bienert

Ariodate
Irakli Atanelishvili /
* Zachary Wilson

Romilda
Stephanie Hershaw

Atalante
Penelope Kendros

Elviro
Seungweon Lee



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Landestheater Detmold
(Homepage)



Da capo al Fine

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