Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Der Rosenkavalier

Komödie für Musik in drei Aufzügen
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss


In deutscher Sprache mit flämischen und französischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 40' (zwei Pausen)

Koproduktion mit der Litauischen Nationaloper Vilnius und dem Teatro Communale Bologna
Premiere in der Opera la Monnaie Brüssel am 30. Oktomber 2022
(rezensierte Aufführung: 5. November 2022)


Homepage

La Monnaie
(Homepage)
Winterkunstmärchenlandschaft mit Feldmarschall

Von Stefan Schmöe / Fotos Matthias Baus

Es ist ein magisches Bild geworden: Ein weißer Raum voller riesiger Luftballons, die ganz, ganz langsam aufzusteigen scheinen, und dazwischen der Rosenkavalier, der die silberne Rose überreicht. Ein Bild, das ohne Wiener Barock und Neobarock auskommt, das nicht in der Zeit verhaftet ist, das kühle Modernität und doch unglaublich viel Poesie ausspricht. Der Raum schwebt über der Erde, ist in die Wand direkt hinter einem schmalen Streifen an der Rampe eingelassen wie eine Theaterbühne (mit Vorhang). Sophie, die angehende Braut, steht unten, und damit wird auch die Dramaturgie dieses im wahrsten Sinne traumhaften Duetts deutlich. Hier werden zwei Menschen überwältigt durch den Zauber des Moments (und weniger durch Liebe auf den ersten Blick). Und dieser Moment endet. Wie eben alles im Leben seine Zeit hat.


Foto kommt später

Regisseur Damiano Michieletto (im Verbund mit Bühnenbildner Paolo Fantin, Kostümbildner Agostino Cavalca und Lichtdesigner Alessandro Carletti) spielt ein zeitloses Spiel mit Zeichen und Symbolen, und es dreht sich um das Festhalten und Verlieren des Augenblicks. Der schwebende Raum, ein Theater auf dem Theater, verdoppelt in manchen Szenen dieses Bild noch einmal: Dann sieht man in diesem schwebenden Theater-Raum wieder eine Wand mit einem genauso eingelassenen Theaterraum. Man sieht mehrfache Staffelung, als schaue man in einander gegenüberliegende Spiegel, die das Bild ins Unendliche vervielfachen, und das führt weg von der Realität zu archetypischen Momenten. Was real bleibt, ist das Spiel der Hauptfiguren, insbesondere der Marschallin: Eine (wie es dem Librettisten Hugo von Hofmannsthal vorschwebte) noch sehr junge Frau, die schmerzlich das Altern spürt, die hier aber auch eine kurze Geschichte bekommt. Pantomimisch werden ihre Begegnungen mit einem lieblosen, hochdekorierten Herrn gezeigt, offenbar dem Herrn Feldmarschall, der im Schlafzimmer aber keinerlei Interesse an seiner attraktiven Frau zeigt. Im Grunde braucht es diese Figur, die gelegentlich den Text geistert, gar nicht, und das ist ein Schwachpunkt in Michielettis Regie: Dass er manchmal zu viel will und die Szene überlädt, insbesondere wenn es von der Musik ablenkt. Und es wird ganz stark, wenn er sich auf die surreal anmutenden Bilder verlässt, die sich einer Eindeutigkeit entziehen.

Foto kommt später

"Manchmal steh' ich auf mitten in der Nacht und lass die Uhren alle, alle stehn": Monolog der Marschallin mit gestaffelten Erinnerungsmomenten

"Ja, such' Dir den Schnee vom vergangenen Jahr", singt die Marschallin in ihrem Monolog am Ende des ersten Aktes. Sie wird nachfolgend versuchen, den Schnee aufzufangen - und wird ihn als Wasser später auskippen: Die Zeit lässt sich nicht einfangen. Die Nähe zum Kitsch ist dem Rosenkavalier quasi eingeschrieben, das spürt man auch in dieser Inszenierung, die an eben diese Grenze geht und sie hin und wieder auch überschreitet, in den entscheidenden Momenten aber große Kraft entwickelt. Die Geschichte wird dabei in Ansätzen erzählt; genug, um sie zu verstehen, aber fast ohne Zeitkolorit. Die Lakaien und auch das Intrigantenpaar Annina/Valzacchi werden slapstickhaft dargestellt, viele Nebenfiguren sind nur angedeutet oder ganz gestrichen. Dadurch gehen die Genreszenen verloren, die Audienzstunde bei der Marschallin im ersten wie die Vorstadtkneipentristesse des letzten Akts. Das ist bedauerlich, weil Hofmannsthal und Strauss diese Szenen liebevoll (und mit den Walzern des letzten Aktes musikdramaturgisch wichtig) ausgestaltet haben; es bewahrt aber auch vor den Peinlichkeiten des dritten Aufzugs mit den vermeintlichen Spukerscheinungen, die den dummdreisten Baron Ochs auf Lerchenau verschrecken sollen. Hier sind es schwarze Rabenvögel, die herabgelassen und hereingelassen werden. Sie kontrastieren den Schnee, der immer stärker zum Symbol wird und damit auch eine Zweideutigkeit erhält: Reinheit auf der einen, Unwirklichkeit (und auch Kälte) auf der anderen Seite.

Foto kommt später

Überreichung der silbernen Rose

Michieletto führt eine neue Figur ein - oder deutet, wenn man so will, den kindlichen Diener Mohamed um: Einen kleinwüchsigen Mann, der wie ein Regisseur die Szenen arrangiert. Auch das unterstreicht die Künstlichkeit, die es dann aber erlaubt, auf die Befindlichkeiten der Personen zu Fokussieren und das Allgemeingültige daran herauszustellen. Dafür hat er Darstellerinnen, die perfekt passen: Julia Kleiter singt und spielt eine noch jugendlich anmutende, attraktive Marschallin mit lyrischem, leichtem Sopran, sehr genau in der Ausgestaltung. Ein wenig fehlt ihr stimmlich das aristokratische Moment, das sie von den anderen abhebt. Liv Redpath ist eine sehr hübsche, kindlich anmutende Sophie mit leuchtender Stimme und spielt mit aufreizender Mädchenhaftigkeit. Julie Boulianne bleibt als burschikoser Octavian im Vergleich zu den beiden eine Spur zu unscheinbar (wobei die auf die Marschallin konzentrierte Regie es dieser Figur auch schwer macht), singt aber tadellos. Martin Winkler balanciert den Ochs stimmlich und szenisch gut zwischen komischer aristokratischer Würde und derbem Schwank aus. Nüchtern und stimmlich recht angestrengt gestaltet Dietrich Henschel einen Faninal vom Typ "pensionierter Oberstudienrat". Sabine Hogrefe beeindruckt als stimmgewaltige Leitmetzerin (liebestoll dem Ochs verfallen), Yves Saelens als Valzacchi und Carole Wilson sind ein komödiantisch überzeugendes, stimmlich eher blasses Intrigantenpaar. Juan Franciso Gatell steuert einen sehr ordentlichen italienischen Sänger bei.

Foto kommt später

Finale mit Octavian und Sophie in Winterlandschaft sowie Marschall und Marschallin im Schlafzimmer

Das Orchester der Brüsseler Oper präsentiert sich in allen drei instrumentalen Vorspielen ziemlich schwerfällig, da dauert es viel zu lange, bis die Musik in Gang kommt und die erforderliche Präzision erreicht ist. Dabei ist Dirigent Alain Altinoglu auf einen großen, emphatischen Ton aus (der aber die Strauss'sche Kontrapunktik auch einfangen müsste). Bei den Celestatupfern zur Rosenübergabe oder der Walzerfolge im letzten Akt bleibt er ziemlich streng im Tempo. Das ist insgesamt solide, wobei der ganz große Klangzauber ausbleibt. Schön gelingt das sehr breit angelegte Schlussterzett, bei dem im Einklang mit der Szene die Zeit anhält und es ein letztes großes Winterbild gibt: Sophie steht in verschneiter Landschaft, die Marschallin davor auf dem Boden der Realität, und Octavian muss sich für eine dieser Welten entscheiden. Er wählt den Traum. Auf das erneute Erscheinen des freudlosen Feldmarschalls hätte man gerne verzichtet.

FAZIT

Nicht in jedem Punkt geht Michielettis Konzept auf, aber die Regie entfaltet einige große Bilder, die man so schnell nicht vergessen wird - jedenfalls ein Rosenkavalier der besseren Art auf musikalisch gutem Niveau.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alain Altinoglu

Inszenierung
Damiano Michieletto

Bühne
Paolo Fantin

Kostüme
Agosto Cavalca

Licht
Alessandro Carletti

künstlerische Mitarbeit
Eleonora Gravagnola

Chor
Christoph Heil

Dramaturgie
Elisa Zahinetto



Chor der Oper La Monnaie

Orchester der Oper La Monnaie


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg
Sally Matthews /
* Julia Kleiter

Baron Ochs auf Lerchenau
Matthew Rose /
*Martin Winkler

Octavian
Michèle Loisier /
* Julie Boulianne

Herr von Faninal
Dietrich Henschel

Sophie
Ilse Eerens /
* Liv Redpath

Jungfer Marianne Leitmetzerin
Sabine Hogrefe

Valzacchi
Yves Saelens

Annina
Carole Wilson

Ein Polizeikommissar / Ein Notar
Alexander Vassiliev

Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin /
Der Haushofmeister bei Faninal
Maxime Melnik

Wirt
Denzil Delaere

Ein Sänger
Juan Francisco Gatelli

Drei adelige Waisen
Annelies Kerstens
Marta Beretta
Marie Virot

Eine Modistin
Lisa Willems

Ein Tierhändler
Alain-Pierre Wingelinckx


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
La Monnaie
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -