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Asrael

Legenda in vier Akten
Libretto von Ferdinando Fontana
Musik von Alberto Franchetti


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 16. Oktober 2022


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Theater Bonn
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Krankenschwesternhimmel und Soldatenhölle

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu und Hans Jörg Michel

Ein ordentlicher Junge läuft nicht mit Engelsflügelchen herum. Ein ordentlicher Junge stählt seinen Körper mit Kniebeugen und Liegestützen. Mit der Vater-Sohn-Beziehung, die wir zum Vorspiel zur Oper Asrael auf der Bühne erleben, steht es nicht zum Besten. Eine Parallele zur Biographie des Komponisten Alberto Franchetti lässt sich darin allerdings schwerlich erkennen, immerhin war es dessen Vater Raimondo, ein schwerreicher Bankier, der 1888 die Uraufführung dieses Werkes im Teatro Municipale in Reggio Emilia auf eigene Kosten ermöglichte. (Was sich nach dem Sensationserfolg als gute Investition erwies, denn als Reaktion darauf nahm das mächtige Verlagshaus Ricordi den 27-jährigen Alberto unter Vertrag.) Um die Wende zum 20. Jahrhundert herum noch an großen Bühnen gespielt, ist Asrael irgendwann von den Spielplänen verschwunden. Angesichts der schwerverdaulichen Handlung wie des musikalischen Bombasts ist das durchaus nachvollziehbar. Die Bonner Oper wagt trotzdem einen Wiederbelebungsversuch im Rahmen des ambitionierten Projekts Fokus '33 - Forschungsreise zu den Ursachen von verschwinden und Verbleiben, begleitet von einem sorgfältig editierten, ausführlichen Programmbuch.

Vergrößerung in neuem Fenster Lucifer und Asrael - in dieser Inszenierung Vater und Sohn (Foto © Thilo Beu)

Jetzt also Asrael von Alberto Franchetti (1860 - 1942). Zur Handlung: Die Engel Asrael und Nefta sind im Himmel einander in Liebe zugetan, aber beim Aufstand Lucifers gerät Asrael durch üble Intrigen in dessen Bann, richtet sich aber in seinem Leben auf der Seite des Bösen irgendwie ein und wird von Gott verdammt. Das passiert, bevor die Oper einsetzt, in der er dann ein Jahr auf Erden wandeln darf (um den Preis, eine Seele aus dem Himmel für Lucifer zu gewinnen), während Nefta umgekehrt ein Jahr auf Erden zugestanden wird, um Asrael wieder für den Himmel zu gewinnen. Das gelingt nach einigen Wirrungen, wobei Asrael zunächst die männermordende Prinzessin Lidoria bezwingt (die gegenüber Puccinis späterer Turandot ein Ausbund an Harmlosigkeit bleibt), die Ehe zu ihr aber ausschlägt und sich mit der geheimnisvollen Zigeunerin Loretta liiert. Kommentiert wird das von imposanten Chören in Himmel und Hölle (ganz großartig: Chor und Extrachor der Oper Bonn, klangprächtig mit großem Ton, betörend schön auch in den leisen Passagen). Der germanophile Franchetti treibt auf die Spitze (und überzieht), was er vom Faust und auch vom Parsifal kannte: Die katholisch-religiöse Apotheose auf dem Theater als größtmögliche theatrale Steigerung. Respektive Kitsch.

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Ziemlich komplizierte Familienaufstellung: Rechts Asrael und Nefta in jungen Jahren, links der gealterte Lucifer-Vater nebst Lidoria (mit Brille) und Loretta (Foto © Hans-Jörg Michel)

Darauf will Regisseur Christopher Alden sich nicht so ohne Weiteres einlassen, und daher konstruiert er ein bürgerliches Drama um die Geschichte herum, das auf einer weiteren Ebene die Schrecken des Weltkriegs vorweg nimmt. Beides, das sei schon gesagt, kann er weder aus der Oper selbst noch aus der Entstehung und Rezeption überzeugend ableiten, und das macht die Angelegenheit doch einigermaßen problematisch und lässt manche an sich ganz originelle Idee in der Luft hängen. Die Kulisse ist eine großbürgerliche Villa am Ende des 19. Jahrhunderts mit deutlichen Zeichen des Verfalls und angedeutetem Dachstuhl. Die Szenen in der Hölle spielen im Keller, die im Himmel auf dem Dachboden, der Erde Rücken ist dementsprechend der vielseitig nutzbare Salon (Bühne: Charles Edwards). In solchen Arrangements zeigt sich, dass Alden das Pathos des Werks mit sanfter Ironie unterlaufen möchte, was aber nur in Ansätzen gelingt. Aus Asrael und Nefta wird in diesem Ambiente ein schöngeistiges Geschwisterpaar, mit den schon erwähnten Engelsflügeln aus der militanten Zeit gefallen. Der Vater strebt mit Pickelhaube und reichsdeutscher Flagge dem Wilhelminismus nach, treibt die kunstsinnige Mutter in den mit Schockeffekt inszenierten Selbstmord und nimmt fortan die Rolle von Lucifer ein, der seinen Sohn zur Kriegstauglichkeit ertüchtigt. Nefta steigt indes vom Himmel herab als Rotkreuz-Krankenschwester. Und aus den beiden anderen Frauenfiguren werden auch gleich Geschwister dieses Paares: Die heiratsunwillige Prinzessin Lidoria mutiert dabei ganz lustig zur politisch aktiven Frauenrechtlerin (Tamara Gura mit hübscher, aber zu leichter Stimme kann die Figur vokal zu wenig profilieren), die Zigeunerin Loretta zur Malerin (Kathuna Mikaberidze gibt ihr auch stimmlich großes Format).

Vergrößerung in neuem Fenster Und noch ein Familienbild: (von links) Lidoria, Loretta und Asrael, vorne Rot-Kreuz-Schwester Nefta, in der Türe rechts Vater Lucifer und die eigentlich schon verstorbene Mutter die es in der Oper gar nicht gibt, aber die gesamte Großfamilie ist sowieso ein Konstrukt der Regie (Foto © Thilo Beu)

Das knirscht an allen Ecken und Enden, weil Text und Musik eben doch sehr viel von erotischer Liebe sprechen und nicht von innerfamiliärer Zu- oder Abneigung. Und wenn Asrael und Nefta am Ende den dahinsiechenden Vater sterben lassen, um am Totenbett wieder zueinander zu finden, ist das nur von einer sehr weit vom Stück entfernten Warte, die alle Details aus dem Blickfeld verliert, irgendwie plausibel, bei genauerem Blick aber ziemlich hilflos gegenüber einem Werk, das permanent das Größte und Höchste einfordert. Gleichzeitig lässt Alden sein Personal derart bedeutungsschwer über die Bühne schlurfen, dass der Kitsch der Oper durch neuen Kitsch der Inszenierung ersetzt wird, der die Angelegenheit keineswegs besser macht. Nur komplizierter. Was dem Werk auch wieder nicht gut tut.

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Der Vater stirbt, die Geschwister Asrael und Nefta finden endlich zusammen (Foto © Thilo Beu)

Dabei können einzelne Szenen immer wieder musikalisch fesseln. Peter Auty singt die sehr anspruchsvolle Partie des Asrael mit kräftigem, in der oberen Lage glanzvollem, in höchster Lage allerdings verblassendem Tenor, und nicht jede Passage sitzt gleich gut. Svetlana Kasyan ist eine jugendlich strahlende, manchmal etwas ungenaue, aber mühelos aufjubelnde Nefta. Und Pavel Kudinov gibt einen boshaft-düsteren, markigen Lucifer. Nicht nur der Chor, auch das hervorragend disponierte Beethoven-Orchester leistet Außerordentliches, wobei immer wieder Trompeten auf den Balkonen oder auf den Fluren postiert sind, der Chor über weite Strecken vom Rang (der sich im Bonner Theater ganz demokratisch ins Parkett hinunter zieht) aus singt, sodass ein fulminanter Rundum-Klang entsteht. Dirigent Hermes Helfricht leitet die Klangmassen souverän, gesteht der Musik ihre Klangsinnlichkeit zu, ohne sich im Pathos zu verlieren. Vielleicht müsste der Zugriff manchmal strenger sein, aber an Opulenz bleibt er der Partitur nichts schuldig. Dass der Komponist damit arg verschwenderisch umgegangen ist und sein Publikum mit der versuchten Synthese aus Wagners Musikdrama und der italienischen Oper auf Dauer mehr erschöpft als beglückt, ist die Kehrseite.


FAZIT

Musikalisch eine Großtat, die freilich die Schwächen der Oper nicht immer überspielen kann - was der bemühten und allzu konstruierten Regie gar nicht gelingt.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hermes Helfricht

Inszenierung
Christopher Alden

Bühne
Charles Edwards

Kostüme
Sue Wilmington

Licht
Jorge Delgadillo

Choreographie
Tim Claydon

Chor
Marco Medved

Dramaturgie
Andreas K. W. Meyer


Statisterie des
Theater Bonn

Chor und Extrachor des
Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Asrael
Peter Auty

Nefta
Svetlana Kasyan

Loretta
Khatuna Mikaberidze

Lidoria
Tamara Gura

Il padre / Lucifero / Re di Brabante
Pavel Kudinov



Weitere
Informationen

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