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Eine ganz veristische Geschichte Von
Thomas Molke /
Fotos: © Bettina Stöß Zazà (Dušica Bijelić, Mitte rechts) lässt sich als Star feiern (Mitte von links nach rechts: Courtois (Andrei Skliarenko), Milio (Nenad Čiča), Bussy (Todd Boyce), Duclou (Moon Soo Park) und Cascart (Avgueniy Alexiev)). Floriana (hier: Cornelie Isenbürger, auf der linken Seite) schaut mit den anderen Artistinnen neidisch zu. Erzählt wird die Geschichte der Varieté-Sängerin Zazà, die sich in den Geschäftsmann Milio Dufresne verliebt. Was mit einer Wette um einen Flirt beginnt, entwickelt sich zu einer großen Liebe, so dass Milio eine geplante Reise nach Amerika immer wieder auf Bitten Zazàs verschiebt. Während Zazà auf ein bürgerliches Leben als Ehefrau und Mutter hofft, ist Milio allerdings bereits in Paris verheiratet. Als Zazà Milios Gattin mit dessen Untreue konfrontieren will, trifft sie im Haus der Familie Dufresne auf die kleine Tochter Totò, die in Zazà Erinnerungen an ihre eigene Kindheit weckt. Zazàs Mutter Anaide war, als Zazà noch ein Baby war, von ihrem Mann verlassen worden, und musste sich und ihr Kind mehr schlecht als recht durchbringen, wobei sie ihre Probleme immer mehr im Alkohol ertränkte. Zazà selbst wuchs dadurch in der Gosse auf und hatte lediglich das Glück, von Cascart als Sängerin entdeckt zu werden. Ein vergleichbares Schicksal möchte Zazà Totò ersparen und verlässt das Haus, ohne Madame Dufresne mit der Affäre ihres Gatten zu konfrontieren. Zurück im Varieté will sie sich endgültig von Milio trennen. Als dieser ihr weiterhin seine Liebe beteuert, erzählt sie ihm, seine Familie in Paris aufgesucht und seiner Frau von ihrer Liaison erzählt zu haben. Milio verliert die Fassung und beschimpft Zazà aufs Äußerste. Als Zazà ihm schließlich die Wahrheit gesteht, bereut er zwar sein Verhalten, aber Zazà hat nun endlich die Kraft, die Beziehung zu beenden. Zazà (Dušica Bijelić) träumt von einem gemeinsamen Leben mit Milio (Nenad Čiča). Das Regie-Team um Nadja Loschky siedelt die Geschichte im Zirkus-Milieu an, um für ein heutiges Publikum den Kontrast zwischen der heimatlosen Artisten-Truppe und einem bürgerlichen familiären Leben deutlicher hervorzuheben, als dies vielleicht bei einem Varieté möglich wäre. Manuel La Casta und Irina Spreckelmeyer zaubern dabei mit der Bühne und den Kostümen eine Welt, die einerseits den Glanz und die Faszination ausdrückt, die die Welt des Zirkus auf das Publikum ausübt, andererseits aber auch die harte Arbeit der Künstlerinnen und Künstler zeigt, die dieser Spaß für die Künstlerinnen und Künstler mit sich bringt. So sieht man das strahlende Zirkuszelt nur im Hintergrund der Bühne und im Zentrum einen kargen Vorplatz, auf dem die Artist*innen hart trainieren. Und da gelingt ihnen wie ihm wirklichen Leben nicht immer alles. Ein Clown probt seine Kunststücke und scheitert bisweilen bei dem Versuch. Zwei Tänzer arbeiten an ihrer Darbietung, scheinen mit dem Ergebnis aber nicht wirklich zufrieden zu sein, und auch die Künstlerin im Bärenkostüm zeigt Anzeichen von Erschöpfung. Bei diesem ganzen Trubel verliert man im ersten Akt fast die eigentliche Handlung aus den Augen. Unklar bleibt, was die beiden dem ersten und dritten Akt vorangestellten Monologe sollen, die Loschky einer bärtigen Artistin in den Mund legt. Sie werden zwar eindrucksvoll vorgetragen, bringen die Handlung aber nicht wirklich weiter und haben somit nur ein retardierendes Moment. Zazà (Dušica Bijelić) erkennt durch Totò (Mira Balci), dass es für sie und Milio keine gemeinsame Zukunft geben wird. Dass in diesem bunten Gewimmel trotzdem die Aufmerksamkeit auf die Titelfigur gelenkt wird, ist der überbordenden Bühnenpräsenz von Dušica Bijelić geschuldet. Sie macht als Zazà nicht nur darstellerisch und optisch deutlich, wieso ihr die Männerherzen zufliegen, sondern punktet auch noch mit verführerischem, kraftvollem Sopran. Neidvoll muss da Floriana, der ehemalige Star des Zirkus, anerkennen, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Lou Denès macht diesen Frust und die Enttäuschung mit spitzen Tönen deutlich. Nicht ganz zufällig dürfte auch Milios Ehefrau Madame Dufresne mit der gleichen Interpretin besetzt sein. So wird sie auch in Liebesdingen zur Gegenspielerin Zazàs, die als Madame Dufresne allerdings den Sieg davonträgt, was jedoch vor allem der kleinen Tochter Totò zu verdanken ist, die von Mira Balci absolut reizend gespielt wird. Der von ihr gesprochene italienische Text hat eine naive Herzlichkeit, die nachvollziehbar macht, wieso Zazà diese "heile Welt" nicht zerstören kann. Wie sich diese Welt optisch von Zazàs Realität unterscheidet, macht La Casta eindrucksvoll im Bühnenbild des zweiten und dritten Aktes deutlich. Ein karges Zimmer mit einer grauen Rückwand und zwei hässlichen Türen deutet die ärmlichen Verhältnisse an, in denen Zazà ihr Dasein fristet, aus dem sie durch Milio zu entkommen hofft. Im dritten Akt sind diese Türen mit edlen Holzrahmen vertäfelt. Zwei Stühle, ein Tisch und ein Klavier in einem dahinter angedeuteten Raum haben den Raum in die bürgerliche Welt Milios verwandelt, die er keinesfalls für Zazà aufzugeben bereit ist. Anaide (Enkeleida Shkoza) und Cascart (Evgueniy Alexiev) überlegen, wie sie Zazà helfen können. Musiziert wird auf hohem Niveau. Dabei bietet die durchkomponierte Form kaum Möglichkeiten für Zwischenapplaus, auch wenn einzelne Personen dies an mehreren Stellen versuchen. Ganz im Stil des Verismo verzichtet Leoncavallos Musik auf große Arien und nähert den Gesang dem gesprochenen Text zwischen den einzelnen Figuren an. Nur an wenigen Stellen wird dieses Prinzip durchbrochen, beispielsweise zu Beginn des dritten Aktes, wenn Milio kurz vor der Abreise mit seinen Gefühlen für Zazà kämpft. Hier hat Leoncavallo mit "Mai più Zazà" eine Nummer komponiert, die durchaus das Zeug hätte, auch in Galakonzerten präsentiert zu werden. Nenad Čiča begeistert als Milio hier mit sauber angesetzten Höhen und kraftvoll fließendem Tenor. Auch in den Duetten mit Bijelić punktet er mit lyrischem Strahlen. Die Auseinandersetzung der beiden im vierten Akt kann musikalisch genauso als Höhepunkt des Abends bezeichnet werden wie ihr Flirt im ersten Akt, aus dem sich die scheinbar große Liebe entwickelt. Enkeleida Shkoza, die die Partie der Anaide schon bei der Wiederentdeckung des Werkes am Theater an der Wien 2020 interpretiert hat, begeistert auch in Bielefeld durch einen satten Mezzosopran und intensives Spiel. Evgueniy Alexiev und Todd Boyce punkten als Cascart und Bussy mit profundem Bariton und komödiantischem Spiel, leiden dabei aber durchaus mit Zazà, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Cascart ist mittlerweile eine Art väterlicher Freund geworden, während Bussy selbst Gefühle für Zazà hegt. Mayan Goldenfeld aus dem Bielefelder Studio überzeugt als Zazàs Vertraute mit intensiver Mimik. Anne Hinrichsen führt die Bielefelder Philharmoniker mit sicherer Hand durch die Partitur, die die einzelnen Stationen der Handlung klanglich wunderbar einfängt. Wenn Zazà am Ende dann mit "Tutto è finito" das Ende der Oper und ihrer Beziehung zu Milio einläutet, fühlt man sich fast ein bisschen an Pagliacci erinnert. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass es keine Toten gibt. FAZIT Das Theater Bielefeld zeigt in einer überzeugenden
Inszenierung, dass es bei Leoncavallo mehr als nur Pagliacci zu
entdecken gibt, auch wenn die Handlung von Zazà vielleicht nicht dem
entspricht, was man von "großer Oper" erwartet. |
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Choreographie Licht Dramaturgie
Bielefelder Philharmoniker Bielefelder Opernchor
Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Zazà Milio Dufresne Cascart Bussy Natalia Floriana / Madame Dufresne Courtois / Marco Duclou Totò Dufresne Augusto Ein Herr Claretta Simona Zirkuskünstler*innen
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