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Musiktheater
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Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 45' (zwei Pausen)

Premiere am 23. Oktober 2021 im Opernhaus Leipzig

Aufführung im Rahmen der Festtage "Wagner 2022" am 3. Juli 2022

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Oper Leipzig
(Homepage)

Sag', Walter, wie hältst Du's mit der Demokratie?

Von Stefan Schmöe / Fotos: Kisten Nijhoff

Richard Wagners Meistersinger-Nürnberg ist eine utopische Künstler-Demokratie, für die letztendlich weniger die historische Reichsstadt Modell gestanden haben dürfte als die Stadtstaaten der griechischen Antike, Keimzellen der europäischen Demokratie. Das antike Theater als der Ort, an dem politische Fragen künstlerisch verhandelt wurden, dient daher durchaus passend als Grundelement für die Inszenierung von David Pountney, die im Oktober 2021 herausgekommen ist und damit den zweitjüngsten Beitrag zu den Festtagen "Wagner 22", der Aufführung aller dreizehn Opern Richard Wagners, liefert. Auf den halbkreisförmig ansteigenden Stufen (Bühnenbild: Leslie Travers) lassen sich zudem prima Chor und Zusatzchor (klangvoll, in der Prügelfuge im zweiten Aufzug nicht präzise genug) postieren. Und die mit liebevoll genauer Personenführung ziemlich brav dem Libretto folgende Regie ist immer als Theater auf dem Theater erkennbar.

Szenenfoto Nürnberg (mit Stolzing) als Modell innerhalb des antiken Theaters: Beginn des ersten Aufzugs

Alt-Nürnberg gibt es auch, als komprimiertes Modell in Holz. Jedenfalls im ersten Akt; im dritten, nach der nächtlichen Prügelei zwischen gespenstischen Gestalten in den Reichsfarben schwarz, weiß und rot, sieht man auf dem Dach der anheimelnd historisierenden Schusterstube ein Modell des kriegszerstörten Nürnberg. Pountney bringt die fatale Wirkungsgeschichte der Meistersinger in Erinnerung, freilich so dezent, dass darüber hinwegsehen kann, wer sich eine unbelastete Inszenierung wünscht. Dazu tragen die Meistersinger einigermaßen historisierende Kostüme (Marie Jeanne Lecca) - und Barette, wie Richard Wagner ja auch gerne eines getragen hat. Und wenn in der antiken Idealvorstellung der Philosoph an der Spitze des Staates stand, war das in Wagners Übertragung der Künstler und idealerweise gleich er selbst. Lauter Wagners also als höchste kulturelle und moralische Instanz: Pountney inszeniert nicht nur hier mit mancher ironischen Spitze.

Szenenfoto

Beckmesser

Im Finale auf der Festwiese ist das zerstörte Nürnberg weggeräumt, dafür steht jetzt der Berliner Reichstag auf der Bühne, in Holz, aber mit der schlanken Kuppel Norman Fosters aus dem Jahr 1999 - also in der gegenwärtigen Form. Hans sachs' finales Hohelied auf die Deutsche Kunst, die in Krisenzeiten die Nation zusammenhalten mag, wird folglich umgedeutet in eines auf unsere aktuelle Demokratie, und der forsche Walther von Stolzing muss sich zuvor entscheiden, ob er dieses Gebäudemodell als Podium betritt, ob er also beim Wort genommen auf dem Boden der Demokratie sein Preislied singt, oder unpolitisch auf Teilhabe an der Meistersingerkultur dauerhaft verzichtet. Dem Briten David Pountney nimmt man diesen keineswegs unpathetischen Außenblick auf deutsche Befindlichkeiten ab. Wobei er auch das in der Schlusspointe ganz charmant noch einmal unterläuft, wenn im demonstrativ dick aufgetragenen allgemeinen Versöhnen a la "alle Menschen werden Brüder" (wobei Beckmesser fehlt) Eva dieses ganze Theater zu viel wird und sie fluchtartig die Bühne verlässt, allein. Der im Eilverfahren etablierte Neumeistersinger Stolzing hat mit der Verbürgerlichung umgehend seine Attraktivität verloren.

Szenenfoto Schusterstube, darüber das Modell des kriegszerstörten Nürnberg

In Beckmesser kann man insbesondere im ersten Aufzug einen jüdischen Gelehrten erkennen. Er ist auf jeden Fall der Außenseiter, auch der scharfsinnige Denker unter den eher bräsigen Meistersingern. Pountney lässt in der Schwebe, ob dieser Beckmesser an seiner künstlerischen Inkompetenz oder an der bösen Intrige scheitert. Damit umschifft die Regie die antisemitischen Klippen der Oper, ohne allzu konkret Stellung beziehen zu müssen, aber auch, ohne die Problematik gänzlich zu überspielen. Auch hier überlässt er die Auseinandersetzung mit dem üblen historischen Kontext dem Publikum. Pountney serviert sozusagen Denkanstöße als Beilage zum eher konventionellen Meistersinger-Menü. Das ist bei Weitem nicht so raffiniert wie Barrie Koskys Bayreuther Inszenierung, die Maßstäbe gesetzt hat, aber allemal stringenter und schlüssiger als Jossi Wielers brandneue Version an der Deutschen Oper Berlin.

Szenenfoto

Stolzing wird, vor dem Modell des Berliner Reichstags sitzend, zum Meistersinger ernannt

Musikalisch allerdings kann die Leipziger Oper an diesem Abend nicht mit der Berliner Konkurrenz mithalten (und auch nicht mit dem eigenen Tristan zwei Tage zuvor). James Rutherford gibt einen soliden, etwas altväterlichen Sachs, dem es in den entscheidenden Momenten etwas an Durchschlagskraft fehlt. Magnus Virilius singt den Stolzing mit hellem, etwas engem Tenor; vom Timbre würde das besser zur Figur des David passen; mit der auch vokal jugendlichen Erscheinung passt er immerhin gut in die Rolle des ziemlich unbedarften Newcomers, der noch viel lernen muss (dabei aber Kraft und Höhe für das Preislied durchaus besitzt). Als David sprang kurzfristig Dan Karlström mit leichtem Tenor für den erkrankten Matthias Stier ein und löste die Aufgabe ganz passabel. Grandios singt Matthias Hausmann einen stimmlich schlanken, sehr genau phrasierenden und ungemein präsenten Beckmesser. Elisabet Strid ist eine auch stimmlich attraktive, leicht entflammbare, gelegentlich etwas angestrengte Eva, Kathrin Göring eine verlässliche Magdalene. Recht unscharf bleibt der Pogner von Sebastian Pilgrim.

Der scheidende Intendant und Chefdirigent Ulf Schirmer gibt sich mit dem ausgezeichneten Gewandhausorchester detailverliebt, zeichnet die Motivik sorgfältig und eher kleinteilig nach, immer eng auf den Text bezogen. Konnte man eine Woche zuvor in Berlin unter der Leitung von John Fiore eine elegant strömende Interpretation hören, so liefert Schirmer den erdverbundenen, handfesten Gegenentwurf - Schirmers Meistersinger sind eben doch Handwerker, bei deren Motiv jeder Ton einen Akzent erhält, bei denen dadurch auch schnell latent der Marschrhythmus mitklingt (was die Regie im Festwiesen-Finale dann auch konkret aufgreift). Auch wenn diese Interpretation in sich stimmig ist: Ein wenig mehr Sommernachtszauber, auch ein wenig fließendere Tempi täten den Meistersingern dann doch gut.


FAZIT

David Pountneys amüsante und publikumsfreundliche Inszenierung liefert die Schattenseiten des Werkes quasi als Fußnote, das ist nicht der schlechteste Ansatz und allemal repertoire- und festtagstauglich. Musikalisch nicht auf allerhöchstem Niveau, aber doch recht ordentlich.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ulf Schirmer

Inszenierung
David Pountney

Bühne
Leslie Travers

Kostüme
Marie Jeanne Lecca

Choreographie
Denni Sayers

Licht
Fabrice Kenour

Chor
Thomas Eitler - de Lint

Dramaturgie
Hella Bartnig

Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig

Gewandhausorchester Leipzig

Solisten

Eva
Elisabet Strid

Magdalene
Kathrin Göring

Hans Sachs
James Rutherford

Veit Pogner
Sebastian Pilgrim

Kunz Vogelgesang
Sven Hjörleifsson

Konrad Nachtigall
Marek Reichert

Sixtus Beckmesser
Mathias Hausmann

Fritz Kothner
Tobias Schabel

Balthasar Zorn
Patrick Vogel

Ulrich Eißlinger
Alvaro Zambrano

Augustin Moser
Paul Kaufmann

Hermann Ortel
Franz Xaver Schlecht

Hans Schwarz
Roman Astakhov

Hans Foltz
Jean-Baptiste Mouret

Walther von Stolzing
Magnus Vigilius

David
Dan Karlström

Nachtwächter
Sejong Chang



Weitere
Informationen

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(Homepage)



Da capo al Fine

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