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Musiktheater
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Carmen

Oper in vier Akten
Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach der Novelle von Prosper Mérimée
Musik von Georges Bizet

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 13. März 2022

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Musiktheater im Revier
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"Man wird zu Carmen erst gemacht"

Von Thomas Molke / Fotos:© Karl und Monika Forster

"Man wird als Frau doch nicht geboren, man wird zur Frau doch erst gemacht", heißt es in einem Chanson der großen italienischen Sängerin Milva. Diese Zeilen mag Rahel Thiel im Hinterkopf gehabt haben, als sie sich bei ihrer Beschäftigung mit Bizets berühmter Oper Carmen die Frage gestellt hat, wer diese Titelfigur eigentlich ist und was sie zu einem Mythos stilisiert. Dabei kommt Thiel zu folgendem Schluss: Es ist das Volk, das sich an dieser Femme fatale und ihrem Untergang ergötzt wie an einem Stierkampf in der Arena. So sieht man direkt zu Beginn der Ouvertüre, wie das Volk zunächst den Blick ins Publikum richtet und suchend umherblickt, bis man schließlich eine Frau in den eigenen Reihen entdeckt, die den Vorstellungen dieser Figur entspricht. Lina Hoffmann, auf die als Interpretin der Titelpartie die Wahl fällt, scheint davon zunächst nicht begeistert zu sein und wehrt sich. Doch sie fügt sich schließlich in ihr Schicksal, und so nimmt die Geschichte ihren Lauf.

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Carmen (Lina Hoffmann, Mitte) mit Zuniga (Philipp Kranjc, links), Morales (Oleh Lebedyev, rechts) und dem Opernchor

Dieter Richter verzichtet im Bühnenbild auf ein verkitschtes Spanien mit Postkartenflair und zeichnet ein recht veristisches Bild. Die Tabakfabrik, in der Carmen zu Beginn der Oper ihr Dasein fristet, ist ein kreisrunder Bau, der sich im vierten Akt in die Arena verwandelt, in der nicht nur der Stier zu Tode kommt. Eine Treppe im Bühnenboden führt hinab in die Taverne von Lillas Pastia, die als heruntergekommene Kaschemme unter der Bühne angesiedelt ist und für den zweiten Akt hochgefahren wird. Ein schäbiger Transporter wird auf die Bühne gefahren, mit dem die Schmuggler Remendado und Dancaïro ihre Waren transportieren. Diese bestehen größtenteils aus alten Farbeimern, in denen sich der Sand befindet, mit dem im letzten Akt die Arena bestreut wird. In diesem Ambiente folgt Thiel relativ librettonah der Geschichte. Auf die gesprochenen Dialoge, die bei der Uraufführung in der Opéra comique verwendet wurden und die für die spätere Fassung in Wien in Rezitative umgewandelt wurden, wird größtenteils verzichtet, so dass es einige nicht ganz glatte Übergänge gibt. Statt eines Kinderchors kommt nur die Kinderstatisterie zum Einsatz, während der Chor der Soldaten die Passagen des Kinderchors singt und die Kinder den Soldaten lediglich ihre Mützen stehlen. Ob es sich hierbei um eine Corona-Einschränkung handelt, kann nur gemutmaßt werden.

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Carmen (Lina Hoffmann, vorne) flirtet bei Lillas Pastia mit Zuniga (Philipp Kranjc, Mitte) (im Hintergrund von links: Frasquita (Dongmin Lee) und Mercédès (Anke Sieloff), rechts: Dancaïro (Adam Temple-Smith)).

Carmen scheint in Thiels Regie-Ansatz nicht die einzige Figur zu sein, die in ihre Rolle gedrängt wird. Auch Escamillo wirkt mit seiner Rolle als strahlender Torero nicht immer glücklich. Zwei Chordamen zwingen ihm stets einen grell pinkfarbenen Umhang auf, der zwar farblich zu seinen Strümpfen passt, bei einem Testosteron gesteuerten Helden der Stierkampfarena aber gewiss keinen großen Anklang finden dürfte. So versucht Escamillo zunächst wie Carmen, der ihm aufgezwungenen Rolle zu entfliehen, ergibt sich aber schließlich genau wie Carmen dem vorbestimmten Schicksal. Auch ihm wirft Carmen eine Blume zu, die ihn ähnlich willenlos macht wie Don José. Die von José besungene Blume wird von Carmen recht inflationär eingesetzt. So trägt sie unter ihrer Bluse zahlreiche weitere Blüten, die vielleicht noch zum Einsatz gekommen wären, wenn José ihrem Leben nicht ein Ende bereitet hätte. Dieses Ende findet dann in der Arena stellvertretend für den Stierkampf statt. Carmen deutet mit ihren Händen Hörner an, während sie in einem hautengen blutroten Lederrock die Arena betritt und das Volk auf den Rängen Platz nimmt, um aufgeregt dem Schauspiel zu folgen. In diesem Bild werden die Kostüme, für die Renée Listerdal verantwortlich zeichnet, opulenter und entsprechen einem recht klassischen Spanien-Bild. Selbst Micaëla tritt nun als Señorita im schwarzen Kleid auf, um dem Schauspiel zu folgen. Wenn Don José Carmen schließlich nach einer leidenschaftlichen Umarmung tötet und Carmen leblos zu Boden sinkt, wird ein erstochener Stier aus dem Schnürboden herabgelassen.

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Don José (Khanyiso Gwenxane) droht Carmen (Lina Hoffmann).

Die Partien sind allesamt mit Mitgliedern des Ensembles, des Opernstudios NRW und des Jungen Ensembles besetzt und stellen allesamt Rollen-Debüts dar. Besonders bei Lina Hoffmann ist hervorzuheben, welche Entwicklung sie in den vergangenen Jahren am Musiktheater im Revier durchlaufen hat. Mit dunkel timbriertem Mezzo glänzt sie stimmlich und darstellerisch in der Titelpartie. Mit großartiger Mimik arbeitet sie heraus, wie selbstbewusst diese Carmen ist und dass sie entschlossen ihrem Tod entgegengeht. Dies wird besonders in der Kartenszene mit Mercédès und Frasquita deutlich, wenn sie immer wieder den Tod zieht. In ihrer letzten Begegnung mit Don José in der Arena zeigt sie ihm die damaligen Karten und akzeptiert, dass es für sie kein Entkommen gibt. Sie muss sich ihrem Schicksal stellen. Das Spiel mit den Männern arbeitet Hoffmann verführerisch und lasziv heraus. Mit welcher Kälte sie Don José von sich stößt und ihn sogar verspottet, wenn Micaëla ihm von der sterbenden Mutter berichtet, wird von Hoffmann glaubhaft umgesetzt. Umso verführerischer wirkt sie bei der berühmten Habanera und der Seguidilla, bei der sie Don José davon überzeugt, sie fliehen zu lassen. Wenn sie sich bei Lillas Pastia zunächst Remendado und Dancaïro widersetzt, weil sie auf Don José warten will, stellt sie unter Beweis, dass diese Frau auch tiefe Gefühle hegen kann. Dass Don José ihre Verführungskünste jedoch zurückweist, wenn sie vom Zapfenstreich unterbrochen wird, kann sie nicht akzeptieren. Damit ist die Beziehung für sie vorbei, auch wenn José das nicht einsehen will.

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Carmen (Lina Hoffmann) erwartet in der Arena ihr Schicksal.

Khanyiso Gwenxane stattet den Don José mit tenoralem Schmelz in den Höhen aus. Darstellerisch überzeugt er sowohl als leidenschaftlich Liebender als auch als gewaltbereiter eifersüchtiger Mann, der in dieser Inszenierung nicht nur Carmen erdolcht, sondern auch noch seinen Vorgesetzten Zuniga erschießt, als dieser Carmen Avancen macht. Dass Escamillo seiner Kugel entgeht, ist weniger Carmen als vielmehr der Tatsache geschuldet, dass José sein Ziel verfehlt. Piotr Prochera überzeugt als Stierkämpfer Escamillo mit virilem Bariton. Aufhorchen lässt die junge Sopranistin Heejin Kim als Micaëla. Auch wenn sie optisch mit ihrem strengen Dutt und dem dunklen Kostüm eher an eine alte Gouvernante als an ein junges Mädchen erinnert, begeistert sie stimmlich mit kraftvollem Sopran. Im Duett mit Gwenxane im ersten Akt findet Kim zu einer bewegenden Innigkeit, und auch in ihrer großen Arie im dritten Akt, "Je dis que rien ne m'épouvante", glänzt sie mit strahlenden Höhen. Dongmin Lee und Anke Sieloff überzeugen als Zigeunerinnen Frasquita und Mercédès stimmlich und darstellerisch ebenso wie Tobias Glagau und Adam Temple-Smith als teilweise recht brutale Schmuggler Remendado und Dancaïro. Philipp Kranjc stattet Josés Vorgesetzten Zuniga mit dunklem Bass aus und scheint es zu genießen, José vor den anderen Soldaten zu demütigen. Von daher wirkt es durchaus motiviert, dass Don José seinen Vorgesetzten am Ende des zweiten Aktes erschießt. Der von Alexander Eberle einstudierte Opernchor begeistert nicht nur stimmlich als sensationslüsterner Masse, die den Kampf in der Arena anfeuert. Auch als streitende Zigeunerinnen, als Soldaten und als Schmuggler setzen die Damen und Herren des Chors darstellerisch Akzente. Die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Generalmusikdirektor Rasmus Baumann wirkt bei der Ouvertüre anfangs noch ein wenig holprig, was vielleicht einer gewissen Premierennervosität geschuldet ist. Im weiteren Verlauf findet sie aber einen packenden musikalischen Zugang. So gibt es für alle Beteiligten am Ende großen Applaus. Beim Regie-Team ist der Beifall nicht ganz so einheitlich. Ein paar Besucher*innen scheinen sich mit Thiels Konzept nicht anfreunden zu können.

FAZIT

Das Musiktheater im Revier kann Bizets Oper mit dem eigenen Ensemble ohne Gäste auf gutem Niveau besetzen. Die Regie bleibt der Vorlage relativ treu.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rasmus Baumann

Inszenierung
Rahel Thiel

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Renée Listerdal

Licht
Thomas Ratzinger

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Dramaturgie
Anna Chernomordik

 

Neue Philharmonie Westfalen

Opernchor des MiR

Statisterie und Kinderstatisterie
des MiR

 

Besetzung

*Premierenbesetzung

Carmen
Lina Hoffmann

Don José
Khanyiso Gwenxane

Micaëla
Heejin Kim

Escamillo
Petro Ostapenko /
*Piotr Prochera

Frasquita
*Dongmin Lee /
Scarlett Pulwey

Mercédès
Anke Sieloff

Remendado
Tobias Glagau

Dancaïro
Adam Temple-Smith

Morales
Yangchen Chen /
*Oleh Lebedyev

Zuniga
*Philipp Kranjc /
Demian Matushevskyi

Lillas Pastia
Georg Hansen

 

 


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