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Lucia di Lammermoor

Dramma tragico in zwei Teilen und drei Akten
Libretto von Salvadore Cammarano nach dem Roman The Bride of Lammermoor von Sir Walter Scott
Musik von Gaetano Donizetti

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Produktion der Semperoper Dresden

Premiere im Aalto-Theater Essen am 27. November 2021




Theater Essen
(Homepage)
Schauerromantik in dunkler Optik

Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Jung

"Der Vesuv raucht, und der Ausbruch steht nahe bevor." Mit diesen Worten beschrieb Gaetano Donizetti in einem Brief an einen Freund die Situation der königlichen Theater in Neapel im Juli 1835. Einige Tage später war das Teatro San Carlo, für das Donizetti in weniger als sechs Wochen seine neue Oper Lucia di Lammermoor komponiert und instrumentiert hatte, auch wirklich bankrott. Durch Intervention des Königs Ferdinand II. konnten die finanziellen Probleme mit einigen Umbesetzungen in der Direktion dann aber doch überbrückt werden, so dass das Stück am 26. September 1835 eine triumphale Uraufführung erlebte und sehr schnell zu einer der weltweit beliebtesten Opern des 19. Jahrhunderts avancierte. Allerdings musste die ursprünglich für Lucias Wahnsinnsszene als Begleitung vorgesehene Glasharmonika aus Kostengründen durch eine Flöte ersetzt werden, die sich anschließend im Repertoire etablierte. Erst als in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts der ursprüngliche Notentext herausgegeben wurde, konnte die von Donizetti geplante Fassung mit Glasharmonika rekonstruiert werden und kommt seit der Aufführung 1991 in München unter Michel Plasson an den Opernhäusern  immer häufiger zum Einsatz, so auch in Essen.

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Lucia (Hila Fahima) und Edgardo (Carlos Cardoso) schwören sich ewige Treue.

Die Geschichte basiert auf dem 1819 veröffentlichen historischen Roman The Bride of Lammermoor von Sir Walter Scott und spielt kurz nach der Glorious Revolution von 1688/1689 in Schottland. Die Ravenswoods haben nach der Absetzung des schottischen Königs ihren Besitz an den verfeindeten Clan der Ashtons verloren, die der neuen Regierung ihren Aufstieg zu verdanken haben. Edgardo Ravenswood ist als letzter Überlebender seiner Familie an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt und hat sich in Lucia, die Tochter der Ashtons verliebt, als er ihr am Wald das Leben gerettet hat. Da die Ashtons wegen der politischen Unruhen allerdings ebenfalls in einer finanziellen Krise stecken, soll Lucia mit dem reichen Lord Arturo Bucklaw vermählt werden. Als Lucias Bruder Enrico von ihrer heimlichen Beziehung zu dem Erzfeind erfährt, setzt er alles daran, Edgardo in Ungnade fallen zu lassen. Briefe werden abgefangen und gefälscht, und Lucia willigt schließlich unter Zwang in die Ehe mit Arturo ein. Als Edgardo, der nach Frankreich gereist war, um seine finanziellen Verhältnisse zu regeln, bei der Hochzeit auftaucht und seine Geliebte als Braut eines anderen vorfindet, beschuldigt er sie der Untreue. Lucia verfällt dem Wahnsinn und tötet ihren Gemahl im Hochzeitsbett. Edgardo und Enrico beschließen, sich zu duellieren. Als Edgardo am vereinbarten Treffpunkt für das Duell erscheint, erfährt er jedoch, dass Lucia soeben gestorben ist, und wählt den Freitod.

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Enrico (Ivan Krutikov, links) und Raimondo (Baurzhan Anderzhanov, Mitte) zwingen Lucia (Hila Fahima), den Ehevertrag mit Arturo zu unterschreiben.

Das Regie-Team um Dietrich W. Hilsdorf wählt für die Inszenierung zwar keinen naturalistischen, aber einen der Schauerromantik trotzdem entsprechenden düsteren Ansatz. Johannes Leiacker schafft einen dunklen schwarzen Raum, der sich im Verlauf der ersten Bilder weiter öffnet und dadurch noch gespenstischer wirkt. Die Kostüme von Gesine Völlm sind in Schwarz gehalten und fangen optisch die Atmosphäre einer Gothic Novel ein. In ihrem weißen Hochzeitskleid bietet Lucia bei der erzwungenen Hochzeit einen Gegensatz, der ihre Isolation in dieser Gesellschaft unterstreicht. Durch diese Schwarz-Weiß-Optik wird das blutige Ende natürlich noch stärker hervorgehoben, weil der riesige rote Blutfleck auf Lucias Hochzeitskleid nach dem Mord an Arturo, der in einem Bett, das die ganze Zeit auf der Bühne steht, unter einer weißen Decke blutüberströmt bei Raimondos Bericht über Lucias Mord "enthüllt" wird, einen farblichen Kontrast, der das Grauen der Geschichte unterstreicht. Auch Edgardo legt am Ende der Oper kurz vor seinem Freitod seine schwarze Jacke ab, damit auf dem weißen Hemd das rot fließende Blut besser zur Geltung kommt, wenn er sich das Schwert an die Kehle setzt. Der Sturm wird durch das Flackern der weißen Neonröhren, die an den Wänden rings um die Bühne angebracht sind, Unheil verkündend umgesetzt.

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Lucia (Hila Fahima) hat Arturo (Dmitry Ivanchey) in der Hochzeitsnacht ermordet.

Hilsdorf baut einige Regie-Einfälle ein, die sicherlich diskutabel sind. Um den familiären Druck auf Lucia zu erhöhen, wandelt er Lucias Erzieher Raimondo und ihre Zofe Alisa ebenfalls in Familienmitglieder um. Raimondo ist ein weiterer Bruder Lucias, der sie ebenso in die Ehe mit Arturo drängen will wie Enrico, sich dabei allerdings scheinbar nicht wohl in seiner Haut fühlt. Alisa ist Lucias zu Beginn der Oper verstorbene Mutter, die als Geist im zweiten Bild dem auf einem Tisch aufgebahrten Sarg entsteigt und gemeinsam mit Lucia an einem Brunnen, der hier durch eine schwarze runde Klappe im Bühnenboden dargestellt wird, auf Edgardos Ankunft wartet und Lucias Erzählungen lauscht. In Scotts Roman ist es wohl Lucias noch lebende Mutter, die die hauptsächliche Drahtzieherin bei der erzwungenen Ehe Lucias mit Arturo ist. Diese Idee ist aber auf die Oper nicht wirklich übertragbar, da im gesungenen Text der Zofe nicht erkenntlich wird, dass sie Lucias Verhalten missbilligt. Da hilft auch Heike Grötzingers eisiger Blick als Alisa nichts. Aus Scotts Roman übernimmt Hilsdorf auch drei alte Frauen, die Ravenswood bei seiner Rückkehr mit einem Lächeln begrüßen, das ihn an die Hexen aus Shakespeares Macbeth denken lässt. Bei Hilsdorf sind es dann drei Hexen, die während der Ouvertüre vor den Vorhang treten, während in den Übertiteln der Anfang aus Shakespeares Macbeth zu lesen ist, und anschließend den Vorhang herunterreißen und das grausige Spiel beginnen lassen. Der Souffleusenkasten ist dabei als eine Art Sarg getarnt und trägt die Aufschrift "Mors certa, hora incerta" (Der Tod ist gewiss, die Stunde ungewiss), die gewissermaßen als Motto über der Inszenierung steht.

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Enrico (Ivan Krutikov, links) und Edgardo (Carlos Cardoso, rechts) wollen sich duellieren.

Was den Umgang mit dem Opernchor und der Statisterie betrifft, stellt Hilsdorf mal wieder unter Beweis, dass er es versteht, große Massenszenen auf der Bühne zu inszenieren. Hier steht niemand nur herum, sondern jeder wird ins Spiel mit einbezogen. So haben einzelne Statisten in der großen Hochzeitsszene ihre eigene kleine Geschichte, die parallel zur eigentlichen Handlung abläuft. Mit einer gewissen Komik wird auch mit dem blutverschmierten Tuch gespielt, das Lucia nach dem Mord an Arturo fallen lässt und das einzelne Choristen auf der Feier derart stört, dass sie es möglichst unbemerkt unter das Bett schieben. Dass der Chor und die Statisten in der Schauerszene teilweise recht amüsiert wirken, passt zu einer schaurigen, fratzenhaften Gesellschaft, in der das Unglück seinen Lauf nimmt. Musikalisch punktet der von Jens Bingert einstudierte Chor durch große Homogenität und präzisen Einsatz. Das gilt auch für den dritten Akt, wenn Edgardo auf das Duell mit Enrico wartet und der Chor im oberen Rang positioniert ist, um den Tod Lucias quasi "von oben" zu verkünden. Giuseppe Finzi führt die Essener Philharmoniker mit forscher Hand durch die Partitur und trumpft an einigen Stellen allzu kräftig auf, was den Solist*innen einiges abverlangt.

Die Hauptpartien sind hochkarätig besetzt. Für die Titelpartie hat man die israelische Sopranistin Hila Fahima als Gast engagiert. Fahima glänzt mit dramatischem und höhensicherem Sopran und braucht den Vergleich mit berühmten Interpretinnen dieser Partie keineswegs zu scheuen. Schon in ihrer ersten großen Arie, "Regnava il silenzio", wenn sie ihrer Dienerin Alisa die Geschichte von der erstochenen Frau erzählt, die ihr immer wieder als Geist erscheint, begeistert Fahima mit zart angesetzten Spitzentönen, die den fragilen Charakter der Figur unterstreichen. Auch die Wahnsinnsarie wird im Zusammenspiel mit der Glasharmonika bewegend umgesetzt. Der seltsam hohle Klang, der durch die Vibration des Glases erzeugt wird, spiegelt mit Fahimas Interpretation wunderbar den entrückten Gemütszustand Lucias wider. Ihre Koloraturen präsentiert sie dabei glasklar, im wahrsten Sinne des Wortes. Auch szenisch überzeugt Fahima auf ganzer Linie. Im ersten Bild ist sie bereits die ganze Zeit präsent, wenn der Offizier Normanno ihrem Bruder von den heimlichen Treffen Lucias mit dem Unbekannten auf Schloss Ravenswood erzählt. Die dominante mit Waffen ausgestattete Jagdgesellschaft macht dabei deutlich, dass Lucia nur ein Spielball in männlichem Machtdenken ist. Die beiden Tenorpartien sind mit Ensemble-Mitgliedern ebenfalls großartig besetzt. Carlos Cardoso stattet Lucias Geliebten Edgardo Ravenswood mit kräftigen Höhen aus und überzeugt als leidenschaftlich Liebender. Vor allem in seiner Schlussarie "Tu che a Dio spiegasti l'ali" lässt er tenoralen Glanz verströmen. Im großen Liebesduett mit Fahima finden die beiden darstellerisch und stimmlich zu einer bewegenden Innigkeit. Dmitry Ivanchey präsentiert sich in der unliebsamen Rolle des Arturo ebenfalls sehr höhensicher.

In den weiteren Partien lässt vor allem Baurzhan Anderzhanov als Raimondo aufhorchen. Mit profundem Bass und intensivem Spiel gestaltet er den - bei Hilsdorf - zweiten Bruder Lucias. Ein musikalischer Höhepunkt des Abends ist seine Schilderung des Mordes an Arturo. Ivan Krutikov verfügt als Enrico über einen kräftigen Bariton, der beim Racheschwur im ersten Akt allerdings in den Höhen an seine Grenzen stößt. Heike Grötzinger klingt als Lady Alisa Ashton bisweilen etwas scharf, und auch Rainer Maria Röhr forciert als Normanno bei seinem Bericht im ersten Akt sehr stark. Das große Sextett "Chi mi frena in tal momento", wenn Edgardo in Lucias Hochzeit mit Arturo platzt und sie der Untreue beschuldigt, kann als weiterer musikalischer Glanzpunkt des Abends bezeichnet werden, der vom Publikum mit großem Beifall bedacht wird.

FAZIT

Alles in allem ein musikalisch und szenisch gelungener Abend, bei dem Belcanto-Fans auf ihre Kosten kommen


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giuseppe Finzi

Inszenierung
Dietrich W. Hilsdorf

Bühne
Johannes Leiacker

Kostüme
Gesine Völlm

Licht
Fabio Antoci

Choreinstudierung
Jens Bingert

Dramaturgie
Juliane Schunke (Dresden)
Christian Schröder (Essen)

 

Essener Philharmoniker

Glasharmonika
Philipp Marguerre

Soloharfe
Gabriele Bamberger

Opernchor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters

 

Solisten

Lord Enrico Ashton
Ivan Krutikov

Lucia Ashton
Hila Fahima

Sir Edgardo di Ravenswood
Carlos Cardoso

Lord Arturo Bucklaw
Dmitry Ivanchey

Raimondo Ashton
Baurzhan Anderzhanov

Lady Alisa Ashton
Heike Grötzinger

Normanno
Rainer Maria Röhr

 



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