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Katja Kabanowa

Oper in drei Akten
Text von Leoš Janáček nach dem Schauspiel Das Gewitter (1921) von Alexander N. Ostrowski
Musik von Leoš Janáček


in tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca 1h 40' (keine Pause)

Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève
Premiere am 5. März 2022 im Theater Duisburg


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Rheinoper
(Homepage)
Mehr Liebe wagen?

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then-Friedrich

Zu Beginn beherrscht die Wolga das Bild. Sie fließt hinter den großen Fenstern, durch die man aus dem in einfachem Holz vertäfelten Bühnenraum (Henrik Ahr), mehr eine große Kiste als Wohnraum, in die Weite schauen kann. Jedenfalls am Anfang der Oper. Das ändert sich bald; schnell wird der schräg ansteigende Raum zum Ausdruck von Enge, und indem er sich nach hinten perspektivisch verjüngt, deutet er Ausweglosigkeit ebenso an wie das Fehlen von Alternativen. Robert Carsen hatte einst in Antwerpen (die Produktion war auch in Köln zu sehen) die Wolga zum Hauptdarsteller der Oper gemacht, hatte die Bühne geflutet. Tatjana Gürbaca sperrt die Wolga aus. Mehr und mehr wird sie unsichtbar. Am Ende bleiben die Fenster schwarz.

Szenenfoto

Katja (rechts) und Schwiegermutter

Vielleicht hatte Tolstoi auf makabre Weise Recht, als er am Anfang von Anna Karenina befand, alle glücklichen Familien seien einander ähnlich (und nur die unglücklichen auf eigene Weise unglücklich). Vielleicht ist das, was eine Familie nach außen hin als glücklich, oder besser: als funktional erscheinen lässt, das eigentliche Unglück. Regisseurin Tatjana Gürbaca zeigt während des Monologs der Titelheldin im dritten Akt unmittelbar vor ihrem Selbstmord in der Wolga eine Familie, deren immer gleiche Handlungen in einer Dauerschleife in ihrem mechanischen Funktionieren zu Zwangshandlungen werden. Da mag vorher viel von Liebe die Rede sein, von der Gattenliebe wie der Mutterliebe, aber diese Liebe ist zur Phrase degeneriert, und Raum dafür gibt es nicht. Es wäre zu einfach, das will die Inszenierung wohl sagen, das auf überholte gesellschaftliche Konventionen zu schieben. Katja Kabanova gibt ihrer verhassten und durchaus bösartigen Schwiegermutter einen heißen Kuss, für alle ziemlich verwirrend. Eine Provokation, auf verschiedenen Ebenen. Echte Leidenschaft ist in diesem Familienmodell wohl nicht vorgesehen.

Szenenfoto

Katja (rechts) und Varvara

Ehebruch in einer kleinbürgerlichen Gesellschaft - Katja Kabanova droht ja schnell zum folkloristischen Genre-Stück aus dem 19. Jahrhundert zu werden, zumal Janáčeks im Detail sehr genaue Musikdramaturgie die Regie oft bindet. Tatjana Gürbaca findet geschickt einen Weg, gerade so viel von den sozialen Bedingungen zu erzählen, wie für das Funktionieren der Geschichte erforderlich ist, und doch den Konflikt exemplarisch herauszuarbeiten. Daher ist das Werk trotz des in Russland angesiedelten Sujets auch in diesen Kriegstagen unbedenklich (anders im benachbarten Essen, wo die geplante Ballettpremiere Drei Schwestern von Valery Panov nach Tschechow, uraufgeführt 1984, wegen des romantisierenden Blicks auf Russland abgesagt wurde.) Der Bühnenraum ist eben alles andere als realistisch, und was wir sehen, ist in erster Linie ein zeitloses und nicht ortsgebundenes Familiendrama - die Dienstbotinnen Glascha und Fekluscha könnten auch die kleinen Schwestern von Tichon sein, dem unbeholfenen Ehemann Katjas, der sich nicht von seiner übermächtigen Mutter, der Kabanicha (stimmlich sehr präsent: Eva Urbanová), emanzipieren kann. Matthias Klink singt diesen Tichon mit expressivem Tenor, gibt ihm Format als einem Zerrissenen, der es eigentlich seiner Mutter wie seiner Gattin recht machen möchte, doch die Verhältnisse sind nun mal nicht so: Ein Rebell ist er nicht und fügt sich. Liebhaber Boris ist aber wahrlich keine ernst zu nehmende Alternative. Der Regie ist er nicht einmal ein Kostüm wert, und der sehr ordentlich und höhensicher singende Daniel Frank kann einem schon leidtun, wie er in Alltagskleidung auf der Bühne zum Mann ohne Eigenschaften degradiert wird. Wie auch der Lehrer Kudrjasch (souverän: Cornel Frey) hier eher als Wichtigtuer auftritt denn als Erneuerer; er wird dandyhafter Teil dieser Familie.

Szenenfoto

Katja (rechts) und Varvara

Sylvia Hamvasi singt die Katja mit leidenschaftlichem Impetus; ihr schöner Sopran dürfte dafür allerdings größer sein. So schiebt sich eine andere Figur ins Zentrum, der auch die Sympathien der Regie gehören: Varvara, die Pflegetochter im Hause Kabanov, die Katja zur Affäre mit Boris überredet und dafür den Schlüssel zum Gartentor (und damit zur zeitweiligen Freiheit) "ausleiht", die selbst ein Verhältnis mit Kudrjasch beginnt und am Ende aus eigener Kraft die Familie verlässt - in dieser Inszenierung ohne Kudrjasch, der wie Boris austauschbar ist. Anna Harvey gestaltet die Figur mit jugendlichem, strahlendem Sopran, der den von Sylvia Hamvasi übertönt. Sie verkörpert das optimistische Modell: Ausbruch ist möglich, und das weicht deutlich von der konventionellen (und der Operntradition verhafteten) Lesart ab, wonach Varvara die leichtfüßige, aber eben auch oberflächliche, Katja dagegen die tiefsinnige und daher tragische Frauengestalt ist. Katjas Selbstmord in der Wolga ist in Janáčeks naturreligiös geprägtem Kosmos eine Vereinigung mit der Natur, aber Tatjana Gürbaca lässt große Zweifel, ob das eine Lösung sein kann; die Wolga ist nicht mehr zu sehen. Katja springt in die Dunkelheit. Den unsichtbaren Chor, der (hier ausgesprochen klangschön singend) von Janáček als akustisches Ausdrucksmittel für den Fluss verwendet wird, muss die mit großen Symbolbildern arbeitende Regie dafür freilich ebenso ignorieren wie Janáčeks musikalische Kleinteiligkeit, die auf rasche Bildwechsel setzt.

Szenenfoto

Katja (rechts) und Liebhaber Boris

Die Rheinoper war in den Wochen vor der Premiere arg gebeutelt von Corona-Infektionen (die Premiere von Offenbachs Orpheus in der Unterwelt musste mehrfach verschoben werden), sicher auch mit Konsequenzen für diese Produktion. Jedenfalls fehlt es den Duisburger Philharmonikern unter der Leitung von Axel Kober noch ein wenig an Präzision und Selbstverständlichkeit. Kober nimmt das Orchester sängerfreundlich zurück und die Klangbalance ist sehr gut. Der Klang ist moderat aufgeraut, die Musik ist in der Moderne, weniger in der Spätromantik verortet, aber auch das lässt sich sicher noch schärfen.


FAZIT

Düstere Familienaufstellung: Die konzentrierte und genaue Regie meidet Folklore und zeigt sich skeptisch gegenüber romantisierenden Erlösungsgedanken. Damit ist vieles, aber sicher nicht alles dieser Oper erfasst; sehenswert ist das allemal. Musikalisch ordentlich.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Regie
Tatjana Gürbaca

Bühne
Henrik Ahr

Kostüme
Barbara Drosihn

Licht
Stefan Bollinger

Chor
Gerhard Michalski

Dramaturgie
Heili Schwarz-Schütte
Bettina Auer



Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Duisburger Philharmoniker


Solisten

Katja Kabanova
Sylvia Hamvasi

Marfa Ignatjewitschewna Kabanova
Eva Urbanova

Tichon Iwanytsch Kabanov
Matthias Klink

Varvara
Anna Herzog

Sawjol Prokofjewitsch Dikoj
Sami Luttinen

Boris Grigorjewitsch
Daniel Frank

Wanda Kudrjasch
Cornel Frey

Kuligin
Roman Hoza

Glascha
Ekaterina Aleksandrova

Fekluscha
Luiza Bardan



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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