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Orpheus in der Unterwelt

Opéra-bouffon in zwei Akten (Mixed Version 1858 / 1874)
Libretto von Hector Crémieux und Ludovic Halévy
in deutscher Textfassung von Ludwig Kalisch mit Ergänzungen von Frank Harders-Wuthenow
Musik von Jacques Offenbach

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Partizipatives Projekt der Jungen Oper Dortmund mit dem Schulorchester des Heisenberg-Gymnasiums, einem Projektorchester und dem Universitätschor der TU Dortmund

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 5. Juni 2022
(rezensierte Aufführung: 06.06.2022)




Theater Dortmund
(Homepage)
Unterwelt im Online-Studio

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann (© Stage Picture)

Die Junge Oper Dortmund versucht nicht nur, mit einem speziell auf Jugendliche ausgerichteten Programm, junge Menschen für das Theater zu begeistern, sondern hat auch 2008 den Jugendopernclub Tortugas für Jugendliche ab 12 Jahren gegründet, die hier die Möglichkeit bekommen, in eigenen Produktionen Bühnenluft an der Oper Dortmund zu schnuppern. In der Vergangenheit sind dort mit der Unterstützung durch Profis des Theater Dortmund beeindruckende Produktionen auf die Bühne gebracht worden. Erinnert sei beispielsweise an die musikalische Revue Linie 1 in der im April 2018 neu eröffneten Spielstätte der Jungen Oper neben dem Schauspielhaus mit der eigens gegründeten Band "Orange Grooves" von der Musikschule Dortmund (siehe auch unsere Rezension) und natürlich an Andrew Lloyd Webbers Musical Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat auf der großen Bühne im Opernhaus, das unter Beteiligung des Märkischen Gymnasiums Iserlohn und der Musikschule Dortmund  im Juli 2019 seine umjubelte Premiere feierte (siehe auch unsere Rezension). Bedingt durch die Corona-Pandemie hat es nun drei Jahre gedauert, bis die Tortugas unter Leitung von Alexander Becker wieder eine große Produktion auf die Bühne im Opernhaus bringen können, und dieses Mal werden sie unterstützt von dem Nachwuchsclub, den Turtles, dem Schulorchester des Heisenberg-Gymnasiums, einem Projektorchester und dem Universitätschor der TU Dortmund.

Die Wahl ist auf Jacques Offenbachs unverwüstliche Operette Orpheus in der Unterwelt gefallen. Mit diesem eigentlich als Opéra-bouffon bezeichneten Werk eroberte Offenbach die Bühnen der ganzen Welt, nicht zuletzt durch den eingängigen "Galop infernal", der häufig auch als "Cancan" bezeichnet wird. Mit seinen beiden Librettisten Ludovic Halévy und Hector Crémieux bürstete er die mythologische Geschichte um den begnadeten thrakischen Sänger Orpheus, der seine verstorbene Gattin Eurydike aus der Unterwelt zurückholen will, sie auf dem Weg allerdings erneut verliert, weil er sich verbotener Weise nach ihr umdreht, gehörig gegen den Strich. 1858 schuf er zunächst eine zweiaktige Fassung, die er 1874 um zahlreiche musikalische Nummern erweiterte. In Dortmund verwendet man nun eine gemischte Version in einer deutschen Textfassung von Ludwig Kalisch, die mit Ergänzungen von Frank Harders-Wuthenow die Geschichte in die digital bestimmte Gegenwart holt. Die Götter sind hier Belegschaft eines Online-Studios, in dem Influencer ausgebildet und zu Stars aufgebaut werden. Die Unterwelt ist dabei lediglich der Name des Studios, in dem Pluto seinem Geschäft nachgeht und sich durch Eurydike steigende Klickzahlen erhofft. Die öffentliche Meinung, die sich in Beckers Inszenierung Aura M. nennt, ist eine Internetgröße, die sich mit mehreren Millionen Followern brüstet und nebenbei eine erfolgreiche Paartherapeutin ist. Deswegen muss sie einen Misserfolg in der Beziehung zwischen Orpheus und Eurydike um jeden Preis verhindern.

Anders als im Mythos sind die beiden nämlich schon einige Jahre verheiratet und haben sich auseinandergelebt. Orpheus denkt nur noch an seine Karriere als begnadeter Musiker und vergnügt sich lieber mit jungen Nymphen, während Eurydike ihr Leben als Hausfrau satt hat und ein Auge auf den geheimnisvollen Schäfer Aristeus geworfen hat, hinter dem sich niemand anderes als Pluto verbirgt. Becker geht in seiner Inszenierung noch einen Schritt weiter, und stellt Orpheus und Eurydike in der Ouvertüre schon als langjährige Sandkastenbeziehung vor. Wenn der Vorhang sich öffnet, sieht man Mitglieder der Turtles, die sich auf einem Spielplatz tummeln, während Orpheus als Kind mit Eurydike im Sandkasten sitzt. Sie ist in ein Magazin vertieft, während er von seinem Vater eine Geige geschenkt bekommt, mit der er allerdings gar nicht so recht klar kommt und auf die Hilfe der kleinen Eurydike angewiesen ist. Bei der Ouvertüre wird auf den Schlussteil, den "Galop infernal" verzichtet. Stattdessen tritt ein als Grisette gekleideter Tänzer vor der Ouvertüre vor den Vorhang und heizt dem Publikum mit jubelndem Kreischen und schwingenden Beinen unter dem gehobenen Rock gehörig ein. Dabei geht er auch in den Spagat. Das Publikum lässt sich von ihm anstecken und unterstützt ihn mit großem Jubel und Applaus. Im zweiten Bild wird dieser Auftritt dann wiederholt. Nach der Pause wird es in der Unterwelt Hans Styx dann jedoch zuviel und er setzt den hyperaktiven Tänzer mit Chloroform für einige Zeit außer Gefecht.

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Pluto (Lennart Pannek, Mitte) in seinem Reich (links neben ihm: Hans Styx (Georg Kirketerp), rechts und links: Ensemble)

Nachdem Eurydike und Orpheus als Erwachsene mit den Kindern den Platz im Sandkasten getauscht haben und dort ihre erste Paartherapiesitzung mit der öffentlichen Meinung nicht gerade von Erfolg gekrönt worden ist, stellt sich die öffentliche Meinung dem Publikum vor. Der Text ist nun völlig neu. Lina Förster begeistert hier mit großartiger Komik und exaltiertem Spiel. Lilli Schnabel, die bereits als Mädchen in Linie 1 zu erleben war, meistert Eurydikes Koloraturen in ihrer Auftrittsarie "Ein Weib, das Lieb' und Sehnsucht plagen" beachtlich. Auch Felix Kriewald ist als ihr Gatte Orpheus kein Unbekannter und vielen sicherlich noch als Pharao aus Joseph in guter Erinnerung geblieben. Im Streit-Duett "So ist's gemeint?" begeistert er vor allem dadurch, dass er auf der Bühne live die Geige spielt. Die Schlange, auf die Eurydike im Mythos tritt, ist in Beckers Inszenierung ein Stromkabel. Als Eurydike ihr Mobiltelefon aufladen will, bekommt sie einen Stromschlag und wird nun von Pluto in sein Reich entführt, das sich unter der Bühne befindet. Wenn der Bühnenboden hochgefahren wird, sieht man einen recht dunkles Studio, das mit zahlreichen Bildschirmen ausgestattet ist. In einer Videoprojektion flimmern Quallen über eine Wand. Es wird im weiteren Verlauf gut nachvollziehbar, dass Eurydike sich hier im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode langweilt. Lennart Pannek, der in Andrew Lloyd Webbers Musical in der Titelpartie zu erleben war, erinnert optisch ein wenig an den Joker aus Batman und stattet den Gott der Unterwelt mit einer weichen Musicalstimme aus.

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Jupiter (Jan Schebaum, vorne rechts) bittet seinen Bruder Pluto (Lennart Pannek, vorne links), ihn und die Götter (Ensemble) mit in die Unterwelt zu nehmen.

Im Olymp im zweiten Bild herrscht nun ein wesentlich bunteres Treiben. Vor unterschiedlichen Hintergründen posieren die einzelnen Götter und Göttinnen und lassen im Anschluss direkt ihre Likes und Klickzahlen kontrollieren. Neben den Figuren des Stückes werden zahlreiche weitere Rollen eingefügt. So sind es eigentlich die Bühnenarbeiter*innen und nicht die Götter, die gegen Jupiter revoltieren. Die Turtles kommen hier als Kinder von Jupiter und Juno zum Einsatz. Das passt zwar eigentlich nicht zur Mythologie, stört aber auch nicht weiter. Das große Finale vor der Pause mit dem Abmarsch in die Unterwelt wird dann vom Ensemble mit einer großen Polonaise und viel Spielfreude zelebriert. Nach der Pause zieht das Ensemble dann auch noch durch das Publikum, bevor schließlich alle in Plutos Reich landen. Was die Video-Projektionen von Malte Timmermann im Hintergrund sollen, die zahlreiche Menschen bei Shootings zeigen, erschließt sich nicht wirklich. Aber wir befinden uns halt in der Welt des Internet. Da geht es mehr um Schein als Sein. Unklar bleibt auch die Inszenierung des Fliegen-Duetts. Eurydike legt das Fliegenkostüm an, gewissermaßen als Casting, ob sie als Influencerin wirklich geeignet ist. Leider passt das gar nicht zur Musik, in der Jupiter Eurydike ja in Gestalt der Fliege erobert.

Neu ist auch die Deutung, dass Eurydike mit der ihr zugedachten Rolle als neuer Internet-Star gar nicht so glücklich zu sein scheint und eigentlich nichts dagegen hätte, mit Orpheus wieder in ihr altes Leben zurückzukehren. Auf dem Weg wirkt sie recht ängstlich und hilflos und wäre Orpheus sicherlich gefolgt. Dieser hätte sich wohl auch nicht umgedreht, wenn nicht ein weiteres Mitglied des Olymps gewissermaßen auf den Weg zwischen die beiden gefallen wäre. Nun scheint sich Orpheus weit mehr um den jungen Mann zu kümmern als um seine Gattin, die er nun für immer verloren hat. Die Bacchantin Eurydike soll nun am Ende Werbung für einen Energy-Drink mit dem Namen "Bacchus" machen. Auch hier wirkt sie eher verstört als erleichtert. Am Ende hat dann der als Grisette kostümierte Tänzer noch seinen großen Auftritt und führt alle in eine spritzige Choreographie für den "Galop infernal" ein. Nun erklingt auch endlich die Nummer, auf die viele sicherlich schon gewartet haben, und löst beim Publikum große Begeisterung aus. Das Ensemble punktet beim Tanz durch große Homogenität. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten. Auch die Leistung des Schulorchesters des Heisenberg-Gymnasiums und des Projektorchesters unter der musikalischen Leitung von Christoph JK Müller ist noch einmal hervorzuheben, da die musikalische Interpretation keine Wünsche offen lässt.

FAZIT

Die Verortung der mythologischen Geschichte in der Scheinwelt des Internet ist sicherlich Geschmacksache. Das Ensemble überzeugt aber durch große Spielfreude auf ganzer Linie.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph JK Müller

Regie
Alexander Becker

Choreographie
Jutta Maas

Bühne und Kostüme
Annika Haller

Licht
Stefan Schmidt

Videodesign
Malte Timmermann

Choreinstudierung
Heinke Kirzinger

Dramaturgie und Projektleitung
Zuzana Masaryk

 

Ensemble Tortugas

Ensemble Turtles

Universitätschor der TU  Dortmund

Schulorchester Heisenberg-Gymnasium

Projektorchester

 

Solistinnen und Solisten

Eurydike
Lilli Schnabel

Orpheus
Felix Kriewald

Pluto
Lennart Pannek

Öffentliche Meinung
Lina Förster

Jupiter
Jan Schebaum

Juno
Celina Sedlatschek

Hans Styx
Georg Kirketerp

Merkur
Christopher Brotzki

Diana
Lisa Pauli

Cupidor
Massimo Buonerba

Venus
Sarah Heckner

Minerva
Luisa Stevens

Mars
Maximilian Berns

 


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