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Musiktheater
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Frédégonde

Drame lyrique in fünf Akten
Libretto von Louis Gallet nach den historischen Erzählungen Récits des temps mérovingiens von Augustin Thierry (1840)
Musik von Ernest Guiraud und Camille Saint-Saëns in Zusammenarbeit mit Paul Dukas

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 20. November 2021




Theater Dortmund
(Homepage)
Französische Geschichtsstunde als Schachpartie

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann (© Stage Picture)

Camille Saint-Saëns ist heutzutage vor allem noch als Komponist der Suite Karneval der Tiere (Le Carnaval des animaux) und der Oper Samson et Dalila bekannt. Sein restliches Opernschaffen ist größtenteils dem Vergessen anheim gefallen. Ähnliches gilt für seinen Kollegen Ernest Guiraud, der nur als Vervollständiger von Jacques Offenbachs Les Contes d'Hoffmann und die komponierten Rezitative zu George Bizets Carmen in Erinnerung geblieben ist. Die Oper Dortmund bringt nun eine Oper zur deutschen Erstaufführung, zu der beide Komponisten - wenn auch nicht zusammen, dafür aber nacheinander - die Musik geschaffen haben und an der zusätzlich auch noch Paul Dukas beteiligt war: Frédégonde. Louis Gallet hatte das Textbuch ursprünglich seinem Freund Saint-Saëns zur Vertonung angeboten, der jedoch kein Interesse daran zeigte. Guiraud hingegen fand den Stoff äußerst spannend und sah in der Vertonung auch eine willkommene Abwechslung zu seiner Tätigkeit des Unterrichtens. Allerdings konnte er bis zu seinem Tod im Mai 1892 nur die ersten drei Akte bearbeiten, zu denen die vollständige Orchestrierung noch fehlte. Aus Verbundenheit zu seinem Freund beschloss Saint-Saëns, das begonnene Werk zu vollenden,  komponierte die restlichen drei Akte, die er gemeinsam mit Gallet zu zwei Akten umformte, und fügte außerdem noch drei Ballette ein. Die Orchestrierung der hinterlassenen ersten drei Akte übernahm Paul Dukas, ein Schüler Guirauds.

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Kampf zwischen zwei Königinnen: Frédégonde (Hyona Kim (hinten) und Brunhilda (Anna Sohn, vorne)

Erzählt wird eine Geschichte aus der blutrünstigen Epoche der Merowinger, über die es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere Bühnenstücke gab und die im Gedächtnis der Franzosen auch heute noch sehr präsent ist, da in diese Zeit die frühen Ursprünge der französischen Nation fallen. Im 6. Jahrhundert herrschten Sigebert I. über das östliche Reich Austrasien und sein Halbbruder Chilperich I. (Hilpéric) über das westliche Reich Neustrien. Da es zwischen den beiden immer wieder Auseinandersetzungen gab, verbündete sich Sigebert mit dem westgotischen König Athanagild und heiratete dessen Tochter Brunichild (Brunhilda). Im Gegenzug warb Hilpéric um Brunhildas Schwester Galswinth und verstieß seine Gattin Audovera. Galswinth fiel aber wenige Jahre später einem Anschlag zum Opfer, für den Hilpéric und seine Geliebte Fredegunda (Frédégonde) verantwortlich gemacht wurden. Als Hilpéric kurz darauf auch noch Frédégonde heiratete, begann ein Bürgerkrieg. An dieser Stelle setzt die Opernhandlung ein. Sigebert ist bereits in den kriegerischen Auseinandersetzungen gefallen, doch Brunhilda hofft immer noch, die neustrischen Truppen besiegen zu können. Als ihr berichtet wird, dass Hilpéric und Frédégonde gefangen genommen worden sind, triumphiert sie zunächst, muss aber bald erkennen, dass die Gefangennahme eine Falschinformation war. Brunhilda wird entmachtet und soll von Mérowig, Hilpérics Sohn aus erster Ehe, nach Rouen in ein Kloster gebracht werden. Auf dem Weg verlieben sich die beiden ineinander und heiraten. Frédégonde fordert ihren Mann auf, seinen Sohn für dessen Untreue zu verstoßen und stattdessen ihren eigenen Söhnen den Thron zuzusprechen. Mérowig und Brunhilda haben mittlerweile Zuflucht und Schutz im Kloster gesucht. Im Vertrauen auf den Gerechtigkeitssinn seines Vaters stellt sich Mérowig dem Urteil seines Vaters. Als nicht zuletzt beeinflusst durch Frédégondes Drohungen eine lebenslange Verbannung für Mérowig ausgesprochen wird, begeht er zu Frédégondes Füßen Selbstmord.

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Brunhilda (Anna Sohn) und Hilpérics Sohn aus erster Ehe, Mérowig (Sergey Romanovsky), gestehen sich ihre Liebe.

Da die ursprünglich für Mai 2020 geplante Premiere dieser Produktion der Corona-Pandemie zum Opfer fiel und lange Zeit nicht klar war, wie sich das ursprüngliche Regie-Konzept im weiteren Verlauf der Pandemie umsetzen ließe, beschloss das Regie-Team um Marie-Eve Signeyrole die Geschichte als Film zu drehen, der dann wie in Stummfilmzeiten mit Live-Orchester, Chor und Solist*innen im Konzerthaus zur Aufführung gebracht werden sollte. Die Filmaufnahmen konnten zwar im Frühjahr 2021unter Beteiligung von Laurent La Rosa in den Innenräumen und im Park des Wasserschlosses Bodelschwingh in Dortmund abgeschlossen werden. Die Aufführung im Konzerthaus war aber nicht möglich, da die zu dieser Zeit geltenden Abstandsregeln im Chor und Orchester nicht hätten eingehalten werden können. Folglich musste das Projekt erneut verschoben werden. Für die Premiere im Opernhaus ist das Konzept noch einmal überarbeitet worden, und Signeyrole hat sich nun für eine Kombination von Film und Szene auf der Bühne entschieden. Der Opernchor ist im Parkett positioniert, so dass für das Publikum nur die beiden Ränge zur Verfügung stehen. Die Dortmunder Philharmoniker sitzen auf der Bühne, und die Solist*innen spielen auf dem hochgefahrenen Orchestergraben zwischen Orchester und Chor. Dahinter sieht man auf einer riesige Leinwand den Film, bei dem die gesungenen Texte als Untertitel eingeblendet werden.

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Mérowig (Sergey Romanvsky, mit Frédégonde (Hyona Kim)) begeht Selbstmord (im Hintergrund rechts: Brunhilda (Anna Sohn) und Landéric (Demian Matushevskyi)).

Im Zentrum stehen die beiden Königinnen, die die kriegerischen Auseinandersetzungen in eine Schachpartie übertragen. Während Brunhilda als alte Frau gezeigt wird, die gebrochen und mit weißen Haaren zu Beginn des Abends im Film das Schloss betritt und an einem Tisch mit einem Schachbrett Platz nimmt, verändert sich Frédégonde in der Darstellung altersmäßig nicht, womit vielleicht betont werden soll, dass sie siegreich über ihre Rivalin aus dieser Auseinandersetzung hervorgegangen ist. Der Film wechselt immer dann in eine Schwarz-Weiß-Darstellung, wenn die eigentliche Handlung der Oper und die Vorgeschichte aufgegriffen werden. So treten im Film auch Personen auf, die zu Beginn der Oper bereits tot sind. Beispielsweise sieht man, wie Frédégonde ihre Vorgängerin erdrosselt oder König Sigebert getötet wird. Zwischendurch werden auch Texte eingeblendet, die Informationen zum geschichtlichen Hintergrund bieten, der den meisten Zuschauer*innen nicht mehr so präsent sein dürfte und zum Verständnis des Geschehens hilfreich ist. Auf der Bühne befindet sich auf der rechten Seite ein Tisch mit einem Schachbrett, an dem die "alte" Brunhilda sitzt und die kriegerischen Auseinandersetzungen als Schachpartien nachspielt. Bisweilen wird die Szene im Film gedoppelt, wobei nicht genau auf eine synchrone Bewegung auf der Bühne und im Film geachtet wird. In der Mitte der Bühne ist eine riesige Tafel aufgebaut, an der die historischen Figuren Platz nehmen. Auch hier wird das Geschehen des Films zumindest teilweise nachgestellt.

Die filmischen Aufnahmen verschmelzen mit der Musik zu einem beeindruckenden Erlebnis, das durch die großartigen Aufnahmen aus dem Schloss in der Schwarz-Weiß-Optik nahezu monumentalen Charakter besitzt. Im Schlosspark sieht man auf dem Rasen ebenfalls ein riesiges Schachbrett, auf dem sich die Chorsänger*innen als Figuren im Kampf gegenübertreten. Eindrucksvoll umgesetzt wird auch die Szene auf dem See, der im übertragenen Sinne den Schutz des Klosters verkörpert. Hier kann Brunhilda und Mérowig keiner etwas anhaben. Hilpéric steht am Ufer und kann nur darauf hoffen, dass sein Sohn mit dem Boot das Ufer ansteuert. Brunhilda scheint zwar zu erkennen, dass es sich um eine Falle handelt und will ihren Gatten davon abhalten, aber Mérowig ist naiv genug, den See (das Kloster) zu verlassen und das Ufer anzusteuern. Unklar bleibt, wieso Brunhilda ihrem Gatten Zahlen und Buchstaben auf den Rücken schreibt. An Land kommt es dann zur Katastrophe. Der Opernchor geht - angestachelt von Frédégonde - als austrasische und neustrische Truppen aufeinander los, und auch dem Bischof sind die Hände gebunden. In eindrucksvollen Bildern wird der Bischof in ein dunkles Verlies hinabgeführt, wo er der Enthauptung eines Menschen beiwohnen und erkennen muss, dass in diesem Spiel auch das Wort der Kirche keine Macht mehr besitzt. Mérowig bleibt in dieser Situation keine andere Wahl mehr, und er stößt sich den von Frédégonde geführten Dolch in die Brust. Brunhilda kann auf dem See in ihrem Boot nur hilflos zusehen.

Musikalisch lässt sich durchaus erkennen, dass hier zwei "Meister" am Werke waren. Während sich Guirauds Musik durch einen eher "lieblichen" Stil auszeichnet, der besonders in der großen Liebesszene zwischen Brunhilda und Mérowig zu glänzen weiß, klingt Saint-Saëns' Musik wesentlich opulenter und dramatischer. Besonders deutlich wird es im Duett zwischen Frédégonde und Hilpéric, in dem die Königin ihren Gatten geschickt manipuliert und ihre Interessen durchsetzt. Auch die Besetzung mit den dunkleren Stimmen Mezzosopran und Bariton - im Gegensatz zu Sopran und Tenor bei Brunhilda und Mérowig - unterstreicht die Charakterisierung als "böses" Paar. Dass der zweite Teil wesentlich kürzer ist, liegt daran, dass auf die drei Ballette verzichtet wird. Motonori Kobayashi lotet mit den Dortmunder Philharmonikern die farbenreiche Partitur differenziert aus und lässt das Publikum in ein großartiges Klangerlebnis eintauchen. Auch der von Fabio Mancini einstudierte Opernchor und die Solist*innen lassen keine Wünsche offen. Anna Sohn begeistert als Brunhilda mit strahlendem Sopran und leuchtenden Höhen. Eigentlich hatte die Oper Brunhilda heißen sollen. Da zur Entstehungszeit dieser Name aber eher mit der Walküre aus Wagners Ring des Nibelungen assoziiert worden wäre, hatte sich Saint-Saëns für den Namen der "bösen" Königin Frédégonde als Titel entschieden. Hyona Kim stattet die intrigante Herrscherin über Neustrien mit sattem Mezzo und intensivem Spiel aus, das sich vor allem in den Nahaufnahmen im Film zeigt. Hier kann man direkt Angst vor Kims kaltem Blick bekommen. Sergey Romanovsky verfügt als Mérowig über einen kräftigen lyrischen Tenor, der im Zusammenspiel mit Sohns Sopran zu einer bewegenden Einheit findet. Auch er begeistert in der filmischen Darstellung. Mandla Mndebele stattet den König Hilpéric mit einem kräftigen Bariton aus, der stimmlich zwar zu donnern versteht, darstellerisch aber deutlich macht, dass er nur ein Spielball seiner Gattin ist. Besonders eindrucksvoll unterstreicht er seine Hörigkeit in der filmischen Darstellung im vierten Akt im großen Duett mit Kim.

Die kleineren Partien sind ebenfalls sehr gut besetzt. Hier sind Sungho Kim und Denis Velev hervorzuheben. Sungho Kim überzeugt als Hofpoet Fortunatus mit sauberen Höhen. Die Figur geht auf einen bedeutsamen Poeten der Epoche zurück, der am Hof des Königs Sigebert große Popularität genoss und dessen Epithalamium im Libretto aufgegriffen worden ist. Denis Velev stattet den Prétextat mit dunklem Bass aus und macht in den Filmsequenzen deutlich, wie seine Macht als Bischof immer mehr beschnitten wird, bis er selbst auch am Ende ein gebrochener Mann ist, der gegen seine Überzeugungen handeln muss. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen Applaus.

FAZIT

Marie-Eve Signeyrole gelingt mit der filmischen Umsetzung eine großartige Annäherung an einen Stoff, der in Deutschland relativ unbekannt ist, und beinahe schon als französische Geschichtsstunde durchgehen könnte. Guirauds und Saint-Saëns' Musik ist es auf jeden Fall wert, wiederentdeckt zu werden.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Motonori Kobayashi

Regie und Filmregie
Marie-Eve Signeyrole

Filmregie
Laurent La Rosa

Bühne
Fabien Teignér

Kostüme
Yashil

Lichtdesign
Florian Franzen

Choreographie
Martin Grandperret

Chor
Fabio Mancini

Dramaturgie
Laura Knoll

 

Opernchor Theater Dortmund

Dortmunder Philharmoniker

 

Solisten

Frédégonde, Königin von Neustrien
Hyona Kim

Brunhilda, Königin von Austrasien
Anna Sohn

Mérowig, Sohn des Hilpéric
Sergey Romanovsky

Hilpéric, König von Neustrien
Mandla Mndebele

Fortunatus, Poet und Mönch
Sungho Kim

Prétextat, Bischof
Denis Velev

Landéric, Bote Hilpérics
Demian Matushevskyi

Un serviteur, Ein Diener
Ian Sidden

Zusätzliche stumme Partien

Sigebert I., Brunhildas erster Ehemann
und König von Austrasien
Fabio Mancini

Chlodwig I., Großvater von Hilpéric und Sigebert
Christian Pienaar

Audovera, erste Ehefrau von Hilpéric
Brigitte Schirlinger

Galswinth, zweite Ehefrau von Hilpéric und
Brunhildas Schwester
Keiko Matsumoto

Basina, Tochter von Hilpéric
Edvina Valjevcic

 


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