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Die Walküre

Oper in drei Aufzügen
Erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 30' (zwei Pausen)

Premiere Theater Dortmund am 21. Mai 2022




Theater Dortmund
(Homepage)

Ein Schwert? Wozu eigentlich ein Schwert?

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas Jauk, Stage Picture

Wenn eine Oper aus Richard Wagners Tetralogie Ring des Nibelungen auf dem Spielplan steht, dann ist das in der Regel schon deshalb ein Festtag, weil aus der Verbindung von vier Opern, die als Zyklus nicht weniger erzählen wollen als eine Geschichte der Gesellschaft vom Urzustand bis zur finalen Katastrophe, ein Mehrwert entsteht: Auch wenn man nur eine einzelne Oper sieht, so stellt sich die Frage nach den Verbindungslinien. Die Stuttgarter Oper hat unter dem Intendanten Klaus Zehelein im Jahr 2000 den vieldiskutierten Ansatz gewählt, die vier Werke vier verschiedenen Regisseuren anzuvertrauen und damit die Brüche zu betonen, was im Endergebnis, wenn man sich die DVD-Mitschnitte anschaut, dann doch weniger spektakulär war als die Debatte darüber vermuten ließ. Ein Dortmund hat man jetzt mit Peter Konwitschny einen Regisseur beauftragt, den kompletten Ring zu inszenieren unter der Vorgabe, die vier Teile unterschiedlich und eben nicht in der Kontinuität von Wagners Handlungsfaden zu interpretieren. Um auch ästhetische Brüche zu garantieren, wird das Ausstattungs-Team von Stück zu Stück wechseln. In Stuttgart wurden - und in Dortmund werden, darf man wohl ergänzen - "die Zuschauenden gezwungen, die unterschiedlichen Teile selber zusammenzusetzen", wie man im Programmheft nachlesen kann. Ob das ein Gewinn ist oder doch eher die Kapitulation vor Wagners vielleicht doch allzu sehr "auserzähltem" Mammutwerk, wird man nach Abschluss des Projekts beurteilen. Nach dem Auftakt mit der Walküre - an die eigentliche Reihenfolge muss man sich natürlich nicht halten, wenn man die Kontinuität zwischen den vier Abenden aufgibt - bleibt der Eindruck doch recht zwiespältig.

Szenenfoto

Siegmund und Sieglinde

Konwitschny war übrigens seinerzeit in Stuttgart mit dabei und dort für die Götterdämmerung zuständig. Die eine oder andere Idee daraus findet sich in dieser Walküre wieder wie der Verzicht auf spektakuläre Bühneneffekte. Zum Feuerzauber am Ende der Oper wird Brünnhilde auf einem fahrbaren Podest auf einen Steg über den Orchestergraben geschoben, der Vorhang schließt sich, und was Wagner sich als lodernde Lohe auf der Bühne gedacht hat, kommt allein aus dem Orchester: Konwitschny setzt hier auf ein Klangtheater, bei dem die Bühneneffekte in die Vorstellungskraft des Publikums verschoben werden (so ähnlich war es auch im Finale der Stuttgarter Götterdämmerung). Um das zu verdeutlichen, werden sechs Harfen, drei rechts und drei links, gut sichtbar am Rand des Orchestergrabens platziert. Gemessen an manchem missratenen Bühnenzauber ist das eine nicht unplausible Lösung, zumal Konwitschny mit Illusions- und Überwältigungstheater ohnehin nichts am Hut hat. Vielmehr inszeniert er die Walküre als schwarze Gesellschaftskomödie, die sich gegen Ende allerdings etwas unmotiviert zum Vater-Kind-Drama wendet.

Die Welt Hundings ist die des Prekariats, wozu Ausstatter Frank Philipp Schlößmann eine ärmliche Wohnung auf der leeren, schwarzen Bühne andeutet - mit Durchlauferhitzer und Röhrenfernseher. Als Pendant dazu gibt es im zweiten Aufzug Wotans Wochenendhaus in den Bergen mit Designerküche und Flachbildschirm, und das ist doch einigermaßen unplausibel: Gut, es gibt offensichtlich einen riesigen Abstand zwischen den sozialen Schichten, aber Durchlauferhitzer und Röhrenfernseher stehen als Technologie einer vordigitalen Epoche eben noch viel mehr für eine zeitliche Distanz, und die gibt es gerade nicht, denn Konwitschny bemüht sich um eine durchlaufende Erzählung beinahe in Krimi-Manier mit realistischen Genre-Bildern. Man isst Fast-Food vom Discounter; man spielt Karten (Siegmund kann mangels Liquidität seine Spielschulden nicht begleichen); man trinkt (den ganzen Abend über) viel Alkohol; man sieht, wie Sieglinde Schlaftabletten für Hunding zerkleinert. Schlößmanns Ausstattung zeigt aber immer, dass es sich um Theater handelt - ein hinreichendes Maß an Verfremdung bleibt gewahrt.

Szenenfoto

Noch glücklich: Brünnhilde und Wotan zu Beginn des zweiten Aufzugs

Bei alledem hat man den Eindruck, dass in den ersten beiden Akten der hier verhandelte Skandal der Geschichte weniger in der Zwangsverheiratung der hübschen Sieglinde (großartig mit jugendlich strahlendem, energiegeladenen Sopran: Astrid Kessler) mit dem düsteren Clanchef Hundig (großformatig und auch stimmlich bösartig finster: Denis Velev) an sich besteht, sondern an dem Klassenunterschied: Siegline im adretten weißen Kleid passt nicht in diese Welt, verliebt sich trotzdem auf den ersten Blick in den wilden Draufgänger Siegmund (mit souveränem, durchsetzungsfähigem und ausdauerndem Tenor: Daniel Frank). Man küsst sich schnell, die ungeplante Schwangerschaft zeichnet sich früh ab. Im Kontrast dazu ist Fricka (stimmlich solide, aber nicht mit der Wucht ihres fulminanten szenischen Auftritts: Kai Rüütel) die gewiefte Managerin, die Wotan das Versprechen zur Unterstützung Hundings gleich in Vertragsform auf Papier abnimmt, den Durchschlag lässt sie selbstverständlich in den Händen des düpierten Gatten zurück. Dieser Wotan, der in seinen Privatgemächern den eleganten Anzug gegen saloppere Kleidung Austausch, hat mit Pferdeschwanz gewisse Ähnlichkeiten mit dem Regisseur; Noel Bouley singt ihn mit nicht allzu großer und etwas einfarbiger Stimme, was der Figur an Statur nimmt. Aber hier singt ja auch kein Gott, sondern ein überforderter Besserverdienender.

Soweit die Story um Siegmund, Hunding und Sieglinde. Der dritte Aufzug gibt Einblicke in das Familienleben Wotans: Die Walküren sind sehr junge Mädchen in Matrosenkleidern und mit Steckenpferden, ein Hühnerhaufen von Backfischen, die ziemlich viel Angst vor dem arg autoritären Vater haben. Bekanntlich mit einer Ausnahme: Brünnhilde. Stéphanie Müther singt mit trompetenhafter, in jedem Moment höchst präsenter Stimme, und ihr Dialog mit Wotan im dritten Aufzug ist ein packendes Ringen um Deutungshoheit, was indirekt die Problematik der Regie zeigt. Auch in dieser Konzeption wird Wotan hellhörig, sobald er erahnt, dass Brünnhildes Plan (schützendes Feuer mit Bannfluch, nur der stärkste Held kommt durch usw.) ihm doch noch den allmächtigen Ring bringen könnte, um den es in der Tetralogie geht. Da bewegt sich Konwitschny dann doch wieder stark innerhalb der Kontinuität der Tetralogie, und da fehlt das Rheingold zuvor (ok, der Wagnerliebhaber kennt ja die Vorgeschichte) und es verweist auf den sich anschließenden Siegfried. Aber im bunkerartigen Walhall geht Konwitschny der Bezug zur Hunding-Geschichte verloren. In Dietrich Hilsdorfs Konzeption der Walküre unter dem Blickwinkel des bürgerlichen Trauerspiels am benachbarten Aalto-Theater in Essen (wie in Stuttgart mit vier verschiedenen Regisseuren) war Hunding Teil der Großfamilie, das hielt die Oper zusammen. Konwitschny erzählt im Grunde zwei verschiedene Geschichten: Eine vom Streit zwischen Hunding und Siegfried um eine schöne Frau, und eine vom Konflikt zwischen Wotan und der ungehorsamen Tochter Brünnhilde.

Szenenfoto

Todesverkündigung: Brünnhilde und Siegmund

Er erzählt freilich auf eine mitreißende Art und Weise (gut so, denn die Dortmunder Oper serviert an diesem langen Theaterabend tatsächlich keinerlei koffeinhaltige Getränke - für einen Kaffee oder eine Cola muss man in der Pause in die Fußgängerzone eilen), das macht die Regie dann doch besonders: Nämlich die Genauigkeit der Personenregie bei einem beinahe schnoddrigen, unromantischen, oft witzigen Stil. Auf Wotans Speer kann er dabei gänzlich verzichten, auf das Schwert nicht. Das hängt wie ein Zitat vom Bühnenhimmel, ein Gimmick für Wagnerfans alter Schule, oft parodistisch behandelt (aber, auch so ein Bruch, später ganz klassisch von Brünnhilde eingesammelt, auf dass Siegfried es in der nächsten Folge neu schmieden kann).

Im Orchestergraben dirigiert Gabriel Feltz einen durch und durch soliden Wagner, immer sängerfreundlich, nicht unbedingt spektakulär, aber flüssig und mit erzählerischem Gestus. In den Holzbläsern gibt es ab und zu heikle Momente, das Blech spielt sehr schön, und alles in allem überzeugen die Dortmunder Philharmoniker und werden am Ende bejubelt wie auch die Sängerinnen und Sänger. Über die Regie war das Publikum dann hörbar geteilter Meinung.

FAZIT

Wirklich glaubhaft machen, dass diese Walküre aus der Tetralogie gelöst autonom für sich steht, dass kann Peter Konwitschny in seinem antiromantischen Konzept nicht und findet auch keinen wirklich zwingenden Ansatz. Gleichwohl ist das Stück flott inszeniert und toll gespielt und gesungen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz

Regie
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Frank Philipp Schlößmann

Lichtdesign
Florian Franzen

Dramaturgie
Bettina Bartz
Laura Knoll


Statisterie des Theater Dortmund

Dortmunder Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der Premiere

Brünnhilde
Stéphanie Müther

Wotan
Noel Bouley

Sieglinde
Astrid Kessler

Siegmund
Daniel Frank

Fricka
Kai Rüütel

Hunding
Denis Velev

Gerhilde
* Tanja Christine Kuhn /
Vera Fischer

Ortlinde
* Vera Fischer /
Christine Groeneveld

Waltraute
Natascha Valentin

Schwertleite
Maria Hiefinger

Helmwige
Sooyeon Lee

Siegrune
Davia Bouley

Grimgerde
Kai Rüütel

Roßweiße
* Edvina Valjevic /
Viola Zimmermann


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Da capo al Fine

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