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Konstruktionen von Wahrheit und RealitätVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire und Hans-Jörg Michel
Auf diesen Premierentag genau vor 100 Jahren kam Die tote Stadt zur Uraufführung, und das zeitgleich an zwei Theatern, nämlich in Hamburg und Köln. Das sagt ja schon einiges aus über den gerade einmal 23-jährigen Komponisten Erich Wolfgang Korngold, Opernwunderkind der noch jungen Weimarer Republik. Die Oper wurde landauf, landab gespielt, ein Riesenerfolg, bis die Nationalsozialisten dem ein Ende setzten und der jüdischstämmige Korngold in die USA emigrierte - wobei auch der Zeitgeschmack über die der Romantik verhaftete Musik hinwegging. Korngold erlebte eine zweite Karriere als einer der einflussreichsten Komponisten für Filmmusik in Hollywood, musste freilich dabei mit ansehen, wie im Nachkriegseuropa eine Avantgarde den musikalischen Diskurs übernahm, die ganz andere Vorstellungen propagierte. Seit den 1980er-Jahren hat sich Die tote Stadt mehr und mehr zum Liebhaberstück entwickelt, durchaus häufiger gespielt, auch an kleineren Häusern wie zuletzt in Wuppertal. Nachtschwärmer wie von Edward Hoppers Gnaden: Phantasien entwickeln sich mitunter beim soundsovielsten Whiskey an der Bar (Foto: Paul Leclair)
Wenn die Kölner Oper just zum 100jährigen Geburtstag des Werkes eine Neuproduktion ansetzt, dann ist das neben einer Würdigung Korngolds natürlich auch eine Referenz an große Zeiten eben dieses Hauses (1920 war kein geringerer als Otto Klemperer Generalmusikdirektor und Uraufführungsdirigent in Köln - wobei der amtierende Chefdirigent, der quirlige Francoise-Xavier Roth, ja durchaus seine Meriten hat). Von solchem Ruhm ist man derzeit ein ganzes Stück entfernt, was die Stadtpolitik dazu bewogen hat, den Vertrag mit Intendantin Birgit Meyer nicht über die nächste Spielzeit hinaus zu verlängern. Gänzlich unverständlich ist das nicht, erscheint die Kölner Oper doch wie ein riesiger Gemischtwarenladen, mit manchen Glanzstücken zwischen viel Mittelmäßigem und manchem Ärgerlichen (wie zuletzt der missgelaunten Zauberflöten-Regie ausgerechnet von Meyers Amtsvorvorvovorgänger Michael Hampe). Auf der anderen Seite ist es Birgit Meyer nach schleppenden Anfangsjahren gelungen, das Niveau kontinuierlich zu heben und die Interimsspielstätte im Staatenhaus auf der rechten Rheinseite schräg gegenüber dem Dom als Ersatzopernhaus zu etablieren, in dem vor allem viel gespielt wird, und manches Ereignis wie in der letzten Spielzeit Lydia Steiers beeindruckende Carmen oder natürlich die spektakuläre Produktion von Bernd Alois Zimmermanns Soldaten war eben auch dabei. Paul und Marietta (Foto: Hans-Jörg Michel)
Die Frau hat´s ja auch schwer! könnte man gönnerhaft dazwischenrufen. Das Tote-Stadt-Jubiläum wurde von der Covid19-Pandemie durchkreuzt, es darf nicht vor Publikum gespielt werden, und der Livestream am Premierenabend, als Notlösung gegen Spende in beliebiger Höhe dem Publikum angeboten, präsentierte sich anders als drei Tage zuvor der technisch gelungene Stream von George Benjamins Written on Skin denkbar holprig - immer wieder hakte die Übertragung, was den musikalischen wie den erzählerischen Fluss nervtötend unterbrach (inzwischen teilt die Oper mit, dass man den Mittschnitt "on demand" nachhören und -sehen kann). Als Regisseurin ist erneut Tatjana Gürbaca nach Köln gekommen, eine der interessantesten Vertreterinnen ihrer Zunft, die hier u.a. schon die Jeanne d´Arc von Walter Braunfels inszeniert hat (auch eine Produktion, die Meyer auf der Haben-Seite verbuchen kann). Paul und Marietta (Foto: Paul Leclair)
Bei den in der Pause eingespielten Interviews konnte man den Eindruck gewinnen, dass Gürbaca den Darsteller*innen recht unterschiedliche Ideen von Werk und handelnden Personen vermittelt hat. Aber gerade das erweist sich als Stärke der Inszenierung: Der je nach Gesichtspunkt ambitioniert moderne oder verquast krude Handlung wird weder ein vermeintlich logischer Plot übergestülpt noch die nähe zum Film überstrapaziert (gleichwohl gibt es Anspielungen per Videoeinblendungen) wie in manchen anderen Inszenierungen. Vieles bleibt offen, womit die Regie eine der Schwächen des Werks korrigiert. Da glaubt der Sonderling Paul, in der Tänzerin Marietta eine Art Wiedergeburt seiner verstorbenen Frau Marie zu erkennen, lässt sie deren Kleidung anlegen um sie schließlich, nachdem sie ihn verführt und damit die Erinnerung an Marie "befleckt" hat, zu töten. Was sich dann als böser Traum herausstellt, aus dem Paul, geheilt von seinen Wahnvorstellungen, mit neuem Lebensmut erwacht und sein Haus (zur "Kathedrale des Gewesenen" ausgestaltet) und die zum Spiegelbild seines Geisteszustands gewordene finstermittelalterliche Stadt Brügge zu verlassen. In Musik und Libretto (das Korngold gemeinsam mit seinem Vater, dem einflussreichen Musikkritiker Julius Korngold, unter Pseudonym verfasst hat) ist das ziemlich reißerisch mehr montiert als entwickelt und der Schluss allzu banal geraten. Gürbaca hebt den recht schlicht konstruierten Gegensatz zwischen Realität und Traum auf und belässt die gesamte Geschichte in einer Zwischenwelt, von der nie ganz klar ist, wie real diese ist. Wobei sich gleichzeitig die Frage stellt, wie tragbar der Begriff "real" überhaupt ist und ob das subjektive Erleben nicht viel stärker die eigene Realität konstruiert als objektive Fakten. Man muss da nicht gleich den noch amtierenden amerikanischen Präsidenten mit seinen abstrusen Gedankengängen assoziieren; vielleicht erleben wir gerade unter dem Druck von sozialer Isolierung und fehlenden Kommunikationsräumen (wie sie die Theater bieten könnten, wären sie denn geöffnet) eine verstärkte Tendenz von Realitätsverschiebungen. Vielleicht ist Paul der Mörder seiner Frau Marie. Vielleicht ist er auch nur in einer Phantasiewelt Mörder. Leider machte der immer wieder stockende Livestream es schwer, der Erzählung Tatjana Gürbacas zu folgen. Sie lässt die Geschichte auf einer drehbaren Kreisscheibe spielen, die durch Vorhänge und Lamellen in Innenräume umgewandelt werden kann, immer etwas Theaterhaftes behält, die keine Rückzugsräume gibt und in ihrer Offenheit auch den unbarmherzig schonungslosen Blick auf die Protagonisten erzwingt. Die Kostüme (Silke Willrett) verlegen das Geschehen in unsere Gegenwart. Um die Kreisbühne herum stehen Barhocker, hin und wieder sitzen die Akteure verloren daran, und mit diesem Bild zitiert das Regieteam Edward Hoppers berühmte Gemälde Nighthawks, jenen Blick von außen durch die Fenster einer Bar auf die letzten ziemlich verlorenen Gäste. Damit ist nicht nur ein ästhetischer Rahmen gesetzt; die in Hoppers Bilderwelten kaum chiffrierte Vereinsamung des modernen (Stadt-)Menschen wird zum Ausgangspunkt der Katastrophe. Haushälterin Brigitta und Paul (Foto: Paul Leclair)
Dem kühl-analytischen Blick der Regie steht das romantisierende Dirigat von Gabriel Feltz diametral entgegen. Mit dem ganz ausgezeichneten Gürzenich-Orchester kostet er die Klangsinnlichkeit Korngolds aus, eher weich und schmeichelnd als die Schärfen betonend, und lässt die Musik in großen Bögen ausschwingen. Das scheint näher beim späten Franz Léhar und opernhaftem Land des Lächelns als bei Alban Berg und dem Wozzeck. Manche Passagen nimmt er extrem gedehnt wie etwa das populäre Duett "Glück, das mir verblieb´". Feltz gelingt aber das Kunststück, bei aller Süffigkeit nicht ins Triviale, auch nicht ins Operettenhafte abzugleiten, denn er zeigt viel Gespür für die Wandlungen der Musik: Wo bei Korngold immer wieder ´mal "schönen Stellen" plötzlich die Luft auszugehen scheint, spinnt Feltz den musikalischen Faden geschickt weiter. Und weil auch der (vom Magazin Oper! frisch zum besten Opernchor gekürten) Chor der Kölner Oper (Einstudierung: Rustam Samedov) und die Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik betörend schön singen, kann man sich schon im musikalischen Schwelgen verlieren. Im Spannungsfeld mit der Regie, die in ihrer Nüchternheit die Musik erdet, funktioniert das ziemlich gut. (Gleichwohl wäre es spannend, Francois-Xavier Roth als Dirigenten dieser Musik zu hören - anders als bei der Uraufführung ist das Dirigat ja hier nicht "Chefsache"; Roth hat zeitgleich George Benjamins Written on Skin einstudiert). Mitunter scheint das Orchester ein wenig laut für die Sänger, aber Feltz´ Dirigat ist dabei durchaus gesanglich. Burkhard Fritz bewältigt die Riesenpartie des Paul beeindruckend, setzt heldentenorale Kraft kultiviert ein und bleibt kantabel. Ausrine Stundyte ist eine lyrisch geprägte Marietta/Marie; ihr leicht eingedunkelter Sopran passt ausgezeichnet zur Rolle. Wolfgang Stefan Schwaiger singt Pauls Freund Frank mit elegantem, nicht zu großem Bariton. Daliah Schaechter gestaltet ihre Partie als Haushälterin Brigitte ausdrucksstark, wobei die Stimme oft angestrengt klingt.
Zum 100. Geburtstag der Toten Stadt gelingt der Kölner Oper eine musikalisch wie szenisch packende Interpretation, die überzeuegnde Lösungen auch für die schwächeren Seiten dieser nicht ganz unproblematischen Oper findet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Paul
Marietta / Marie
Brigitta
Frank / Fritz
Juliette
Lucienne
Graf Albert
Victorin / Gaston
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