Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Abstand

Ballett von Xin Peng Wang
Musik von Ólafur Arnalds, Samuel Barber, Beirut, Electric Youth, Missy Mazzoli und Giacomo Puccini

Aufführungsdauer: ca. 1h 15' (keine Pause)

Uraufführung im Opernhaus Dortmund am 17. Oktober 2020
(rezensierte Aufführung: 25.10.2020)



Theater Dortmund
(Homepage)

Tänzerische Eindrücke einer Pandemie

Von Thomas Molke / Fotos: © Leszek Januszewski

Bei den Kulturschaffenden dürfte neben den freischaffenden Künstler*innen vor allem die Tanztheatersparte von den derzeitigen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie besonders stark getroffen worden sein. Keine andere darstellende Kunst basiert derart körperbezogen auf physischer Nähe. Nachdem die spanische Tänzerin Lucia Lacarra gemeinsam mit ihrem Partner Matthew Golding aus der Not eine Tugend gemacht hat und mit Fordlandia in Dortmund vor einem Monat einen Ballettabend in sehr poetischen Bildern kreiert hat (siehe auch unsere Rezension), hat sich auch Ballettdirektor Xin Peng Wang, der mit seinen eigens entwickelten Handlungsballetten zu herausragenden Werken der Weltliteratur den Ruf der Ballettsparte Dortmund weit über die Region hinausgetragen hat, mit der gegenwärtigen Krise auseinandergesetzt und ein "Zeitballett" geschaffen, das die Eindrücke der Pandemie in Tanz umzusetzen versucht. Dafür hat er einen Titel gefunden, der die momentane Situation sehr gut beschreibt: Abstand.

Bild zum Vergrößern

Daria Suzi und Filip Kvačák als Paar bei Samuel Barbers Adagio For Strings

10 Tänzer*innen präsentieren dabei in einer losen Abfolge von Szenen Momentaufnahmen aus einer Zeit, in der der in Europa ungewohnte Mund-Nasen-Schutz zum Alltag geworden ist und das Anbahnen zwischenmenschlicher Begegnungen immer von dem alles beherrschenden Kontaktverbot beeinträchtigt wird. Zwei Szenen aus dieser Uraufführung konnte man bereits bei der Eröffnungsgala Auftakt 2020 - Wir spielen wieder! erleben. Zu Samuel Barbers Adagio For Strings versucht ein Paar (Daria Suzi und Filip Kvačák) der Isolation zu entkommen, in die die momentane Pandemie sie gebracht hat. Auf der Bühne stehen zwei Stühle, die voneinander abgewandt sind. Auf diesen sitzen die beiden zunächst Rücken an Rücken und suchen den Weg zueinander. In modernem Ausdruckstanz geben Suzi und Kvačák am Ende der Szene ein wenig Hoffnung, weil sie die Trennung zu überwinden scheinen und ein neues Miteinander finden. Ein sehr persönliches Statement gibt Wang mit seiner Choreographie zu der berühmten Arie aus Puccinis Tosca: "Vissi d'arte". Die Sängerin Tosca erkennt darin, dass sie ihr ganzes Leben der Kunst gewidmet hat. So fühlt sich wohl auch Wang, wenn er Guillem Rojo i Gallego in einer Art inneren Kampf dieses Gefühl in modernem Ausdruckstanz nachempfinden lässt. Als Bühnenbild dient eine Projektion des leeren Zuschauerraums, der damit mit dem realen Saal den einsamen Tänzer auf der Bühne einrahmt. Guillem Rojo i Gallego erntet für seine Interpretation bewegte Ovationen.

Bild zum Vergrößern

"Fridays for Future"-Bewegung: Ensemble

Während sich einzelne Figuren aus dem Programmheft in der Choreographie wiederfinden lassen wie beispielsweise das Liebespaar und der Vater, bleiben die beiden Naturgeister (Sae Tamura und Guillem Rojo i Gallego) eher vage. In weißen Kostümen rahmen sie die Produktion ein. Sie eröffnen das Stück in einer Welt, in der scheinbar noch alles in Ordnung ist. Zwar steht Tamura von Gallego zunächst abgewandt auf der Bühne, aber die wunderbaren Landschaftsprojektionen auf die drei Leinwände, die die Bühne einrahmen, zeichnen ein Bild einer Natur in der zunächst noch alles in Ordnung scheint. Doch plötzlich wird aus dem satten Grün der Bäume eine Art graue Steinwüste. Die Natur ist verschwunden, verwandelt sich von der Steinwüste in eine Schwarzweiß-Zeichnung. Auch die zweite Szene scheint noch vor der Pandemie zu spielen. Ein Vater (Francesco Nigro) sucht seine Tochter und erfährt von einem Zettel, dass sie sich auf einer Demonstration der "Fridays for Future"-Bewegung befindet. Auf der Rückwand sieht man im Andy Warhol-Stil zahlreiche Profilbilder von Greta Thunberg. Davor fordern die Tänzer*innen mit zahlreichen Plakaten zur Rettung der Natur auf. Erst im Anschluss scheint die Pandemie in unser Leben einzudringen. Zwei Tänzer verbreiten mit einer Nebelmaschine Nebelschwaden auf der Bühne. Kurz darauf rollen Krankenbetten über die Bühne.

Bild zum Vergrößern

Stephanine Ricciardi und Francesco Nigro "auf Abstand"

Neben den sehr bedrückenden Momenten der Inszenierung, in denen beispielsweise Statistiken mit steigenden Corona-Infektionen auf einen Gaze-Vorhang vor der Bühne projiziert werden oder ein Mann mit einer Stange über die Bühne geht und vehement 1,50 m Abstand zwischen den Tänzer*innen einfordert, findet Wang aber auch immer wieder komische Szenen. So werfen beispielsweise die Scheinwerfer klar abgetrennte Lichtrechtecke auf den Boden, in denen sich einzelne Tänzer*innen aufhalten und miteinander lautstark kommunizieren, da sie ja gezwungen sind, Abstand voneinander zu halten. Dabei wird auch aus voller Kehle gesungen, was einen vierten Tänzer immer wieder auf die Bühne ruft, der sich über den Lärm beschwert. Gebrochen wird die Szene schließlich von einer Tänzerin, die in der Mitte in einem neuen Lichtrechteck Platz nimmt und schließlich mit ihrem Tanz die ganze Bühne für sich beansprucht. Mit einem Schuss Ironie gelingen auch die Flirtversuche eines jungen Paares. Kurz vor Schluss tritt die Frau dann in einer riesigen durchsichtigen Kugel rundum geschützt ihrem Liebsten entgegen.

Besonders hoffnungsvoll gestaltet Wang das Ende des Abends. Zu dem Song "Nantes" von der US-amerikanischen Folkband Beirut starten die Tänzer*innen einen ausgelassenen Tanz, während man die Zeilen hört: "It's been a long time, long time now, since I've seen you smile". Dabei sieht man in den Projektionen auf den Leinwänden, wie die Masken herabfallen. Auch die Tänzer*innen legen nach und nach die Masken ab, und der Tanz wird immer ausgelassener und fröhlicher. Hier spürt man die Zuversicht, dass die Pandemie vorübergehen und die alte Lebensfreude zurückkehren wird. Man könnte meinen, dieser Song sei aktuell für die momentane Situation geschrieben, dabei stammt er bereits von 2007. Beim Schlussapplaus wird der Song noch einmal aufgegriffen und auch Wang steigt in diese Choreographie mit ein, was zeigt, wie persönlich ihm diese Kreation gelungen ist. Das Publikum bedankt sich mit großem Beifall.

FAZIT

Xin Peng Wang gelingt es, in beeindruckenden Bildern die momentane Pandemie-Situation einzufangen und dabei einen Funken Hoffnung zu geben, dass wir irgendwann den Weg in die Normalität zurückfinden werden.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Xin Peng Wang

Dramaturgie
Christian Baier

Bühnenbild und Videodesign
Hartmut Schörghofer /
Raffaele Acquaviva

Kostüme
Stephanine Ricciardi

Lichtdesign
Ralph Jürgens

 

Besetzung

*rezensierte Aufführung

Naturgeister
*Sae Tamura /
Amanda Vieira /
Giulia Gemma Manfrotto
*Guillem Rojo i Gallego /
Dann Wilkinson /
Leonardo Cheng

Liebespaar
*Daria Suzi
*Filip Kvačák /
Giuditta Vitiello
Aidos Zakan /
Florencia Paez
Luca Bergamaschi

Vater
*Francesco Nigro
Simon Jones /
Maksym Palamarchuk /
Shai Ottolenghi /
Bernardo Betancor

Damen
*Stephanine Ricciardi
*Manuela Souza /
Yingyue Wang /
Rion Natori
*Sayaka Wakita /
Alisa Uzunova /
Emma Grace Garrison

Herren
*Matheus Vaz /
Lúcio Kalbusch /
Márcio Barros Rota
*Javier Cacheiro Alemán /
Shai Ottolenghi /
Simon Jones /
Luigi Cifone

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2020 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -