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La Calisto

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Giovanni Faustino
Musik von Francesco Cavalli
Fassung für die Oper Bonn von Hermes Helfricht und Jens Kerbel


in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 2. Oktober 2020
(rezensierte Aufführung: 8. Oktober 2020)


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Theater Bonn
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Die Liebe in Zeiten der Verwüstung

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu

In der Mythologie - und im der Mythologie verfallenen Barock - geht es mitunter reichlich erotisch zu. Jupiter verliebt sich in Calisto, Nymphe der Göttin Diana und damit zur Keuschheit verpflichtet, und er verführt sie ausgerechnet in Gestalt eben der Diana. Diese pflegt, obgleich nicht nur Göttin der Jagd, sondern auch der Keuschheit, eine amouröse Beziehung zum Hirten Endimione. Wobei die echte und die falsche Diana, unwissend voneinander, ziemlich viel Verwirrung stiften. Das kann natürlich nicht gut ausgehen.

Vergrößerung in neuem Fenster Calisto

In ihrer 1651 uraufgeführten Oper, die in der Monteverdi-Nachfolge steht, spielen Franceso Cavalli und Librettist Giovanni Faustini mit Elementen, wie sie in der Boulevard-Komödie bis heute überlebt haben, und gleichzeitig mit den großen Themen: Jupiters Gattin Juno verwandelt Calisto in eine Bärin, doch später soll sie als Sternbild - der Große Bär - in die Ewigkeit eingehen. Die Bonner Oper hat eine pandemietaugliche Fassung der Oper erstellt, komprimiert auf 90 Minuten Spieldauer und in einer Orchesterbesetzung für kleines Streichorchester und um eine Orgel erweitertes Continuo. Angesichts des, das sei vorweggenommen, exzellenten musikalischen Niveaus der Aufführung mögen die Kürzungen schmerzlich sein, aber das Ergebnis ist eine sehr konzentrierte, mitunter etwas sprunghafte, sehr kurzweilige Fassung.

Vergrößerung in neuem Fenster

Juno

Die Handlung geht auf OvidsMetamorphosen zurück und setzt ein, nachdem Phaeton die Erde weitgehend verbrannt hat. Regisseur Jens Kerbel und das Bühnenbilder-Team fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Möller) haben eine trostlose Betontreppe, vielleicht Reste eines Staudamms, als schlüssiges und für unsere Zeit leicht zu entschlüsselndes Zeichen einer naturzerstörenden Weltordnung gefunden. Mit wechselnden Videoprojektionen wird das Modell wandelbar eingesetzt; dass auf der Bühne Mindestabstände eingehalten werden müssen, nimmt man nicht weiter wahr. Brillant sind die Kostüme von Verena Palkowski, verspielt den mythologischen Hintergrund wie auch barocke Pracht zitierend, gleichzeitig Kunstfiguren erschaffend, die trotzdem lebendig sind. So ist die Geschichte fein ausbalanciert zwischen praller Komödie und Parabel auf die ver- und zerstörende Kraft der Liebe auch unter widrigen Bedingungen: Keine platte Aktualisierung, sondern trotz mitunter derben Humor ein feinsinniges Kammerspiel, bei dem die arme Nymphe am Ende als Bär mit bluttriefendem Maul auf eine bessere Ewigkeit warten muss.

Vergrößerung in neuem Fenster Endimione (oben rechts) und Diana, Satirino (unten) lauscht

Wenn Jupiter in Gestalt der Diana die attraktive Calisto schwängert (bei Ovid ist das ein wenig anders, da zeigt er in der Vergewaltigung seine wahre Gestalt), geraten Kategorien wie "männlich" und "weiblich" schnell durcheinander. Jupiter wird als Chefgott von einem Bass (solide: Martin Tzonev), in Gestalt der Diana von einem Sopran (souverän auftrumpfend als echte wie als falsche Göttin: Charlotte Quadt) gesungen. Das Regieteam spielt mit den Geschlechterrollen, zeichnet Calisto (stimmlich mädchenhaft anrührend: Lada Bockova) durchaus jungenhaft, Dianas Aufpasserin Linfea, selbst auf der Suche nach (bevorzugt ehelichen) erotischen Erfahrungen (charmant komödiantisch: Kieran Carrel), ist mit männlichen wie weiblichen Attributen ausgestattet. Die Liebe ist eben nicht an Geschlechts- und Rollenbilder gebunden. In der apokalyptisch-märchenhaften Atmosphäre wird das mit leichter, unaufgeregter Hand abgehandelt. Wie man als Mensch an der Liebe und ihren ständigen Wandlungen fast irre werden kann, sieht man am Hirten Endimione (eindrucksvoll: Countertenor Benno Schachtner).

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Ensemble

Giorgios Kanaris steuert einen (in diesem Fall sehr maskulin gezeichneten) ordentlich gesungenen Merkur bei, Begleiter und Berater Jupiters. Die musikalische Krone gebührt Marie Heeschen als betörend schön singende Juno, warm und lyrisch strömend. Susanne Blattert, Ava Gesell und Tobias Schabel runden ein ausgezeichnetes, sehr gut harmonierendes Ensemble ab, das am Ende als Chor agiert und mit der Verheißung "Calisto, zu den Sternen!" ein eindrucksvoll offenes Ende stehen lässt: Der Vorhang zu und alle Fragen offen, um mit Brecht zu sprechen. Das Kammerorchester unter der Leitung von Hermes Helfricht könnte in den Streichern noch griffiger, pointierter spielen, erzeugt aber eine Fülle von Klangfarben, die das Fehlen von Blasinstrumenten gut kompensieren kann.


FAZIT

Eine sehr sehens- und hörenswerte Produktion, die mit großem Einfühlungsvermögen stilsicher ebenso zwischen Barock und Gegenwart wie zwischen Poesie und handfester Komödie bewegt.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hermes Helfricht

Inszenierung
Jens Kerbel

Bühne
fettFilm

Momme Hinrichs,
Torge Möller

Kostüme
Verena Polkowski

Licht
Max Karbe

Dramaturgie
Constantin Mende


Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

L'Eternità / Pane
Susanne Blattert

La Natura / Diana / Giove in Diana
Charlotte Quadt

Il Destino / Giunone
Marie Heeschen

Giove
Tobias Schabel /
* Martin Tzonev

Mercurio
Giorgos Kanaris

Calisto
Lada Bo?ková

Endimione
* Benno Schachtner /
Terry Wey

Satirino / Erste Furie
Ava Gesell

Linfea / Zweite Furie
Kieran Carrel

Silvano
Martin Tzonev /
* Tobias Schabel



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