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Musiktheater
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La Calisto

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Giovanni Faustino
Musik von Francesco Cavalli


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)


Premiere im Theater Aachen am 1. November 2020



 

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Theater Aachen
(Homepage)

Die Einsamkeit der Sterne

Von Stefan Schmöe / Fotos: Wil van Iersel

Kurz nach Ende dieser Premiere ging in allen Bars und Restaurants im Land das Licht aus - für mindestens vier Wochen, zur Eindämmung der grassierenden Pandemie. Wie es dann aussehen könnte, zeigt das Bild, mit dem diese Inszenierung eröffnet wird - ein Club, leere Flaschen auf der Theke, Staub auf den Möbeln, die Pflanzen vertrocknet (Bühne: Ric Schachtebeck). Regisseur Ludger Engels konnte bei der Konzeption kaum wissen, vielleicht ahnen, wie aktuell diese Szenerie am Premierenabend sein würde.

Vergrößerung in neuem Fenster Auf dem Catwalk in der Clubszene ist extravagante Mode, auch über konventionelle Geschlechterrollen hinweg, ausdrücklich erwünscht: Jupiter in Gestalt der Juno.

Die Handlung setzt bei Cavalli ein in einer Zeit, in der die Welt verdorrt, ja: verbrannt ist, eine Krisensituation schlechthin. Jupiter begehrt die Nymphe Calisto, die als Dienerin der Jagd- und Keuscheitsgöttin Diana seine Nachstellungen energisch zurückweist - bis er sich in Gestalt eben von Diana nähert und die Verführung zur vermeintlichen Chefsache macht. Die echte Diana bändelt indes, Keuschheit hin oder her, mit dem Hirten Endimione an, der unsterblich in sie verliebt ist. Und es gibt noch andere, die auf der Suche nach Liebe und/oder Erotik sind - ganz schön frivol geht´s in dieser 1651 in Venedig uraufgeführten Oper zu. Nicht anders als heute eben. Und so hat Engels das Geschehen kurzerhand in die Gegenwart versetzt, inspiriert durch die New Yorker Club-Szene der 1980er-Jahre, der "ballroom-culture" mit "voguing", bei dem tänzerisch Posen aus Modeschauen nachgeahmt wurden. Kann man alles im Programmheft nachlesen.

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Diana und Endimione

Das Konzept geht ziemlich gut auf; zumal immer ein gewisser Schwebezustand bleibt: Die ungemein fantasievollen Kostüme (Raphael Jacobs) sind so stark in einer Kunstwelt angesiedelt, dass man gedanklich gut zwischen Mythologie und der Glitzer-und-Traumwelt der Clubs hin und her springen kann. Und die Personenführung ist so genau, dass diese verzweifelt nach Liebe, aber auch nach ihrer Geschlechterrolle suchenden Menschen Mitgefühl einfordern, nicht nur die unglückliche Calisto (mit leuchtendem Sopran: Suzanne Jerosme), sondern auch der gutherzig naive Endimione (mit liedhaft schlichtem Gestus: Countertenor James Laing), der als einziger in Alltagskleidung auftritt, kein Kostümspektakel veranstaltet, mit mädchenhaft langen Haaren dabei den Gegenpol zum Macho Jupiter darstellt. Der sieht, nach seiner Verwandlung, der keuschen Göttin Diana täuschend ähnlich - bis auf den Bart. Fabio Lesuisse wechselt eindrucksvoll zwischen Bariton und Altstimme, je nach aktueller Gestalt. Diana (mit leuchtendem Sopran: Fanny Lustaud) ist eine formidable Club-Diva, und ihre Begleiterin und ständige Aufpasserin Linfea (jugendlich kokett: Jelena Rakic) kann sich dem allgemeinen Liebestaumel auch nicht entziehen. Merkur (mit geschmeidigem Tenor: Hyunhan Hwang) eilt als Strippenzieher auch schon mal ans DJ-Pult und steuert die Technik. Und auch die weiteren Partien sind durchweg gut besetzt.

Vergrößerung in neuem Fenster Calisto

Wenn im Programmheft explizit "Sound-Design" (Tilman Kanitz) aufgeführt ist, denkt man eher an Stockhausen und elektronische Musik als an Barock - aber hier werden tatsächlich immer wieder synthetische Klänge eingespielt, die eine psychedelische Club-Atmosphäre andeuten, und auch das geht tatsächlich gut auf. Meist bleibt der letzte Akkord des Orchesters eine Zeit lang im Raum stehen. Das sind Momente der Verfremdung, die wie Reflexionspausen wirken, aber die Musik nicht zu sehr unterbrechen. Ausgezeichnet spielen die 14 Musiker*innen des Aachener Sinfonieorchesters, Streicher, umfangreiches Continuo und zwei Flöten im Wechsel mit Zinken, und auch in dieser kleinen Besetzung klingt Cavallis Musik ungemein farbig. Christopher Bucknall leitet die Aufführung vom Cembalo aus, und er zeichnet die Gefühlsregungen des singenden Personals flexibel nach, sehr lebendig, unterscheidet dabei sensibel zwischen einem Parlando-Gesprächston und ariosen Momenten.

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Jupiter präsentiert Calisto als neuen Star am Clubhimmel.

Komödie und bittersüße Tragödie liegen nahe beieinander, und die Aufführung ist in ihrem Spielwitz auch über drei Stunden (mit Pause) ausgesprochen kurzweilig und immer wieder berührend - man kann sogar mit Jupiters entzürnter Gattin Juno mitfühlen, wenn sie in ihrer Wut die doch eigentlich unschuldige Calisto in einen Bären verwandelt, was in diesem Ambiente natürlich problematisch ist. Offenbar schüttet sie ihr eine Säure ins Gesicht, entstellt sie. Jupiter, so will es die Mythologie, versetzt Calisto dann als Stern an den Himmel. Hier behängt er sie, wie es reiche Herren mit ihren Gespielinnen eben so tun, mit Schmuck, und sie wird das Sternchen an seiner Seite. Ein böser, vielleicht allzu naheliegender und klischeehafter Schluss. Die Fallhöhe - oder das Pathos - von Jens Kerbels ganz anders eindrucksvoller Bonner Inszenierung hat das nicht. Gleichwohl: Innerhalb von vier Wochen zweimal La Calisto, ein barockes Schmuckstück sondergleichen, in ganz unterschiedlichen Sichtweisen und Ästhetiken zu erleben, das zeichnet die Kulturlandschaft in NRW aus. Die Theater werden fehlen in den Wochen nach dieser Premiere, und die Clubs und Bars und Discos und Partys als Orte der Begegnung und Selbstfindung auch. Unglücklich kann man freilich auch dort werden wie diese Calisto. Sterne haben es bekanntlich ziemlich einsam.


FAZIT

Ob Gott, Nymphe oder Hirte, der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen: Ludger Engels erzählt von der furchtbaren Notwendigkeit, in der Begegnung mit anderen seine Rolle und Identität zu finden. La Calisto ist in dieser Gestalt das Stück der Stunde. Szenisch wie musikalisch eine tolle Aufführung.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christopher Bucknall

Inszenierung
Ludger Engels

Bühne
Ric Schachtebeck

Kostüme
Raphael Jacobs

Choreographie
Ken Bridgen

Sounddesign
Tilman Kanitz

Dramaturgie
Pia-Rabea Vornholt


Statisterie des Theater Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Das Schicksal
Rosha Fitzhowle /
* Anna Graf

Die Natur
James Laing

Die Ewigkeit
Maria-Eunju Park /
* Jelena Rakic

Jupiter
Fabio Lesuisse

Merkur
Hyunhan Hwang

Diana, Göttin der Jagd
Fanny Lustaud

Calisto, eine Nymphe
Suzanne Jerosme

Linfea, Nymphe
Maria-Eunju Park /
* Jelena Rakic

Endimione, ein Schäfer
James Laing

Satirino, ein kleiner Satyr
* Luca Segger /
Sarah-Léna Winterberg

Pan, Gott der Schäfer
Takahiro Namiki

Sylvanus, Waldgott
Pawel Lawreszuk

Juno, Jupiters Gattin
Rosha Fitzhowle /
* Anna Graf

Furia 1
Kim Savelsbergh

Furia 2
Aïsha Tümmler



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen
(Homepage)





Da capo al Fine

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