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Die Einsamkeit der SterneVon Stefan Schmöe / Fotos: Wil van IerselKurz nach Ende dieser Premiere ging in allen Bars und Restaurants im Land das Licht aus - für mindestens vier Wochen, zur Eindämmung der grassierenden Pandemie. Wie es dann aussehen könnte, zeigt das Bild, mit dem diese Inszenierung eröffnet wird - ein Club, leere Flaschen auf der Theke, Staub auf den Möbeln, die Pflanzen vertrocknet (Bühne: Ric Schachtebeck). Regisseur Ludger Engels konnte bei der Konzeption kaum wissen, vielleicht ahnen, wie aktuell diese Szenerie am Premierenabend sein würde. Auf dem Catwalk in der Clubszene ist extravagante Mode, auch über konventionelle Geschlechterrollen hinweg, ausdrücklich erwünscht: Jupiter in Gestalt der Juno.
Die Handlung setzt bei Cavalli ein in einer Zeit, in der die Welt verdorrt, ja: verbrannt ist, eine Krisensituation schlechthin. Jupiter begehrt die Nymphe Calisto, die als Dienerin der Jagd- und Keuscheitsgöttin Diana seine Nachstellungen energisch zurückweist - bis er sich in Gestalt eben von Diana nähert und die Verführung zur vermeintlichen Chefsache macht. Die echte Diana bändelt indes, Keuschheit hin oder her, mit dem Hirten Endimione an, der unsterblich in sie verliebt ist. Und es gibt noch andere, die auf der Suche nach Liebe und/oder Erotik sind - ganz schön frivol geht´s in dieser 1651 in Venedig uraufgeführten Oper zu. Nicht anders als heute eben. Und so hat Engels das Geschehen kurzerhand in die Gegenwart versetzt, inspiriert durch die New Yorker Club-Szene der 1980er-Jahre, der "ballroom-culture" mit "voguing", bei dem tänzerisch Posen aus Modeschauen nachgeahmt wurden. Kann man alles im Programmheft nachlesen. Diana und Endimione
Das Konzept geht ziemlich gut auf; zumal immer ein gewisser Schwebezustand bleibt: Die ungemein fantasievollen Kostüme (Raphael Jacobs) sind so stark in einer Kunstwelt angesiedelt, dass man gedanklich gut zwischen Mythologie und der Glitzer-und-Traumwelt der Clubs hin und her springen kann. Und die Personenführung ist so genau, dass diese verzweifelt nach Liebe, aber auch nach ihrer Geschlechterrolle suchenden Menschen Mitgefühl einfordern, nicht nur die unglückliche Calisto (mit leuchtendem Sopran: Suzanne Jerosme), sondern auch der gutherzig naive Endimione (mit liedhaft schlichtem Gestus: Countertenor James Laing), der als einziger in Alltagskleidung auftritt, kein Kostümspektakel veranstaltet, mit mädchenhaft langen Haaren dabei den Gegenpol zum Macho Jupiter darstellt. Der sieht, nach seiner Verwandlung, der keuschen Göttin Diana täuschend ähnlich - bis auf den Bart. Fabio Lesuisse wechselt eindrucksvoll zwischen Bariton und Altstimme, je nach aktueller Gestalt. Diana (mit leuchtendem Sopran: Fanny Lustaud) ist eine formidable Club-Diva, und ihre Begleiterin und ständige Aufpasserin Linfea (jugendlich kokett: Jelena Rakic) kann sich dem allgemeinen Liebestaumel auch nicht entziehen. Merkur (mit geschmeidigem Tenor: Hyunhan Hwang) eilt als Strippenzieher auch schon mal ans DJ-Pult und steuert die Technik. Und auch die weiteren Partien sind durchweg gut besetzt. Calisto
Wenn im Programmheft explizit "Sound-Design" (Tilman Kanitz) aufgeführt ist, denkt man eher an Stockhausen und elektronische Musik als an Barock - aber hier werden tatsächlich immer wieder synthetische Klänge eingespielt, die eine psychedelische Club-Atmosphäre andeuten, und auch das geht tatsächlich gut auf. Meist bleibt der letzte Akkord des Orchesters eine Zeit lang im Raum stehen. Das sind Momente der Verfremdung, die wie Reflexionspausen wirken, aber die Musik nicht zu sehr unterbrechen. Ausgezeichnet spielen die 14 Musiker*innen des Aachener Sinfonieorchesters, Streicher, umfangreiches Continuo und zwei Flöten im Wechsel mit Zinken, und auch in dieser kleinen Besetzung klingt Cavallis Musik ungemein farbig. Christopher Bucknall leitet die Aufführung vom Cembalo aus, und er zeichnet die Gefühlsregungen des singenden Personals flexibel nach, sehr lebendig, unterscheidet dabei sensibel zwischen einem Parlando-Gesprächston und ariosen Momenten. Jupiter präsentiert Calisto als neuen Star am Clubhimmel.
Komödie und bittersüße Tragödie liegen nahe beieinander, und die Aufführung ist in ihrem Spielwitz auch über drei Stunden (mit Pause) ausgesprochen kurzweilig und immer wieder berührend - man kann sogar mit Jupiters entzürnter Gattin Juno mitfühlen, wenn sie in ihrer Wut die doch eigentlich unschuldige Calisto in einen Bären verwandelt, was in diesem Ambiente natürlich problematisch ist. Offenbar schüttet sie ihr eine Säure ins Gesicht, entstellt sie. Jupiter, so will es die Mythologie, versetzt Calisto dann als Stern an den Himmel. Hier behängt er sie, wie es reiche Herren mit ihren Gespielinnen eben so tun, mit Schmuck, und sie wird das Sternchen an seiner Seite. Ein böser, vielleicht allzu naheliegender und klischeehafter Schluss. Die Fallhöhe - oder das Pathos - von Jens Kerbels ganz anders eindrucksvoller Bonner Inszenierung hat das nicht. Gleichwohl: Innerhalb von vier Wochen zweimal La Calisto, ein barockes Schmuckstück sondergleichen, in ganz unterschiedlichen Sichtweisen und Ästhetiken zu erleben, das zeichnet die Kulturlandschaft in NRW aus. Die Theater werden fehlen in den Wochen nach dieser Premiere, und die Clubs und Bars und Discos und Partys als Orte der Begegnung und Selbstfindung auch. Unglücklich kann man freilich auch dort werden wie diese Calisto. Sterne haben es bekanntlich ziemlich einsam.
Ob Gott, Nymphe oder Hirte, der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen: Ludger Engels erzählt von der furchtbaren Notwendigkeit, in der Begegnung mit anderen seine Rolle und Identität zu finden. La Calisto ist in dieser Gestalt das Stück der Stunde. Szenisch wie musikalisch eine tolle Aufführung. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Sounddesign
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Das Schicksal
Die Natur
Die Ewigkeit
Jupiter
Merkur
Diana, Göttin der Jagd
Calisto, eine Nymphe
Linfea, Nymphe
Endimione, ein Schäfer
Satirino, ein kleiner Satyr
Pan, Gott der Schäfer
Sylvanus, Waldgott
Juno, Jupiters Gattin
Furia 1
Furia 2
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- Fine -