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Als die Welt noch schön war
Von Stefan Schmöe / Fotos © Oliver Berg, Theater Münster Das ist schon außergewöhnlich: Eine Oper, die einen großen Lobgesang auf die Müllabfuhr anstimmt. Und einen auf die Polizei. Und auf die Post. (Einen auf den Ehestand auch, aber das ist ja beinahe schon wieder konventionell.) Was Wilhelm Killmayer 1964 komponierte und 1970 grundlegend überarbeitete, knüpft an die "Zeitoper" an, etwa an Hindemiths Neues vom Tage (wo es ein Loblied auf die Warmwasserversorgung gibt), auch an die Revue-Operette der 1920er-Jahre. Aber nicht nur Polizei, Post und Müllabfuhr sind toll, sondern auch der Mai, und dann auch der Juni, Juli etc. Alles ist schön, irgendwie. In welcher anderen Oper erlebt man so viel Wohlgefühl auf einmal? Killmayer hat seinen Spaß an der gnadenlos heilen Welt, und die flotte Musik, die er dazu komponiert hat, geht ins Ohr, da musste seinerzeit und auch heute niemand Angst vor "neuer" Musik haben. Dazu gibt es eine temporeich erzählte skurrile Geschichte: Der Magier Möhringer, ein "Mann der Ordnung", möchte die (ordnungsstörende) Liebe ausrotten und erschafft ein Retortenwesen namens Yolimba, verführerisch schön und darauf abgerichtet zu töten, wer das Wort "Liebe" in irgendeiner Sprache ausspricht. Das Ableben eines Archäologen und eines Operntenors sind noch ausführlich dargestellt, dann dreht sich die Spirale des Tötens der Liebe wegen immer schneller - nur Plakatkleber Herbert spricht das verfluchte Wort "Liebe" partout nicht aus. Damit sind die Grenzen von Möhringers Magie erreicht, der prompt von der Müllabfuhr entsorgt wird. Magier Möhringer, im Hintergrund die drei Herren, die das Geschehen kommentieren.
Tankred Dorst hat das Libretto geschrieben, das Killmayer mit Rückbezügen auf diverse Stilepochen in einem durchaus individuellen, kurzweiligen Stil vertont hat. "Meine musikalische Posse versteht sich als Versuch eines Beitrags zum artifiziellen Unterhaltungstheater", so hat Killmayer sein Werk treffend beschrieben. In Münster wirken neben dem hauseigenen Ensemble samt Extrachor noch Kinderchor und Instrumentalschülerinnen und -schüler der Westfälischen Schule für Musik (die gerade ihr 100jähriges Jubiläum feiert) und Studierende der Musikhochschule mit - ein Großprojekt also, mit dem das Theater sich öffnet (einen ähnlichen Ansatz gab es bei den Wuppertaler Bühnen in der vorigen Spielzeit mit Jonathan Doves Labyrinth). Regie führt Intendant Ulrich Peters persönlich, Yolimba wird also zur Chefsache, und er veranstaltet tolles Theater, in vielen revuehaften Szenen flott choreographiert (Kerstin Ried) und mit außerordentlicher Spielfreude umgesetzt. Die Polizisten sind Mörderin Yolimba auf der Spur ...
Das Sinfonieorchester Münster findet unter der Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg den passenden Tonfall für die schwungvollen Ensembles und die vielen kurzen, musikalisch geschlossenen und dabei witzig und abwechslungsreich komponierten Szenen, die Chöre singen und tanzen toll, und das Solistenensemble glänzt mit Spielwitz - wunderbar, wie Youn-Seong Shim, Pascal Herington und Stefan Sevenich als Herren mit Melone das Geschehen kommentieren oder als Polizisten slapstickhaft herumirren. Marielle Murphy singt souverän die Koloraturen der Yolimba und tanzt auch noch großartig, Gregor Dalal ist ein stimmgewaltiger Magier Möhringer. Peters hat das bunte Treiben mit viel Liebe zum Detail umgesetzt, das funktionelle Bühnenbild (Andreas Becker), in dem sich immer wieder große Risse auftun, wird mit Videosequenzen (Sven Stratmann) belebt. Im Zimmer des Archäologen zum Beispiel lugt immer mal wieder ein Skelett um die Ecke. Keine Frage: Das ist 80 Minuten (ohne Pause) lang tatsächlich gutes (und artifizielles) Unterhaltungstheater. ... sehen sich aber letztenlich von dieser gigantischen Waffe bedroht.
Und doch macht die Produktion nicht ganz glücklich. Peters verzichtet auf jegliche Aktualisierung und belässt die Figuren in einer Zeit, als der Polizist noch als "Schutzmann" galt - das muss in seiner Biederkeit schon bei der Revision 1970, da wehrten sich die Studenten längst gegen das Establishment und der Ruf der Polizei war gar nicht mehr überall gut, einigermaßen anachronistisch gewesen sein. Natürlich haben Dorst und Killmayer das Sittenbild mit einer ganzen Menge Ironie verzuckert, da durfte man die vermeintlich heile Welt des Wirtschaftswunders und sich selbst sanft belächeln. Wenn Peters jetzt aber unter Vermeidung auch kleinster Spuren satirischer Schärfe auch noch die historische Distanz brav einhält, dann wird Yolimba gänzlich belanglos. Es wäre spannend gewesen, mit einer pointierten Regie das Loblied auf die heutige Post und Polizei zu singen und zu prüfen, ob die Oper noch kabarettistische Spitzen besitzt. So aber gilt für das Werk wie für die Regie: Handwerklich gut gemacht, durchaus unterhaltsam, aber für die Fragen unserer Zeit völlig irrelevant. Ein bisschen mehr Zeitgeist darf man vom (Musik-)Theater, das sich in Münster freilich schon länger auf diese unpolitische Position zurückgezogen hat, schon erwarten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Choreographie
Bühne und Kostüme
Video
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten(* Besetzung der rezensierten Vorstellung)
Möhringer, ein Magier
Yolimba, Möhringers Geschöpf
1.Herr /1.Postbeamter/1.Polizeibeamter
2.Herr/2.Postbeamter/2.Polizeibeamter
3.Herr/3.Postbeamter/3.Polizeibeamter
Professor Wallerstein
Gattin/1.Witwe
Gerda, das Hausmädchen/4.Witwe
Die drei Söhne
Die zwei Töchter
Operntenor
2. Witwe
3. Witwe
5. Witwe
6. Witwe
Herbert, ein Plakatankleber
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