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Therapie im Schnee
Von Roberto Becker /
Fotos von
Wilfried Hösl
Für Opernnovitäten sind die Nachinszenierungen fast noch wichtiger als die Uraufführungen selbst. Kommt es nicht - oder erst nach langer Zeit - zu einer Zweit- oder Drittinszenierung eines neuen Werkes, droht es schnell in der Ecke des imaginären Archives zu landen, in dem die Versuche lagern, mit denen ehrgeizige Intendanten ihr Gewissen gegenüber der Gattung beruhigen. Eigentlich müsste es einen Preis für die Opernhäuser geben, die neue Werke nachspielen. Der Intendant der Bayerischen Staatsoper in München wäre da ein aktueller Anwärter, denn dort war jetzt die zweite Inszenierung der wenige Monate vorher in Kopenhagen uraufgeführten Schneekönigin zu erleben. Wobei die Opernversion zu Hans Christian Andersens Märchen in Kopenhagen in dänischer Sprache über die Bühne ging, während in München die englische Version zum ersten Mal zu erleben war. In dieser Fassung soll das Werk - marketingtechnisch völlig nachvollziehbar - seine Reise in die Welt antreten.
Der dänische Komponist Hans Abrahamsen (*1952) hat seine erste Oper Snow Queen zu einem Libretto komponiert, das er selbst gemeinsam mit Henrik Engelbrecht aus dem Märchen seines berühmten Landsmannes destilliert hat. Zehn Jahre hat der Komponist daran gearbeitet. In München sorgten Andreas Kriegenburg, Harald B. Thor (Bühne), Andrea Schraad (Kostüme) und Michael Bauer (Licht) für eine eindrucksvolle szenische Realisierung, wobei sie sich nicht mit einer puren Bebilderung (von der Lichtinstallation auf der Fassade des Opernhauses bis zur letzten Schneeflocke auf der Bühne) begnügen. Sie versuchen vielmehr, den psychologischen Subtext sichtbar zu machen. So gesehen verbündet sich Kriegerburg enger mit der Musik als mit der Märchenvorlage. Natürlich meint Kälte hier vor allem seelische Kälte, eingefrorene Gefühle, Vereinsamung.
Kay kommt der Welt und seiner Herzensfreundin Gerda abhanden. Die kann und will den Verlust nicht akzeptieren, hält an ihrem Gefühl fest, überwindet alle Widerstände und findet ihn schließlich. Kriegenburg verlegt diese Suche nach dem verlorenen Freund in eine psychiatrische Klinik. Leicht heruntergekommene, gekachelte Sterilität bestimmt das Interieur auf den ersten Blick. Wenn sich die Pforten öffnen, dann wird aber zugleich eine poetische Welt sichtbar. Krankenschwestern bewegen sich mit ihren flügelartigen Kopfbedeckungen wie Engel durch die weißen Räume. Hinter jeder durchscheinenden Plastikwand wird ein weiterer Raum sichtbar. Im letzten, ganz hinten, sieht es aus wie in einem OP-Saal oder in der Pathologie.
Dass die Titelpartie nicht, wie man erwarten könnte, so wie die Königin der Nacht einem Koloratursopran, sondern einem Bass zugeschrieben ist, wird für die Inszenierung zu einer Steilvorlage, in der man sich die Begegnung, die Kay mit der Schneekönigin hat, als einen Übergriff mit Missbrauchsabsichten vorstellen kann. Kays Verstummen und emotionales Erstarren wäre dann ein daraus folgendes Trauma. Kriegenburg gibt die lineare, dem Verlauf der Zeit folgende Erzählung auf und setzt stattdessen auf eine poetisch traumhafte Gleichzeitigkeit. Gerda und Kay werden auf der Bühne als Kinder und als Jugendliche gedoubelt. Kay ist (für Gerda?) oft (in Gestalt von Thomas Gräßle) als verstummtes, sprich erkranktes Alter ego von Rachel Wilson gegenwärtig. So findet womöglich auch das ausgelassene Happy End nur in Gerdas Fantasie statt. So wie in Thomas Manns Zauberberg hat sie die Welt verschlungen, in die sie auf der Suche nach etwas Verlorenem eingedrungen war.
München bietet, wie hier üblich, ein exemplarisches Protagonistenensemble auf. Barbara Hannigan setzt ihr athletisch grundiertes darstellerisches Charisma und ihre exzellente vokale Ausdruckskraft für die Rolle der aktiv suchenden Gerda ein. Der Komponist hatte sie für diese Partie vor dem inneren Ohr. Ob zurecht, das konnte er erst in München überprüfen - die kanadische Ausnahmesängerin übernimmt nämlich nur Partien in Sprachen, die sie auch spricht. Auch die Mezzosopranistin Rachel Wilson fasziniert als ein Kay auf Augenhöhe. Peter Rose ist mit der Titelpartie geradezu unterfordert, übernimmt aber auch noch das bei der Suche nach Kay helfende Rentier und am Ende die Uhr. Die Großmutter (Kataryna Dalayman) wird im Verlaufe von Gerdas Suche zu einer rätselhaften Blumenfrau und dann zu einer zauberischen Finn-Frau. Caroline Wettergreen und Dean Power haben ihren Auftritt als Prinzenpaar, zwei Krähen (Kevin Conners und Owen Willetts) werden - wie das Rentier - zu Helfern bei der Suche. Die Musik imaginiert ausgiebig dieses Schweben in Alptraumwelten. Sie setzt auf minimalistische Klangflächen von oft betörendem sinnlichem Reiz, aus denen sich gelegentlich Ausbrüche wie Schneegestöber erheben. Der Stuttgarter GMD Cornelius Meister stand das erste Mal am Pult des Bayerischen Staatsorchesters und überzeugte mit seiner souveränen Beherrschung der komplexen Partitur. FAZITZur märchenhaften musikalischen Verführung durch Hans Abrahamsens erste Oper bieten München ein exzellentes Protagonistenenemble und Andreas Kriegenburg seine überzeugendste Inszenierung seit langem auf. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Gerda
Kay
Kay
Grandmother/Old Lady/Finn Woman
Snow Queen/Reindeer/Clock
Princess
Prince
Forest Crow
Castle Crow
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