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Musiktheater
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Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen und englischen  Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden 45 Minuten (zwei Pausen)

Premiere in der Oper Leipzig am 5. Oktober 2019


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Oper Leipzig
(Homepage)

Tot sein ist schöner

Von Bernd Stopka / Fotos: © Oper Leipzig

„WAGNER 22“ - unter diesem Projektnamen erarbeitet bzw. vervollständigt die Oper Leipzig derzeit die Liste aller 13 Bühnenwerke Richard Wagners, die im Jahr 2022 innerhalb von drei Wochen als Wagner-Opernfesttage gezeigt werden sollen.
Tristan und Isolde, Wagners wohl genialstes Werk, das mit so überbordender Leidenschaft den ungestümen und friedlosen Liebestaumel nur im gemeinsamen Tod Ruhe und Befriedigung finden lässt, wird unter der Regie von Enrico Lübbe und der Co-Regie von Torsten Buß in den Bühnenbildern von Étienne Pluss und den Kostümen von Linda Redlin als düster-tragisches Endzeitdrama interpretiert. 

Foto folgtBrangäne (Barbara Kozelj), Isolde (Meagan Miller)

Ein vielfältiger, von allen Seiten bespielbarer und teilweise offener Drehbühnenaufbau dient als Bühnenbild, besser gesagt als Bühnenraum. Er zeigt verschiedene Ebenen eines zerstörten, verrottenden Luxusschiffes: eine Halle, eine Treppe, das Skelett eines Schiffsbugs und diverse Ansichten dazwischen und hindurch. Zusammen mit der in diesem Ort des Zerfalls geradezu betörenden Ausleuchtung (Licht: Olaf Freese) entstehen enorm starke Szenenbilder, die momentweise mit Projektionen ihrer selbst (fettFilm) zu surrealen Eindrücken ergänzt werden. Ein Musterbeispiel dafür, wie die oft wenig geliebten Projektionen auf der Bühne Sinn und Dimension erschließend eingesetzt werden können.
Ein Neonlichtrahmen umgrenzt die Bühne, glüht auf, wenn sich die Handlung ins leidenschaftlich Überirdische bewegt, und grenzt es von der realen Welt ab. Dann wird die Bühne schwarz und der Fokus liegt ganz allein auf den Figuren. Die Kostüme erinnern an die 30er/40er Jahre des letzten Jahrhunderts, Isoldes Seidenmantel an einen, den auch Cosima Wagner hätte getragen haben können.

Die Inszenierung erzählt die Geschichte im Wesentlichen, wie sie geschrieben steht. Vor allem dem ersten Akt tut dies unglaublich gut, weil man sich ganz auf Text und Musik konzentrieren kann, nicht abgelenkt wird, aber eben - trotz vieler statischer Passagen – auch nicht gelangweilt! Da hat die Musik das Sagen und die hat ja bekanntlich einiges zu erzählen.
Isolde sitzt an einem Tisch, der auf einem verbliebenen und verblichenen Teppich steht (eine Reminiszenz an Wagners Regieanweisung „reich mit Teppichen behangen“?). Tristan sitzt an einer anderen Stelle der Drehbühne im Skelett eines Schiffsbugs – ebenfalls an einem Tisch. Sie voller Rache, er voller Fragezeichen im Gesicht. Die spätere Begegnung zeigt, dass beide gefasst und distanziert erscheinen wollen, innerlich aber gleiche alte Liebe spüren. So trinkt Tristan den vermeintlichen Todestrank gern und reicht Isolde den Becher mit der Hälfte, noch bevor sie „Mein die Hälfte!“ fordert. Schon hier wird die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Tod als einzige Vereinigung angedeutet. Nachdem Brangäne und Isolde den Todestrank lange Zeit in den Händen hielten, wird in dieser Inszenierung ganz deutlich, dass Brangäne ihn bewusst mit dem Liebestrank vertauscht hat, nicht versehentlich. Markes freudig resoluter Auftritt am Ende des ersten Aktes holt Liebende und Zuschauende kalt in die Realität zurück.

Vergrößerung in neuem
                      FensterChor

Der zweite Aufzug kann mit seiner Personenregie nicht halten, was der erste so eindrucksvoll und überzeugend versprach. Auch hier wird Erzähltes sichtbar, wenn Marke mit Gefolge zur Jagd aufbricht. Seine Mannen stellen Kerzen (statt einer Fackel) auf, die Isolde dann ausbläst. Eindrucksvoll erscheint auch hier das Bühnenbild, das eine große breite Treppe zeigt (Cineasten erinnern sich, dass solchen auf sinkenden Luxusdampfern durchaus eine gewisse Bedeutung zukommen kann). Tristan erscheint durch eine Tür oberhalb der Treppe, hinter der gleißendes Licht leuchtet. Während des Liebesduetts verselbständigt sich die Idee der zwei aufeinandertreffenden Welten, wenn sich der Portalschleier immer wieder hebt und senkt (oder war das ein technischer Defekt in der Premiere? Auf jeden Fall ist das enervierend).
Zu „selbst dann bin ich die Welt: Wonne-hehrstes Weben, liebe-heiligstes Leben, nie-wieder-Erwachens wahnlos hold bewusster Wunsch.“ treten Tristan und Isolde aus dem Bild über den Rahmen – in die überirdische, irreale Welt. Brangäne singt einen Teil ihrer Wacht-Rufe während sie über die Bühne schreitet. Doubles der beiden Liebenden treten auf und andere werden projiziert. Sie vertauschen die Plätze und öffnen scheinbar singend den Mund, wenn der andere verkündet, „Tristan du, ich Isolde, nicht mehr Tristan!“. „Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Isolde!“. Das ineinander Aufgehen, das sich selbst Aufgeben in unendlicher, selbstloser Liebe wird hier bebildert. Ob diese Doppelungen zum Verständnis nötig sind, bleibt allerdings fraglich, wirkt das Ganze doch etwas sehr gewollt und zeigefingerbewaffnet. Mit Markes Auftritt erscheint auch wieder die Stärke der Personenregie, so, wie sie im ersten Akt überzeugen konnte. Dieser Marke ist kein Jammerlappen. Er ist wütend, verärgert, kann nicht fassen, was da geschehen ist, packt Melot mehrfach am Kragen und schleudert ihn von sich. Er zeigt alle Gefühle, die man in so einer Situation haben kann und mit „Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund?“ setzt er sich verzweifelt auf die Treppe und schaut Tristan ratlos an. Eine ungeheuer starke Szene, von Sebastian Pilgrim fantastisch gespielt und gesungen.
Die immer wieder gestellte große Frage „Ist das ein Tristan mit Anfassen oder ohne“ ist hier nicht ganz eindeutig zu beantworten. Zwar kann man die Berührungen an einer Hand abzählen, aber immerhin gibt es sie. Die Innigste mit einem Kuss ausgerechnet vor Marke, nachdem Isolde sich schon demonstrativ an die Seite des abgehen wollenden Marke gestellt hatte und Tristan sie mit „Wohin nun Tristan scheidet, willst du, Isold', ihm folgen?“ erfolgreich zurückruft. Melot geht mit einem Messer auf Tristan los, das der ihm abnimmt und mit dem er sich nach einem kurzen Handgemenge in die Brust sticht. Melot breitet unschuldbeteuernd die Hände aus, als wollte er sagen „ich war’s nicht“.

Bild folgtTristan (Daniel Kirch), Isolde (Meagan Miller)

Der dritte Akt zeigt einen Zwischenbereich auf der Drehbühne: ein Stück Treppe, ein Stück Halle sind an den Seiten zu sehen. Tristan sitzt in einem Lehnstuhl, Kurwenal, wie stützend, Rücken an Rückenlehne. Die „alte Weise“, die der Hirt spielt, erscheint persönlich auf der Bühne: die Englischhornistin tritt in schlicht-schwarzer Orchesterkleidung auf und geht spielend über die Bühne, „Muss ich dich so verstehn, du alte ernste Weise“ singt Tristan dann direkt zu ihr. Gewiss, er spricht die Musik an – ob der Auftritt für die ganz spezielle Stimmung dieses Aktes hilfreich ist, mag jeder selbst entscheiden. In Tristans Fiebervision erscheint ihm Isolde gleich siebenfach. Doubles betreten die Bühne, gehen wieder ab, kommen an anderer Stelle zurück. Die echte Isolde erlebt ihn bei ihrem Auftritt noch lebend, doch er stirbt in ihren Armen. Kurwenal metzelt Melot und alle vermeintlichen Angreifer aus Markes Mannen nieder, bevor er selbst stirbt.
Isolde singt den Liebestod noch hinter dem leuchtenden Rahmen, während der verklärt aufgestandene (nicht auferstandene!) Tristan vor den Rahmen tritt, beständig selig, aber etwas dusselig-wirkend grinst („Mild und leise wie er lächelt“…?) und Isolde die Hand ausstreckt. Am Ende gehen sie Hand in Hand, glücklich und voller Elan wie vorher nie über den Rahmen zurück ins Bühnenbild, einem gold-grell blendendem Scheinwerfer entgegen. Was im Leben nicht möglich war, ist es ja eventuell im bzw. nach dem Tode. Tot sein ist dann vielleicht doch schöner…

Ulf Schirmer, Intendant und GMD der Oper Leipzig beginnt das Vorspiel sehr langsam mit ausgedehnten Generalpausen und lässt den zögerlichen Beginn wie ein vorsichtiges Herantasten an große Gefühle wirken. Mal flachen die Phrasen zögerlich ab, mal werden sie schwelgerisch ausgespielt, um sich dann wieder zurückzunehmen. Es entsteht im chromatischen Sog der unendlichen Melodie ein Gefühl, der Musik zu verfallen und in ihr Meer einzutauchen. Der ganze Abend wirkt wie ein großer musikalischer Bogen, der seinem einzig möglichen Ende entgegenstrebt. Die intensiven Crescendi im Vorspiel zum dritten Akt, die Sehnsucht und Verzweiflung geradezu körperlich spürbar machen, seien als weiteres Beispiel für die Intensität genannt, mit der Schirmer die Partitur Klang werden lässt. Ein Tristan-Dirigat, das begeistert, auch wenn es für die Sänger zuweilen etwas zu laut wird. Das Gewandhausorchester klingt wundervoll satt und schwelgerisch, die Musiker folgen ihrem Chef mit Engagement und hörbarer Leidenschaft und reichern die Klänge nur gelegentlich mit partiturfremden Tönen an.

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                          Fenster Tristan (Daniel Kirch), Isolde (Meagan Miller)

Selten hört man die Isolde so exakt kontrolliert und wirklich schön klingend gesungen wie von Meagan Miller, die hier ihr Rollendebüt gibt. Ihre Isolde ist eine jugendliche Frau, die viele warme und zuweilen sogar mädchenhafte Töne und ein geradezu überirdisch schwebendes „höchste Lust“ am Ende des Liebestodes hören lässt. Vielleicht steht sie noch nicht ganz über der Partie, was die Konzentration auf den Gesang und eine gewisse Distanz in der Darstellung zur Folge hat. Daniel Kirchs Tenor bewegt sich von einem baritonalen Fundament aus noch nicht ganz sicher in der wohl anspruchsvollsten Tenor-Partie des Wagner-Gesangs. Er klingt oft angestrengt, leicht rau und nicht ganz intonationssicher in der Höhe. In den Fieberfantasien des dritten Aktes gelingen ihm dann aber wohlklingende Passagen und klangvoll ausgesungene Spitzentöne. Sebastian Pilgrim kann als Marke ein eindrucksvolles Rollendebüt feiern. Sein angenehm timbrierter, in der Tiefe ausgesprochen sonorer Bass ist in Mittellage und Höhe sehr flexibel und so gelingt es ihm, den betrogenen König zwischen Wut, Verzweiflung, Trauer und ratlosem Kummer vieldimensional zu gestalten.
Als Brangäne ist Barbara Kozelj eine mit viel Vernunft denkende Mahnerin, die Isolde eher mit vollstimmig klar klingenden Ansagen als mit warm flehenden Bitten zur Seite steht. Eine spannende Interpretation dieser Partie. Jukka Rasilainen, kurzfristig als Kurwenal eingesprungen und erst einen Tag vorher in die Inszenierung eingewiesen, lässt mit reifer Stimme Erinnerungen an seinen stimmlichen Zenit wach werden. Matthias Stier gestaltet den Melot auch stimmlich als freundlich-falschen Verräter, der es ja angeblich nur gut meint. Franz Xaver Schlecht lässt als Steuermann ebenso aufhorchen wie Alvaro Zambrano als junger Seemann und Martin Petzold singt überzeugend einen besorgten, väterlichen Hirten. Die Herren des Opernchors, die als Seeleute und Gefolge auf der Bühne zu sehen sind, klingen kraftvoll und homogen.


FAZIT

Ein fantastisches Bühnenbild, das Raum für eine intensive Personenregie bietet, die überzeugt, wenn sie die vielfältigen Gefühle deutlich macht. Stark gelingt das vor allem im ersten Akt, weniger überzeugend im zweiten. Ein wunderbares Dirigat, Meagan Millers vielversprechendes Rollendebüt als Isolde und Sebastian Pilgrims vieldimensional begeisterndes als Marke ragen aus der musikalischen Seite der Produktion hervor.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ulf Schirmer

Inszenierung
Enrico Lübbe

Co-Regie
Torsten Buß

Bühne
Étienne Pluss

Kostüme
Linda Redlin

Licht
Olaf Freese

Video
fettFilm

Chor
Thomas Eitler-de Lint

Dramaturgie
Nele Winter


Gewandhausorchester

Herren des Chores
der Oper Leipzig

Komparserie
der Oper Leipzig


Solisten

Isolde
Meagan Miller

Brangäne
Barbara Kozelj

Tristan
Daniel Kirch

König Marke
Sabastian Pilgrim

Kurwenal
Jukka Rasilainen

Melot
Matthias Stier

Ein Hirt
Martin Petzold

Steuermann
Franz Xaver Schlecht

Ein junger Seemann
Alvaro Zambrano





Weitere Informationen
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Oper Leipzig
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