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Prolog - Schwanensee - aufgetaucht

Ballett von Marguerite Donlon
Musik von Peter Iljitsch Tschaikowsky, Sam Auinger und Claas Willeke in einer Orchesterbearbeitung von Rodrigo Tomillo

Aufführungsdauer: ca. 50' (keine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 20. Juni 2020


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Pas de deux mit Plastikfolie

Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Look (Rechte Theater Hagen)

Über drei Monate ist es jetzt her, dass die Covid-19-Pandemie dem Spielbetrieb auf den Bühnen ein Ende bereitet hat. Seit Anfang Juni beginnen einzelne Theater langsam, neben zahlreichen Streams, mit denen sie während des Lockdowns den Kontakt zum Publikum gehalten haben, auch Live-Erlebnisse wieder möglich zu machen. Dabei ist man aber noch weit von einem regulären Spielbetrieb entfernt. Immerhin gelten immer noch strenge Abstandsregeln, die für die Veranstaltungen nur ein sehr dezidiertes Publikum zulassen, und auch auf der Bühne gibt es strenge Vorschriften. So ist derzeit große Oper mit Orchester und Chor noch völlig undenkbar, und auch im Bereich des Tanzes ist man sehr eingeschränkt. Die neue Ballettdirektorin in Hagen, Marguerite Donlon, der zu Beginn der Spielzeit mit ihrem Ballettabend Casa azul über die Ausnahmekünstlerin Frida Kahlo ein furioser Einstieg gelungen war (siehe auch unsere Rezension), hatte sich eigentlich für die zweite Hälfte der Spielzeit eine Bearbeitung des Ballettklassikers Schwanensee vorgenommen, den sie 2009 als Leiterin der Ballettsparte am Saarländischen Staatstheater unter dem Titel Schwanensee - aufgetaucht kreiert hatte. Als jedoch klar wurde, dass eine Realisierung in dieser Spielzeit nicht mehr umgesetzt werden könne, hat sie einen Prolog entwickelt, der einen Einblick in die einzelnen Figuren der Geschichte gewähren soll und jetzt im Großen Haus seine Uraufführung erlebt.

Insgesamt 120 Sitzplätze von den fast 800 Plätzen, die das Haus normalerweise bietet, können unter Einhaltung der derzeit geltenden Sicherheitsvorschriften vergeben werden. Zwei Reihen sind zwischen den vergebenen Plätzen für die Zuschauer*innen gesperrt, und auch in den übrigen Reihen müssen mehrere Plätze frei bleiben, um die erforderlichen Abstände zu wahren. Auch der Zugang zum Theater wird über fest vorgeschriebene Eingänge geregelt: Nicht weniger strikt sind die Vorschriften auf der Bühne und im Orchestergraben. Rodrigo Tomillo, 1. Kapellmeister am Theater Hagen, hat für den Prolog aus Tschaikowskys Ballettmusik einzelne Nummern ausgewählt und für insgesamt 13 Musiker*innen instrumentiert, die im Orchestergraben, in den seitlichen Logen, im Rang und auch auf der Bühne platziert sind. Verwoben werden diese Orchesterparts mit elektronischen Klängen von Sam Auinger und Claas Willeke, die jeweils als Übergang von einer Figur zur nächsten dienen.

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Rotbart (Alexandre Démont) begehrt die Königin, Siegfrieds Mutter (Noemi Emanuela Martone).

Donlon konzentriert sich in ihrem Prolog auf fünf Figuren des Ballettklassikers: Odette, Odile, Siegfried, Rotbart und Siegfrieds Mutter. Letztere spielt als Königin im eigentlichen Handlungsballett keine allzu große Rolle, wirft aber Fragen auf, auf die Donlon in ihrer Bearbeitung eine Antwort sucht. So ist es die Königin, der Rotbart zu Beginn des Abends begegnet und die ihn fasziniert und magisch anzieht. Ihre Zurückweisung kann er jedoch nicht akzeptieren, so dass er sie schließlich vergewaltigt und zum in der eigentlichen Geschichte nicht erwähnten Vater Siegfrieds wird. Dass Rotbart Siegfried schließlich zerstören will, resultiert aus seiner Eifersucht, da er erkennt, dass Siegfried die wichtigste und wertvollste Person im Leben der Königin darstellt. Dazu benutzt er den schwarzen Schwan Odile, den Donlon in einem inneren Kampf zeigt. Einerseits muss Odile Rotbart gehorchen, um überleben zu können, andererseits ist sie verzweifelt über das Leid, das sie dem weißen Schwan Odette und Siegfried zufügt. Auch ein Blick auf das Ende der Geschichte wird in diesem Prolog bereits geworfen, so dass man gespannt sein darf, wie dieser Abend mit dem für Februar 2021 geplanten Hauptwerk Schwanensee - aufgetaucht in Relation stehen wird.

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Die Schwäne (Ensemble)

Das Bühnenbild stammt ebenfalls von Donlon und arbeitet mit Videosequenzen von Denislav Kanev und Zachary Chant, die mit dem Ensemble in der Paasmühle, einer Pflegestation für Wasservögel, entstanden sind. Dort finden verletzte Vögel, verlassene Jungvögel, Schwäne und Eulen einen Zufluchtsort, um für das Überleben in der freien Natur wieder fit gemacht zu werden. Diese Kulisse bietet zum einen wunderbare Bilder einer natürlichen Umgebung und ermöglicht es den Tänzer*innen im erforderlichen Abstand zu agieren. Indem diese Bilder vor das Bühnengeschehen projiziert werden, suggeriert es auch eine Fülle von Schwänen, die einerseits bei dem kleinen Ensemble der Ballettsparte in Hagen und andererseits bei den derzeitigen Einschränkungen sonst nicht möglich gewesen wäre. Die Schwäne tragen zwar weiße Röcke und eine weiße Perücke, die an Federn erinnert, symbolisieren ansonsten jedoch eher Menschen, die außerhalb der "normalen" Gesellschaft stehen. So werden sie auch, anders als im eigentlichen Ballettklassiker, sowohl von Tänzerinnen als auch von Tänzern dargestellt. Mit den Armen werden zwar Flügelschläge angedeutet, die aber in gewisser Weise recht abstrakt bleiben. Der See wird zum einen von einer wunderschönen Videoprojektion zu Beginn des Abends dargestellt, bei der man das Gefühl hat, auf eine im Mondlicht geheimnisvoll schimmernden Wasseroberfläche zu blicken, und zum anderen von mit klarem Wasser gefüllten durchsichtigen Schalen angedeutet, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden und durch eine ausgeklügelte Lichtregie nahezu magisch reflektieren.

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Durch eine Folie getrennt: Odette (Jeong Min Kim) und Siegfried (Dario Rigaglia)

Direkter Körperkontakt findet nur ganz zu Beginn des Abends statt. Wenn Rotbart (Alexandre Démont) die Königin (Noemi Emanuela Martone) umwirbt und schließlich vergewaltigt, kommen die beiden sich bei einem Pas de deux sehr nahe. Die übrigen Protagonisten agieren durch eine Schutzfolie, die aus dem Schnürboden herabgelassen wird und als Projektionsfläche geschickt ins Spiel einbezogen wird. So wird sehr deutlich, dass Siegfried (Dario Rigaglia) und Odette (Jeong Min Kim) nicht zueinander finden können. Rigaglia und Kim gelingt es sehr eindringlich, diesen Zwiespalt zwischen Nähe und Distanz umzusetzen. Auch die Störaktionen durch Odile (Amber Neumann) beim ersten Zusammentreffen der beiden werden durch die Schutzfolie, die die Bilder immer wieder verzerrt, großartig umgesetzt. So tauschen die beiden Schwäne bereits hier die Rollen, und es wird klar, dass diese Täuschung für Odette und Siegfried fatale Folgen haben wird. Wenn Rotbart kleine gebastelte Papierschwäne zerreißt, fallen weiße Federn aus dem Schnürboden auf Odette herab. Am Ende bleibt Siegfried allein an einer durchsichtigen Wasserschale zurück und scheint im Wasser verzweifelt nach seiner geliebten Odette zu suchen.

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Schwarzer Schwan (Amber Neumann, links) und weißer Schwan (Jeong Min Kim), im Hintergrund: Rotbart (Alexandre Démont, vor der Folie) und Siegfried (Dario Rigaglia, hinter der Folie)

Durch den Einsatz der Drehbühne rücken immer wieder andere Figuren in den Mittelpunkt. So sieht man mal Siegfried, wie er mit der Last des Throns hadert, der durch einen hohen roten Stuhl mit schwarzem Rahmen auf die Bühne gefahren wird. Dann wird Ute Blaumer mit der Harfe auf die Bühne gefahren und untermalt wunderbar den Klang der Wellen auf dem See. Auch die anderen Musiker*innen werden von Rodrigo Tomillo am Pult trotz der teilweise ungewöhnlichen räumlichen Distanz zu einem einheitlichen Klangkörper zusammengeführt. Ergänzt wird der Orchesterklang durch das eindringliche Klavierspiel von Uroš Ugarković. Das Publikum bedankt sich mit großem Jubel, in den sich auch Donlon einreiht. Die Blumen übergibt sie ihren Tänzer*innen dieses Mal nicht persönlich, sondern kann sie nur in einer großen Vase auf der Bühne platzieren, so dass die einzelnen Tänzer*innen bei ihrem Abgang jeweils eine Blume entnehmen können. Spätestens jetzt merkt man, wie schmerzlich Distanz sein kann.

FAZIT

Marguerite Donlon gelingen mit diesem Prolog eindringliche Bilder, die von den Tänzer*innen wunderbar umgesetzt werden und die Vorfreude auf den für Februar 2021 geplanten kompletten Abend wachsen lassen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rodrigo Tomillo

Konzept, Choreographie und Bühne
Marguerite Donlon

Kostüme
Markus Maas

Licht
Hans-Joachim Köster

Video
Denislav Kanev
Zachary Chant

Dramaturgie
Waltraut Körver

 

Philharmonisches Orchester Hagen

Solo-Violine
*Kalina Kolarova /
Ilzoo Park

Solo-Harfe
*Ute Blaumer /
Enea Cavallo

Klavier
Uroš Ugarković


Tänzerinnen und Tänzer

*Premierenbesetzung

Odette
*Jeong Min Kim /
Filipa Amorim

Odile
*Amber Neumann /
Ambre Twardowski

Siegfrieds Mutter
*Noemi Emanuela Martone /
Sara Peña

Siegfried
*Dario Rigaglia /
Ciro Iorio

Rotbart
*Alexandre Démont /
Peter Copek

Schwäne
Brandon Alexander
Gennaro Chianese
Federica Mento

Weitere Schwäne in wechselnder Besetzung
Filipa Amorim
Ciro Iorio
Jeong Min Kim
Noemie Emanuela Martone
Amber Neumann
*Sara Peña
*Ambre Twardowski


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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