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Die Stumme von Portici
(La muette de Portici)

Opéra in fünf Akten
Libretto von Augustin Eugène Scribe und Germain Delavigne
Deutsche Teilübersetzung von Bettina Bartz für das Theater Dortmund
Musik von
Daniel-François-Esprit Auber

in französischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Generalprobe II  im Opernhaus Dortmund am 13. März 2020




Theater Dortmund
(Homepage)
Große Oper mit fragwürdiger Rahmenhandlung

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas M. Jauk (© Stage Picture)

Der Corona-Virus beeinträchtigt in Deutschland mittlerweile auch Kulturleben. So haben nun auch das Theater und Konzerthaus Dortmund zunächst einmal alle Veranstaltungen bis zum 15. April 2020 abgesagt. Wie es dann weitergeht, wird wohl davon abhängen, wie sich das Virus weiter ausbreitet. In diesem Zusammenhang muss natürlich auch die anstehende Premiere der französischen Opéra La muette de Portici verschoben werden. Geplanter neuer Premierentermin ist der 8. Mai 2020. Da die Produktion allerdings soweit vorbereitet ist, hat man am ursprünglichen Premierentermin eine "Generalprobe II" angesetzt, die - mit Ausnahme von einigen wenigen Pressevertretern - vor leerem Haus stattfindet.

Aubers 1828 in Paris uraufgeführte Oper gehört zwar zu den größten und historisch bedeutendsten Opernerfolgen des 19. Jahrhunderts, steht aber heute relativ selten auf den Spielplänen, zuletzt vor einem Jahr an der Oper Kiel, die seit mehreren Spielzeiten die französische Grand Opéra als einen Schwerpunkt der Spielplangestaltung aufweist. Das Werk bildete nicht nur gemeinsam mit Rossinis Guillaume Tell den Beginn der erfolgreichen Epoche der französischen Grand Opéra, die historische Stoffe in opulenten Inszenierungen mit Balletteinlagen und großen Tableaus umsetzte, sondern gab auch bei einer Aufführung am 25. August 1830 in Brüssel den Impuls für die anschließende Revolution gegen die Fremdherrschaft der Niederlande, die zur Bildung des belgischen Nationalstaates führte. Das große Duett der beiden Fischer Masaniello und Pietro im zweiten Akt, "Mieux vaut mourir", entwickelte sich gewissermaßen zur Hymne der Rebellion.

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Masaniello (Mirko Roschkowski, rechts) und Pietro (Mandla Mndebele, links) rufen die Neapolitaner zur Rebellion gegen die spanischen Besatzer auf.

Die Geschichte basiert auf dem historisch belegten Aufstand der Neapolitaner gegen das Regime des spanischen Vizekönigs im Jahr 1647. Während der tatsächliche Anführer des Aufstands, der Fischer Tommaso Aniello, in der Oper in Masaniello umbenannt wird, entspringen die übrigen Figuren der Fiktion. Die "Stumme von Portici" ist Masaniellos Schwester Fenella, die zum Auslöser des Aufstands wird. Vor Beginn der Oper hat sie Alphonse, der Sohn des spanischen Vize-Königs von Neapel, verführt. Die Beziehung wurde allerdings von seinem Vater unterbunden und Fenella in den Kerker geworfen. Zur Hochzeit von Alphonse und der spanischen Prinzessin Elvire kann Fenella dem Gefängnis entfliehen und trifft erneut auf ihren ehemaligen Geliebten. Durch Elvires Schutz entgeht Fenella einer erneuten Festnahme und kehrt zu den neapolitanischen Fischern zurück. Masaniello ist über das Leid seiner Schwester derart empört, dass er das Volk zur Revolte aufruft. Es kommt zu blutigen Auseinandersetzungen, in deren Folge Alphonse und Elvire fliehen müssen. Die beiden landen in Masaniellos Hütte und finden dort dank Fenella Schutz. Als Masaniello den beiden aus Liebe zu seiner Schwester zur Flucht verhilft, wird er in Augen der Fischer zum Verräter. Von einem vergifteten Getränk geschwächt führt er die Neapolitaner erneut in einen Kampf gegen die Spanier und wird getötet. Alphonses Triumph wird durch den Ausbruch des Vesuvs unterbrochen. Fenella stürzt sich ins Meer.

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Masaniello (Mirko Roschkowski) ist entsetzt über die Brutalität seiner Landsleute.

Das Regie-Team um Peter Konwitschny bettet die Geschichte in eine Rahmenhandlung ein, die eigentlich nicht zum Stück passt. Während der Ouvertüre sieht man Fenella als kleines Schulmädchen an der Bühnenrampe in ein spannendes Buch vertieft. Da taucht plötzlich ein unheimlicher Mann in einem Mantel auf, der Interesse an dem Mädchen zeigt. Mit einer Tafel Schokolade lockt er sie von ihrem Tornister fort hinter die Bühne. Was dann passiert, kann man sich ausmalen und führt in Konwitschnys Lesart wohl dazu, dass Fenella stumm wird. Viel später begegnet das Mädchen nämlich ihrem mittlerweile erwachsenen Alter Ego und flüstert ihr die Erkenntnis "Nimm niemals etwas Süßes von einem Fremdem" ins Ohr. Sicherlich wird Fenella auch in der Oper einiges Leid im Kerker zugefügt worden sein, aber am Anfang steht in der Oper ihre Liebesbeziehung zu Alphonse. Wieso sie nach dem Missbrauch in Alphonses Armen gelandet und wer dieser Mann eigentlich gewesen sein soll, erklärt die Inszenierung nicht. Ist es einer der spanischen Soldaten, der die plötzlich auftauchende Fenella bei der bevorstehenden Hochzeit zwischen Elvire und Alphonse wiederzuerkennen scheint?

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Masaniello (Mirko Roschkowski, links) und Fenella (Sarah Wilken, Mitte) schützen Elvire (Anna Sohn, rechts) und Alphonse (Sunnyboy Dladla, rechts) vor Pietro (Mandla Mndebele, Mitte).

Irritieren mag auch, dass eine eigens für das Theater Dortmund erstellte deutsche Teilübersetzung von Bettina Bartz verwendet wird. Masaniello und seine neapolitanischen Freunde singen auf Deutsch, während bei den Spaniern der französische Text beibehalten wird. Nur wenn Elvire oder Alphonse Fenella oder Masaniello ansprechen, kommunizieren sie ebenfalls auf Deutsch, allerdings leicht gebrochen, um deutlich zu machen, dass sie eine fremde Sprache sprechen. Auch wenn dieser Ansatz inhaltlich aufgeht, wirkt er musikalisch etwas fragwürdig, da Aubers Oper dadurch weniger nach einer Grand Opéra als vielmehr nach einer großen romantischen Oper klingt. Auf die Balletteinlagen während der Hochzeitsfeierlichkeiten wird komplett verzichtet. Die Bühne wird von einem weißen Vorhang eingerahmt, auf den unterschiedliche Hintergründe projiziert werden. Bei den Fischern sieht man zunächst ein pittoreskes Bild einer italienischen Landschaft am Meer. Wenn die Stimmung auf der Bühne durch den Aufstand recht aufgeheizt ist, erscheinen bereits auf dem Vorhang die ersten Vorboten des ausbrechenden Vulkans. Der Palast des Vize-Königs wird in eindrucksvollen Ruinen angedeutet, die trotz ihres Verfalls einen deutlichen Kontrast zu Masaniellos einfacher Holzhütte darstellen. Wenn der Vesuv am Ende ausbricht, sieht man mehrere Flammen auf der Bühne. Ein Teil der Bühne wird herabgefahren, so dass Elvire und Fenella beim Ausbruch des Vulkans ins Meer zu springen scheinen.

Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Mirko Roschkowski gestaltet die Partie des Fischers Masaniello mit kräftigem Tenor, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Darstellerisch überzeugend setzt er die Wut des Fischers über das Unrecht um, das seiner Schwester widerfahren ist, und ruft voller Innbrunst zum Kampf gegen die Besatzer auf. Umso verzweifelter zeigt er sich im vierten Akt über das Ausmaß der Gewalt, das seine Landsleute verüben. Etwas selbstverliebt lässt er sich anschließend vom Volk als Sieger über die Besatzer feiern, wenn er auf einem Pferd zum eroberten Palast reitet. Mandla Mndebele punktet als sein Freund Pietro mit dunklem Bariton. Das große Duett zwischen Mndebele und Roschkowski, mit dem die beiden die Fischer in den Kampf führen, kann als ein musikalischer Höhepunkt des Abends bezeichnet werden. Sunnyboy Dladla wirkt als Alphonse zu Beginn des Abends stimmlich noch ein bisschen nervös, wenn er seinem Freund Lorenzo kurz vor der Hochzeit von seinen schmerzlichen Erinnerungen an seine ehemalige Geliebte erzählt, die er verloren hat. Im weiteren Verlauf entwickelt auch er in den Höhen tenoralen Schmelz und überzeugt sowohl im großen Liebesduett mit Elvire nach der Hochzeit als auch auf der Flucht im vierten Akt, wenn er mit Elvire in Masaniellos Hütte landet. Anna Sohn punktet als Elvire mit dramatischen Höhen und wunderbar lyrischen Bögen. Eindrucksvoll gelingt ihr die große Auftrittsarie im ersten Akt, in der sie sich auf die bevorstehende Hochzeit freut. Sarah Wilken hat in der Titelpartie zwar nichts zu singen, bewegt aber durch intensives Spiel.

Denis Velev legt den hartherzigen Offizier Selva mit autoritärem, dunklem Bass an. Auch die übrigen kleineren Rollen sind gut besetzt. Der von Fabio Mancini einstudierte Opernchor überzeugt als ausgelassene Hochzeitsgesellschaft ebenso wie als rebellierendes neapolitanisches Volk mit vollem Klang. Beim Ausbruch des Vesuvs am Ende der Oper erschallt der Chor aus dem Saal, ein Coup, den man schon aus der Lohengrin-Inszenierung in Dortmund kennt, mit der Aubers Oper ja im Rahmen des Wagner-Kosmos musikalisch in Verbindung gesetzt werden soll.

FAZIT

Das Publikum muss hoffentlich nur bis zum 8. Mai 2020 warten, bis es diese Inszenierung auf der Bühne des Opernhauses erleben kann. Lohnenswert wird der Besuch auf jeden Fall, auch wenn die eingefügte Rahmenhandlung unnötig ist und den Kern des Stückes sogar verfälscht.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Motonori Kobayashi /
Philipp Armbruster

Regie
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Helmut Brade

Licht
Ralph Jürgens

Chor
Fabio Mancini

Dramaturgie
Merle Fahrholz
Heribert Germeshausen

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor Theater Dortmund

Statisterie und Kinderstatisterie Theater Dortmund

 

Solisten

Masaniello, neapolitanischer Fischer
Mirko Roschkowski

Alphonse, Sohn des Vize-Königs von Neapel
Sunnyboy Dladla

Elvire, Braut Alphonses
Anna Sohn

Fenella, Masaniellos stumme Schwester
Sarah Wilken

Pietro, Freund Masaniellos
Mandla Mndebele

Selva, Offizier der Wache
Denis Velev

Borella, Freund Masaniellos
Timothy Edlin

Lorenzo, Vertrauter Alphonses
Jorge Carlo Moreno

Ein Fischer
Ian Sidden

Ein anderer Fischer
Carl Kaiser

Eine Ehrendame
Séverine Maquaire

 

 


Weitere
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Theater Dortmund
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