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Anna die Große
Von Roberto Becker / Fotos © Semperoper Dresden / Daniel Koch Den Fußball und die Opernhäuser hat es beim Kampf gegen das Virus als erste getroffen. Wegen der Distanzlosigkeit in den Stadien und Zuschauerräumen. Beim Weg zurück in die neue Normalität hat der Fußball einen deutlichen Vorsprung. Nicht nur wegen seiner Lobby. Die Ansteckungsgefahren wegen der körperlichen Nähe bei den Spielern ist wohl immer noch besser zu überwachen als die bei Chören und vor allem den Orchestern in ihren knapp bemessenen Gräben. Bei den Zuschauern ist es andersherum. Da lässt sich in den Parkettreihen und Rängen der Musentempel eher der Abstand organisieren, als das wohl in den Stadien möglich wäre. Aber hin wie her - Aufbruchsversuche in eine neue Realität gibt es hier wie dort. Oper im Netz ist den einen so wenig ein Ersatz wie den anderen die Geisterspiele ohne Zuschauer.
Die Semperoper in Dresden hat jetzt ihre Pforten wieder geöffnet. Mit personalisierten Eintrittskarten und Abstand vor, hinter und neben jedem der verkauften Sitzplätze. Dass nicht knapp 1300, sondern 300 gleichmäßig verteilte Zuschauer ein volles Haus bedeuten, gehört zu den Dingen, an die man sich wohl gewöhnen muss. Das lässt sich aber aushalten. Die Frage ist, ob auch die Opern selbst eine so radikale Abmagerungskur auf Dauer verkraften. Eine große Verdi Oper wie den Don Carlo mit einer - wenn auch mit Spitzenkönnern der Sächsischen Staatskapelle besetzten - Acht-Mann-Combo, das geht ausnahmsweise einmal, aber ist keine Dauerlösung. Selbst wenn das so clever eingerichtet und kundig vom Klavier aus geleitet wird wie vom Multitalent Johannes Wulff-Woesten.
Nun heißt es zwar, dass die Großen der Zunft im Moment leicht zu haben sind, weil auch bei den Stars der Rubel nur rollt, wenn sie auch singen, und ein Auftritt in abgerüsteter Form immer noch besser ist, als gar keiner. Aber ganz so einfach ist es auch nicht. In Dresden ist man in der Beziehung fein raus. Eigentlich war Don Carlo nämlich als Koproduktion mit den Osterfestspielen in Salzburg, die Dresden dann - samt Besetzung - übernommen hätte. Die Festspiele und damit auch Vera Nemirovas Inszenierung fielen dem Shutdown zum Opfer. Der Clou war aber ohnehin das Rollendebüt von Anna Netrebko als Elisabetta. Also als jener französischen Königstochter, die der spanische Thronfolger heiraten sollte, die dann aber sein Vater zur Frau nahm.
Für vier Abende (das entspricht von der Besucherzahl unter normalen Umständen einem einmal ausverkauften Haus) konnte immerhin dieses Rollendebüt jetzt bejubelt werden. In Dresden hat die Russin schon einmal mit einem Debüt geglänzt - vor vier Jahren hat sie eine Elsa der Spitzenklasse (übrigens in einer alten Lohengrin-Inszenierung von Christine Mielitz, unsere Rezension) abgeliefert und professionell bewiesen, dass sie auch in Deutsch so singen kann, dass man nicht merkt, dass es ihr schwer fällt. Jetzt gab es zwar keine Inszenierung, sondern nur eine konzertante Kammerspielvariante mit 14 Nummern - mittendrin aber das nachgeholte, fulminante Elisabetta-Debüt der Netrebko. Dass die auch ohne Inszenierung die Aura einer Rolle zu verbreiten versteht, hat sie schon oft demonstriert. Das gelingt ihr auch in Dresden. Ohne dabei die Prima Donna raushängen zu lassen. Das hat sie nicht nötig. Sie besticht mit dem raumfüllenden Charisma ihrer perfekt geführten Stimme, die in allen Lagen heimisch ist und den Wechsel dazwischen mit imponierender Leichtigkeit bewältigt. Ganz gleich, wie seltsam die Umstände um sie herum auch sein mögen - der Netrebko-Effekt stellt sich ein. Niemand muss mehr erklären, worin die Faszination der menschlichen Stimme besteht, wenn Anna Netrebko singt. Sie ist tatsächlich eine Klasse für sich.
Intendant Peter Theiler hat ihr erstklassige Partner an die Seite gestellt - besonders Elena Maximova als Eboli und Sebastian Wartig als Posa lassen sich von der Sternstundenaura der Netrebko inspirieren und führen höchst kultivierte Gesangskunst vor. Auch sonst ist das kleine Ensemble vom Feinsten. Netrebkos Ehemann Yusif Eyvazov ist als Don Carlo mit von der Partie, hat sichtbar abgenommen und findet mit trotzig ausgestelltem Metall-Ton zu einer Kraft, die weit über das Profil der Rolle, die er singt, hinausgeht. Aber sei's drum. Das im Saal am Ende herrschende Gefühl nach diesem pausenlosen Express-Don-Carlo ist ein "Endlich mal wieder!". Und ein "Mehr davon!" Dazu: jede Menge Beifall.
Superstar Anna Netrebko begeistert in der Semperoper in Dresden als Elisabetta in einer coronakompatiblen Don Carlo-Variante. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Chor
Solisten
Don Carlo, Infant von Spanien
Elisabetta, Königin von Spanien
Prinzessin Eboli
Rodrigo, Marquis von Posa
Philipp II.
Ein Mönch
Tebaldo
Großinquisitor
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