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Hach!
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Es ist ein Werk des Abschieds, das Martin Schläpfer mit dem Cellokonzert (dem zweiten von Schostakowitsch) geschaffen hat: Seine letzte Uraufführung für das Ballett am Rhein, bevor er am Ende dieser Spielzeit Düsseldorf und Duisburg verlassen und nach Wien ziehen wird. Noch einmal choreographiert er für die gesamte Kompagnie und das jeweils hauseigene Orchester, bei dieser Düsseldorfer Premiere also die Düsseldorfer Symphoniker mit GMD Axel Kober am Pult (und dem ausgezeichneten Solocellisten Nikolaus Trieb als Solist). Fehlt nur noch der Opernchor, mit dem Schläpfer u.a. das Deutsche Requiem von Brahms, im Rückblick eines der wichtigsten Werke dieser Ära, aufgeführt hat. Aber der Düsseldorfer Noch-Chef dürfte ganz gut beschäftigt sein mit der Planung seiner ersten Wiener Saison, da ist ein mittelgroßes Stück wie das halbstündige Cellokonzert, klangvoll mit warmen Farben und ohne die ganz großen Schärfen begleitet (wie auch in den anderen Choreographien des Abends), eben auch die machbare Lösung gewesen sein. Viel Umbruch zwischen Rhein und Donau - und das ist auch tänzerisch zum Thema geworden.
Es ist, was auch sonst, ein typischer Schläpfer geworden. Immer wieder glaubt man liebevolle Selbstzitate zu erkennen, mit feiner Ironie eingestreut. An Ideen mangelt es nicht (und Ökonomie der Mittel war nie Schläpfers Thema). Eine unerwartete Armbewegung, die den Ablauf unterbricht; ein plötzliches rhythmisches Muster mit den Füßen geklopft. Und natürlich der Spitzenschuh, dem Schläpfer stets in einer Art Hassliebe verbunden war, der malträtiert noch einmal nach Kräften den Tanzboden wie eine Waffe. Schläpfer erzählt einmal mehr keine große, aber tausend ganz kleine Geschichten. Kein Handlungsballett, aber kaum ein Takt, der nicht seine eigene Anekdote zu berichten weiß. Beginnend im schläpferschen Halbdunkel, Beleuchtung (wie, der Erinnerung nach, so oft) von der Seite, die Gassen betonend, im leider diesmal eher banalen Bühnenbild (Marcus Spyros Bertermann) mit einem arg beliebigen rechtwinklig-spiralförmigem Muster im Hintergrund, vor dem irgendwelche nicht weiter erkennbaren Dinge liegen - vielleicht ein Verweis auf die anstehenden Aufräumarbeiten. Cellokonzert Calogero Failla, Yuko Kato Wehmut und Witz sind die Pole, zwischen denen sich die Grundstimmung dieses Balletts bewegt. Schon die erste Szene zeigt diese Ambivalenz, da lehnt Yuko Kato, vornüber gebeugt, mit dem Kopf an der Brust von Calogero Failla. Vielleicht das Ende eines Kampfes, vielleicht die Suche nach Schutz, vielleicht auch ein Moment der Erschöpfung, aber in jedem Fall von so eigentümlicher Spannung jenseits von Pathos (und von Eindeutigkeit), dass dem Moment eine leise Selbstironie innewohnt. Es gibt tolle Ensembles, immer wieder aus Paaren aufgebaut, dann wieder nach Geschlechtern getrennt. Am Ende des ersten Satzes gehen alle in ein unbestimmtes Dunkel nach hinten ab, auch so eine Abschiedsgeste. Zuvor, irgendwann im ersten Satz, seufzt die ganze Kompagnie geschlossen auf: Hach! Irgendwie trifft es die Stimmung.
Am prägnantesten ist der zweite Satz geraten, mit einer Folge von Soli und Pas de Deux. Zwei so unterschiedliche (und die Schläpfer-Zeit prägende) Stars wie Marcos Menha und Chidozie Nzerem bekommen (neben manchen anderen) noch einmal große Auftritte, und dann natürlich auch, viel zu kurz, Marlúcia do Amaral, gerade mit dem Theaterpreis "Der Faust" ausgezeichnet. Wie eine außer Kontrolle geratene Puppe bewegt sie sich und erzeugt mit ihrer irrsinnigen Intensität einen dieser magischen Theatermomente, in denen man alles herum vergisst. In diesen zwei, drei Minuten wird Cellokonzert von einer starken, virtuosen und reflektierten Choreographie zum Meisterwerk. Das Finale greift dann wieder den anstehenden Umbruch auf: Ein Teil des Ensembles bleibt zusammen, ein anderer geht nach und nah nach hinten ab, einzelne durchwandern den gleißenden Lichtkegel eines Spots, werfen aus dem Halbdunkel einen Blick zurück. Abschied und Aufbruch eben. Lamentation: Camille Andriot
Zuvor huldigt Schläpfer der großen Martha Graham, und wenn das Cellokonzert einen resümierenden Endpunkt markiert, dann sind Lamentation und Steps in the City Ausgangspunkte, auf die Schläpfer sich in seiner Tanzsprache bezieht - signature works mit Signalwirkung für die Tanzgeschichte. In der nur wenige Minuten kurzen Lamentation zu enem Klavierstück von Kodály sitzt eine Tänzerin (eindrucksvoll: Camille Andriot) auf einer Bank, in ein Tuch gehüllt wie in einen Kokon oder ein Leichentuch. Die Beine sind gespreizt, aber nicht als frivole Geste, sondern in einer skulpturalen Form, die an eine Pietá erinnert, eine mater dolorosa (und der Titel bezieht sich auf die alttestamentarischen Klagelieder Jeremias - Wie ist die Stadt so wüst, die einst so voller Menschen war). Es folgt ein Versuch der Selbstbefreiung. Natürlich hat das heute ein museales Moment und nicht mehr die Radikalität von 1930, als ein im Sitzen "getanztes" Stück ein Affront gewesen sein muss, aber beeindruckend ist es allemal.
Steps in the Street ist ein Werk mit klaren politischen Bezügen aus dem Jahr 1936 (Martha Graham verweigerte seinerzeit eine Choreographie für die olympischen Spiele im Nazi-Berlin) für zehn Tänzerinnen. Auch das rund zehnminütige Ballett mit Musik des amerikanischen Komponisten Wallingford Riegger beginnt mit einer an sich untänzerischen Figur: Die linke Hand fasst an die rechte Schulter, der rechte Arm liegt vor dem Bauch. Auch hier ein skulpturales Element, und die Tänzerinnen bilden immer wieder eine geschlossene Armada. Manche Sprünge mit gespreizten Beinen und angewinkelten Füßen wirken ein wenig niedlich, aber insgesamt verfehlt die strenge Choreographie nicht ihre Wirkung. Zuletzt kämpft sich Wun Sze Chan allein in Gegenbewegung durch die starre Formation der anderen hindurch - ein eindrucksvolles Symbol des Widerstands. Forgotten Land: Ensemble
Am Anfang dieses Abends hätte George Balanchine stehen können, auch Hans van Manen (zwei feste Bezugspunkte für das Oeuvre Schläpfers), aber der Ballettchef hat sich für Jiří Kylián entschieden (der in Düsseldorf zuletzt mit der Psalmensymphonie im Ballettabend b.10 zu erleben war). Forgotten Land knüpft insofern an Martha Graham an, als dass die Musik - Benjamin Brittens Sinfonia da Requiem von 1940 - in zeitlicher (und mit Blick auf die pazifistische Grundhaltung) auch gedanklicher Nähe zu ihr steht, Kylián sich wiederum sehr eng auf die Komposition und den Komponisten einlässt. Brittens Herkunft von der englischen Ostküste spiegelt sich im erlesen schönen Bühnenbild (Ausstattung: John Macfarlane), das ein Meerespanorama andeutet, in wechselnden Stimmungen fast realistisch ausgeleuchtet (Licht: Kees Tjebbes nach Hans-Joachim Haas). Einen weiteren Ausgangspunkt bildet ein Gemälde von Edvard Munch, Der Tanz des Lebens von 1899/1900. Munch zeigt tanzende Paare am Strand, eine Frau in drei Lebensstadien, und in Kyliáns Choreographie sind die Kleider aus dem Gemälde aufgegriffen. Vergänglichkeit und Ewigkeit, dazu die in Brittens Musik mehr als unterschwellige Kriegsangst stecken den Rahmen ab. Kylián setzt oft sehr genau die Musik in Bewegung um; ein musikalischer Aufschwung korrespondiert mit einer großen Hebefigur oder weiten Sprüngen. Das gibt tolle Bildwirkungen und führt zu einer sehr effektvollen, dabei klar strukturierten Choreographie, die sich vor lauter Schönheit am Ende aber doch ein wenig in ihren Bildwelten erschöpft.
Von diesem nicht ganz großen, aber doch eindrucksvollen Tanzabend gehen keine neuen Impulse aus, er zieht vielmehr ein wehmütiges Resümee der Ära Schläpfer in Düsseldorf und Duisburg. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamForgotten Land
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Einstudierung
Musikalische Leitung Düsseldorfer Symphoniker Tänzerinnen und Tänzer
Paar in Schwarz
Paar in Rot
Paar in Grau
Paar in Weiß
Paar in Pink
Paar in Beige
Uraufführung: 12. April 1981, Lamentation
Choreographie und Kostüm
Licht
Einstudierung
Klavier *Besetzung der rezensierten Aufführung Uraufführung: 8. Januar 1930,
Choreographie
Licht
Einstudierung
Musikalische Leitung Düsseldorfer Symphoniker *Besetzung der rezensierten Aufführung Uraufführung: 20. Dezember 1936,
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Dirigent
Violoncello |
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