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Ende einer Dienstfahrt
Von Roberto Becker / Fotos von Vincent Pontet / Opéra national de Paris In Paris haut es niemanden wirklich um, wenn selbst Stars wie Elina Garan?a kurz vor einer Großpremiere (laut eigener Aussage aus gesundheitlichen Gründen) das Handtuch werfen. Immerhin hatte Sie sich mit einer Mail-Botschaft selbst an ihr Publikum gewendet. Durch ihre Absage kam Ekaterina Semenchuk dazu, sich als Königin Didon in der Neuinszenierung von Hector Berlioz' Les Troyens dafür feiern zu lassen, dass sie nicht nur beim großen Liebesduett mit Brandon Jovanovich als Énée glänzte. Dieser Glanz kam auf, obwohl die beiden gegen das recht nüchternen Ambiente der Inszenierung des im Westen erfolgreichen Russen Dmitri Tcherniakov (48) ansingen mussten. Vokal jedenfalls gab es hier tatsächlich den Moment der Verklärung, den die Regie verweigerte. Kassandra hat Recht - und ist allein
Das liegt nicht zuletzt an dem opulenten Klang, für den der musikalische Chef der Pariser Oper Philippe Jordan (der demnächst an die Wiener Staatsoper wechseln wird) und das wie immer fabelhafte Pariser Opernorchesters sorgten. Nach Meyerbeers Hugenotten schwelgt das Orchester in dieser Spielzeit schon zum zweiten Mal in den Gefilden der Grand opéra und ist damit gleichsam ganz und gar bei sich und seiner Herkunft. Die Abstinenz, die die Pariser Oper in den letzten Jahrzehnten bei diesem Genre an den Tag legte, gehört zu den Merkwürdigkeiten des Opernbetriebes, mit denen Intendant Stéphane Lissner mit Antritt seiner Intendanz gebrochen hat. Dass gerade Berlioz' Grand Opéra jetzt ins Programm kam lag auch am "kleinen" Jubiläum. Den regulären Spielbetrieb nach der Einweihung der Bastille Oper vor dreißig Jahren hat man nämlich mit genau diesem Werk aufgenommen. Hinzu kommt außerdem, dass sich am 8. März der Todestag des Komponisten zum 150. mal jährt.
Im ersten Teil des auf ein weltgeschichtliches Panorama hinauslaufenden Opern-Blockbusters dominiert zunächst die ausdrucksstarke Stéphanie d'Oustrac. Sie vermiest als Cassandre den Trojanern die Siegerlaune, weil die den listigen Griechen auf den Leim gegangen sind. Die Bühne zeigt eine (dem modernen) Bügerkriegs-Beirut nachempfundene Straßenschlucht mit lauter Fassadenschäden. Als Kontrast dazu gibt es einen noblen Salon, in der die Herrscherfamilie zum Gruppenfoto mit König antritt. Von Laokoons Tod und dem heimtückischen Pferd erfahren wir aus den Schlagzeilen, die über dieser Machtzentrale immer wieder als Laufband flimmern. Da Cassandre Recht behält, setzt sie sich in Flammen und reißt die (meisten) Frauen Trojas mit sich in den Freitod. Bis dahin ist der Abend auf einem klassischen Erzählpfad. Die Mächtigen inmitten des Volkes
Doch die fliehenden Männer kommen auf ihrem göttlich empfohlenen Weg nach Italien durch ihren Zwischenstopp in Königin Didons Karthago nicht nur etwas vom Wege ab, sondern völlig. Bei Tcherniakov finden sie sich nämlich in einem modernen Rehabilitationszentrum wieder. Kriegsopfer mit Verletzungen und Traumata wuseln hier im Gemeinschaftsraum eines bewachten Sanatoriums herum. Narbal hat das Sagen und ist der Chef des Personals, das an seinen orangen Westen erkennbar ist. Vermutet man zunächst noch, dass Didon hier die Klinikchefin ist, so zeigt sich mehr und mehr, dass sie wohl auch nur eine Patientin ist. Ihr Problem besteht darin, dass sie sich für eine Königin hält und alle anderen mitspielen und sie darin bestärken. Dass sie sich offensichtlich in Énée verliebt, macht ihre Gesundungsfortschritte wieder zunichte. Ihr mit grandiosen Flüchen gespickter finaler Selbstmord wird zwar von allen Anwesenden als Variante des Laientheaters in der Therapiegruppe offensichtlich gespielt (mit diversen Pappschildern, die die Stichworte der Szene für alle vergegenwärtigen). Doch Didon schluckt tatsächlich eine Überdosis irgendwelcher Pillen, von denen man annehmen muss, dass sie sie für tödlich hält.
Dmitri Tcherniakov hat mit diesem Zugang offensichtlich versucht, an seine geniale Carmen in Aix-en-Provence anzuknüpfen. Dort ging die Rechnung auf, aus Don Joses Eifersucht einen Therapiefall für den Ehemann Michaelas zu machen. Im Falle der Trojaner hat er damit aber, trotz seiner wie immer detailgenauen Personenregie, keine neue Tür für das Verständnis der Akteure oder gar die historische Dimension ihres Handelns geöffnet. Er hat sie diesmal mit Verve ins Schloss fallen lassen. Ein gewaltiger Buhsturm aus dem riesigen Auditorium der Opera Bastille schlug ihm als Echo entgegen.
Mit Berlioz' Trojanern hat Stéphane Lissner seinen nachvollziehbaren programmatischen Weg bei der Auswahl der Stücke fortgesetzt. Philippe Jordan, sein Orchester, die Solisten und der Chor überzeugen. Regisseur Tcherniakov greift vor allem im Karthago-Teil des Abends deutlich zu kurz. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
SolistenErster Teil:La Prise de Troie
Cassandre
Ascagne
Hécube
Énée
Chorèbe
Panthée
Le Fantôme d'Hector
Priam
Un Capitaine Grec
Hellenus
Polyxène
Didon
Anna
Ascagne
Énée
Iopas
Hylas
Narbal
Deux Capitaines troyens
Le Fantôme de Cassandre
Le Fantôme de Chorèbe
Le Fantôme d'Hector
Le Fantôme de Priam
Mercure
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