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Verliebt ins eigene VerliebtseinVon Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk Dass Tristan
und Isolde die Menschen in den Wahnsinn
treiben kann, war Wagner bewusst, daher hatte er
insbesondere vor „vollständig guten“ Aufführungen
Angst, in denen er das Potenzial sah, die Menschen
verrückt zu machen. Vielleicht wollte Regisseur
Stephen Langridge genau dies menschenfreundlich
verhindern, indem er das Regiekonzept für seine
Inszenierung an der Staatsoper Hannover dem schon
recht staubigen Prinzip anvertraute, das Gegenteil
zu zeigen, um den Blick auf das Wirkliche zu
schärfen. (Eine Theorie, die sich in
Pausengesprächen bestätigen kann, aber nur selten
beim Erleben der Aufführung).
![]() Isolde
(Kelly God, vorn), Butoh-Tänzer (Tadashi Endo,
Nora Otte), Tristan (Robert Künzli, oben)
Die Grundlage des Bühnenbildes (Ausstattung: Conor Murphy) wirkt wie ein langes weißes Tuch in Paneel-Optik, das auf der Bühne liegend die Spielfläche bildet, die es in einem flachen Bogen zum Orchestergraben hin abschließt. Im Hintergrund bäumt es sich auf, wölbt sich über der Szene und fällt dabei in immer engere, lamellenartige Falten, die sich dezent heben und senken lassen, was – durch entsprechende Beleuchtungseffekte unterstützt – wie Wellengang wirkt. Drei Elemente ziehen sich durch alle drei Akte: Eine begehbare Brücke, die im ersten Akt einmal über die Bühne führt, im zweiten Akt von links hineinragt und im dritten auf die Bühne abgestürzt ist. Ein großes Rohr, das im ersten Akt längs wie ein Tunnel über die Bühne gelegt ist und in der Mitte eine runde Öffnung hat, im zweiten Akt schräg durchgeschnitten von der Decke herunterhängt und im dritten Akt ebenso abgeschnitten auf der rechten Bühnenseite liegt. Und schließlich ein flaches Podest in stilisierter Form eines Nachens, das sich unmerklich von links nach rechts bewegt – und dann wieder zurück. Auf ihm steht zunächst ein Stuhl, der Isolde zugewiesen wird, dann ein kaltes Rohrgestellbett und schließlich wieder der Stuhl. Alles, wirklich alles in weiß. Isolde trägt einen gelben Mantel, später einen gelben Morgenrock mit einem schwarzen Kleid darunter, Tristan eine blaue Uniform, Brangäne ein grünes Kleid, Kurwenal einen schwarzen Mantel mit tristanblauen Revers und Marke nebst Gefolge Warnwesten in orange über der schwarzen Kleidung (was sie weniger als Jäger, denn als Treiber vermuten lässt). Tristans Schwert hat immer noch die Scharte, es fehlt das Stück, das Isolde im Kopf ihres Verlobten Morold gefunden hatte. Markes Mannen tragen dagegen moderne Gewehre mit Zielfernrohr, um den 3 Meter entfernt unübersehbar stehenden Kurwenal auch wirklich zu treffen… Die irische Flagge wird vom jungen Seemann provokativ vor Isoldes Augen verbrannt, aber eine neue steht bereit, um den auftretenden König zwischen dieser und der englischen zu postieren. Kurwenal nimmt dem jungen Seemann einen (weißen) Ball ab, malt ihm Augen, Nase und Mund an und präsentiert ihn Isolde als Morolds abgeschlagenen Kopf, den Tristan ihr geschickt hatte. Im Hintergrund springt ein Dutzend Bälle hoch. Liebes- und Todestrank sehen in identischen Trinkgläsern identisch aus. Schließlich ist es egal, was sie trinken – wichtig ist nur, dass sie etwas trinken, von dem sie glauben, dass es ihnen den Tod bringt, vor dessen Eintritt sie völlig enthemmt, offen und ehrlich zu ihren Gefühlen stehen können. In dieser Inszenierung tritt weder Tod noch Liebe, sondern erst einmal Verwirrung ein. Mäntel ausziehen ist schonmal nicht verkehrt, aber wenn beide sich auf den Rücken legen, bleibt einfach nur je eine Hand zum liebevollen Berühren. Das ist schon fast komisch und wird nur vom peinlich regieschulbuchadäquaten symbolischen Anziehen des Mantels des jeweils anderen im zweiten Akt überboten.
Der
zweite Akt
regt die
Fantasie zu
allem
Möglichen an,
aber nicht zu
leidenschaftlicher
Liebe,
Todessehnsucht,
das im
Tod-miteinander-vereinigt-sein-Wollen,
das
ineinander-Aufgehen,
das
sich-selbst-Aufgeben…
der ganze
metaphysische
Überbau fehlt
hier völlig
bis hin zur
Tag/Nacht-Symbolik.
Das grellweiße
Licht, das
sich nur kurz
im zweiten Akt
in blau
wandelt, zeigt
durchweg die
kalte
Realität, das
Unmögliche
dieser Liebe
und
Leidenschaft.
Leidenschaft
zeigt sich nur
selten, z. B.
wenn Isolde
Tristan bei
der Erinnerung
an die
Vorgeschichte
wutentbrannt
ohrfeigt oder
wenn Tristan
„Der öde Tag
zum letzten
Mal“ mit
voller Wut
singt. Vieles
in der
gesamten
Personenregie
wirkt wie in
Zeitlupe, wie
abwesend, wie
erstarrt, dann
kurz wieder
voller
Aktionismus
(Ohrfeige), um
dann wieder zu
erstarren.
Wirkliche
Beziehungen
untereinander,
weder
liebevolle
oder
liebestolle
noch
freundschaftliche
gibt es nicht.
Man lebt,
singt
nebeneinander
her. Kurze
Momente echten
Kontaktes
saugt man auf
wie ein
trockener
Schwamm, etwa
wenn Marke
sich zu Beginn
des zweiten
Aktes von
Isolde mit
einem
stilvollen
Handkuss
verabschiedet
und selbst die
schon
beschriebene
Ohrfeige zeigt
endlich ein
Gefühl für
einen anderen,
kein Sieden im
eigenen Saft,
kein
Verliebtsein
in das eigene
Verliebtsein.
Wenn im dritten Akt dann der offensichtlich unvermeidbare (Sperr-)Müll die Bühne verstellt und gar zu deutlich der Zusammenbruch szenisch gezeigt werden soll, stellen sich doch einige Fragen. Zum Beispiel, warum Tristan von einem schmutzigen Rotkreuz-Pflegetrio versorgt wird und warum er vor dem offenen Rohr am Tropf liegt und nicht geschützt darin… wenn schon… Doch dann entsteht der stärkste szenische Eindruck der ganzen Produktion. Die Idee, das Geschehen in prägnanten Momenten von gänzlich weiß geschminkten Butoh-Tänzern (Nora Otte und Tadashi Endo) vertiefend ausgestalten zu lassen, wirkt über den Abend hin mehr dekorativ als erhellend, aber in dem Moment, in dem sich Tadashi Endo in Tristans Bett legt und mit beklemmender Intensität Tristans Leiden darstellt, während Tristan wie ein aus dem Körper befreiter Geist höchst gesund weitersingt, das geht unter die Haut, das lässt nicht kalt. Na also, geht doch, möchte man sagen. Bitte mehr davon! ![]()
Kelly
God gestaltet die Isolde
differenziert, farbenreich und
ausgesprochen ausdrucksvoll. Nur
selten erlebt man eine so klug und
minutiös durchdachte Ausgestaltung
des Textes. Sie ist keine
stimmgewaltige, hochdramatische
Wagner-Heroine – ihre Isolde ist
eine junge ungestüm hin- und
hergerissene Frau. Kelly God gelingt
es, die ganze Bandbreite der Gefühle
stimmlich auszudrücken, beeindruckt
mit klangschöner Tiefe und schreckt
zuweilen auch vor schrillen Tönen
nicht zurück. Robert Künzli kann als
Tristan nicht nur durchweg
überzeugen, sondern geradezu
begeistern. Ein Heldentenor mit
strahlender Höhe und leuchtendem
Metall. Kein hochgepeitschter
Bariton, sondern ein echter Tenor,
der obendrein auch noch mitreißend
gestalten kann (wenn die Regie ihn
lässt). Tobias Schabel ist als
Marke ein echter Glücksfall. Er
macht aus dieser Figur einen wahren
König, der die zahlreichen Facetten
der Figur in der Klage atemberaubend
ausgestaltet. Verletztheit und Wut,
Trauer und Ärger, Verzweiflung und
Ungläubigkeit… – und das alles mit
Stil und Haltung und ebenso
volltönendem wie flexiblem Bass.
Khatuna Mikaberidze bringt für die
Brangäne einen klangschönen, aber
weniger klangvollen Mezzo mit.
Schade, dass sie die Phrasenenden
abbrechen lässt und nicht aussingt.
Stefan Adam lässt als Kurwenal an
die Größe und Schönheit seiner
Stimme erinnern, steht aber nicht
ganz über der Partie und klingt
zuweilen etwas überfordert. Sein
Marathon durch die Baritonpartien
der Opernwelt in den letzten Jahren
hat hörbare Spuren hinterlassen.
Byung Kweon Jun ist ein eher
unscheinbarer Melot mit dunklem
Timbre. Mit Gihoon Kim (Steuermann),
Edward Mout (Hirt) und Simon Bode
(junger Seemann) sind die kleineren
Partien adäquat besetzt.
Mit großen Gesten und zuweilen geradezu besorgniserregenden Schnauf-, Stöhn- und Ächz- Geräuschen wirft sich Gastdirigent Will Humburg mit ungeheurer Leidenschaft in die leidenschaftlichste aller Partituren. Das wogt und wallt und schwellt und schwillt und katapultiert den Hörer in eine Gefühlswelt, die die Inszenierung verweigert. Allerdings bleiben bei diesem Dirigat der großen Gesten viele feine Details auf der Strecke und adäquat zur Bühne vermisst man das Metaphysische, das Entrückte, das den Hörer für eine Zeit lang aus der Welt entführt. Das Staatsorchester folgt den Intentionen des Dirigenten hochkonzentriert und engagiert, ein paar Ungenauigkeiten können den Genuss nicht trüben. Wohleinstudiert bewältigt der Herrenchor seine kurze aber prägnante Aufgabe. FAZIT
Einige
eindrucksvolle Sängerleistungen, die man gern
einmal in einer Inszenierung erleben möchte,
die dem opus magnum der Opernliebe selbige
nicht verweigert. Aber wenigstens der Dirigent
lässt die wilden Leidenschaften toben. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme Butoh Choreographie Licht Choreinstudierung Dramaturgie
Chor der Staatsoper Hannover
Solisten Tristan König
Marke Isolde Kurwenal Melot Steuermann Brangäne Ein
Hirt Ein
junger Seemann Butoh-Tanz Weitere Informationen
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