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Mala vita
Giordano trifft auf Gesualdo

Oper in drei Akten
Libretto von Nicolo Dasputo nach dem gleichnamigen Theaterstück von Salvatore Di Giacomo und Goffredo Cognetti
Musik von Umberto Giordano mit eingefügten Madrigalen von Carlo Gesualdo

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 35'  (keine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 15. September 2018



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Sechs Personen suchen ein Stück

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

Umberto Giordano gehört neben Pietro Mascagni, Ruggero Leoncavallo und Francesco Cilea zu der Riege der Verismo-Komponisten, die heute mit noch genau einem Werk im Standardrepertoire vertreten sind. Bei Giordano ist es die 1896 uraufgeführte Oper Andrea Chénier. Vier Jahre zuvor feierte er mit seiner an den veristischen Prototyp Cavalleria rusticana angelehnten Oper Mala vita am Teatro Argentina in Rom am 21. Februar 1892 einen großen Erfolg. Nachdem Giordano im Alter von 21 Jahren 1888 mit seinem Erstlingswerk Marina beim Wettbewerb für Operneinakter des Musikverlegers Edoardo Sonzogno teilgenommen hatte, erhielt er zwar keinen Preis, allerdings einen weiteren Kompositionsauftrag. Aufgrund des überwältigenden Erfolgs des damaligen Siegers, Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana, wählte Giordano für Mala vita nach dem gleichnamigen Theaterstück von Salvatore Di Giacomo und Goffredo Cognetti ein ähnliches Thema, das in den Slums von Neapel spielte. Dem Publikum von Neapel war dieser Realismus zu viel, so dass das in Rom zwei Monate zuvor erfolgreich aufgeführte Stück im Teatro San Carlo bereits nach einer Aufführung am 27. April 1892 abgesetzt wurde. Giordano arbeitete die Oper 1897 noch einmal unter dem Titel Il voto um, nahm ihr zahlreiche Schärfen und Kanten, konnte damit aber nicht an den großen Erfolg von Andrea Chénier anknüpfen, so dass das Werk sehr schnell von den Spielplänen verschwand. Das Stadttheater Gießen, das schon seit vielen Jahren mit Raritäten des 19. Jahrhunderts auch überregionales Interesse weckt, hat sich nun entschieden, dieses veristische Drama dem Vergessen zu entreißen und vielleicht aufgrund der Kürze um einige Madrigale des Renaissance-Komponisten Carlo Gesualdo anzureichern.

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Marco (Florian Spiess, links), Nunzia (Marie Seidler) und das Volk (Chor und Extrachor) sorgen sich um den an Tuberkulose erkrankten Färber Vito (Denis Yilmaz, Mitte).

Die Geschichte spielt um 1810 in der Nähe des Hafens von Neapel einige Tage vor dem traditionellen Piedigrotta-Fest. Der Färber Vito hat bereits seit längerer Zeit ein Verhältnis mit Amalia, ohne dass ihr Mann, der Kutscher Annetiello, etwas davon weiß. Nun ist Vito schwer an Tuberkulose erkrankt. Die Friseuse Nunzia rät ihm, ein Gelübde vor Gott abzulegen, um von der Krankheit geheilt zu werden. Vito schwört vor Gott, ein Mädchen aus ihrem Elend zu befreien und zu heiraten. Kurz darauf begegnet ihm die unglückliche Prostituierte Cristina. Vito verspricht ihr, sie zur Frau zu nehmen. Als Amalia davon erfährt, wird sie sehr wütend, ruft Cristina zu sich und fordert sie auf, Vito zu verlassen. Als Cristina sich weigert, greift Amalia sie sogar mit einem Messer an, aber Cristina kann entkommen. Kurz darauf stellt Amalia Vito zur Rede. Dabei gelingt es ihr, ihn zu verführen. Durch das Fenster beobachtet Cristina, wie die beiden sich umarmen und küssen. Beim Piedigrotta-Fest stellt Cristina Vito zur Rede. Doch er weist sie zurück und geht mit Amalia zum Fest. Während das Volk fröhlich feiert, beklagt Cristina ihr Schicksal und will ins Bordell zurückkehren. Vor der Tür bricht sie zusammen.

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Das Gesualdo-Ensemble (von links: Christopher Meisemann, Tomi Wendt, Shawn Mlynek, Christian Richter, Ayano Matsui und Naroa Intxausti)

Das Regie-Team um Wolfgang Hofmann erweitert die dramatische Geschichte durch eingefügte Madrigale von Carlo Gesualdo, die von einem sechsstimmigen a-capella-Chor vorgetragen werden und den Handlungsablauf immer wieder unterbrechen. Hofmann sieht diesen Chor als überirdische Kraft, die das Handeln der Opernfiguren beeinflusst. In den Renaissance-Kostümen von Claudia Krull bilden die zwei Sängerinnen und vier Sänger des Gesualdo-Ensembles auch optisch einen deutlichen Kontrast zu der in den 1960er Jahren angesiedelten Garderobe der Opernfiguren. Zunächst steht das Gesualdo-Ensemble in sechs Kästen im Hintergrund der Bühne und erinnert an sakrale Statuen in einer Kirche. Später treten die Sängerinnen und Sänger aus diesen Kästen heraus und wandeln über die Bühne, ohne dabei von den Protagonisten der Oper wahrgenommen zu werden. Mal beobachten sie nur und wirken wie die sechs Figuren aus Pirandellos Stück, die auf der Suche nach einem Autor sind. Mal greifen sie aktiv in die Handlung ein, lassen die Protagonisten wie Marionetten agieren oder fügen ihnen Schmerzen zu. Sinn macht das nicht immer. Wenn Amalias Mann Annetiello beim Piedigrotta-Fest fröhlich Essen und Trinken als Erfüllung des Lebens preist, legt ihm ein Sänger des Gesualdo-Ensembles die rechte Hand auf die linke Schulter und löst eine Art Herzinfarkt bei ihm aus, der Annetiello schmerzverzerrt in die Knie zwingt. Die hochexpressiven a-capella-Gesänge sind zwar schön anzuhören, stören aber dennoch das spätromantische Klangbild Giordanos und reißen das Publikum immer wieder aus der packenden Geschichte heraus. So werden die ca. 74 Minuten reine Spielzeit unnötig um ca. 20 Minuten aufgebläht.

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Vito (Denis Yilmaz, Mitte) verkündet Annetiello (Grga Peroš) und dem Volk (Chor), dass er Cristina (Angela Davis) durch Heirat aus ihrem Elend befreien will (auf der rechten Seite: das Gesualdo-Ensemble: von links: Tomi Wendt, Shawn Mlynek, Ayano Matsui, Christian Richter, Naroa Intxausti und Christopher Meisemann).

Für die eigentliche Handlung hat Bühnenbildner Lars Peter eine kreisrunde Scheibe entworfen, die wie ein riesiger Tisch die Bühne beherrscht. Auf der Scheibe befindet sich ein rechteckiges Podest, das zu Beginn das Krankenbett darstellt, in dem Vito einen Tuberkulose-Anfall hat. Der Chor und Extrachor sitzen auf Stühlen um diesen "Tisch" herum. Aus dem Schnürboden hängt der untere Teil eines riesigen Kreuzes herab und zeigt die Beine des ans Kreuz geschlagenen Gottessohnes. Amalia und Cristina heben sich in den Kostümen farblich von den übrigen Protagonisten ab. Amalia trägt ein dunkelrotes Kleid, das für ihre Leidenschaft steht, Cristina ein Kostüm in zartem Pink-Ton, das sie zwar durchaus attraktiv erscheinen lässt, ihr aber wesentlich weichere Züge verleiht als der feurigen Amalia. Wenn Vito Cristina verspricht, sie durch Heirat aus ihrem Elend zu befreien, stattet das Gesualdo-Ensemble sie mit großen Ohrringen und einer weißen Perlenkette aus. Die Rose, die Cristina einst Vito zugeworfen hat und durch die er auf sie aufmerksam geworden ist, steckt er ihr ins Haar. Wenn er ihr im dritten Akt erklärt, dass er sich von Amalia nicht trennen will, werden Cristina die Schmuckstücke vom Gesualdo-Ensemble wieder abgenommen. Kurz darauf tritt Amalia dann mit diesem Schmuck auf und geht triumphierend mit Vito zum Fest. Das Podest, auf dem Vito zu Beginn gelegen hat, wird wieder emporgefahren. Cristina legt sich nun darauf und liegt am Ende dort scheinbar im Sterben, so wie Vito eigentlich zu Beginn, bevor ihn sein Gelübde gerettet hat.

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Amalia (Vero Miller, hinten) und Cristina (Angela Davis, vorne) streiten sich um Vito.

Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Angela Davis gestaltet die Partie der Cristina mit kräftigem Sopran und dramatischen Höhen. Ihr erstes Duett mit Vito weckt musikalisch Erinnerungen an die erste Begegnung von Rodolfo und Mimì in Puccinis La Bohème. Absolut leidenschaftlich gestaltet sie ihr großes Finale im dritten Akt, wenn Vito sie verlassen hat und sie an ihrem Schicksal verzweifelt. Denis Yilmaz verfügt als Vito über einen soliden Tenor, der in den extremen Höhen ein wenig an seine Grenzen stößt, präsentiert die Partie aber insgesamt kraftvoll. Vero Miller stattet die Partie der Amalia mit einem dunklen Mezzosopran aus und überzeugt stimmlich und darstellerisch als Femme fatale. Besonders beeindruckend gelingt ihre Szene mit Davis im zweiten Akt, wenn sie ihre Nebenbuhlerin aus dem Weg räumen will. Hier punkten Davis und Miller mit dramatischen Höhen und intensivem Spiel. Grga Peroš gestaltet die Partie von Amalias Ehemann Annetiello mit beweglichem Bariton. Dabei strahlen seine Arien im Vergleich zu den anderen Protagonisten pure Lebensfreude aus. Florian Spiess und Marie Seidler runden als Marco und Nunzia das Solisten-Ensemble überzeugend ab. Die Madrigale von Gesualdo werden von Naroa Intxausti, Ayano Matsui, Shawn Mlynek, Christopher Meisemann, Christian Richter und Tomi Wendt stimmlich pointiert präsentiert. Auch der von Jan Hoffmann einstudierte Chor des Stadttheaters Gießen überzeugt durch homogenen Klang und große Spielfreude, die sich vor allem beim Fest im dritten Akt äußert. Eraldo Salmieri erweist sich am Pult des Philharmonischen Orchesters Gießen als Spezialist für Verismo und lotet die spätromantischen Klangbilder mit großem Pathos differenziert aus. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten, wobei der Applaus sicherlich genauso ausgefallen wäre, wenn man sich auf Giordanos Oper beschränkt hätte.

FAZIT

Wenn ein unbekanntes Stück ausgegraben wird, möchte man es eigentlich musikalisch "rein" erleben. Von daher hätte man auf die Madrigale von Carlo Gesualdo gut verzichten können, auch wenn sie schön anzuhören sind. Den Fluss der Handlung und der Musik Giordanos stören sie trotzdem.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Eraldo Salmieri

Leitung Gesualdo-Ensemble und Chor
Jan Hoffmann

Inszenierung
Wolfgang Hofmann

Bühne
Lars Peter

Kostüme
Claudia Krull

Licht
Jan Bregenzer

Dramaturgie
Christian Münch-Cordellier

 

Chor und Extrachor
des Stadttheaters Gießen

Philharmonisches Orchester
Gießen

 

Solisten

Vito
Denis Yilmaz

Annetiello
Grga Peroš

Cristina
Angela Davis

Amalia
Vero Miller

Marco
Florian Spiess

Nunzia
Marie Seidler

Gesualdo-Ensemble
Naroa Intxausti
Ayano Matsui
Shawn Mlynek
Christopher Meisemann
Christian Richter
Tomi Wendt

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



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