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Visionen des abstrakten Tanzes Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß (Stage Pictures)
Neben Klassikern der Weltliteratur, die Ballettdirektor Xin Peng Wang gemeinsam mit seinem Chefdramaturgen Christian Baier für den Tanz erarbeitet, ist es in der Ruhrmetropole Dortmund auch Tradition, mit unterschiedlichen Gastchoreographen den Blick auf die künstlerische Zukunft des modernen Tanzes zu legen. Damit stellt Wang die Vielseitigkeit seiner Compagnie unter Beweis und gibt seinen Tänzerinnen und Tänzern die Möglichkeit, auch andere Stile zu erarbeiten und so ihr eigenes Tanzvokabular zu erweitern. Dabei haben sich in den letzten Jahren dreiteilige Abende etabliert. Nachdem vor zwei Spielzeiten unter dem Titel Kontraste recht gegensätzliche Choreographien von Richard Siegal, Johan Inger und Edward Clug auf dem Programm standen, entwickeln im neuen Ballettabend Douglas Lee, Wubkje Kuindersma und Jacopo Godani Visionen des modernen Tanzes, die ebenfalls von sehr unterschiedlichen Stilen geprägt sind. Rotkäppchen (Jelena-Ana Stupar) und der Wolf (Javier Cacheiro Alemán) Den Anfang macht ein Auftragswerk des jungen Briten Douglas Lee, der für die Dortmunder Compagnie bereits in dem Ballettabend Drei Farben Tanz 2013 das Stück PianoPiece kreiert hat (siehe auch unsere Rezension). Nachdem Lee seine Karriere 1996 beim Stuttgarter Ballett gestartet hatte, brillierte er bald als Erster Solist in Choreographien von John Cranko und Georges Balanchine und arbeitete eng mit namhaften Choreographen wie Jiří Kylián, John Neumeier, Hans Van Manen, Glen Tetley und William Forsythe zusammen. Seit 2010 ist er als freischaffender Choreograph tätig, und mittlerweile zählen seine oftmals sehr geheimnisvollen Kreationen zum Standardrepertoire namhafter Compagnien auf der ganzen Welt. Seinem neuen Auftragswerk für das Ballett Dortmund, She Wore Red, liegt die Geschichte von Rotkäppchen zugrunde, ohne dabei den Fokus auf den Inhalt des Märchens nach den Gebrüdern Grimm zu legen. Vielmehr destilliert Lee daraus die Mystik des Stoffes. So tritt zwar Jelena-Ana Stupar in einem roten Kostüm mit einer abstrakt geformten roten Kopfbedeckung auf und begibt sich zur kranken Großmutter (Sae Tamura) in den Wald, trifft auf dem Weg allerdings nicht nur auf einen Wolf (Javier Cacheiro Alemán), sondern auf eine ganze Schar von Wölfen. Was sie im Zusammentreffen mit dem Rudel durchlebt, bleibt durch die abstrakte Choreographie größtenteils der Fantasie der Zuschauer überlassen. Die Großmutter (Sae Tamura) in der Gewalt der Wölfe (Ensemble) Das Bühnenbild von Eva Adler besteht aus mehreren rechteckigen und unterschiedlich hohen Bühnenelementen, die auf einer Seite die Stämme eines unheimlichen Waldes zeigen und flexibel durch den Raum geschoben werden können, um so neue Spielorte anzudeuten. Alemán hält eine schwarze Wolfsmaske vor sein Gesicht, die wie bei den anderen Wölfen andeutet, dass er eigentlich kein Wolf ist, sondern sich nur als Wolf tarnt. Während Stupar zu Beginn des Stückes in abstrakten Bewegungen im Hintergrund die Bühne durchschreitet, scheint er ihr bereits im vorderen Bereich der Bühne im dunklen Wald aufzulauern. Weißer Schnee rieselt vom Schnürboden herab und erzeugt eine kalte, unheimliche Atmosphäre. Tamura ist als Großmutter ganz weiß gekleidet und wird, während sie auf ihre Enkeltochter wartet, Opfer des Wolfrudels. Untermalt wird die ganze Szene von Filmmusik von Bernard Herrmann, der mit seinen Kompositionen unter anderem auch zahlreiche Filme von Hitchcock untermalt hat. Lee verwendet den Soundtrack zu der US-amerikanischen Mystery-Serie Twilight Zone aus den späten 50er Jahren des letzten Jahrhunderts und aus dem Science-fiction-Film The Day The Earth Stood Still aus dem Jahr 1951. In geschmeidigen Bewegungen erinnert das Ensemble dabei an Raubtiere und verleiht der ganzen Choreographie eine unheimliche Note. Die zweite Choreographie des Abends stammt von der Niederländerin Wubkje Kuindersma, die sich dem Dortmunder Publikum erstmals 2017 in einer Ballettgala mit dem Pas de deux Two and Only vorgestellt hat, für das sie kurz darauf für den Prix Benois nominiert wurde. Wie Lee hat auch Kuindersma eine eigene Kreation für das Ballett Dortmund geschaffen. Der Titel Kintsukuroi beschreibt eine in Japan gebräuchliche Art, zerbrochene Keramik mit Gold zu kitten. Damit wird der entstandene Schaden nicht verborgen, sondern im Gegenteil noch besonders hervorgehoben. Kaputtes wird somit veredelt und durch den eigenen Makel noch wertvoller gemacht. Diese Idee überträgt Kuindersma auf den Menschen und versucht, in ihrer Tanzsprache vermeintliche körperliche Schäden und Wunden als einen Weg darzustellen, das eigene Ich stärker zu erfassen und sichtbar zu machen. Damit soll der Mensch nicht gebrochen werden, sondern den existenziellen Bestandteil des eigenen Seins annehmen. Kintsukuroi (Ensemble) Die Bühne, die Kuindersma gemeinsam mit Carlo Cerri dafür entworfen hat, zeigt einen grauen Hintergrund, der mehrere filigrane Risse hat. Durch diese Risse scheint ein goldenes Licht. Die Kostüme der Tänzerinnen und Tänzer sind im ersten Teil recht farblos gehalten. Die Blässe wird lediglich von einzelnen goldenen Fäden durchzogen, die die Risse auf ihren Körpern darstellen. In diesem Teil verwendet Kuindersma Musik von Michael Gordon und zeigt die Tänzerinnen und Tänzer mal als Ensemble, dann wieder in kleineren Gruppen in einer poetischen Bewegungssprache, die versucht, sich dieser individuellen Verletzungen bewusst zu werden. Im zweiten Teil lernen die Tänzerinnen und Tänzer dann, die Brüche an und in sich zu akzeptieren, und begegnen ihnen selbstbewusster. Die Kostüme erstrahlen nun im glänzenden Gold und zeigen, dass gerade aus diesen Rissen eine enorme Schönheit entsteht. Aus dem Schnürboden rieseln goldene Schnipsel herab, um den Glanz noch zu unterstreichen. Die Musik von Peter Gregson untermalt diesen Ansatz wunderbar und verleiht der Kreation eine traumhaft poetische Note. Moto Perpetuo (Ensemble) Die dritte Kreation des Abends stammt von Jacopo Godani, der in Dortmund bereits 2016 mit dem Stück Versus Standard in dem Ballettabend für die Junior-Compagnie, Stepping Future, zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). Godani, der zunächst zehn Jahre führender Solist bei William Forsythes Ballett Frankfurt war und seit 2015 die Compagnie als Direktor leitet, hat Moto Perpetuo im November 2016 für die Dresden Frankfurt Dance Company kreiert und wieder Musik der Musikerkollektivs 48nord verwendet, das einen überwiegend elektronischen Musikhorizont bietet. Zu einer modernen Klangwelt erlebt man auf einer leeren Bühne eine packende Choreographie voller physischer Intensität und vielfältigem Bewegungsreichtum gepaart mit eindrucksvollen Lichteffekten, die mit der Musik und der Bewegung in einen spannenden Dialog treten. In dunkel gehaltenen Einheitskostümen bilden die Tänzerinnen und Tänzer zunächst eine kollektive Gruppe, aus der sie sich im Verlauf des Stückes individualisieren und am Schluss wieder zum Kollektiv zusammenfinden. Diese endlose Bewegung gipfelt in einem Furor, der relativ plötzlich mit einem Zusammenbruch endet. Das Publikum zeigt sich überwältigt von der Energie und dem ausdrucksstarken Tanz des Ensembles und spendet am Ende begeistert stehende Ovationen. FAZITFreunde des modernen Tanzes können an diesem Abend unterschiedliche und sehr spannende "Visionen" von drei Vertretern des zeitgenössischen Ausdruckstanzes erleben. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
She Wore Red
Inszenierung, Choreographie und Kostüme
Bühne und Kostümassistenz
Lichtdesign Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung
Rotkäppchen
Großmutter Clara Carolina Sorzano Hernandez
Wolf
Wölfe
Kintsukuroi
Konzept, Choreographie, Bühne und Kostüme
Bühne und Lichtdesign Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung
*Clara Carolina Sorzano Hernandez /
Moto Perpetuo
Choreographie, Licht, Bühne und Kostüme
Sound-Design
Einstudierung Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung
*Charlotte Kragh /
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