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Musiktheater
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b.37

New World

Ballett von Robert Binet
Musik von Nico Muhly (Four Studies und Honest Music für zwei Soloviolinen und Streichorchester -Uraufführung; Quiet Musicfür Klavier)
- Uraufführung -

The Way Ever Lasting

Ballett von Natalia Horecna
Musik von Claude Vivier (Chanson du Matin aus Cinq Chansons pour Percussion, Peter Breiner (Lurking of a Purple Demon) und Johann Sebastian Bach (Adagio e piano sempre aus dem Cembalokonzert Nr. 3 D-Dur BWV 1054)
- Uraufführung -

Fantaisies

Ballett von Remus Şucheană
Musik von Bohuslav Martinu (Sinfonie Nr. 6 Fantaisies symphoniques H. 343)
- Uraufführung -

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (zwei Pausen)

Premiere am 23. November 2018 im Opernhaus Düsseldorf


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Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Bessere Geschichten bitte!

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Der Chef choreographiert heute nicht. Für diesen Ballettabend überlässt Hausherr Martin Schläpfer das Feld drei mehr oder weniger jungen Künstler(inne)n, für drei formidable, jeweils 30-45minütige Uraufführungen zu (moderat) moderner Musik mit Orchester. Als Messlatte darf man da wohl Schläpfers eigene Stücke ansetzen.

Der Jüngste macht den Anfang, der Kanadier Robert Binet, gerade einmal 27 Jahre alt und sehr talentiert. New World beginnt ohne klar definierten Anfang bei offenem Vorhang, noch während das Publikum den Zuschauersaal betritt. Zwei Tänzer in neutralgrauer Kleidung, die an maoistische Arbeiter oder ein Gefangenenlager denken lässt, vollführen unnatürliche Bewegungen, als handle es sich bei ihnen um Wesen von einem anderen Planeten. Sie stützen sich gegenseitig (ein Motiv, das wiederholt aufgegriffen wird). Andere Tänzer erscheinen in raupenartigen Gewändern, wieder andere in enganliegender hautfarbener Kleidung, die Nacktheit andeutet, Geschlechtlichkeit aber unterdrückt (Kostüme: Reid Bartelme und Harriet Jung) - es sind androgyne, besser: geschlechtslose Gestalten, die sich gegenseitig aufhelfen, wenn sie zu Boden geglitten sind. Trotz der Suche nach Nähe bleibt die Choreographie denkbar unerotisch. Die Blicke gehen aneinander vorbei. Menschliche Probleme sind dieser neuen Welt offenbar fremd.

Vergrößerung New World: Yoav Bosidan, Arthur Stashak

Die Musik dazu stammt von dem amerikanischen Komponisten Nico Muhly, geboren 1981, stilistisch irgendwo zwischen Minimal Music und der spirituellen Esoterik eines Arvo Pärt, mit hübschen Klangeffekten nicht ohne Reiz, und das gibt der Szene musikalisch eine statische Aura des Fremden. Faszinierend ist die Ausstattung mit einer Reihe von im Halbrund angeordneten Spiegeln im Hintergrund, die ein gebrochenes Bild widergeben und mitunter verunklaren, was real und was gespiegelt ist. Von der Decke senkt sich eine gewaltige Skulptur herab, rund wie eine fliegende Untertasse, dabei aber fragil und durchscheinend wie aus weißen Blütenblättern gestaltet (Bühne: Shizuka Hariu). Binet zeigt in diesem Ambiente virtuos, was er kann, entwickelt auf dem Boden des klassischen Balletts schöne Hebefiguren und aberwitzige Pirouetten (Sonja Dvorak). Das ist alles sehr schön anzusehen und hat erheblichen ästhetischen Reiz. Dass sich Binet aber mit Schöpfungsmythen beschäftigt, dass er eine utopische Schöpfung erträumt, in der die klassischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft ersetzt werden durch ethische Werte wie Vertrauen, Freiheit, Mitgefühl, Fürsorge und Zusammenarbeit, das kann man im Programmheft nachlesen, aber es erschließt sich aus dem Tanz nicht so recht. Die Schöpfungsgeschichte, die Robert Binet erzählen möchte (und die schon auf dem Papier reichlich poesiealbumhaft erscheint), bleibt auf der Bühne allzu dünn. Gleichwohl: New World deutet an, dass von Robert Binet noch einiges zu erwarten sein wird.

Vergrößerung

New World: Ensemble

Die 1976 in Bratislava geborene Natalia Horecna ist die etablierteste und im Hinblick auf ihren Stil souveränste unter den drei Choreographen des Abends. Sie hat bereits im Ballettabend b.30 ihre verkitscht alberne Arbeit Wounded Agel gezeigt, in der es von comichaft plakativen Allegorien geradezu wimmelte. Die hier uraufgeführte Arbeit The Way Ever Lasting ist eine Liebesgeschichte. Man sieht ein Paar, küssend; in einer Art Stationendrama werden beide von anderen Männern und Frauen umgarnt, unter anderem von einem leibhaftigen Teufelchen (elegant katzenhaft getanzt von Eric White) - solche Figuren (auch diese hier geht ziemlich auf die Nerven) mag die Choreographin offenbar sehr. Zieht man den Teufel ab, bleiben eine Reihe von spannenden, konzentriert gearbeiteten Szenen, oft erotisch und mitunter auch frivol, nicht ohne Witz.

Vergrößerung The Way Ever Lasting: Marcos Menha, Ann-Kathrin Adam, Eric White

Musikalisch steht ein Konzert für Cello und Streichorchester mit dem Titel Lurking oft he Purple Demon des 1957 in der heutigen Slowakei geborenen, in Amerika lebenden Komponisten Peter Breiner, ein aparter Klangteppich, gerahmt von einer kurzen Schlagzeug-Komposition von Claude Vivier und dem Adagio aus Bachs Klavierkonzert D-Dur BWV 1054. Den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Jean-Michael Lavoire gelingt es, die drei Werke stilistisch so anzunähern, dass keine großen Brüche entstehen (Pianistin Hiroko Ishigame etwa trillert bei Bach so langsam, dass es nach 20. Jahrhundert klingt). Das macht mit Blick auf die Choreographie Sinn, fügt sie sich so doch zu einem geschlossenen Ganzen - und nachdem allerlei Küsse bei der oder dem Falschen gelandet sind, findet sich das Paar am Ende wieder zusammen. Als besonders raffiniert möchte man diese Erzählung nicht bezeichnen, aber sie lässt dem Tanz genügend Freiräume, und Ann-Kathrin Adam und Marcos Menha tanzen auch sehr schön (trotzdem stiehlt Energiebündel Marlúcia do Amaral zwischendurch allen anderen die Show). Übrigens gibt es auch hier eine große Skulptur, die von der Decke hängt: Ein gewaltiger Kreis und ein Dreieck, gegeneinander verschränkt und drehbar und bei Bedarf als okkulte Symbolik zu deuten. Die ästhetische Wirkung ist begrenzt, und Wesentliches zum Stück trägt das auch nicht bei, lenkt eher vom Bühnengeschehen ab. Letztlich bleibt Natalia Horecnas mitunter aufdringlicher und, man denke an den Teufel, polarisierender Stil Geschmackssache, und das gilt stärker als bei den anderen Choreographien des Abends.

Vergrößerung

Fantaisies: Ensemble

Das letzte Drittel des Abends gehört Ballettdirektor Remus Şucheană, der damit nach Concerto Grosso Nr. 1 und Abendlied seine dritte Choreographie für das Düsseldorf-Duisburger Ballett zeigt. Waren zuvor bei Binet und Horecna die Geschichten, die erzählt werden sollten, eher schwach, so wünscht man hier, es gäbe überhaupt eine konkrete Geschichte. Um eine mehrere Meter hohe Skulptur, die aussieht wie ein gewaltiger Wegweiser oder eine Wetterfahne (Ausstattung: Mylla Ek), bewegt sich eine große Gruppe wie ein Indianerstamm. Die verspielten Kostüme - Kleidchen für die Damen, asiatisch anmutende Anzüge mit weiten Hosen für die Herren - sehen mehr nach Laufsteg denn nach Party aus. Zur Musik von Bohuslav Martinus 6. Symphonie (farbenreich interpretiert von Lavoie und den Düsseldorfer Symphonikern) arrangiert Şucheană große Ensembles, greift mehrfach einzelne Gruppen heraus, verzichtet aber auf individuelle Charaktere. Es gibt schöne Szenen und Bewegungsfolgen, allerdings auch manche holprige: Leitmotivisch steigen immer wieder einzelne Tänzerinnen auf die Rücken von nach vorne gebeugten Tänzern und lassen sich durch den Raum tragen, und das wirkt recht bemüht und ziemlich wacklig.

Vergrößerung Fantaisies: Yuko Kato, Ensemble

Trotzdem sind die Fantaisies solide durchgearbeitet und gehen genau, vielleicht manchmal sogar zu genau auf die Musik ein. Aber was soll das alles? Möglicherweise sehen wir hier Städter, die in der Natur Orientierung suchen, orakelt das Programmheft. Allein, so wahnsinnig interessant wäre auch das nicht. So verliert sich Şucheană in einer durch die artifiziellen Kostüme überästhetisierten Unverbindlichkeit, die letztendlich ein wenig langweilt, trotz schöner Orchesterbegleitung. Der Applaus war dann auch mehr höflich als enthusiastisch.


FAZIT

Drei Uraufführungen, keine wirklich schlecht, aber auch, gemessen am Düsseldorfer Standard, keine wirklich gut - einer der schwächeren Ballettabende der Ära Schläpfer.


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Produktionsteam

New World

Choreographie
Robert Binet

Musikalische Leitung
Jean-Michaël Lavoie

Bühne
Shizuka Hariu

Kostüme
Harriet Jung
Reid Bartelme

Licht
Floriaan Ganzevoort

Klavier
Hiroko Ishigame

Solovioline 1
* Egor Grechishnikov /
Emilian Piedicuta

Solovioline 2
* Pascal Théry /
Hyunmi Kim

(* Besetzung der Premiere)




Düsseldorfer Symphoniker

Tänzerinnen und Tänzer

Doris Becker
Sonia Dvořák
Eleanor Freeman
Alexandra Inculet
Yuko Kato
Helen Clare Kinney
Aleksandra Liashenko
Cassie Martín
Virginia Segarra Vidal
Brice Asnar
Yoav Bosidan
Rubén Cabaleiro Campo
Orazio di Bella
Philip Handschin
Alexandre Simões
Arthur Stashak
Daniel Vizcayo
Eric White


The Way Ever Lasting

Choreographie
Natalia Horecna

Musikalische Leitung
Jean-Michaël Lavoie

Bühne
Darko Petrovic

Kostüme
Christiane Achatzi

Licht
Volker Weinhart

Violoncello
Nikolaus Trieb

Schlagzeug
Fabian Clasen

Klavier
Hiroko Ishigame


Düsseldorfer Symphoniker


Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Marlúcia do Amaral
Sonia Dvořák
So-Yeon Kim
Philip Handschin
Marcos Menha
Chidozie Nzerem
Eric White


Fantaisies

Choreographie
Remus Şucheană

Musikalische Leitung
Jean-Michaël Lavoie

Bühne und Kostüme
Mylla Ek

Licht
Volker Weinhart


Düsseldorfer Symphoniker


Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Doris Becker
Wun Sze Chan
Feline van Dijken
Eleanor Freeman
Alexandra Inculet
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Helen Clare Kinney
Marjolaine Laurendeau
Aleksandra Liashenko
Sinthia Liz
Cassie Martín
Virginia Segarra Vidal
Marié Shimada
Brice Asnar
Orazio di Bella
Yoav Bosidan
Rubén Cabaleiro Campo
Michael Foster
Filipe Frederico
Vincent Hoffman
Sonny Locsin
Pedro Maricato
Marcos Menha
Tomoaki Nakanome
Chidozie Nzerem
Boris Randzio
Alexandre Simões
Daniel Smith
Arthur Stashak
Daniel Vizcayo



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Ballett am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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