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Bäumchen wechsle dich
Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus
In dieser Inszenierung findet Don Giovanni nicht in den Gassen und Palästen von Sevilla statt, sondern tief im Tannenwald, wo es meist recht dunkel ist und das Gelände unwegsam. Ersteres ist etwas anstrengend für die Zuschauer, Letzteres wohl für die Darsteller. Trotzdem: Christian Schmidts hyperrealistisches Bühnenbild hat mindestens den Vorteil, dass es die zahllosen Verwirrungen zwischen den Figuren nach dem Motto "Bäumchen wechsle dich" sichtbar macht und, wenn sie nur noch mit Hilfe von Taschenlampen vorwärtskommen, ist das ein Anlass, mal genauer hinzuschauen, wen man hier vor sich hat und zu wem man eigentlich gehört. Mitten im Wald: Don Giovanni (Christopher Maltman) und Leporello (Erwin Schrott) (Besetzung der Berliner Premiere 2012) Denn Claus Guth stiftet in seiner Inszenierung zwischen den Figuren noch mehr Gefühlsverwicklung als ohnehin schon im Libretto vorhanden. Hier gibt es nicht nur zarte Bande zwischen Anna und Giovanni (die in Inszenierungen bisweilen nur schamhaft angedeutet werden), sondern das Gesetz der Anziehung wirkt ziemlich mächtig. Nicht als unsittlich Bedrängte verfolgt Anna zu Beginn den Don, sondern aus heißer Leidenschaft, mit der sie schließlich regelrecht über ihn herfällt. Das bleibt im Verlauf des ganzen Geschehens virulent: Während Ottavio versonnen davon singt, dass er sein Leben nur ihrem Frieden weihen wolle ("Dalla sua pace la mia dispende"), tauscht sie mit Giovanni nicht nur zärtliche Blicke. Ihre Erzählung von dessen nächtlichem Überfall wirkt dann auch ganz deutlich wie eine Lügengeschichte, die sie Ottavio auftischt, wohl um sich zu entlasten und ihn auf Distanz zu halten. So hin- und hergerissen zwischen dem viril kraftvollen Giovanni und dem sensiblen Kümmerer Ottavio wird sie schließlich gänzlich verzweifeln. Mit einer Pistole in der Hand lässt der Regisseur sie nach ihrer letzten Arie im Wald verschwinden. Leicht kann man ahnen, was sie tun wird ("Vielleicht wird der Himmel Erbarmen mit mir haben"). Ottavio und Anna sind an den Tatort zurückgekehrt; doch Anna sucht vorrangig nicht den Mörder ihres Vaters, sondern den heimlich Geliebten: Maria Bengtsson und Christopher Maltman (Besetzung der Berliner Premiere 2012) Damit aber nicht genug der erotischen Irrungen und Wirrungen. Auch Zerlina mag sich nicht entscheiden zwischen ihrem etwas grobschlächtigen Masetto und der romantischen Schwärmerei für Giovanni, dem sie nur allzu bereitwillig auf sein Schloss folgen möchte. Doch der belässt es nicht beim Händchenhalten, sondern nutzt im allgemeinen Durcheinander der ausgelassenen Party im Wald die erste Gelegenheit zum Übergriff. Dies aber scheint Zerlina weniger zu verschrecken, als ihr erstaunliches Selbstbewusstsein gegenüber Masetto zu verleihen, was sie ihm in der folgenden Arie eindeutig zu verstehen gibt. Eher unfreiwillig dagegen gerät Elvira in das Beziehungsdreieck. In ihrer hoffnungstrunkenen Realitätsblindheit aus klammernder Liebe zu Don Giovanni bemerkt sie nicht die Verwechslung, dass es nämlich beim Stelldichein nicht Giovanni ist, sondern Leporello, der sich prompt in einer schnellen Nummer mit ihr im nahen Haltestellenhäuschen vergnügt. Und immer noch nicht geheilt, drängt sie ihrem untreuen Mann bis zum Schluss geradezu ihr Mitleid auf. An Deutlichkeit bezüglich erotischen Treibens lässt es Klaus Guth also nicht fehlen und zeigt teils mit Augenzwinkern, teils mit mitfühlendem Blick, wie sich diese Frauen hier ihrer eigenen Verführbarkeit bewusst werden. Irgendwie symbolisch: Drei Frauen wissen nicht so recht, wohin sie wollen: Anna Prohaska (Zerlina), Dorothee Röschmann (Elvira) und Maria Bengtsson (Anna). (Besetzung der Berliner Premiere 2012) Nun ist im Titel der Oper ja auch vom bestraften Übeltäter die Rede. Aus der gänzlich realistischen und gar nicht moralischen Perspektive dieser Inszenierung wäre es aber kaum allein die Zügellosigkeit in puncto Erotik, die Don Giovanni einer finalen Bestrafung mit dem Tod aussetzen müsste. Dieser Mann ist hier viel mehr als Opfer seiner obsessiven Selbstzerstörung gezeigt. Auch in diesem Sinne ist der Wald sicher ein passender Symbolort. Giovanni und sein Kumpel Leporello erscheinen doch recht unbehaust. Alles, was im Libretto Accessoire eines adligen Lebemanns ist, wird in dieser Inszenierung ins Vulgäre gewendet. Da gibt es statt Champagner oder Marzemino eben Dosenbier. Und statt Fasan und Pasteten gibt es ein Menu von der Fastfood-Theke. Bei der Party macht der Joint die Runde und auch härtere Drogen gehören offensichtlich zum regelmäßigen Konsum. Die schlimmste Folge aber seines Mangels an Triebkontrolle ist, mit welcher Aggressivität Giovanni den Komtur gleich zu Beginn mit dem Holzknüppel zu Tode prügelt. Und an dem Pistolenschuss, den Annas Vater ihm noch kurz vor dem Ableben in den Bauch verpassen kann, geht der Don im Laufe der Handlung langsam und qualvoll zugrunde. Immer wieder rappelt er sich zwar mit Hilfe von Leporello zu neuem Aktionismus auf. Selbstsuggestion dopt ihn noch in der "Champagnerarie", aber die Canzonetta im 2. Akt, das Ständchen vor dem Fenster von Elviras Kammermädchen, kann er nur noch als matte Erinnerung an frühere Abenteuer erleben, danach sinkt er erschöpft zu Boden. Es ist also der schleichende Abstieg des Wüstlings, nicht ein plötzlich hereinbrechendes Strafgericht, wodurch Giovanni in der Finalszene tot zusammenbricht. Und der Komtur kommt auch nicht als Marmorstatue, sondern als Totengräber, der ihm beharrlich im Waldboden das Grab schaufelt. Diese Lösung missachtet zwar, dass gerade das unerwartete, schicksalhafte Auftreten des steinernen Gastes in dieser Szene eine enorme Fallhöhe für den adligen Übeltäter bedeutet, woraus sie ihre besondere Dramatik zieht. Nichtsdestoweniger aber gelingt es dem Regisseur, natürlich nicht zuletzt im Einklang mit der singulären Kraft der Musik, diese Szene besonders packend zu gestalten. Das unausweichliche Ende: Leporello (Erwin Schrott), der Komtur als Totengräber (Alexander Tsymbalyuk), Don Giovanni (Christopher Maltman) (Besetzung der Berliner Premiere 2012) In dieser Lesart hat Giovanni keine Wahl mehr, ob er bereut. Hier ist er von vornherein zum Tode verurteilt. So ist es kompromisslos, aber folgerichtig, dass es nun keinen moralisierenden Schluss gibt und die scena ultima gestrichen ist. Der Vorhang in Berlin senkt sich über ein deprimierendes Ende. Die Staatsoper Berlin hat diese Produktion nach der Premiere bei den Salzburger Festspielen 2008 und der Übernahme in den eigenen Spielplan 2012 nun wieder aufgenommen und einem jungen Dirigenten anvertraut, dessen Karriere sich nahezu explosiv entwickelt, dem Israeli Lahav Shani. Vor der Berliner Staatskapelle stand er zum ersten Mal bereits unmittelbar nach dem Gewinn des Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerbs in Bamberg und dirigierte ein Mahler-Programm, das er mit Bravour bewältigte (siehe unsere Rezension). Seitdem wird der Barenboim-Protegé von den namhaftesten Orchestern angefragt, hat in dieser Saison den Chefposten in Rotterdam übernommen und mit seinen 30 Jahren ist er bereits designierter Nachfolger von Zubin Mehta beim Israel Philharmonic Orchestra. Shani präsentierte die Musik nicht explizit in historisch informierter Lesart, dirigierte aber mit großer Genauigkeit im Detail und im Aufbau der Spannungen besonders in den Finali mit dramatischem Feuer. Bisweilen nahm er das Tempo recht forsch, so dass manche Sänger etwas Mühe hatten zu folgen. Aber insgesamt gestaltete er die Dynamik höchst sensibel und im Interesse eines lebendigen Ausdrucks äußerst differenziert. Mit der hervorragend disponierten Staatskapelle gelang an diesem Abend eine musikalisch packende Aufführung (einzig das zu den Rezitativen leise zirpende Cembalo blieb etwas blass), an der das Solistenensemble nicht minder Anteil hatte. Marcus Werba war ein darstellerisch sportiver Giovanni und stimmlich eine Idealbesetzung mit virilem, kernigen Bariton, technisch absolut mühelos z.B. in der Fin ch'an-dal-vino-Arie, mit werbendem Schmelz im Verführungsduett mit der selbstbewusst charmanten Narina Yeghiyan als Zerlina und im Finale widerstandslos stark. Evelin Novak aus dem Ensemble der Staatsoper war eine koloratursichere Anna, die den inneren Zwiespalt der Figur gleichermaßen stimmlich wie darstellerisch beglaubigte. Als Elvira überzeugte Tara Erraught (wenn auch mit Neigung zur Schärfe in den Spitzentönen) mit makellos gestalteten Legatobögen. In dieser Inszenierung ist Leporello weniger Diener als Spießgeselle. Das machte David O¨trek, ebenfalls Ensemblemitglied, mit ziemlicher Gemeinheit gegenüber Elvira in der Registerarie unmissverständlich klar und lieferte auch gesanglich damit ein Meisterstück. Großen Beifall erhielt auch Dovlet Nurgeldiyev als eindrucksvoll lyrischer Ottavio. Reinhard Hagen als Bass-kräftiger Komtur und Grigory Sharupa als seine Wut nur mühsam zügelnder Masetto vervollständigten das hervorragende Solistenensemble. FAZIT In ihrer psychologischen Perspektive eine durchaus erhellende Inszenierung in ungewohntem Ambiente und in musikalisch prägnanter Gestaltung, die auch nach vielen Jahren eine Wiederaufnahme lohnenswert erscheinen lässt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Licht Choreografie Einstudierung Chor
Staatsopernchor Staatskapelle Berlin
SängerDon Giovanni Donna Anna Don Ottavio Il Commendatore Donna Elvira Leporello Masetto Zerline
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