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Hinter den Kulissen
Von Roberto Becker / Fotos von Monika Rittershaus Tannhäuser war Richard Wagners Problemkind. Er sei der Welt noch einen Tannhäuser schuldig, soll er auf den Totenbett in Venedig gesagt haben. Allemal ein guter Grund für ein Produktionsteam, sich für eine der überlieferten Fassungen zu entscheiden oder sich seine eigene Version zu basteln. Bei einem künstlerischen Tannhäuser-Duo wie dem Dirigenten Marc Albrecht und dem Regisseur Christof Loy, das jetzt in Amsterdam antrat, darf man unterstellen, dass sie mit überlegtem Vorsatz handeln. Das schließt ein, dass sie bei einer Entscheidung für eine Version mit Bacchanal musikalisch und szenisch bei dieser als Zugeständnis an die Usancen des Pariser Opernpublikums nachgelieferten Balletteinlage auch ordentlich bzw. erhellend zulangen. Heinrich fällt aus der Rolle
Diese Erwartung wird erfüllt. Wenn auf dem Programmzettel bei Christof Loy neben der Regie auch gleich die Verantwortlichkeit für Choreografie vermerkt ist, dann ist das durch das Bacchanal legitimiert. Für sein Einheitsbühnenbild hat sich Johannes Leiacker von einem Saal in jener Pariser Oper anregen lassen, für dessen vergnügungssüchtiges Publikum Wagner das Bacchanal eigentlich eingefügt hat. Edgar Degas malte jenes Foyer de la Dance, das man hier wieder zu erkennen glaubt. Die eigenwillig überbordende Balletteinlage gab es aber nicht wie damals üblich im zweiten Akt, sondern zwischen Vorspiel und erster Szene. Soviel Eigensinn behielt sich Wagner - bei all seinem Ehrgeiz, in Paris Erfolg zu haben - dann doch vor. In der Mitte des Raumes findet sich auch in Amsterdam ein schon für viele Tannhäuser-Inszenierungen bemühter Konzertflügel. Es geht ja schließlich um den Künstler, der sich zwischen zwei Frauenentwürfen bewegt. Der Sänger und die Elevinnen Das Bacchanal wird in diesem Raum zu einem perfekt choreografierten Auftakt-Coup. Und bleibt der stärkste Eindruck der ganzen Inszenierung. Auch, weil sich Loy wie ein optisches Leitmotiv in Variationen immer wieder darauf bezieht. Da findet sich zunächst eine Runde nobler Herren ein, die sich offensichtlich am liebsten allein mit den hereinstürmenden Elevinnen vergnügen würden. Dann folgen die gerade auf der Bühne gefeierten Stars in diesen Backstage-Bereich. Was in spielerischer Feierlaune beginnt, eskaliert, schließt Übergriffiges ein, bis sogar die Hüllen fallen. Wenn der Regisseur Loy auf der Bühne Nacktheit einsetzt, ist das noch jedes Mal (ästhetisch) gut gegangen. Auch in Amsterdam. Ästhetisch sind durchweg auch die Kostüme von Ursula Renzenbrink.
Wenn sich diese Orgie im Foyer de la Dance dann im dritten Akt bei Heinrichs Rückkehrversuch zu Venus noch einmal entfaltet, ist das aber nicht nur leitmotivische Wiederholung, sondern hat zugleich einen entlarvenden Sinn. Genau diese Gesellschaft, die jetzt wieder die Sau herauslässt, hätte beim Sängerwettstreit den, der sich offen zur Sinnlichkeit bekannt hatte, fast gelyncht. Was nicht wundert, denn auch bei der Rückkehr von ihrer Pilgerfahrt aus Rom konnte man kaum eine Veränderung in ihrem Auftreten ausmachen. Nichts hat sich geändert. Sie sind immer noch hinter den Tänzerinnen her. Bei Loy erstarrt diese Szene am Ende aber, wenn Tannhäuser zu triumphieren scheint und sich Wolfram und Frau Venus sehr nahekommen. Die ausformulierten Gegensätze im Stück, die man auf den Nenner "Venusberg" und "Wartburgwelt" bringen könnte, lotet Loy gekonnt als innere Zerrissenheit seiner Figuren aus, die er ziemlich weit ins nachvollziehbar Bürgerliche heranholt. Diese Perspektive profitiert in der Umsetzung von Loys Fähigkeiten zu einer präzisen Personenregie. Elisabeth und Venus - die Brave und die Diva Bei den Protagonisten sticht Björn Bürger als Wolfram von Eschenbach heraus. Der Bariton nutzt Wagners Steilvorlagen für eine vokal und szenisch höchst überzeugende Interpretation, ist der in Elisabeth ohne Hoffnung Verliebte, der Freund, der Selbstzweifler. Seine Stimme ist wohltimbriert und kernig. Auch Ekaterina Gubanova als Venus besticht mit dunkel leuchtender Eloquenz und spielt die Göttin der Liebe mit der Aura der Diva. Auf Daniel Kirchs Tannhäuser war man nach seinen beiden Siegfrieden im aktuellen Chemnitzer Ring gespannt. Er folgt Loys Konzept der Zerrissenheit darstellerisch allerdings überzeugender, als es ihm bislang stimmlich möglich ist. Leicht und mühelos wirkt es jedenfalls nicht, bis hin zu einer doppelten Bedeutung des "Erbarm Dich mein". Aber Kirch hält bis zum Schluss den Hitzkopf Heinrich durch. Svetlana Aksenova ist eine jugendlich wirkende Elisabeth, die als Typ fabelhaft zwischen Wolfram und Heinrich passt, einen deutlichen Kontrast zu Venus abgibt und in ihrer Partie sicher noch Potenzial hat. Der bewährte Stephen Milling führt als Landgraf Herrmann die übrigen solide besetzten Sänger an. Am Pult ist so ein Projekt natürlich Chefsache - die Position füllt Marc Albrecht mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest hochsouverän aus. Da brodeln die Leidenschaften, da erklingen die Fanfaren zum Einzug der Gäste mit einigem Effekt aus dem ersten Rang. Und doch werden die Sänger nie überdeckt. Am Ende ist der Jubel in Amsterdam einhellig.
Christof Loys Inszenierung profitiert von dessen bewährter Präzision in der Personenführung und Sinn für ästhetische Bilder. Marc Albrecht und die Protagonisten sorgen (mit kleinen Abstrichen) für stimmlichen und musikalischen Glanz.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Hermann, Landgraf von Thüringen
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth
Venus
Ein junger Hirt
4 Edelknaben
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