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Klassische Inszenierung in Sepia-Bildern
Nachdem die Wuppertaler Oper die zweite Spielzeit unter der
Intendanz von Berthold Schneider recht experimentell mit einer Verknüpfung des
dritten Aktes von Wagners Götterdämmerung mit Heiner Goebbels'
Orchesterzyklus Surrogate Cities begonnen hat (siehe auch
unsere Rezension), steht bei der zweiten
Premiere wohl eher ein ausverkauftes Haus im Zentrum der Spielplangestaltung, so dass die Wahl auf My
Fair Lady gefallen ist, eines der berühmtesten und erfolgreichsten Musicals
aller Zeiten, das nicht nur ab 1956 am Broadway und ab 1958 im Londoner West End
mit über 2000 Aufführungen eine neue Ära des Musicals einleitete, sondern auch
durch die legendäre und mit insgesamt acht Oscars ausgezeichnete Verfilmung mit
Audrey Hepburn und Rex Harrison eine riesige Popularität erlangte. Und während
bei der Oper oder dem Schauspiel Regisseure stets nach neuen
Deutungsmöglichkeiten suchen und die Stücke verfremden, wird es bei My
Fair Lady schon fast als ein Sakrileg erachtet, wenn man auch nur die
kleinste Kleinigkeit abändert. So erwartet man eine Produktion in opulenten
Kostümen, was in Zeiten des Spardrucks, der auf den Bühnen lastet, nicht ganz
einfach ist. Deshalb hat man sich in Wuppertal entschieden, eine Produktion des
Pfalztheaters Kaiserslautern zu übernehmen, die dort am 31. Oktober 2015 in der
Inszenierung von Cusch Jung eine umjubelte Premiere feierte. Kann man aus dem einfachen
Blumenmädchen Eliza (Nadine Stöneberg) eine feine Lady machen? Higgins (Thomas
Braus, rechts) und Pickering (Tom Zahner, links) schließen darüber eine Wette ab
(im Hintergrund: Mrs. Pearce (Angela H. Fischer)). Jung traut sich, den Bühnenklassiker über das Blumenmädchen
Eliza Doolittle, das bei dem kauzigen Professor Henry Higgins Sprachunterricht
nimmt, um binnen sechs Monaten zu einer Dame zu werden, die in einem Blumenladen
arbeiten kann statt ihre Blumen auf der Straße anbieten zu müssen, ganz
klassisch zu inszenieren und trifft bei diesem Ansatz das Publikum mitten ins
Herz, so dass es am Ende stehende Ovationen für alle Beteiligten gibt.
Bedauerlich ist lediglich, dass Cusch selbst für die Premiere in Wuppertal nicht
angereist ist und deshalb nichts von dem auch ihm zustehenden Beifall ernten
kann. Das Bühnenbild von Christoph Weyers besteht aus einem Drehelement aus
verschweißtem Aluminium in leicht geschwungenen Formen und deckt ja nach Drehung
mit wenigen Requisiten und in kurzer Zeit die zahlreichen Spielorte des Stückes
ab, so dass trotz einer Spielzeit über drei Stunden zu keiner Zeit Längen
entstehen. An der Rampe auf der linken Seite ist eine antike Kamera aufgebaut,
die an einigen Schnittstellen ein Bild schießt und die Szene einfrieren lässt.
Die Bühne wird dann in ein gelblich-bräunliches Licht getaucht und erinnert dann
mit dem Standbild an eine Sepia-Fotografie. Beim Schlussapplaus werden dann auf
eine riesige Leinwand an der Bühnenrampe verschiedene Bilder aus der Aufführung
in aufwändigen Rahmen projiziert. Die Kostüme von Sven Bindseil sind opulent
gehalten. Da dürfen bei der feinen Londoner Gesellschaft die aufwändigen Hüte
genauso wenig fehlen wie bei den Blumenmädchen die in mehreren Schichten
übereinander getragenen Röcke. "Ich glaub', jetzt hat sie's":
Higgins (Thomas Braus, rechts) und Pickering (Tom Zahner, links) feiern mit
Eliza (Nadine Stöneberg) erste Erfolge. Während bei der Aufführung in Kaiserslautern der Regisseur
Cusch Jung höchstpersönlich in die Rolle des egozentrischen Sprach-Professors
geschlüpft ist - in Wuppertal wird er in dieser Partie übrigens ebenfalls
alternierend zu erleben sein -, übernimmt in Wuppertal Thomas Braus, der neue
Schauspiel-Intendant, den Higgins, eine Paraderolle, in der er bereits 2004 in
der damaligen Inszenierung von Johannes Weigand zu erleben war (siehe auch
unsere Rezension).
Braus kitzelt mit überzeugend arrogantem Spiel die Selbstverliebtheit des
Professors heraus und sorgt mit seiner schroffen Art und Schlagfertigkeit für
zahlreiche Lacher im Publikum. Seinem Spiel nimmt man in jedem Moment ab, dass
Higgins von dem, was er sagt und tut, überzeugt ist. Mit großartiger
Überheblichkeit präsentiert er direkt zu Anfang den Song "Kann denn die Kinder
keiner lehren", in dem er den Verfall der englischen Sprache beklagt. Als
weiterer darstellerischer Höhepunkt darf seine Interpretation des Liedes "Bin
ein Mann wie jeder Mann" betrachtet werden, in dem er die Vorteile des
Single-Daseins lobt und das Horrorszenario beschreibt, das sich einstellt, wenn
man sich als Mann auf eine Frau einlässt. Die Arroganz gipfelt dann im zweiten
Akt in dem Song "Kann eine Frau nicht sein wie ein Mann", wenn Eliza das Haus
verlassen hat und er sich noch nicht eingestehen will, dass ihm etwas an ihr
liegt. Umso bewegender gelingt ihm dann der Wechsel in der Nummer kurz vor dem
Schluss "Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht", wenn sein einstiges Selbstbewusstsein
zu bröckeln beginnt und in die Schwäche eines verletzten Kindes umschlägt. Eliza (Nadine Stöneberg, oben
Mitte) wird der vornehmen Gesellschaft beim Pferderennen in Ascot präsentiert
(oben von links: Higgins (Thomas Braus), Mrs. Eynsford-Hill (Tanja Ball), Freddy
(Sangmin Jeon), Pickering (Tom Zahner), Lady Boxington (Ja-Young Park), Lord
Boxington (Hak-Young Lee) und Mrs. Higgins (Dagmar Hessenland), unten: Chor). Nadine Stöneberg ist eine bezaubernde Eliza Doolittle, die
vor allem im zweiten Teil überzeugt, wenn sie sich als Dame mit Higgins auf
Augenhöhe bewegt. Zu Beginn gibt sie eine rotzfreche Göre, die als berlinerndes
Blumenmädchen die Ohren des Professors beleidigt. Leider achtet die Inszenierung
nicht sauber darauf, dass sie an dieser Stelle nicht bereits Vokale verwendet,
die sie im späteren Verlauf erst mühsam beim Professor lernen muss. Hier
beherrscht sie nämlich noch den "ü"-Laut, der sie bei dem legendären "Es grünt
so grün" an den Rand der Verzweiflung bringt. Stöneberg verfügt über eine
frische Stimme, die bei ihrem ersten Song "Wäre det nicht wundascheen?" eine
herrlich reine Naivität ausstrahlt. Bei "Wart's nur ab!" zeigt sie sich schon
wesentlich aggressiver. Wenn sie sich ausmalt, wie sie "enry iggins" vom König
hinrichten lässt, tritt in Cuschs Inszenierung der König (Oliver Picker)
höchstpersönlich auf und führt Higgins mit verbundenen Augen zur Hinrichtung.
Große Komik versprüht Stöneberg, wenn sie ihren Auftritt beim Pferderennen in
Ascot hat. Wie sie von einer dressierten Puppe mit leeren Worthülsen allmählich
in ihre richtige Sprache zurückfällt und damit die komplette Gesellschaft
schockiert, wird von Stöneberg überzeugend umgesetzt. Umso perfekter tritt sie
nach der Pause dann auf dem Diplomatenball auf und verzaubert den Prinzen von
Transsylvanien. Überzeugen kann auch ihr Tanz mit dem Extraballett zum "Embassy
Waltz". Sehr subtil spielt sie dann bei der Rückkehr in die Wimpole Street 27a
ihre Verletztheit aus, wenn Higgins und Pickering sich gegenseitig feiern und
sie gar nicht zur Kenntnis nehmen. Im Lied "Tu's doch!" lässt sie ihre ganze Wut
über Freddys leere Liebesphrasen heraus, bevor sie dann relativ selbstbewusst im
Song "Ohne dich" Higgins klar macht, dass sie ihr Leben auch ohne ihn meistern
kann. Doch Cusch entscheidet sich, der versöhnlichen Schlussmusik des Musicals
zu folgen. So kehrt Eliza am Ende nicht nur zu Higgins zurück, sondern verzeiht
ihm selbst dann, als er sie als erstes um seine Pantoffeln bittet. Alfred P. Doolittle (Sebastian
Campione, Mitte mit Marco Agostini (Jamie) links und Oliver Picker (Harry)
rechts) bereitet sich auf seine bevorstehende Hochzeit vor. Sebastian Campione gestaltet Elizas Vater Alfred P. Doolittle
mit großem Spielwitz. Sein berühmter Song "Bringt mich pünktlich zum Altar" mit
dem Chor der Wuppertaler Bühnen unter der Leitung von Marcus Baisch kann als
weiterer Höhepunkt des Abends bezeichnet werden. Bei dem ersten Lied "Mit 'nem
kleenen Stückchen Glück", das Campione mit seinen Freunden Harry (Oliver Picker)
und Jamie (Marco Agostini) im ersten Akt präsentiert, klingen die Übergänge zum
gemeinsam gesungenen Refrain in der Stimmlage etwas bemüht und nicht ganz
sauber. Sangmin Jeon legt den Freddy Eynsford-Hill wunderbar schmachtend an und
begeistert in seinem berühmten Lied "In der Straße, mein Schatz, wo du lebst"
mit tenoralem Schmelz, der aber auch deutlich macht, dass Eliza mit diesem
lebensuntüchtigen jungen Mann niemals glücklich werden könnte. Als kleiner Gag
erscheint bei dem Song ein Fliederstrauß aus dem Orchestergraben, den Jeon dann
auch mit großem Pathos besingt. Die Sprechrollen sind mit Tom Zahner (Oberst
Pickering), Dagmar Hessenland (Mrs. Higgins) und Angela H. Fischer (Haushälterin
Mrs. Pearce) ebenfalls gut besetzt. Wieso auf den Dienstmädchen-Song "Ach,
Professor Higgins" verzichtet wird und die Dienstmädchen nur zur Melodie über
die Bühne laufen, wird nicht ganz klar, da die Wuppertaler über einen Chor
verfügen, der diese Nummer sicherlich überzeugend hätte präsentieren können. Bei
der "Ascot Gavotte" kann man sich nämlich vom homogenen Klang und von der großen
Spielfreude bestens überzeugen. Michael Cook führt das Sinfonieorchester
Wuppertal mit sicher Hand durch die von Ohrwürmern gespickte Partitur und rundet
den Abend musikalisch wunderbar ab. Hervorzuheben ist, dass der Orchestergraben
zunächst hochgefahren ist und erst während der Ouvertüre hinabgelassen wird.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung und Choreographie
Bühne Kostüme Chor
Sinfonieorchester Wuppertal Chor der
Statisterie und Extra-Ballett der Solisten*Premierenbesetzung Eliza Doolittle Prof. Higgins Alfred P. Doolittle Oberst
Hugh Pickering Mrs. Higgins Mrs. Pearce Freddy
Eynsford-Hill Mrs. Eynsford-Hill Zoltan Karpathy
/ King / Harry Jamie Mrs. Hopkins Lady Boxington Lord Boxington Obsthändler Wirt
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- Fine -