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Musiktheater
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Liberazione
La liberazione di Ruggiero dall'isola d'Alcina

Oper in drei Akten
Libretto von Ferdinando Saracinelli nach Orlando furioso von Ludovico Ariosto
Musik von Francesca Caccini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 15' (keine Pause)

Produktion in Kooperation mit Vogo Technology

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 20. April 2018


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Labyrinth der Verwirrung

Von Thomas Molke / Fotos: © Claudia Scheer van Erp

Opernintendant Berthold Schneider liebt im Bereich des Musiktheaters Experimente. So hat er seine Intendanz in Wuppertal vor einer Spielzeit nicht nur mit der Video-Oper Three Tales von Steve Reich eröffnet, bei der das Publikum mitten im Geschehen auf der Bühne saß (siehe auch unsere Rezension), sondern auch zu Beginn der aktuellen Spielzeit den dritten Akt von Richard Wagners Götterdämmerung mit Heiner Goebbels' Orchesterzyklus Surrogate Cities kombiniert (siehe auch unsere Rezension). Nun gibt es ein weiteres "besonderes" Musiktheaterprojekt, bei dem sich die Zuschauer erneut auf der Bühne aufhalten. Als Steigerung kommt hinzu, dass man die Aufführung nicht nur live verfolgen kann, sondern auch noch mit einem Smartphone oder Tablet, auf das man sich vorher eine besondere App herunterladen muss, über die man in verschiedenen Kameraperspektiven das Geschehen auf der Bühne verfolgen kann. Damit will man wohl der fortschreitenden Digitalisierung unserer Gesellschaft Rechnung tragen und sich absolut modern präsentieren. Ob man dadurch jedoch neue Zuschauer ins Opernhaus locken kann, ist fraglich. Größer ist wahrscheinlich das Risiko, langjährige Besucher mit solchen Projekten zu vergraulen. Immerhin gibt es für die Zuschauer, die sich aus Sicherheitsgründen eine derartige App nicht auf ihr privates Tablet herunterladen wollen oder die sich einfach diesem technischen Fortschritt verweigert haben, die Möglichkeit, ein Tablet im Opernhaus auszuleihen, und am Einlass stehen auch freundliche Mitarbeiter, die bei Schwierigkeiten mit der Technik helfen.

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Alcinas Zauberinsel als Labyrinth

Als Stück ist eine absolute Barockrarität ausgewählt worden, die von der ersten Opernkomponistin der Geschichte stammt: Francesca Caccini. Caccini, die liebevoll "La Cecchina", das Singvögelchen, genannt wurde, gelang es im 17. Jahrhundert, fast vier Jahrzehnte als freischaffende und hochbezahlte Musikerin tätig zu sein. Dank der politischen Situation in der Toscana - hier hielten nämlich Christina von Lothringen und ihre Schwiegertochter Maria Magdalena die Zügel in der Hand und führten die Gegend durch eine fast 30 Jahre währende Periode des Friedens und Wohlstands - konnte Caccini am Hof das Frauenensemble "Le cantatrici de Pitti" leiten. In dieser Zeit soll sie insgesamt sieben Bühnenwerke komponiert haben, von denen jedoch nur La liberazione di Ruggiero dall'isola d'Alcina erhalten ist. Die Oper wurde am 3. Februar 1625 zur Einweihung des Poggio Imperiale uraufgeführt und kann auch als eine Art Machtdemonstration der amtierenden Großherzogin Maria Magdalena verstanden werden, da eine fiktionale Welt gezeigt wird, in der größtenteils Frauen die handelnden Personen sind. Im letzten Jahr war dieses Werk zum einen bei den Internationalen Maifestspielen im Foyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und konzertant bei den Tagen Alter Musik in Herne zu erleben (siehe auch unsere Rezension).

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Alcina (Ralitsa Ralinova) kann man in ihrem Reich zunächst nur über eine App sehen.

Wie Händels Meisterwerk Alcina greift das Stück auf das berühmte Versepos Orlando furioso von Ludovico Ariosto zurück und handelt von dem Sarazenenritter Ruggiero, der auf der Insel der orientalischen Zauberin Alcina strandet und sich durch Einsatz von Magie in sie verliebt. Seine Verlobte Bradamante, mit der er eigentlich das Haus Este in Ferrara gründen soll, taucht aber anders als bei Händel hier nicht auf, sondern schickt ihre Vertraute Melissa, bei der es sich ebenfalls um eine Zauberin handelt, in Alcinas Reich, um Ruggiero zu finden und zurückzubringen. Melissa gelingt es, Alcinas Zauber zu zerstören und Ruggiero wieder zur Vernunft zu bringen. Dazu verwandelt sie sich unter anderem auch in seinen Erzieher Atlas. Die früheren Liebhaber Alcinas, die in Pflanzen verwandelt worden sind, werden ebenso befreit wie die Damen, die ihre Freiheit für die ihres Geliebten opfern wollten und dafür von Alcina versteinert wurden. Alcina schwört mit ihren höllischen Verbündeten Rache, doch sie wird von Melissa in die Flucht geschlagen. Ein gewaltiges Meeresungeheuer trägt Alcina davon, während Melissa und die befreiten Paare den Wert der Tugend preisen.

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Verloren in Alcinas Reich: Ruggiero (Simon Stricker)

Von alldem versteht man in der Inszenierung des Musiktheaterkollektivs AGORA, das sich unter dem Impuls von Benjamin David 2015 zusammengeschlossen hat, nicht allzu viel ohne Tablet oder Smartphone. Die Handlung ist nämlich genauso wie die Übertitel nur digital abrufbar. Da man die singenden Künstlerinnen und Künstler teilweise nicht sieht, weiß man selbst mit Tablet nicht immer, wer gerade singt oder was gerade passiert. Dann gibt es bei der Übertragung der Übertitel auf dem Tablet bisweilen ebenfalls Probleme, so dass auch dadurch erschwert wird, der Handlung zu folgen. Während die Zuschauer zu Beginn noch verstreut im Zuschauerraum sitzen, tritt Sangmin Jeon im Prolog auf und lädt gemeinsam mit Mark-Bowman-Hester zur Betrachtung der folgenden Geschichte ein. Im Original handelt es sich dabei um den Meeresgott Neptun und den Fluss Weichsel. Die Zuschauer werden nun aufgefordert über einen schwarzen Steg die Bühne zu betreten. Der Bühnenboden ist in der Mitte herabgelassen, und man blickt in ein Labyrinth von schwarzen Vorhängen. Irgendwo sieht man dunkle Gestalten mit schwarzen Federn herumhuschen. In der Mitte liegt Simon Stricker als träumender Ritter Ruggiero. Dann wird der Bühnenboden hochgefahren. Von nun an können die Zuschauer durch das Labyrinth laufen und die Bühne selbst erkunden. Das mag witzig gedacht sein, funktioniert aber nicht wirklich, weil es einfach zu voll ist und man nie weiß, wo man eigentlich hinlaufen soll, um das jeweilige Geschehen nicht nur über den Bildschirm betrachten zu können. Die Bilder auf den Tablets sind nämlich nicht gerade von einer guten Qualität und obendrein auch noch leicht zeitversetzt, so dass der Gesang der Solisten erklingt, bevor sich auf dem Bildschirm die Lippen bewegen.

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Melissa (Joyce Tripiciano) versucht, Alcinas Reich zu zerstören.

Durch das ganze Gerenne auf der Bühne und den ständig suchenden Blick auf das Tablet bekommt man von der eigentlichen Geschichte nur noch wenig mit. Wenn man Pech hat, wird man auch noch mit schwarzen Fuseln überschüttet, die sich nicht nur auf sondern auch unter der Kleidung unangenehm festsetzen. Wer nicht eine Stunde stehen oder durch das Labyrinth laufen will, kann sich auf einen der wenigen Plätze am Bühnenrand setzen, dürfte aber Schwierigkeiten haben, von da aus dem Geschehen zu folgen, und fragt sich vielleicht, ob eine DVD vor dem heimischen Bildschirm nicht bequemer und verständlicher gewesen wäre. Selbst wenn man sich auf das Experiment einlässt, bleibt die Frage, wieso Alcina in diesem Labyrinth nicht zu finden ist, obwohl man ihre Stimme auf der Bühne hört. Auf dem Bildschirm sieht es so aus, als ob sie ebenfalls irgendwo in dem Labyrinth umherirrt. Dies scheint aber ein abgesperrter Bereich hinter dem Orchester zu sein. Erst wenn ganz am Ende das Labyrinth in den Schnürboden emporgezogen wird, betritt sie die leere Bühne und muss sich eingestehen, dass sie ihre Zauberkraft verloren hat. Der Chor sitzt nun im Publikum und applaudiert den Zuschauern auf der Bühne, vielleicht dafür, dass sie das über eine Stunde lang ausgehalten haben.

Dabei lässt der Abend musikalisch keine Wünsche offen. Clemens Flick taucht mit dem Sinfonieorchester Wuppertal in eine wunderbar barocke Klangwelt ein. Vielleicht hätte man sich einfach die ganze Zeit vor dem Orchester platzieren sollen, denn musikalisch hat das Werk sehr schöne Passagen zu bieten. Ralitsa Ralinova stattet die Zauberin Alcina mit einem leuchtenden Sopran aus und setzt mit großartiger Mimik, die auf dem Bildschirm in Großaufnahme zu erkennen ist, Akzente. Stimmlich und darstellerisch arbeitet sie die Verführungskünste der Zauberin genauso überzeugend heraus wie das Leid und die Verzweiflung, wenn sie erkennen muss, dass sie ihrer Rivalin Melissa im Kampf um Ruggiero unterliegt. Ein musikalischer Höhepunkt ist ihr großes Lamento "Ahi, Melissa, Melissa", in dem sie einen letzten Versuch unternimmt, Ruggiero zurückzugewinnen. Joyce Tripiciano hält als Alcinas Gegenspielerin Melissa mit dunklem Mezzosopran und flexibler Stimmführung dagegen und macht deutlich, dass ihre Macht der Alcinas überlegen ist. Simon Stricker überzeugt als Ruggiero mit kräftigem Bariton. Nina Koufochristou als 1. Damigella und der von Markus Baisch einstudierte Chor runden den Abend zumindest musikalisch überzeugend ab, so dass man sich fast umso mehr wünscht, das Stück wäre nur konzertant vorgestellt worden, da die begehbare Inszenierung von dem musikalischen Glanz ablenkt.

FAZIT

Es ist fraglich, ob man mit derartigen Musiktheaterexperimenten neue Besucher für das Opernhaus gewinnen kann. Barockfans dürften durch dieses mediale Spektakel eher abgeschreckt werden und lieber zur CD oder DVD greifen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Clemens Flick

Regie
Benjamin David

Mitarbeit Regie
Anna Brunnlechner

Bühne und Kostüme
Valentin Köhler

Chor
Markus Baisch

Dramaturgie
Jana Beckmann

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Chor der Wuppertaler Bühnen

Statisterie der
Wuppertaler Bühnen


Solisten

Alcina / Dama Disincantata
Ralitsa Ralinova

Ruggiero
Simon Stricker

Melissa
Joyce Tripiciano

Nettuno / Pastore
Sangmin Jeon

Vistula
Mark Bowman-Hester

1. Damigella / Sirena / Nunzia
Nina Koufochristou

Damigelle
Ja-Young Park
Katharina Greis
Angelika März (Solo)
Wencke Drumm
Simone Keller
Ates Kaykilar
Lena Malkus
Erik Mamberger
Johannes Tosta

 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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