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1980 - Ein Stück von Pina Bausch

Ein Stück von Pina Bausch
(Uraufführung: 18. Mai 1980 im Schauspielhaus Wuppertal)

Aufführungsdauer: ca. 3h 55' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 10. November 2017

 



Tanztheater Wuppertal
(Homepage)

Ein Stück vom Abschied

Von Thomas Molke / Fotos: © Jochen Viehoff, Laszlo Szito und Oliver Look

Acht Jahre und ein paar Monate ist es nun her, dass Pina Bausch am 12. Juni 2009 kurz nach der Uraufführung ihres letzten Stückes ... come el musguito en la piedra, ay si, si, si... (... wie das Moos auf dem Stein...) verstarb und in der Tanzwelt eine riesengroße Lücke hinterließ. Seitdem hat ihr Tanztheater weiterhin in Gastspielen auf der ganzen Welt und natürlich im Stammhaus in der Wuppertaler Oper mit ungebrochenem Erfolg Repertoirepflege betrieben und die alten Stücke wieder neu einstudiert. Ein einziges Mal wurde 2015 mit drei neuen Choreographien der Versuch unternommen, mit der Compagnie neue Wege einzuschlagen (siehe auch unsere Rezension). Mit Beginn der Spielzeit hat nun Adolphe Binder als Intendantin die künstlerische Leitung des Tanztheaters Wuppertal übernommen und beabsichtigt ein neues Kapitel in der Geschichte der berühmten Compagnie aufzuschlagen. Dabei wolle man sich "neben der lebendigen Pflege des Oeuvres von Pina Bausch neuen Kreationen, Formaten und Künstlern zuwenden". Bevor es aber am 12. Mai 2018 mit dem ersten neuen Stück in einer Choreographie von Dimitris Papaioannou soweit sein wird, beginnt die Saison mit einem "Klassiker", der seinen Titel nach dem Jahr der Uraufführung trägt: 1980 - Ein Stück von Pina Bausch.

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Moment des Abschieds: vorne: Ditta Miranda Jasjfi, dahinter von links: Ophelia Young, Çağdaş Ermis, Eddie Martinez, Franko Schmidt, Julie Anne Stanzak, Fernando Suels Mendoza, Helena Pikon, Barbara Kaufmann, Scott Jennings, Aida Vainieri, Azusa Seyama, Daphnis Kokkinos, Michael Strecker, Silja Bächli und Julie Shanahan (© Jochen Viehoff)

Es ist das erste Stück, das Bausch nach dem Tod ihres Lebensgefährten und Bühnenbildners Rolf Borzik entwickelt hat, und atmet wie die meisten ihrer Stücke aus den frühen 80er Jahren den melancholischen Tonfall, der Bauschs Schaffen in den folgenden Jahren nachhaltig prägte. Abschiednehmen, Einsamkeit und Tod nehmen in dem Stück eine zentrale Stellung ein. So steht in einer Schlüsselszene das gesamte Ensemble Nayoung Kim gegenüber und versucht, mit unterschiedlichen leeren Phrasen etwas Bedeutendes zum Abschied zu sagen. Damit wird klar, dass es keine richtigen Worte gibt, was Kims unbewegliche Miene sehr deutlich macht. Vielleicht ist das ehrlichste Gefühl eine innige Umarmung, die die letzte Tänzerin Kim gönnt, bevor auch sie sie allein zurücklässt. Die Einsamkeit wird auch deutlich, wenn Julie Shanahan ihr "Happy Birthday" mangels Geburtstagsgästen für sich selbst singt. Mit dem Tod sind natürlich auch zahlreiche Ängste verbunden, von denen die Tänzerinnen und Tänzer im zweiten Teil des Abends berichten, während sie langsam mit dem Rücken zum Publikum im Hintergrund der Bühne verschwinden und Scott Jennings mit lauter Stimme über Mikrophon aus dem Off diese Ängste teils sehr böse kommentiert.

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Kindheitserinnerungen auf der Wiese: Silja Bächli und Scott Jennings (© Laszlo Szito)

Peter Pabst hat als Bühnenbild eine riesige Wiese konzipiert, die das Geschehen gewissermaßen ins Freie verlegt und dem Raum eine ungeheure Tiefe geben. Aufgestellte Scheinwerfer auf der rechten und linken Bühnenseite sollen wohl den Eindruck erwecken, dass die Wände des Hauses nicht existieren. Ein einsames Reh steht im Hintergrund auf der Bühne und beobachtet das Geschehen. Dabei wirkt es ebenso scheu wie Tänzerinnen und Tänzer bei einzelnen Auftritten. In verschiedenen Szenen wird auf der Wiese ein Bogen von der Kindheit über das Erwachsenwerden bis zum Altern und Lebensende gespannt. Direkt zu Beginn setzt sich Eddie Martinez mit einer Schüssel Suppe auf die Bühne und äußert über Mikrophon mit kindlichem Eifer bei jedem Löffel, für wen dieser nun gedacht ist: "Pour maman, pour Papa...". Im Hintergrund spielen die Tänzerinnen und Tänzer im weiteren Verlauf Plumpssack oder "Fischer, wie tief ist das Wasser?". Dass diese schönen Kindheitserinnerungen nicht von Dauer sind, wird durch zwei unterschiedlichen Einspielungen von Judy Garlands "Somewhere over the Rainbow" deutlich. Die erste Aufnahme stammt aus dem berühmten Kinofilm und vermittelt die kindliche Naivität eines jungen Menschen voller Träume, während in der zweiten Aufnahme Garland das Lied bei einer Veranstaltung viele Jahre später mit brüchiger und verlebter Stimme noch einmal präsentiert und dabei relativ illusionslos wirkt.

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Ausgelassenes Sonnenbad auf der Wiese (Ensemble) (© Oliver Look)

Der zweite Teil nach der Pause zeigt dann, wie man als Erwachsener versucht, sich in dieser Gesellschaft zu etablieren. Hier halten sich komische und bittere Momente die Waage. Wenn Scott Jennings die einzelnen Tänzerinnen vorstellt und ihren Auftritt lenkt, behandelt er sie wie Vieh. In autoritärem Ton weist er sie an, zu lächeln, sich zu drehen und zum Abschluss zu winken. Mit unterdrückter Wut versuchen die Tänzerinnen, sich nichts anmerken zu lassen. Julie Shanahans expressiver und hochkomödiantischer Auftritt wird dabei von Jennings im Keim erstickt. Im weiteren Verlauf müssen die Frauen dann ihre Beine anpreisen, mit drei Worten ihre Heimat beschreiben, in zwei Sätzen sagen, was ihnen zum Thema "Dinosaurier" einfällt oder einen Zungenbrecher nachsprechen über "Schnecken, die erschrecken, wenn sie an Schnecken schlecken, weil Schnecken ihnen nicht schmecken", was im Publikum für große Heiterkeit sorgt. Das Fragen nach Narben, die jeder vorzuweisen hat, artet in einen Wettbewerb aus und ist genauso absurd wie das durchstandene Leid mit Blumen und Pokalen zu prämieren. Die Musikauswahl mit Werken von John Dowland, Claude Debussy und Francis Lai unterstreicht dabei die melancholische Grundstimmung. Das erhabene "Pomp and Circumstances" von Edward Elgar wird szenisch etwas umgedeutet, da die Tänzerinnen und Tänzer ihre Verzweiflung bei der getragenen Musik nur schwer verbergen können.

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Nazareth Panadero mit Fernando Suels Mendoza (© Oliver Look)

Doch es gibt auch wenige positive Momente. Wenn der "Onkel Bumba aus Kalumba" oder der "liebe Schatz aus Spanien" von den Comedian Harmonists ertönen, tollen die Tänzerinnen und Tänzer in purer Lebensfreude auf der Bühne herum. In einem langen Zug geht es auch durch das Publikum, was im Opernhaus ein wenig schwierig ist. Das Stück war ja ursprünglich für das mittlerweile geschlossene Schauspielhaus konzipiert, in dem es kein Problem war, von der Bühne für das ganze Publikum sichtbar in den Saal zu gehen und in der Mitte des Saals eine Runde zu drehen. Dafür muss im Opernhaus eine ganze Reihe frei bleiben. Als Gast schlüpft die Schauspielerin Silja Bächli in die Rolle, die bei der Uraufführung von Mechthild Großmann gespielt wurde, die einem breiten Publikum mittlerweile vor allem als Staatsanwältin Wilhelmine Klemm aus dem Münsteraner Tatort bekannt sein dürfte. Bächli verfügt zwar nicht über eine ganz so tiefe Reibeisenstimme wie Großmann, setzt aber mit ihrem Monolog über den schönen grünen Rasen in der Interaktion mit dem Publikum vergleichbar komische Akzente. Für magische Momente sorgt Reiner Roth als Zauberkünstler. Von der Uraufführungsbesetzung ist auch 37 Jahre später noch Nazareth Panadero dabei, die mit ihrer einzigartigen Mimik ebenfalls begeistert. Auch andere langjährige Tänzerinnen und Tänzer beweisen, dass eine Tänzerkarriere in diesem Ensemble mit Mitte 40 keineswegs zu Ende sein muss. Einzigartig dürfte auch die Dauer dieses Tanzabends sein, der mit fast vier Stunden schon wagnerianische Ausmaße annimmt.

Das Publikum lässt sich trotz einiger Längen von diesem in der Grundstimmung recht traurigen Abend begeistern und spendet am Ende frenetischen Beifall.

FAZIT

Bauschs melancholische Bildersprache hat auch nach so vielen Jahren nichts an Reiz verloren und zieht das Publikum immer noch in ihren Bann. Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Choreographien an diese Magie anknüpfen können.



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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne
Peter Pabst

Kostüme
Marion Cito

Mitarbeit
Hans Pop

Probenleitung Wiederaufnahme
Ruth Amarante
Dominique Mercy
Julie Shanahan
Matthias Burkert

Dramaturgie
Raimund Hoghe

 


Solisten

*rezensierte Aufführung

*Silja Bächli
Emma Barrowman
*Çağdaş Ermis
Silvia Farias Heredia
*Ditta Miranda Jasjfi
*Scott Jennings
Milan Kampfer
*Barbara Kaufmann
*Nayoung Kim
*Daphnis Kokkinos
*Eddie Martinez
Blanca Noguerol Ramírez
Breanna O'Mara
*Nazareth Panadero
*Helena Pikon
*Franko Schmidt
*Azusa Seyama
*Julie Shanahan
Ekaterina Shushakova
*Julie Anne Stanzak
*Michael Strecker
*Fernando Suels Mendoza
*Aida Vainieri
*Ophelia Young
Tsai-Chin Yu

Zauberkünstler
Reiner Roth

Geiger
Heinz Schotte

Am Barren
Peter Sandhoff

Harmonium
Ed Kortlandt


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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