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Mit
dem Tod durch die Jahrhunderte
Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl Il trittico ist Giacomo Puccinis letztes vollendetes Werk – und letzten Werken und Worten wird ja gern eine besondere Bedeutung zugemessen, wenngleich nicht alle Weltabschiedswerke oder Vermächtnisse sind. Gleichwohl sind sie naturgemäß von der größtmöglichen Lebenserfahrung und Lebensweisheit des Künstlers geprägt und daher schon genauer zu betrachten.
Il tabarro: Wolfgang
Koch (Michele), Eva-Maria Westbroek
(Giorgetta) Mit Il trittico hat Puccini mit den beiden Librettisten Giuseppe Adami und Giovacchino Forzano drei ganz unterschiedliche Kurzopern zu einem Triptychon zusammengefügt. Il tabarro spielt in der aktuellen Lebenszeit Puccinis irgendwo an der Seine vor Paris und beschreibt das Elend und die Armut der schwer arbeitenden Schleppkahnarbeiter, insbesondere eines Ehepaares, dessen Liebe am Tod des einzigen Kindes zerbrochen ist, inclusive des Mordes am neuen Liebhaber der unglücklichen Gattin. Suor Angelica handelt von der Leidensgeschichte einer ledigen Mutter, die Ende des 17. Jahrhunderts zur Buße in ein Kloster gesteckt wurde, auf Drängen ihrer eiskalten Tante zugunsten ihrer Schwester auf ihr Erbe verzichten muss und sich in unendlicher Sehnsucht nach ihrem inzwischen verstorbenen Sohn vergiftet. Der Selbstmord wird ihr in einer Vision vergeben. Gianni Schicchi schließlich schlüpft im Jahre 1299 in die Rolle und das Sterbebett des toten Buoso Donati, der sein Vermögen einem Kloster vermacht hat und in dessen Namen der Verkleidete nun – nach eigener Idee mit dem Segen der Verwandten – dem Notar ein neues Testament diktiert. Spitzbübisch verteilt er die Erbteile an die Nachkommen, die besten Stücke aber lässt er den Erblasser sich selbst vermachen „meinem lieben und teuren Freund Gianni Schicchi“. Die Familie kann nichts tun, sonst würde sie auch das verlieren, was er ihnen zugesprochen hat und auch die Strafe für Testamentsfälscher und ihre Mitwisser ist schwer. Dante hat Gianni Schicchi in der Göttlichen Komödie dafür noch in die Hölle geschickt – aber hier bittet das Schlitzohr das Publikum um mildernde Umstände und Vergebung, die es ihm gern gewährt. Michaela Schuster (Die Fürstin), Ermonela Jaho (Suor Angelica) Diese, auch musikalische
Vielfalt hat einen besonderen
Reiz, die Gegensätze
verstärken die Eindrücke und
das Leben und Sterben, Werte
und Wünsche werden in den
verschiedenen Jahrhunderten
beleuchtet. Hier setzt der
Regiegedanke von Lotte de Beer
an, die die Zusammenhänge und
Parallelen der drei Werke
aufzeigen will. Ambrogio Maestri (Gianni Schicchi) und Ensemble der Bayerischen Staatsoper Im Übrigen wir die Geschichte eins zu eins erzählt. In Bezug auf Gianni Schicchi äußert sich die Regisseurin im Programmheft wie folgt: „Wenn man es so macht, wie Puccini geschrieben hat, ist es vermutlich witziger als alles, was man sich ausdenken könnte. Für mich als Kind des Regietheaters ist das eine ziemlich beängstigende Erkenntnis, weil es an das Selbstverständnis und die Existenzberechtigung des Regieberufs reicht. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem man das Regietheater genauso befragen sollte, wie man einst das in Frage gestellt hat, was vorher war. Der Ausgangspunkt ist die Partitur, und nur, wenn dort offensichtlich etwas fehlt oder wenn es einem Publikum heute nicht mehr klarzumachen ist, worin die Relevanz eines Werkes liegt, müssen wir eine Übersetzung erfinden.“ Eine Erkenntnis und Aussage für die man die Regisseurin küssen möchte – und auch für den Mut sie zu äußern. Lotte de Beer interpretiert die Geschichten nicht um oder bearbeitet sie in irgendeiner Form, sie dient dem Werk und bedient sich nicht an ihm, um eigene Ideen zu verwirklichen. Sie versetzt uns auch mit ihrer Personenregie, mit Gestik und Mimik in drei verschiedene Zeiten. Der Realismus in Il Tabarro, wirkt erschreckend und bringt das Elend der Personen besonders nah. Nahtlos, auch ohne Applaus, folgt Suor Angelica. Die unterdrückte Natürlichkeit und Nonnenzwangshaltung lässt den Wutausbruch der Angelica umso schärfer erscheinen. Die bis zur Frisur strenge Disziplin der unbarmherzigen Tante wird durch eine kleine Geste hinterfragt: Vor ihrem Abtritt ist sie kurz versucht, die Hand ihrer zusammengebrochenen Nichte zu streicheln, verkneift sich das aber. Das am Ende sie statt der Gottesmutter in Angelicas Vision erscheint, erschließt sich tiefenpsychologisch – oder wie Wagner es im Parsifal formuliert: „…die Wunde schliesst der Speer nur, der sie schlug.“ In Gianni Schicchi erlebt der Zuschauer dagegen nicht nur herrliche, vielfältige, bunte Kostüme, die mittelalterlich anmuten, sondern auch entsprechende Körperbewegungen, quicklebendig, in allerbester Tradition der Commedia dell’arte. Die Variation, die Leiche nicht ins Nebenzimmer zu bringen, sondern in einer großen Truhe zu verstauen, macht das Ausziehen des Toten, um Gianni Schicchi dessen Bettkleider anzuziehen, besonders makaber. Und dass er die geprellten Verwandten am Schluss das Haus, das er sich grad selbst als Erbe zugesprochen hat, samt Totenbett plündern lässt, unterstreicht die Gemütlichkeit dieses Gauners, dieses sympathischen Unsympathen. Dieser Gianni Schicchi ist nicht nur komisch, er ist urkomisch, einfach herrlich. Ensemble in Gianni Schicchi In
München steht
ein bis auf
die kleinste
Partie
erlesenes,
spielfreudiges
Ensemble auf
der Bühne. Für
die
niveauvolle
Erheiterung
ist nicht
zuletzt Ambrogio
Maestri als
Gianni
Schicchi ein
Garant. Ein
stimmgewaltiger
Riese mit
Komik in jeder
Körperzelle
und
unglaublicher
Bühnenpräsenz.
Rosa Feola ist
eine
wundervolle
Lauretta, die
das „O mio
babbino caro“
nicht als
Wunschkonzertnummer
singt, sondern
als Verführung
des Papas, die
ihre Wirkung
nicht
verfehlt. Als
singender
Einspringer
für Pavol
Breslik, der
den Rinuccio
an diesem
Abend nur
spielt, ist
Galeano Salas
mit seinem
sanft
strahlenden
Tenor, der
eine
prachtvolle
Höhe hat, eine
echte
Entdeckung.
Michaela
Schuster ist
eine herrlich
verruchte
Zita, nachdem
sie als
Principessa,
Angelicas böse
Tante, jeden
Wassertropfen
gefrieren
ließ. Die
Gestaltungskraft
dieser ebenso
großen wie
gleichmäßig
durchgeformten
Stimme scheint
unendlich zu
sein. Als
Angelica rührt
Ermonela Jaho
auf höchstem
Niveau die
Herzen an. Ein
Sopran, der
ebenso das
unschuldig-schuldige
Mädchen wie
die
verzweifelte
junge Frau
hören lässt
mit
wunderschön
ausgearbeiteter
Tiefe und
unaufdringlich
leuchtender
Höhe. Kirill Petrenko kann die an ihn standardmäßig gesetzten hohen Erwartungen am Pult noch übertreffen. Selbst dem schwächeren Werk, dem Tabarro entlockt er Bögen und Spannungen, die aufwühlen und mitreißen, ohne reißerisch oder platt zu sein. Suor Angelica, der oft Gefühligkeit und Kitsch nachgesagt wird, klingt unter Petrenko hochsensibel, aber nicht sentimental, berührend aber nicht billig einschmeichelnd. Und im Gianni Schicchi beweist er ein weiteres Mal dass er hochpräzise arbeitet ohne akademisch-kalt zu wirken und im Sog der Musik auch die feinste Ironie aufklingen lassen kann, so dass das Zuhören und Entdecken doppeltes Vergnügen bereitet. Auch die Wahl der Tempi unterstreicht Petrenkos hohe Kunst der Kombination von Präzision und Ausdruck. Das Orchester folgt ihm in Höchstform mit der geforderten Genauigkeit und Klangvielfalt. FAZIT Eine rundum gelungene Produktion, die insbesondere musikalisch einen Glücksmoment nach dem anderen bietet, und auch das oben zitierte Credo der Regisseurin Lotte de Beer ist wundervolle Musik in meinen Ohren.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Konzeptionelle Beratung Bühne Kostüme Licht Chor Dramaturgie
Chor und Kinderchor Bayerisches Staatsorchester Statisterie und Kinderstatisterie
Solisten*besuchte Aufführung IL TABARRO Michele Giorgetta Luigi Tinca Talpa Frugola Ein Liedverkäufer Ein LIebespaar
Suor Angelica La zia principessa / Die Fürstin La badessa / Die Äbtissin La suora zelatrica / Die Eiferin La Maestra / Die Lehrmeisterin
Schwester Genovieffa Schwester Osmina Schwester Dolcina La suora infirmiera / Die
Pflegerin Almosensucherinnen Laienschwestern Novizin Drei Schwestern GIANNI SCHICCHI Gianni Schicchi Lauretta Zita Rinuccio Gherardo Nella Simone Gherardino Betto di Signa Marco La Ciesca Maestro Spinelloccio Ser Amantio di Nicolao Pinellino Guccio
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