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Il trittico

Drei Operneinakter

Il tabarro (Der Mantel)
Text von Giuseppe Adami nach dem Schauspiel La Houppelande (1910) von Didier Gold

Suor Angelica (Schwester Angelica)
Text von Giovacchino Forzano

Gianni Schicchi
Text von Giovacchino Forzano nach einer Episode aus dem 30. Gesang des Inferno aus La Commedia Divina (1321) von Dante Alighieri

Musik von Giacomo Puccini

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden 25 Minuten  (eine Pause)

Premiere im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper München am 17. Dezember 2017
besuchte Aufführung: 23. Dezember 2017

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Mit dem Tod durch die Jahrhunderte

Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl

Il trittico ist Giacomo Puccinis letztes vollendetes Werk – und letzten Werken und Worten wird ja gern eine besondere Bedeutung zugemessen, wenngleich nicht alle Weltabschiedswerke oder Vermächtnisse sind. Gleichwohl sind sie naturgemäß von der größtmöglichen Lebenserfahrung und Lebensweisheit des Künstlers geprägt und daher schon genauer zu betrachten.

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Il tabarro: Wolfgang Koch (Michele), Eva-Maria Westbroek (Giorgetta)
(Gianni Schicchi): Ambrogio Maestri (Gianni Schicchi) und Ensemble der Bayerischen Staatsoper

Mit Il trittico hat Puccini mit den beiden Librettisten Giuseppe Adami und Giovacchino Forzano drei ganz unterschiedliche Kurzopern zu einem Triptychon zusammengefügt. Il tabarro spielt in der aktuellen Lebenszeit Puccinis irgendwo an der Seine vor Paris und beschreibt das Elend und die Armut der schwer arbeitenden Schleppkahnarbeiter, insbesondere eines Ehepaares, dessen Liebe am Tod des einzigen Kindes zerbrochen ist, inclusive des Mordes am neuen Liebhaber der unglücklichen Gattin. Suor Angelica handelt von der Leidensgeschichte einer ledigen Mutter, die Ende des 17. Jahrhunderts zur Buße in ein Kloster gesteckt wurde, auf Drängen ihrer eiskalten Tante zugunsten ihrer Schwester auf ihr Erbe verzichten muss und sich in unendlicher Sehnsucht nach ihrem inzwischen verstorbenen Sohn vergiftet. Der Selbstmord wird ihr in einer Vision vergeben. Gianni Schicchi schließlich schlüpft im Jahre 1299 in die Rolle und das Sterbebett des toten Buoso Donati, der sein Vermögen einem Kloster vermacht hat und in dessen Namen der Verkleidete nun – nach eigener Idee mit dem Segen der Verwandten – dem Notar ein neues Testament diktiert. Spitzbübisch verteilt er die Erbteile an die Nachkommen, die besten Stücke aber lässt er den Erblasser sich selbst vermachen „meinem lieben und teuren Freund Gianni Schicchi“. Die Familie kann nichts tun, sonst würde sie auch das verlieren, was er ihnen zugesprochen hat und auch die Strafe für Testamentsfälscher und ihre Mitwisser ist schwer. Dante hat Gianni Schicchi in der Göttlichen Komödie dafür noch in die Hölle geschickt – aber hier bittet das Schlitzohr das Publikum um mildernde Umstände und Vergebung, die es ihm gern gewährt.

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Michaela Schuster (Die Fürstin), Ermonela Jaho (Suor Angelica)

Diese, auch musikalische Vielfalt hat einen besonderen Reiz, die Gegensätze verstärken die Eindrücke und das Leben und Sterben, Werte und Wünsche werden in den verschiedenen Jahrhunderten beleuchtet. Hier setzt der Regiegedanke von Lotte de Beer an, die die Zusammenhänge und Parallelen der drei Werke aufzeigen will.
Bernhard Hammer hat ein Einheitsbühnenbild geschaffen, das wie ein auf der Seite liegender, rechteckiger Trichter aussieht, dreigeteilt ist und deren vorderen beiden Teile beweglich sind. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sollen hier dargestellt werden. So kann man es nachlesen, auf der Bühne erschließt sich das nicht. Der Tod ist das Leitmotiv, zu Beginn und zum Schluss sieht man eine Leichenprozession mit Teilnehmern aus verschiedenen Jahrhunderten. Jorine van Beek hat  für diese Produktion realistische und eindrucksvolle Kostüme entworfen. Der Kindersarg vor Beginn von Il tabarro neben einem normal großen Sarg ist besonders eindrucksvoll. Am Schluss stehen alle Figuren der drei Einakter auf der Bühne, was die Gemeinsamkeiten wohl noch unterstreichen soll. Dass das Totenbett des Buoso noch einmal an der Decke hängt, sozusagen nach oben gespiegelt ist, unterstreicht die Komik des Gianni Schicchi. Als ein szenisches Leitmotiv werden die Toten vom sich drehenden Mittelteil des Trichters  einmal über die Bühne gedreht (Luigi, der tote Knabe, Buoso), was ob der Bühnentechnik Staunen macht. Ein zweites szenisches Leitmotiv ist furchtbar lästig: Das Publikum wird von einem starken Scheinwerfer massiv geblendet, der in Suor Angelica durch ein leuchtendes hohles Kreuz ersetzt wird, in dem der tote Knabe und die böse Tante stehen.

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Ambrogio Maestri (Gianni Schicchi) und Ensemble der Bayerischen Staatsoper

Im Übrigen wir die Geschichte eins zu eins erzählt. In Bezug auf Gianni Schicchi äußert sich die Regisseurin im Programmheft wie folgt: „Wenn man es so macht, wie Puccini geschrieben hat, ist es vermutlich witziger als alles, was man sich ausdenken könnte. Für mich als Kind des Regietheaters ist das eine ziemlich beängstigende Erkenntnis, weil es an das Selbstverständnis und die Existenzberechtigung des Regieberufs reicht. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem man das Regietheater genauso befragen sollte, wie man einst das in Frage gestellt hat, was vorher war. Der Ausgangspunkt ist die Partitur, und nur, wenn dort offensichtlich etwas fehlt oder wenn es einem Publikum heute nicht mehr klarzumachen ist, worin die Relevanz eines Werkes liegt, müssen wir eine Übersetzung erfinden.“ Eine Erkenntnis und Aussage für die man die Regisseurin küssen möchte –  und auch für den Mut sie zu äußern.

Lotte de Beer interpretiert die Geschichten nicht um oder bearbeitet sie in irgendeiner Form, sie dient dem Werk und bedient sich nicht an ihm, um eigene Ideen zu verwirklichen. Sie versetzt uns auch mit ihrer Personenregie, mit Gestik und Mimik in drei verschiedene Zeiten. Der Realismus in Il Tabarro, wirkt erschreckend und bringt das Elend der Personen besonders nah. Nahtlos, auch ohne Applaus, folgt Suor Angelica. Die unterdrückte Natürlichkeit und Nonnenzwangshaltung lässt den Wutausbruch der Angelica umso schärfer erscheinen. Die bis zur Frisur strenge Disziplin der unbarmherzigen Tante wird durch eine kleine Geste hinterfragt: Vor ihrem Abtritt ist sie kurz versucht, die Hand ihrer zusammengebrochenen Nichte zu streicheln, verkneift sich das aber. Das am Ende sie statt der Gottesmutter in Angelicas Vision erscheint, erschließt sich tiefenpsychologisch – oder wie Wagner es im Parsifal formuliert: „…die Wunde schliesst der Speer nur, der sie schlug.“ In Gianni Schicchi erlebt der Zuschauer dagegen nicht nur herrliche, vielfältige, bunte Kostüme, die mittelalterlich anmuten, sondern auch entsprechende Körperbewegungen, quicklebendig, in allerbester Tradition der Commedia dell’arte. Die Variation, die Leiche nicht ins Nebenzimmer zu bringen, sondern in einer großen Truhe zu verstauen, macht das Ausziehen des Toten, um Gianni Schicchi dessen Bettkleider anzuziehen, besonders makaber. Und dass er die geprellten Verwandten am Schluss das Haus, das er sich grad selbst als Erbe zugesprochen hat, samt Totenbett plündern lässt, unterstreicht die Gemütlichkeit dieses Gauners, dieses sympathischen Unsympathen. Dieser Gianni Schicchi ist nicht nur komisch, er ist urkomisch, einfach herrlich.

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Ensemble in Gianni Schicchi

In München steht ein bis auf die kleinste Partie erlesenes, spielfreudiges Ensemble auf der Bühne. Für die niveauvolle Erheiterung ist nicht zuletzt Ambrogio Maestri als Gianni Schicchi ein Garant. Ein stimmgewaltiger Riese mit Komik in jeder Körperzelle und unglaublicher Bühnenpräsenz. Rosa Feola ist eine wundervolle Lauretta, die das „O mio babbino caro“ nicht als Wunschkonzertnummer singt, sondern als Verführung des Papas, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Als singender Einspringer für Pavol Breslik, der den Rinuccio an diesem Abend nur spielt, ist Galeano Salas mit seinem sanft strahlenden Tenor, der eine prachtvolle Höhe hat, eine echte Entdeckung. Michaela Schuster ist eine herrlich verruchte Zita, nachdem sie als Principessa, Angelicas böse Tante, jeden Wassertropfen gefrieren ließ. Die Gestaltungskraft dieser ebenso großen wie gleichmäßig durchgeformten Stimme scheint unendlich zu sein. Als Angelica rührt Ermonela Jaho auf höchstem Niveau die Herzen an. Ein Sopran, der ebenso das unschuldig-schuldige Mädchen wie die verzweifelte junge Frau hören lässt mit wunderschön ausgearbeiteter Tiefe und unaufdringlich leuchtender Höhe.
Yonghoon Lee begeistert mit angenehm timbriertem, höhensicherem und besonders klangvollem Tenor als Luigi, Eva-Maria Westbroek singt und gestaltet die Giorgetta intensiv mit ebenso seelenvoller wie vibratoreicher Stimme. Wolfgang Koch zeigt, dass er im italienischem Fach ebenso zu Hause ist wie bei Wagner und erweist sich als eine Idealbesetzung des müden, verzweifelten, zwischen neu aufkeimender Liebe und wütender Eifersucht schwankender Michele. So kurzfristig, dass es nur dem Aushang, keinem Einlegezettel und auch keiner Ansage zu entnehmen war, ist Claudia Mahnke an diesem Abend als Äbtissin und Frugola eingesprungen und konnte besonders als unglückliche Frugola mit ihrem luxuriösen ebenso beweglichen wie vollstimmigen Alt den allerbesten Eindruck hinterlassen.

Kirill Petrenko kann die an ihn standardmäßig gesetzten hohen Erwartungen am Pult noch übertreffen. Selbst dem schwächeren Werk, dem Tabarro entlockt er Bögen und Spannungen, die aufwühlen und mitreißen, ohne reißerisch oder platt zu sein. Suor Angelica, der oft Gefühligkeit und Kitsch nachgesagt wird, klingt unter Petrenko hochsensibel, aber nicht sentimental, berührend aber nicht billig einschmeichelnd. Und im Gianni Schicchi beweist er ein weiteres Mal dass er hochpräzise arbeitet ohne akademisch-kalt zu wirken und im Sog der Musik auch die feinste Ironie aufklingen lassen kann, so dass das Zuhören und Entdecken doppeltes Vergnügen bereitet. Auch die Wahl der Tempi unterstreicht Petrenkos hohe Kunst der Kombination von Präzision und Ausdruck. Das Orchester folgt ihm in Höchstform mit der geforderten Genauigkeit und Klangvielfalt.

FAZIT

Eine rundum gelungene Produktion, die insbesondere musikalisch einen Glücksmoment nach dem anderen bietet, und auch das oben zitierte Credo der Regisseurin Lotte de Beer ist wundervolle Musik in meinen Ohren.

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kirill Petrenko

Inszenierung
Lotte de Beer

Konzeptionelle Beratung
Peter te Nuyl

Bühne
Bernhard Hammer

Kostüme
Jorine van Beek

Licht
Alex Brok

Chor
Sören Eckhoff

Dramaturgie
Malte Krasting


 

Chor und Kinderchor
der Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester

Statisterie und Kinderstatisterie
der Bayerischen Staatsoper


Solisten

*besuchte Aufführung

IL TABARRO

Michele
Wolfgang Koch

Giorgetta
Eva-Maria Westbroek

Luigi
Yonghoon Lee

Tinca
Kevin Conners

Talpa
Martin Snell

Frugola
*Claudia Mahnke /
Heike Grötzinger

Ein Liedverkäufer
Dean Power

Ein LIebespaar
Rosa Feola (Sopran)
Pavol Breslik (Tenor)


SUOR ANGELICA

Suor Angelica
Ermonela Jaho

La zia principessa / Die Fürstin
Michaela Schuster

La badessa / Die Äbtissin
*Claudia Mahnke /
Heike Grötzinger

La suora zelatrica / Die Eiferin
Helena Zubanovich

La Maestra / Die Lehrmeisterin
Jennifer Johnston

Schwester Genovieffa
Anna El-Khashem

Schwester Osmina
Annette Beck-Schäfer

Schwester Dolcina
Paula Iancic

La suora infirmiera / Die Pflegerin
Alyona Abramowa

Almosensucherinnen
Selene Zanetti
Niamh O'Sullivan

Laienschwestern
Selene Zanetti
Niamh O'Sullivan

Novizin
Cordula Schuster

Drei Schwestern
Ulrike Wagner
Susanne Grobholz
Ruth Irene Meyer

GIANNI SCHICCHI

Gianni Schicchi
Ambrogio Maestri

Lauretta
Rosa Feola

Zita
Michaela Schuster

Rinuccio
Pavol Breslik (Spiel)
*Galeano Salas (Gesang)

Gherardo
Dean Power

Nella
Selene Zanetti

Simone
Martin Snell

Gherardino
Alban Mondon

Betto di Signa
Christian Rieger

Marco
Sean Michael Plumb

La Ciesca
Jennifer Johnston

Maestro Spinelloccio
Donato Di Stefano

Ser Amantio di Nicolao
Andrea Borghini

Pinellino
Milan Siljanov

Guccio
Boris Prýgl


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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