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Don Giovanni

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Lorenzo Da Ponte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


In italienischer Sprache mit französischen Übertiteln

Premiere am 25. Juni 2018 an der Opera de Lyon
r>(rezensierte Vorstellung: 3. Juli 2018)

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)


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Opera de Lyon
(Homepage)
Wenn die Hölle friert

Von Roberto Becker / Fotos ©Jean-Pierre Maurin


Beinahe wäre der rührige Chef der Oper Lyon, der Flame Serge Dorny, als Intendant der Semperoper in Dresden gelandet. Doch in Sachsen fand man nicht zusammen. Noch bevor es richtig losgehen konnte, war der Traum vom Ruck nach vorn für die Sächsische Staatsoper wieder ausgeträumt. Nach sich hinziehenden juristischen Auseinandersetzungen gibt es jetzt einen vergoldeten Handschlag für Dorny. In ein paar Jahren wird er stattdessen Chef der Bayerische Staatsoper in München. Die einen sind selbst Schuld und die anderen haben Glück. Wenn einer die Balance aus Starglamour und ästhetischer Offenheit wahren und ein Projekt für die Stadt München entwickeln kann, dann Dorny.

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Don Giovanni (im Bett) sieht Ottavio und Anna, oder umgekehrt?

Wie er das, natürlich auf ganz andere Weise, mit seiner Stagione-Oper in Lyon gemacht hat, war jetzt wieder exemplarisch bei David Martons Don Giovanni zu erleben, der dort in dieser Spielzeit insgesamt neunmal über die Bühne geht. Marton hat in Lyon schon mehrfach mit Erfolg inszeniert. Auf das ja nicht so einfach zu packende Capriccio von Richard Strauss folgten Glucks Orpheé et Eurydice und Berlioz'La Damnation de Faust. Mit Don Giovanni hat sich der 1975 in Ungarn geborene Regisseur schon mal in einer für ihn typischen Kammermusikfassung mit dem Titel Don Giovanni keine Pause 2009 befasst. Mit einer weiblichen Titelheldin…

Vergrößerung Ein Leben in der Einsamkeits-Hölle

Dass das Haus auch bei den Vorstellungen nach der Premiere immer noch voll ist, liegt natürlich auch am Stück. Don Giovanni ist halt die "Oper der Opern". Dorny hat sie durchweg überzeugend besetzt und mit Stefano Montanari einen originellen Dirigenten für sein Orchester dazu engagiert, der auch Eingriffe zulässt, die man, sagen wir mal in Salzburg wohl nicht tolerieren würde. In Lyon ist in Dornys Amtszeit offensichtlich aber auch ein Publikum herangewachsen, das für einen so experimentellen, radikalen Zugriff, wie den von David Marton, offen ist. Dass es nur nach der zweiten großen Donna Anna-Arie Szenenapplaus gab, lag nicht an den Sängern. Die waren stimmlich und darstellerisch durchweg hervorragend. Es lag an der Spannung, die Marton mit seinem Psychogramm von Anfang an erzeugt und durchhält. Ungewöhnliche Wendungen und Unterbrechungen der Musik inklusive. Manchmal hört man in einer Generalpause nur einen eisigen Windhauch durch die metaphorisch sprechende Kühle des abstrakten Betonbaus von Christian Friedländer pfeifen. Dann wieder absolvieren Don Giovanni und Leporello (mit stimmlicher Präsenz und Empathie in der Darstellung: Kyle Ketelsen) im riesigen Rund der Öffnung ins Nirgendwo fläzend a capella eine Rezitativpassage und man hört im Hintergrund Autos vorbeizischen.

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Don Giovanni auf der Suche nach sich selbst

Oder Don Giovanni fügt eine Textpassage nach seiner Kanzone ein, bei der man ahnt, worum es geht: Er hat vorher nämlich nur die graue, nackte Wand angesungen und war (einsamer geht es kaum) erst von einem Lichtkegel und dann von herabfallenden gerafften Gardinen umhüllt. Also für uns völlig unsichtbar. (Im Programm wird auf die Genehmigung verwiesen, Passagen aus Thomas Melles um Bipolarität kreisenden Roman Die Welt im Rücken zu verwenden.) Wenn danach der als Arzt agierende Masetto zu ihm vordringt, schlägt Giovanni ihn zusammen. Was ja bekanntlich auch jeder psychisch intakte Don Giovanni macht, als ihm seine Verfolger auf den Fersen sind und ans Leder wollen.

Vergrößerung Große Party, doch der Gastgeber ist am Boden

Bei Marton ist Don Giovanni aber nicht mehr intakt - sein Darsteller Philippe Sly ist es in jeder Hinsicht, die von ihm verkörperte Figur in nahezu keiner mehr. Ganz offensichtlich, wenn er Donna Elvira (mit eleganter Eloquenz: Antoinette Dennefeld) gleich mehrfach auftauchen sieht. Oder wenn er sich zwischendurch auch mal seines Hemdes entledigt und sich gezielt "daneben" benimmt. Oder wenn er nach seiner exzessiven Einladung zum Fest von einer Sekunde auf die andre umfällt und wie im Koma auf seinem Bett liegen bleibt. Der muss nicht zur Hölle fahren, der lebt in ihr und flieht von dort: Endgültig, wenn ihm der junge Mann im Pyjama, der hier anstelle des Komturs auftaucht und immer wieder durch die Szene geistert, das Rasiermesser überreicht, mit dem er sich die Pulsadern aufschneidet. Da braucht es die Szene nach der Höllenfahrt am Ende auch für die anderen nicht. Die haben das alle durch.

Für Leporello ist die ganze Geschichte, die es ja auch bleibt, eine Erinnerung, die er imaginiert. Für Don Giovanni ist sein Getriebensein und die Kälte der Einsamkeit jenseits seiner vielen (und auch im doppelten Dutzend aufmarschierenden) Eroberungen bereits die Hölle. Für Donna Anna (mit Verve: Eleonora Buratto) bleibt die Begegnung mit ihm der leuchtende Mittelpunkt ihres Lebens - während ihrer zweiten großen Arie sieht man, wie Don Ottavio (jenseits ausgestellten Schmachtens: Julien Behr) an ihrer Seite inmitten einer immer größer werdenden Familie altert und sich immer von ihr entfernt, bis sie schließlich flieht. Ottavio wiederum hat (wie viele Männer) ohnehin ein Don-Giovanni-Problem. Erst sieht er sich selbst in dessen Gestalt mit seiner Anna auf und davon gehen, dann versucht er es bei ihr mit dem "Reich-mir-die-Hand-mein-Leben"-Verführertrick und der großen Show. Hat damit Erfolg (zumindest bei Zerlina) und landet doch nur in seiner Ehehölle. So jedenfalls die szenische Vision während der letzten Donna Anna Arie. An deren Ende flieht Donna Anna aus ihrer Ehe in die Freiheit ihrer Erinnerung. Hier braucht es die letzte Szene, bei der sich alle nochmal treffen und Don Giovanni nachtrauern, tatsächlich nicht mehr. Hier hat man das alles vorher schon gesehen.


FAZIT

Ein eiskalter, aufregender Don Giovanni, der lange nachwirkt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefano Montanari

Inszenierung
David Marton

Bühne
Christian Friedländer

Kostüme
Pola Kardum

Licht
Henning Streck

Klang-Design
Daniel Dorsch

Dramaturgie
Anna Heesen


Chor und Orchester der Opéra de Lyon


Solisten

Don Giovanni
Philippe Sly

Donna Anna
Eleonora Buratto

Don Ottavio
Julien Behr

Donna Elvira
Antoinette Dennefeld

Leporello
Kyle Ketelsen

Masetto
Piotr Micinski

Zerlina
Yuka Yanagihara

Comendatore
Attila Jun

Ein junger Mann
Cléobule Perrot



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opera de Lyon
(Homepage)



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