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Falstaff in der Mülltonne Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger Ein alter, fetter, heruntergekommener Ritter, der sich immer noch einbildet, jede Frau erobern zu können und dies mit charmanten, aber allzu durchschaubaren Mitteln versucht, macht sich zwar lächerlich, aber nicht notgedrungen auf peinliche Weise. Im Gegenteil: Feine Komik entsteht durch die aufeinandertreffenden Kontraste zwischen Ernsthaftem und Komischem oder Groteskem und je filigraner die Fäden gesponnen sind, umso feinsinniger, geistreicher und im besten Sinne humorvoller wird das Ganze. Die Geschichte des Ritters Sir John Falstaff ist eine wahre Fundgrube dieses feinen und zuweilen auch anspruchsvollen Humors, der in seinen Vertonungen für die Opernbühne durch die Musik kongenial ergänzt wird. Bei Verdi, wenn auch in anderem musikalischen Stil, ebenso wie bei Otto Nicolai – die beiden Falstaff-Opern, die sich im Repertoire fest etabliert haben. Lin Lin Fan (Frau Fluth), Florian Spiess (Sir John Falstaff), Marie-Luise Dreßen (Frau Reich)
Feiner, anspruchsvoller,
tiefsinniger, nicht
oberflächlicher Humor
sollte eine komische Oper
von billigem Slapstick,
alberner Comedy oder
plumpen Zoten
unterscheiden. Natürlich
ist Theater und Oper auch
Unterhaltung und nicht
jede Operninszenierung
muss die Welt beschreiben
und/oder retten, aber man
sollte doch ein etwas
anderes Niveau erwarten
können, als in den
unzähligen unkomischen
Comedy-Sendungen im
Fernsehen. Marie-Luise Dreßen (Frau Reich), Marc-Olivier Oetterli (Herr Reich), Hee Saup Yoon (Dr. Cajus), Sebastian Noack (Herr Fluth), Younggi Moses Do (Junker Spärlich) Da wird in der durchaus vielfältigen Personenregie ebenso wie im Kostümunwesen jedes noch so einfache Klischee bedient, was zuweilen zu hochnotpeinlichen Momenten führt, modernisierte Dialoge, Eingriffe in Text und Handlung und eine Musikeinspielung vom Band inklusive. Natürlich kann Falstaff dann auch in nicht einem Wäschekorb versteckt werden, sondern muss in eine Mülltonne. Und wenn sich durch Annas Intrige Cajus und Spärlich versehentlich das Ja-Wort geben, protestiert einer der Spießbürger „Keine Ehe für alle!“. Ist das nicht alles ein bisschen zu einfach gedacht?
Gänzlich ärgerlich, noch
nicht einmal unfreiwillig
komisch, wird die Sache,
wenn die Regie auch noch
bedeutend sein will, z. B.
wenn die Szene bei der
Ballade vom Jäger Herne
surreal eingefroren wird
oder wenn Herr Reich,
nicht als Herne
verkleidet, den ebenfalls
nicht als Herne
verkleideten Falstaff des
Betrugs überführen sollte.
Das funktioniert nicht,
wirkt aber hochbedeutend
und entschlüsselnd – und
sowas von unnötig. Florian Spiess (Sir John Falstaff) Die Crux der ganzen Sache bleibt aber die Idee, den Spieß umzudrehen und nicht Falstaff von den Spießbürgern, sondern die Spießbürger von Falstaff vorführen zu lassen. Dazu wurde die Figur der Ritters gänzlich uminterpretiert. Hier ist es kein dicker alter Mann, der seine besten Zeiten hinter sich hat – sondern ein junger, schlanker, großer, gutgebauter, cooler Verführer voller Charme, der für seine erotischen Blicke einen Waffenschein bräuchte. Ihm verfallen nicht nur die Damen Fluth und Reich durchaus gewillt, sondern auch Töchterchen Anna während sie mit ihrem eigentlich geliebten Fenton duettiert – und die Hälfte des Publikums sowieso. Geld hat er nicht, seine Zimmermannshose ist schmutzig und am Knie (erotisch?) eingerissen, sein Hemd fleckig. Aber wenn er sein verführerisches Lächeln aufsetzt, ist er ein Don Giovanni in seinen besten Jahren. Er bringt die scheinbar geordnete Welt von Windsor kräftig durcheinander und beschwört wie Puck im Sommernachtstraum die dunklen, lüsternen Seiten dieser Gesellschaft herauf. „Auf! Ihr Geister groß und klein! Stürmet alle auf ihn ein!“ singt er dann auch selbst und malträtiert die anderen – anstatt, dass er gepiesackt gedemütigt und geläutert wird. Das liest sich besser, als es sich auf der Bühne mit der Musik zusammen präsentiert. Anders gesagt: es geht nicht auf. Da helfen auch nicht die szenischen Leitmotive grüne Luftballons und Liebesbriefe, von denen er ganz am Schluss reichlich unter den Damen im Publikum verteilt. Marie-Luise Dreßen (Frau Reich), Daniel Jenz (Fenton), Sebastian Noack (Herr Fluth), Bernhard Modes (Der Wirt), Hee Saup Yoon (Dr. Cajus), Ani Yorentz (Anna Reich), Marc-Olivier Oetterli (Herr Reich), Younggi Moses Do (Junker Spärlich), Lin Lin Fan (Frau Fluth)
Als Sir John Falstaff in dieser
Charakterisierung ist Florian
Spiess eine Idealbesetzung mit
noblem, kultiviertem Bass, dem
aber in der Tiefe ein bisschen
mehr Volumen zu wünschen wäre. Lin
Lin Fan singt die Frau Fluth
bestens einstudiert mit
ausgereifter Stimmtechnik. Sie
beeindruckt mit glasklarer
Intonation und perlenden
Koloraturen, man könnte sich aber
ein bisschen mehr stimmliche
Substanz wünschen. Szenisch nimmt
man ihr die biedere Hausfrau
nicht wirklich ab. Als ihr
eifersüchtiger Gatte hat Sebastian
Noack reichlich baritonale
Stimmkraft und lässt sie
wohlgeformt klingen. Marie-Luise
Dreßen ist als Frau Reich von der
Personenregie am
unvorteilhaftesten bedacht, was
sie aber glücklicherweise nicht
daran hindert die Partie
angemessen zu singen und vor allem
mit der eindrucksvoll gestalteten
Ballade vom Jäger Herne zu
begeistern. Als Herr Reich hat
Marc-Olivier Oetterli hinter der
Stärke und Durchschlagskraft
seiner Frau zurückzustehen, ordnet
sich ihr auch stimmlich unter und
interpretiert die Partie
regiewunschadäquat. FAZIT Wenn man etwas Komisches komischer machen möchte, geht das meistens schief. Auch hier. Gleiches gilt für die immer wieder auflebenden Versuche etwas ganz anderes sehen zu wollen, als es ist. So geht auch diese Umdeutung des Falstaff-Themas baden - aber nicht in der Themse, sondern auf der Müllhalde. Musikalisch ordentlich, wenn auch nicht berauschend, aber gesanglich mit ein paar hell glänzenden Sternen erleuchtet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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