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Der ferne Klang

Oper in drei Akten
Musik und Libretto von Franz Schreker

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 3 Stunden – eine Pause

Premiere am 21. Oktober 2017
(Rezensierte Aufführung: 26. Oktober 2017)


Theater Lübeck
(Homepage)

Ein packender Opernabend


Von Christoph Wurzel / Fotos
von Steffen Gottschling

Die Uraufführung seiner zweiten Oper  Der ferne Klang im Jahre 1912 machte den damals 34 jährigen Franz Schreker schlagartig zur Berühmtheit und mit seinen folgenden Bühnenwerken zum meistgespielten Opernkomponisten dieser Jahre bis in die Mitte der Zeit der Weimarer Republik hinein, weit mehr als etwa Richard Strauss zu dieser Zeit. Jäh beendet wurde Schrekers Karriere vom Anbruch des Faschismus. Politischer Druck zwang den Juden Franz Schreker bereits 1932 aus seinem Amt als Direktor der Berliner Musikhochschule, wenig später mündete die Uraufführung seiner letzten Oper in einem nationalsozialistisch provozierten Skandal. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern konnte Schreker nicht ins Exil gehen. Schon 1933 schwer erkrankt, starb er bereits ein Jahr nach der „Machtübernahme“ und geriet regelrecht in Vergessenheit, da sich nirgendwo außerhalb von Deutschland Fürsprecher für sein Werk fanden. Erst seit Ende der 1970er Jahre werden Schrekers Opern, zuerst zögernd und in jüngster Zeit regelmäßig, wieder an den Opernhäusern gespielt; und dies mit zunehmendem Erfolg. Dies ist nicht allein Wiedergutmachung, sondern Schrekers Opern erscheinen auch heute modern hinsichtlich der Inhalte wie der Musik. Das Theater Lübeck hat dies als Erstaufführung mit Schrekers  Der ferne Klang in einer eindrucksvollen Produktion unter Beweis gestellt.

Von einer doppelten Sehnsucht handelt die Oper: von der Sehnsucht nach der vollendeten Kunst und von der Sehnsucht nach der erfüllten Liebe. Die beiden Hauptfiguren Fritz und Grete glauben ihre Sehnsüchte und Hoffnungen nur durch Flucht aus ihrer Realität verwirklichen zu können und beide scheitern auf ihre jeweils eigene Weise.

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Prekäre Nachbarschaft: Gerard Quinn (Dr. Vigelius), Cornelia Ptassek (am Boden: Grete), Chor des Theater Lübeck

Der junge Komponist Fritz verlässt zu Beginn der Handlung seine in einfachsten sozialen Verhältnissen lebende Geliebte Grete, um in „der Welt“ sein Glück als Musiker zu machen. Auf der Suche nach dem fernen Klang, der idealen  Musik, verspricht er als berühmter Künstler zurückzukehren und Grete Reichtum und Ruhm zu Füßen zu legen. Doch dieses Ziel wird er nie erreichen. Der letzte Akt handelt von der Uraufführung seiner neuen Oper, die allerdings vollkommen durchfällt.

Weniger bewusst, aber aus einem tiefen inneren Drang nach Liebe und Geborgenheit heraus flüchtet Grete aus den engen Verhältnissen ihrer Familie. Durch  Einflüsterungen einer geheimnisvollen alten Frau werden in dem jungen Mädchen die erotischen Wünsche geweckt und sie landet in der Villa delle maschere, einem venezianischen Edelbordell. Im zweiten Akt wird sie dort von Männern wie eine Prinzessin umschwärmt und auf Händen getragen. Als plötzlich Fritz dort auftaucht, bekundet sie ihm ihre Liebe, doch er weist sie als Dirne brüsk von sich und stößt sie damit noch tiefer in den sittlichen Verfall.

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Traum von der Märchenhochzeit: Zoltán Nyári (Fritz), Steffen Kubach (Der alte Graumann), Wioletta Hebrowska (Ein altes Weib), Cornelia Ptassek (Grete), Andrea Stadel (Frau des Graumann), Chor des Theater Lübeck

Im dritten Akt erscheint Grete in dem Theater, wo Fritz' neueste Oper gerade grandios gescheitert ist. Von seiner vergeblichen Suche nach künstlerischer Erfüllung entmutigt und bitter enttäuscht von seinem Versagen stirbt Fritz in Gretes Armen, die ihn ihrer andauernden Liebe versichert.

Die Aufführung punktet zunächst einmal mit den zwei großartigen  Sängerdarstellern der Hauptrollen. Der ungarische Tenor Zoltán Nyári zeigt als Fritz darstellerisch großes Profil, erweist sich der Aufgabe aber vor allem sängerisch in überragender Weise gewachsen. Mit enormem Stimmpotential vermag er die große Bandbreite der Partie exzellent auszuschöpfen und brilliert mit lyrischem Piano ebenso wie mit strahlend auffahrender heldischen Geste. Ein idealer Siegfried ließ sich da hören.

Kongenial besetzt ist Cornelia Ptassek als Grete. Ihr Sopran hat die jugendliche Frische, die sie im 1. Akt als Kaugummi kauendes Girlie ebenso glaubhaft macht wie den  Ausdruck von Leidenschaft als Männer betörende Kurtisane im 2. Akt und schließlich die warme Emphase im Liebesduett des dritten Akts.

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Umschwärmte Halbwelt-Queen: Cornelia Ptassek (Grete), Ensemble,Chor und Extrachor des Theater Lübeck

Regisseur Jochen Briganzoni hat sowohl die naturalistischen wie auch die symbolistischen Handlungselemente der Oper zu einer geschickten Synthese verbunden. Der erste Akt führt konkret in die Welt von Gretes Familie. Eine Art Wohncontainer auf der Bühne stellt die  bescheidene Wohnküche dar. Vor ihrer Flucht aus dieser engen Welt wird Grete diesen Kasten selbstbewusst zur Seite schieben. Die Eltern Graumann verkörpern bedrückend drastisch die prekär elenden Verhältnisse: Mutter und Tochter zerstritten, der Vater versoffen. In Begleitung zwielichtiger Dorfbewohner will er seine Tochter an den Wirt verkuppeln, der es nicht nur bei Andeutungen belässt, welche Dienste Grete in seiner Kneipe den Kunden erweisen könnte. Übergriffig und brutal wird Grete zur Kind-Braut ausstaffiert. Katharina Weissenborn hat diese Gesellschaft prägnant auskostümiert, den Wirt als Rocker-Zuhälter mit Goldkettchen und Bomberjacke, die Mutter im Wickelkleid und Grete im Jungmädchen-Outfit mit Zöpfen: so naturalistisch, dass es fast weh tut.

Zu der folgenden langen Verwandlungsmusik erträumt sich Grete eine Märchenhochzeit, die pantomimisch wie eine Familienaufstellung dargestellt wird. Von der mysteriösen Alten durch einen flirrenden Vorhang in die Glitzerwelt der blanken Sinnlichkeit gelockt, lebt sie nun im Lusttempel als Greta ihre Verführungskraft auf die zu ihr aufschauenden  Männer aus. Dabei nutzt die Regie die auch musikalisch erotisierte Musik geschickt, um die Spielarten sexueller Obsessionen anzudeuten, ein Sado-Maso-Thrill bei der düsteren Ballade vom bleichen König, der durch Liebe Schmerzen leidet oder die eindeutige Anspielung auf Kindersex in der Interpretation des Couplets von den „reizenden kleinen Blumenmädchen von Sorrent“ - beides hervorragend gesungen von Johan Hyunbong Choi als Graf und Juraj Holly als Chevalier.

Der Clou der Inszenierung findet zwischen dem ersten und zweiten Akt statt. Dann werden die Türen zu den Foyers geöffnet  und das Publikum auf die Gänge gebeten, wo es sich plötzlich in ein zwielichtiges Etablissement versetzt fühlt, in dem  blondierte Animierdamen in aufreizenden Kleidern rote Herzen verteilen und befrackte Ober diskret Champagner anbieten. Aus allen Ecken tönt das Gemisch unterschiedlichster Musik, das Schreker zu Beginn des zweiten Aktes als Bühnen- und Hintergrundmusik vorgesehen hat. Ein Regieeinfall, der souverän die dramaturgischen Probleme dieser Szene löst und das Publikum zudem hautnah an das Geschehen heranführt.

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Animierdamen führen in den zweiten Akt: Emma McNairy (Mary), Evmorfia Metaxaki (Mizi), Caroline Nkwe (Milli), Wioletta Hebrowska (Eine Spanierin)

Auch für den dritten Akt hat die Regie eine schlagend überzeugende Lösung gefunden. Die Szene ist der Platz vor dem Theater, in dem Fritz' Oper soeben den entscheidenden Misserfolg erlebt. Dabei steht der Container vom Anfang als „Theaterbeisel“ auf dem Bühnenvordergrund und auf der Hinterbühne ist das Orchester postiert, dessen Musik gleichsam aus dem Opernhaus heraus nach vorn dringt. Zur Schlussszene wird das gesamte Orchester nach vorn gefahren, alle anderen Kulissen verschwinden und auf der nackten Bühne ohne jede Illusion von Theater wird das Finale nur noch als Konzert gegeben. „Not und Sehnsucht gelang, das Glück kann ich nicht besingen“, lautet Fritz' Resumee seiner Kunst und folgerichtig verweigert auch die Regie dem Paar einen romantischen Schluss.

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Am Ende nur zerstobene Künstlerhoffnung: Fritz (Zoltán Nyári) und das Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Am Schluss der Oper wird das Orchester also auch optisch zum Protagonisten. Den ganzen Abend über ist es aber auch vom Graben aus ein ungemein plastischer und präsenter Klang-Erzähler. Andreas Wolf, momentan kommissarischer GMD des Lübecker Theaters, gelingt es, Schrekers Musik opulent und filigran zugleich zu präsentieren. Die Verwandlungsmusik im dritten Akt wird zum großen symphonischen Drama, farbenreich und expressiv. Die Naturmusiken im ersten und das Vogelkonzert im dritten Akt werden zu lyrischen Klangimpressionen. Durch die Postierung der Harfen in den Proszeniumslogen im ersten Akt werden die sphärisch-schillernden Klangfarben in Schrekers Musik eindrucksvoll verstärkt und in der  langen Celestapassage im dritten Akt lässt sich deutlich die wundersame Schönheit des ersehnten „fernen Klangs“ erahnen.

FAZIT

Musikalisch wie szenisch ist dem Theater Lübeck unter Aufbietung aller Mittel hier eine grandiose Produktion gelungen: mit intelligenter Regie, durchweg großartigen Solisten und einem packend musizierenden Orchester.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Wolf

Inszenierung
Jochen Briganzoni

Bühne
Wolf Gutjahr

Kostüme
Katharina Weissenborn

Video
Thomas Lippeck

Licht
Falk Hampel

Chor
Jan-Michael Krüger

Dramaturgie
Francis Hüsers

 

Chor und Extrachor des
Theater Lübeck

Statisterie

Philharmonisches Orchester
der Hansestadt Lübeck


Solisten

Der alte Graumann / zweiter Chorist
Steffen Kubach

Seine Frau
Andrea Stadel

Grete, beider Tochter
Cornelia Ptassek

Fritz, ein junger Künstler
Zoltán Nyári

Der Wirt / Der Baron / Ein Polizeimann
Taras Konoshchenko

Ein Schmierenschauspieler /
Der Graf / Schauspieler

Johan Hyunbong Choi

Dr. Vigelius, ein Winkeladvokat /
Stimme eines Bariton

Gerard Quinn

Ein altes Weib / Eine Spanierin /
Kellnerin / Ein Mädchen

Wioletta Hebrowska

Mizi
Evmorfia Metaxaki

Milli
Caroline Nkwe

Mary
Emma McNairy

Der Chevalier / Ein zweifelhaftes Individuuum
Juraj Holly

Rudolf
Tim Stolte

Erster Chorist
Hyungseok Lee

Gäste
Rosa Dongeun Kim
Imke Looft
Svyatoslav Martynchuk
Mark McConnell
Yong-Ho Choi
Young-Soo Ryu
Tomasz Mysliwiec
Benedikt Al Daimi

Zigeunerkapelle
Claudia Dillner
Emil Jurju
Evelyne Saad
Jens-Peter Heidemann
Elisabeth Fricker
Dagmar Labusch

Venezianische Banda
Cäcilia Borck
Liana Leßmann
Paul Potthoff
Steffen Trekel
Ellise Neumann
Eyglo Dora Davidsdottir
Ricarda Wieck
Lucy Finckh
Dobromila Hancka
Vera Dörmann
Janusz Heinze
Stanislav Efaev


Weitere Informationen
erhalten Sie vom

Theater Lübeck
(Homepage)



Da capo al Fine

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