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Ein packender Opernabend
Die Uraufführung seiner
zweiten Oper Der ferne Klang
im Jahre 1912 machte den damals 34 jährigen Franz Schreker schlagartig
zur Berühmtheit und mit seinen folgenden Bühnenwerken zum
meistgespielten Opernkomponisten dieser Jahre bis in die Mitte der Zeit
der Weimarer Republik hinein, weit mehr als etwa Richard Strauss zu
dieser Zeit. Jäh beendet wurde Schrekers Karriere vom Anbruch des
Faschismus. Politischer Druck zwang den Juden Franz Schreker bereits
1932 aus seinem Amt als Direktor der Berliner Musikhochschule, wenig
später mündete die Uraufführung seiner letzten Oper in einem
nationalsozialistisch provozierten Skandal. Im Gegensatz zu vielen
anderen Künstlern konnte Schreker nicht ins Exil gehen. Schon 1933
schwer erkrankt, starb er bereits ein Jahr nach der „Machtübernahme“
und geriet regelrecht in Vergessenheit, da sich nirgendwo außerhalb von
Deutschland Fürsprecher für sein Werk fanden. Erst seit Ende der 1970er
Jahre werden Schrekers Opern, zuerst zögernd und in jüngster Zeit
regelmäßig, wieder an den Opernhäusern gespielt; und dies mit
zunehmendem Erfolg. Dies ist nicht allein Wiedergutmachung, sondern
Schrekers Opern erscheinen auch heute modern hinsichtlich der Inhalte
wie der Musik. Das Theater Lübeck hat dies als Erstaufführung mit
Schrekers Der ferne Klang
in einer eindrucksvollen Produktion unter Beweis gestellt.
Von einer doppelten Sehnsucht handelt die Oper: von der Sehnsucht nach
der vollendeten Kunst und von der Sehnsucht nach der erfüllten Liebe.
Die beiden Hauptfiguren Fritz und Grete glauben ihre Sehnsüchte und
Hoffnungen nur durch Flucht aus ihrer Realität verwirklichen zu können
und beide scheitern auf ihre jeweils eigene Weise.
Prekäre Nachbarschaft: Gerard Quinn (Dr. Vigelius),
Cornelia Ptassek (am Boden: Grete), Chor des Theater Lübeck
Der junge
Komponist Fritz verlässt zu Beginn der Handlung seine in einfachsten
sozialen Verhältnissen lebende Geliebte Grete, um in „der Welt“ sein
Glück als Musiker zu machen. Auf der Suche nach dem fernen Klang, der
idealen Musik, verspricht er als berühmter Künstler
zurückzukehren und Grete Reichtum und Ruhm zu Füßen zu legen. Doch
dieses Ziel wird er nie erreichen. Der letzte Akt handelt von der
Uraufführung seiner neuen Oper, die allerdings vollkommen durchfällt.
Weniger
bewusst, aber aus einem tiefen inneren Drang nach Liebe und
Geborgenheit heraus flüchtet Grete aus den engen Verhältnissen ihrer
Familie. Durch Einflüsterungen einer geheimnisvollen alten Frau
werden in dem jungen Mädchen die erotischen Wünsche geweckt und sie
landet in der Villa delle maschere, einem venezianischen Edelbordell.
Im zweiten Akt wird sie dort von Männern wie eine Prinzessin umschwärmt
und auf Händen getragen. Als plötzlich Fritz dort auftaucht, bekundet
sie ihm ihre Liebe, doch er weist sie als Dirne brüsk von sich und
stößt sie damit noch tiefer in den sittlichen Verfall.
Traum von der Märchenhochzeit: Zoltán Nyári (Fritz),
Steffen Kubach (Der alte Graumann), Wioletta Hebrowska (Ein altes
Weib), Cornelia Ptassek (Grete), Andrea Stadel (Frau des Graumann),
Chor des Theater Lübeck
Im dritten Akt
erscheint Grete in dem Theater, wo Fritz' neueste Oper gerade grandios
gescheitert ist. Von seiner vergeblichen Suche nach künstlerischer
Erfüllung entmutigt und bitter enttäuscht von seinem Versagen stirbt
Fritz in Gretes Armen, die ihn ihrer andauernden Liebe versichert.
Die
Aufführung punktet zunächst einmal mit den zwei großartigen
Sängerdarstellern der Hauptrollen. Der ungarische Tenor Zoltán Nyári
zeigt als Fritz darstellerisch großes Profil, erweist sich der Aufgabe
aber vor allem sängerisch in überragender Weise gewachsen. Mit enormem
Stimmpotential vermag er die große Bandbreite der Partie exzellent
auszuschöpfen und brilliert mit lyrischem Piano ebenso wie mit
strahlend auffahrender heldischen Geste. Ein idealer Siegfried ließ
sich da hören.
Kongenial
besetzt ist Cornelia Ptassek als Grete. Ihr Sopran hat die jugendliche
Frische, die sie im 1. Akt als Kaugummi kauendes Girlie ebenso
glaubhaft macht wie den Ausdruck von Leidenschaft als Männer
betörende Kurtisane im 2. Akt und schließlich die warme Emphase im
Liebesduett des dritten Akts.
Umschwärmte Halbwelt-Queen: Cornelia Ptassek (Grete),
Ensemble,Chor und Extrachor des Theater Lübeck
Regisseur
Jochen Briganzoni hat sowohl die naturalistischen wie auch die
symbolistischen Handlungselemente der Oper zu einer geschickten
Synthese verbunden. Der erste Akt führt konkret in die Welt von Gretes
Familie. Eine Art Wohncontainer auf der Bühne stellt die
bescheidene Wohnküche dar. Vor ihrer Flucht aus dieser engen Welt wird
Grete diesen Kasten selbstbewusst zur Seite schieben. Die Eltern
Graumann verkörpern bedrückend drastisch die prekär elenden
Verhältnisse: Mutter und Tochter zerstritten, der Vater versoffen. In
Begleitung zwielichtiger Dorfbewohner will er seine Tochter an den Wirt
verkuppeln, der es nicht nur bei Andeutungen belässt, welche Dienste
Grete in seiner Kneipe den Kunden erweisen könnte. Übergriffig und
brutal wird Grete zur Kind-Braut ausstaffiert. Katharina Weissenborn
hat diese Gesellschaft prägnant auskostümiert, den Wirt als
Rocker-Zuhälter mit Goldkettchen und Bomberjacke, die Mutter im
Wickelkleid und Grete im Jungmädchen-Outfit mit Zöpfen: so
naturalistisch, dass es fast weh tut.
Zu der
folgenden langen Verwandlungsmusik erträumt sich Grete eine
Märchenhochzeit, die pantomimisch wie eine Familienaufstellung
dargestellt wird. Von der mysteriösen Alten durch einen flirrenden
Vorhang in die Glitzerwelt der blanken Sinnlichkeit gelockt, lebt sie
nun im Lusttempel als Greta ihre Verführungskraft auf die zu ihr
aufschauenden Männer aus. Dabei nutzt die Regie die auch
musikalisch erotisierte Musik geschickt, um die Spielarten sexueller
Obsessionen anzudeuten, ein Sado-Maso-Thrill bei der düsteren Ballade
vom bleichen König, der durch Liebe Schmerzen leidet oder die
eindeutige Anspielung auf Kindersex in der Interpretation des Couplets
von den „reizenden kleinen Blumenmädchen von Sorrent“ - beides
hervorragend gesungen von Johan Hyunbong Choi als Graf und Juraj Holly
als Chevalier.
Der Clou der
Inszenierung findet zwischen dem ersten und zweiten Akt statt. Dann
werden die Türen zu den Foyers geöffnet und das Publikum auf die
Gänge gebeten, wo es sich plötzlich in ein zwielichtiges Etablissement
versetzt fühlt, in dem blondierte Animierdamen in aufreizenden
Kleidern rote Herzen verteilen und befrackte Ober diskret Champagner
anbieten. Aus allen Ecken tönt das Gemisch unterschiedlichster Musik,
das Schreker zu Beginn des zweiten Aktes als Bühnen- und
Hintergrundmusik vorgesehen hat. Ein Regieeinfall, der souverän die
dramaturgischen Probleme dieser Szene löst und das Publikum zudem
hautnah an das Geschehen heranführt.
Animierdamen führen in den zweiten Akt: Emma McNairy
(Mary), Evmorfia Metaxaki (Mizi), Caroline Nkwe (Milli), Wioletta
Hebrowska (Eine Spanierin)
Auch für den
dritten Akt hat die Regie eine schlagend überzeugende Lösung gefunden.
Die Szene ist der Platz vor dem Theater, in dem Fritz' Oper soeben den
entscheidenden Misserfolg erlebt. Dabei steht der Container vom Anfang
als „Theaterbeisel“ auf dem Bühnenvordergrund und auf der Hinterbühne
ist das Orchester postiert, dessen Musik gleichsam aus dem Opernhaus
heraus nach vorn dringt. Zur
Schlussszene wird das gesamte Orchester nach vorn gefahren, alle
anderen Kulissen verschwinden und auf der nackten Bühne ohne jede
Illusion von Theater wird das Finale nur noch als Konzert gegeben. „Not
und Sehnsucht gelang, das Glück kann ich nicht besingen“, lautet Fritz'
Resumee seiner Kunst und folgerichtig verweigert auch die Regie dem
Paar einen romantischen Schluss.
Am Ende nur zerstobene Künstlerhoffnung: Fritz (Zoltán
Nyári) und das Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Am Schluss der
Oper wird das Orchester also auch optisch zum Protagonisten. Den ganzen
Abend über ist es aber auch vom Graben aus ein ungemein plastischer und
präsenter Klang-Erzähler. Andreas Wolf, momentan kommissarischer GMD
des Lübecker Theaters, gelingt es,
Schrekers Musik opulent und filigran zugleich zu präsentieren. Die
Verwandlungsmusik im dritten Akt wird zum großen symphonischen Drama,
farbenreich und expressiv. Die Naturmusiken im ersten und das
Vogelkonzert im dritten Akt werden zu lyrischen Klangimpressionen.
Durch die Postierung der Harfen in den Proszeniumslogen im ersten Akt
werden die sphärisch-schillernden Klangfarben in Schrekers Musik
eindrucksvoll verstärkt und in der langen
Celestapassage im dritten Akt lässt sich deutlich die wundersame
Schönheit des ersehnten „fernen Klangs“ erahnen.
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ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Chor und Extrachor des Statisterie Philharmonisches Orchester Solisten
Der alte Graumann /
zweiter Chorist
Seine Frau
Grete, beider Tochter
Fritz, ein junger Künstler
Der Wirt / Der Baron /
Ein Polizeimann
Ein Schmierenschauspieler /
Dr. Vigelius, ein Winkeladvokat /
Ein altes Weib / Eine Spanierin /
Mizi
Milli
Mary
Der Chevalier /
Ein zweifelhaftes Individuuum
Rudolf
Erster Chorist
Gäste
Zigeunerkapelle
Venezianische Banda
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- Fine -